Ich eröffne die Aussprache mit dem Beitrag der PDS-Fraktion. Frau Abgeordnete Wehlan, Sie haben das Wort.
Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Auch wenn die Antwort der Landesregierung auf unsere Große Anfrage zur Politik für den ländlichen Raum an den verschiedensten Stellen nur Probleme und Sichten andeutet, so denke ich doch, Herr Minister Birthler, Herr Staatssekretär Schulze, dass wir uns am Ende der Aussprache zumindest in einer Feststellung einig sein werden: Die Situation und Dynamik in den ländlichen Räumen des Landes Brandenburg stellt sich äußerst differenziert dar. In Brandenburg gibt es eine Tendenz zur Polarisierung zwischen wirtschaftlich wachsenden Räumen in der Nähe der Verdichtungszentren und stagnierenden bzw. zurückbleibenden ländlichen Räumen vor allem in den peripheren strukturschwachen Regionen.
Diese Feststellung, die schon in dem Brandenburger Agrarbericht 2002 angedeutet wurde, verbunden mit dem hehren Ziel der Landesverfassung, des Raumordnungsgesetzes und der Koalitionsvereinbarung, gleichwertige Lebensverhältnisse in allen Regionen zu schaffen, also in den jeweiligen Teilräumen ausgeglichene wirtschaftliche, infrastrukturelle, soziale, ökologische und kulturelle Verhältnisse anzustreben, waren letztendlich der Anlass dafür, Sie und uns mit dieser Großen Anfrage auf eine Zwischenetappe der Bewertung Ihrer Politik für den ländlichen Raum zu bringen.
Unter dem Eindruck des Werfens des Fehdehandschuhs durch die Finanzministerin, die in der vergangenen Woche den „Abschied von der Gießkanne” durch Kürzung der Förderung für Randregionen beschrieb, hat die heutige Diskussion eine erhebliche politische Brisanz erhalten.
Wie werden Sie sich positionieren, verehrte Damen und Herren der SPD und Herr Raumordnungsminister Birthler, Herr Staatssekretär Schulze? Halten Sie fest am Leitbild der dezentralen Konzentration und damit an dem vorrangigen Ziel der Förderung der strukturschwachen Randregionen Brandenburgs? Oder soll das Geld künftig da ausgegeben werden, wo nach Frau Zieglers Vorstellungen die „größten volkswirtschaftlichen Effekte” zu erwarten sind? Werden Sie jetzt auch noch Ihr Leitbild beseite legen, das durch Ihre Praxis der Förderung der Großprojekte über die Jahre ohnehin schon eine Aushöhlung erfahren hat und nicht die Chance hatte, Ihr Konzept zu werden?
Sie, Herr Stolpe, haben sich in Ihrem Grußwort anlässlich des zehnjährigen Bestehens des Brandenburger Landfrauenverbandes sehr eindeutig geäußert und bereits festgelegt, dass solcher Art von Bestrebungen eine Absage erteilt gehört. Ist das in Ihrer Fraktion mehrheitsfähig? Oder haben wir es bei den Vorstellungen von Frau Ziegler mit vorauseilendem Gehorsam zu tun? Denn genau dafür hat sich unlängst auch der EU-Kommissar Barnier ausgesprochen. Er betonte, dass die europäische Regionalpolitik ihren Aktionsrahmen wahrscheinlich auf Aufgaben mit hoher Wertschöpfung einschränken müsse. Auf Ihren Koalitionspartner möchte ich an dieser Stelle nur verweisen.
Verehrte Kolleginnen und Kollegen, eines muss klar sein: Bei dieser Sichtweise werden die strukturschwachen ländlichen Räume außen vor bleiben. Es hieße, Abschied zu nehmen von dem Ziel gleichwertiger Lebensverhältnisse für alle Bürger unabhängig von ihrem Wohnort.
Deshalb unterstützen wir eine primär auf den Abbau regionaler Disparitäten gerichtete Ausgleichspolitik und sehen dafür im
Leitbild der dezentralen Konzentration eine gute Chance. Wir behaupten, dass die nachhaltigsten sozialen und wirtschaftlichen Effekte für Brandenburg dort entstehen, wo die infrastrukturelle und naturräumliche Ausstattung beides, also attraktive Lebensund Arbeitsräume, bietet.
Eng verbunden mit der soeben angeführten Problematik der vorrangigen Förderung ist die Diskussion für eine überzeugende einheitliche Definition besonders strukturschwacher ländlicher Räume.
