Protocol of the Session on November 13, 2002

Ostdeutschland als Aufgabe von Politik ist aber auch mehr als nur die Absolvierung der zweiten Hälfte des Weges Aufbau Ost. Nach der Überzeugung der Brandenburger PDS braucht der Osten einen Neuanfang, der an Erreichtem und an den eigenen Erfahrungen anknüpft, sich aber zugleich Neuem öffnet. Dass sich auch Ministerpräsident Platzeck in diese Richtung bewegt - ich will Ihnen nichts unterstellen -, wurde nicht nur von Journalisten, sondern mit einiger Beunruhigung auch von seinen Koalitionspartnern in der CDU bemerkt.

Wir haben mit Genugtuung zur Kenntnis genommen, dass Matthias Platzeck gegenüber dem „Spiegel” erklärt hat:

„Wir müssen mit dem, was wir früher in der DDR konnten, und dem, was wir in der Bundesrepublik dazugelernt haben, eine neue Qualität herausarbeiten. Ich finde, der Osten ist der innovativere Teil Deutschlands.”

Ob allerdings im Osten, wie es der Ministerpräsident meint, Diskussionen wirklich „ohne ideologische Scheuklappen” geführt werden können - diesen Beweis muss vor allem er als Chef der Regierung noch antreten.

(Beifall bei der PDS)

Ich komme zum Schluss. Es ist meine Auffassung, dass wir nicht unbedingt innovativer als die Westdeutschen sein müssen. Auch die Menschen im Westen sind innovativ, was ich ihnen von ganzem Herzen gönne. Wir brauchen aber eine Besinnung auf die eigenen Potenziale und deren konsequente Nutzung, ohne immer nach dem Westen zu schielen. Der Osten wird noch lange am Tropf hängen. Die ostdeutsche Transfergesellschaft braucht einen realistischen konzeptionellen Ansatz für die langfristige Entwicklung einer selbsttragenden Wirtschaft - mit allen zu erwartenden Folgen.

Gestatten Sie mir bitte, am Rande meine Verwunderung über die allseits ausgebrochene Liebe zu den Ostdeutschen, deren doppelten Erfahrungsbruch als Potenzial oder ihre avantgardistische Rolle auszudrücken. Das ist seit langem bekannt. Ich freue mich, wenn auch Sie diese Erkenntnisse jetzt annehmen und zur Grundlage Ihrer Politik machen.

Die PDS sagt: Es ist relativ spät, aber noch nicht zu spät. Wir stehen für eine offene Diskussion darüber, wie es im Osten weitergehen kann, zur Verfügung. Auch wir haben keine Patentrezepte. Wir werden Sie, Herr Ministerpräsident, sicherlich bei Ihrem Bemühen unterstützen, die strategischen Entscheidungen der Kamingespräche des Koalitionsausschusses endlich wieder dorthin zu verlagern, wo sie hingehören: in den Landtag! - Ich bedanke mich.

(Beifall bei der PDS)

Ich danke Ihnen, Herr Abgeordneter Prof. Dr. Bisky. - Ich gebe

das Wort Herrn Abgeordneten Fritsch. Er spricht für die SPDFraktion.

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Debatten zu Regierungserklärungen bieten traditionell die Gelegenheit, die Vorstellungen über die Politik der nächsten Jahre auszutauschen. Ein gutes Stück Ehrlichkeit ist dabei durchaus zu begrüßen.

Herr Bisky, Sie sagten, auch Sie hätten keine Patentrezepte - das habe ich gemerkt.

(Beifall bei der SPD und vereinzelt bei der CDU)

Aber auch ich habe keine. Ehrlichkeit muss sein!

(Zurufe von der PDS)

Der Herr Ministerpräsident hat seine Ausführungen am Ende in dem prägnanten Satz gebündelt: Besinnen wir uns auf unsere eigene Kraft! - Ich erlaube mir, diesen Satz zu ergänzen: Besinnen wir uns auf unsere eigene Kraft und geben wir ihr auch die notwendigen Freiräume, sich voll zu entfalten!

(Beifall bei der SPD und vereinzelt bei der CDU)

In der Debatte ist deutlich geworden, dass wir an vielen - ich meine, an zu vielen - Stellen immer noch Bremsen und Hindernisse haben, die es erschweren, Initiativen in die Praxis umzusetzen, diese am Arbeitsmarkt und im Hinblick auf die Erhöhung des Steueraufkommens wirksam werden zu lassen.

Die Hilfen, die wir vom Bund und von der EU erhalten haben und immer noch erhalten, sind notwendig. Wir sind dafür dankbar und tragen für die sorgsame Verwendung der Mittel die Verantwortung, die wir auch gern wahrnehmen wollen. Die Mittel sind vergleichsweise reichlich bemessen und dennoch nur als Hilfe zur Selbsthilfe zu verstehen; denn eine Dauersubventionierung des Ostens kann und wird es nicht geben. Allein diese Tatsache neben vielen anderen - zwingt uns, weiter und intensiver an den Konzepten zur Modernisierung unseres Landes zu arbeiten. Angesichts der Haushaltslage ist dies sicherlich nicht leicht, auf jeden Fall aber ohne Alternative.

Wir sollten uns dennoch darüber unterhalten, was Politik kann und soll. Ich höre immer wieder - auf kommunaler Ebene genauso wie auf Landesebene -, wegen des fehlenden Geldes könne man keine Politik mehr machen. Stimmt das? Ist das so? Ich habe mir die Mühe gemacht, im Bertelsmann-Lexikon unter „Politik” nachzulesen. Dort heißt es:

„Ursprünglich die Lehre von der Verfassung eines altgriechischen Stadtstaates. Heute die Durchsetzung von Vorstellungen zur Ordnung sozialer Gemeinwesen.”

Dort steht zunächst einmal nichts von Geld.

Bei mir zu Hause steht auch noch Meyers Kleines Lexikon aus dem Jahr 1969. Das ist noch interessanter:

„Politik - historisch-soziale Erscheinung, die an die Existenz der Klassen und des Staates gebunden ist.... Die Politik ist wesentlich der Klassenkampf um die Staatsmacht, um den Sturz der Macht der feindlichen Klasse bzw. um die Erhaltung und Festigung der eigenen Herrschaft.”

(Heiterkeit und Beifall bei SPD und CDU)

Ich vermute, meine Damen und Herren, dass sich der eine oder andere daran erinnern kann. Es kann auch sehr lehrreich und heilsam sein, sich einmal an diese alten Definitionen zu erinnern.

(Zurufe von der PDS)

Aber Sie verstehen dann vielleicht auch, warum ich in der parlamentarischen Arbeit lieber von Mehrheiten als von Macht rede: Mit Mehrheiten, die uns der Wähler gegeben hat, muss man sorgsam umgehen, um sie nicht zu verlieren. Was Machterhalt und Machtfestigung bedeuten können, hat uns Herr Mielke beigebracht.

(Beifall der Abgeordneten Klein [SPD] und von Arnim [CDU] - Zurufe des Abgeordneten Vietze [PDS])

Da ich davon ausgehe, dass sich die Mehrheit dieses Hauses einschließlich der Mitglieder der PDS-Fraktion inzwischen doch mehr der Bertelsmann-Definition annähert, verlasse ich dieses Thema wieder, weise aber noch einmal darauf hin, dass in beiden Definitionen von Geld nichts steht. Ich behaupte sogar: Wer alle Wünsche, die es in einem sozialen Gemeinwesen natürlicherweise gibt, mit genügend Geld bedienen könnte, würde gar keine Politik mehr machen. Die Notwendigkeit, das soziale Gemeinwesen zu organisieren, besteht ja gerade darin, widersprüchliche Interessen und Wünsche - auch nicht bedienbare Wünsche - aufeinander abzustimmen und im Gleichgewicht zu halten.

(Beifall des Abgeordneten Bischoff [SPD])

In dieser glücklichen Situation, keine Politik mehr machen zu müssen, sind wir nicht; wir kennen schließlich unseren Haushalt. Wir müssen und wollen uns darauf verständigen, wie wir unser Gemeinwesen, das Leben in unserem Land Brandenburg, organisieren wollen. Üblicherweise wird dazu gesagt, welche Rahmenbedingungen wir in diesem Lande setzen wollen. Natürlich müssen wir uns am Ende - aber bitte möglichst am Ende, nachdem das alles geklärt ist - auch die Frage stellen, was das kostet. Die Frage lautet also: Stimmen unsere Vorstellungen und das verfügbare Haushaltsvolumen überein oder nicht? Beides wird umso eher in Übereinstimmung zu bringen sein, je besser und richtiger die Rahmenbedingungen gesetzt sind; nur dann können sich die Kräfte im Lande Brandenburg frei entfalten.

Wir können es uns einfach nicht mehr leisten, wirtschaftliche Initiativen - ganz gleich, welcher Größenordnung - durch formalistische Hürden zu behindern. Egal, ob es um einen Eigenheimbauer oder einen millionenschweren Investor geht - sie alle müssen das Gefühl haben, dass sie willkommen sind und alles unternommen wird, um ihnen bei ihrem Vorhaben zu helfen.

Das erfordert Umdenken in der Politik, in den Amtsstuben, in den Ministerien und in den Rathäusern. Normen, Standards, Vorschriften und Genehmigungsabläufe müssen auf ihre Sinnhaftigkeit hin für Brandenburger Verhältnisse geprüft und gegebenenfalls angepasst oder gar abgeschafft werden.

(Beifall bei der SPD)

Ich betone die Brandenburger Verhältnisse deshalb, weil das, was im Ruhrgebiet sinnvoll und vernünftig sein kann, in Brandenburg noch lange nicht sinnvoll und vernünftig sein muss. Wir haben viel von den Nordrhein-Westfalen gelernt, an mancher Stelle aber vielleicht zu viel von ihnen übernommen.

(Beifall des Abgeordneten Dr. Wiebke [SPD])

Wenn es uns gelingt, eine solche Bereinigung durchzuführen, dann werden wir ein gutes Stück mit der Verwaltungsmodernisie

rung und der Modernisierung des Landes Brandenburg vorangekommen sein. Das muss uns nicht viel Geld kosten. Es wird uns aber sehr viel Gehirnschmalz kosten und wird vor allem sehr viel Überzeugungsarbeit notwendig machen.

Gestern hat das Kabinett einen Beschluss gefasst, der die Überprüfung von Normen und Standards sowie den Abbau von Rechtsund Verwaltungsvorschriften zum Gegenstand hat. Ich hoffe, dass dieser Beschluss von allen Ressorts ernst genommen und zügig umgesetzt werden wird. Noch immer regelt der Staat viel zu viele Einzelheiten. Nun können wir aber nicht nur immer mit dem Finger auf die Ministerien zeigen; wir selbst sind auch gefordert. Einige der heute noch geltenden Vorschriften, Gesetze und Verordnungen haben diesen Landtag in den letzten Jahren passiert.

(Vietze [PDS]: Ist das jetzt Selbstkritik?)

- Ich war damals noch nicht im Landtag, Herr Vietze. Deshalb kann ich diese Bemerkung vielleicht mit etwas weniger Selbstüberwindung machen, als es andere Abgeordnete tun könnten. Nichtsdestotrotz sollten wir uns den Blick nicht verstellen, das Revue passieren zu lassen, was wir in den vergangenen Jahren gemacht haben. Vielleicht lässt sich auch da vieles vereinfachen und verbessern.

Wir arbeiten zurzeit an der Bauordnung. Sie stellt ein hervorragendes Beispiel dafür dar, deutlich zu machen, dass wir es mit der Vereinfachung von Normen, Standards und Vorschriften wirklich ernst meinen.

(Beifall bei SPD und CDU)

Ich habe mit großer Freude gehört, dass Bundesbauminister Manfred Stolpe in seiner ersten Bundestagsrede gesagt hat: Wir werden das Baugesetzbuch und die Vergabeordnung so verändern, dass die Abläufe schneller und einfacher werden. - Damit liegt er auf derselben thematischen Linie, die wir heute besprechen. Ich hoffe aber, dass die Realisierung dieses Vorhabens nicht so lange dauern wird, wie es bei Bundesgesetzen üblicherweise der Fall ist.

Auf der anderen Seite muss das, was politisch gewollt und beschlossen ist, von den jeweiligen Verwaltungen auch umgesetzt werden. Ich habe den Eindruck, dass noch immer an viel zu vielen Stellen in unserem Lande die Antragsbearbeitung nach dem klassischen Muster verläuft. Die erste Frage lautet: Bin ich überhaupt zuständig? Die zweite Frage lautet: Finde ich einen Paragraphen, der dagegen spricht? Die dritte Frage wird dann meistens gar nicht mehr gestellt: Wie kann ich dem armen Menschen helfen?

(Heiterkeit und Beifall bei der SPD)

Das führt zu der etwas ironischen Bemerkung, die ich immer wieder machen muss, wenn mir die Rede von Janusz Reiter einfällt, die er hier zum zehnjährigen Verfassungsjubiläum gehalten hat und in der er uns diplomatisch fein verklausuliert sagte, die eigentliche Wirtschaftskraft des Ostens habe sich in den Köpfen der Menschen verborgen und traue sich nicht heraus. Immer dann, wenn der schlafende Tiger aus den Köpfen der Menschen heraus will, kommt irgendein Bürokrat und schlägt den Tiger mit einem großen Paragraphen. Daher verstehe ich, warum sich der Tiger nicht heraustraut. Dagegen müssen wir etwas unternehmen.

Die Verwaltungen haben sich nicht nur selbst die Frage zu stellen, sondern sie haben sich auch von außen die Frage gefallen zu lassen, was sie getan hätten, um das jeweilige Vorhaben genehmigungsfähig zu machen. Die Feststellung, dass etwas nicht geht, ist immer die allereinfachste. Aber Wege aufzuzeigen, wie es denn geht, sollte zur Standardpflicht einer jeden Verwaltung gehören. Wir kennen die wirtschaftliche Situation und die Situation der

Haushalte der öffentlichen Hand. Daher müssen wir jedem dankbar sein, der in Brandenburg Geld in die Hand nehmen und investieren will. Er hat ein Recht darauf, von Anfang an begleitet und beraten zu werden, um Erfolg zu haben, und zwar selbst dann - so behaupte ich -, wenn er außergewöhnliche Wünsche hat. Das abwehrende Argument von Verwaltungen, da könne ja jeder kommen, lasse ich nicht gelten. Ich wäre schon froh, wenn nur jeder zweite käme und investierte; denn dann ginge es uns schon deutlich besser.