Reicht es im Hinblick auf eine Politik für den ländlichen Raum aus, ländliche Räume als solche zu definieren, die nur nicht Verdichtungs- oder Ordnungsräume sind? In dem Raumordnungsbericht 2000 wird dargelegt, dass dies der „Dynamik, Vielfalt und Eigenständigkeit ländlicher Räume nicht gerecht” wird und dass die „Auswahl von Kriterien zur Charakterisierung ländlicher Räume... von der Zielsetzung der Betrachtung” abhängt. Allein, die dort vorgenommene problemorientierte Typisierung weist mehrere Typen aus.
Für die Politik innerhalb eines Bundeslandes wäre es doch wichtig, alle ländlichen Räume sowohl nach ihren spezifischen Entwicklungspotenzialen als auch nach ihren Entwicklungsdefiziten bzw. Strukturschwächen einzuordnen. Zum Beispiel betrifft der Abbau von Arbeitsplätzen in der Landwirtschaft doch alle ländlichen Räume. Strukturschwäche ergibt sich doch unter anderem in erster Linie aus nicht vorhandenen, noch nicht erschlossenen oder ungünstig erreichbaren Alternativen, was auch unterschiedliche Politik- und Förderansätze erforderlich macht.
Es wäre also wünschenswert, dass die ländlichen Räume Brandenburgs qualitativ nach ihren spezifischen Stärken und Schwächen bestimmt werden. Zweifellos erscheinen die genannten zentrenfernen strukturschwachen Räume auch besonders förderwürdig, aber der Abbau von Strukturschwächen hängt nach unserer Auffassung stets davon ab, welche Potenziale in den jeweiligen Räumen vorhanden, erschließbar oder ansiedelbar sind. Insofern ist die Antwort auf Frage 6 überdenkenswert, dass Aussagen über künftige Entwicklungstrends allein der Bevölkerungsprognose entnommen werden sollen.
In der Tat ist der Bevölkerungsrückgang aufgrund gesunkener Geburtenraten und der partiellen Abwanderung insbesondere jüngerer, qualifizierter und weiblicher Bevölkerung ein Alarmsignal, weil die Langzeitwirkungen dieses Rückgangs im Hinblick auf die Gefahr, dass sich ein Teil der ländlichen Regionen und Siedlungen möglicherweise nicht nachhaltig entwickeln kann oder sogar entleert wird, bislang vielfach noch unterschätzt werden.
Wir erwarten von der Landesregierung präzisere Auskunft darüber, welche Konsequenzen sich daraus im Hinblick auf das Verfassungsziel der Schaffung gleichwertiger Lebensverhältnisse in allen Teilräumen ergeben und wie die Landespolitik dem Rechnung tragen wird.
Das Postulat der Gleichwertigkeit der Lebensverhältnisse bildet seit Jahren das argumentative Fundament für alle Förderkonzepte und -programme zugunsten strukturschwacher ländlicher Räume. Leider beschränken sich auch diese darauf, die Gleichwertigkeit der Lebensverhältnisse zielbestimmend zu benennen, ohne jedoch zu erläutern, was eigentlich darunter zu verstehen ist.
Zieht man zur Konkretisierung des Begriffs der gleichwertigen Lebensverhältnisse das Raumordnungsgesetz und die einschlägigen Entschließungen der Konferenz der für Raumordnung zuständigen Minister heran, so wird deutlich, dass es um die Gleichwertigkeit der Lebensverhältnisse für diejenigen Menschen geht, die in strukturschwachen oder in „hinter der allgemeinen Entwicklung zurückgebliebenen Gebieten” leben, und dass sich die „Gleichwertigkeit am Bundesdurchschnitt orientieren” soll.
Konkretisiert wird ferner, worauf sich die Gleichwertigkeit beziehen soll, nämlich vor allem auf ausreichende und qualifizierte Ausbildungs- und Erwerbsmöglichkeiten, auf die Verbesserung der Umweltbedingungen und auf die Infrastrukturausstattung.
Zieht man die Begriffe „angemessen” und „ausreichend” aus Artikel 87 Grundgesetz hinzu, so geht es also darum, dass jeder Bürger unabhängig von seinem Wohnort mit zumutbarem Zeitaufwand all das erreichen kann, was er für sein Leben braucht: einen qualifizierten Arbeitsplatz, Aus- und Weiterbildungsmöglichkeiten, Einrichtungen der Gesundheitsvorsorge, Freizeitund Erholungsmöglichkeiten, Waren- und Dienstleistungsangebote.
Verehrte Kolleginnen und Kollegen, den Themenkomplex Agrarwirtschaft wollte ich heute eigentlich nicht bewerten, weil wir uns in der letzten Landtagssitzung in ausführlicher Form über die Brandenburger Positionen zur EU-Agrarreform verständigt haben. Die Diskussion verlief über die Fraktionsgrenzen hinweg - ich erinnere an die Stichworte: Direktzahlungen, Kappungsgrenze, Modulation und Roggenintervention - sehr einmütig.
Es ist auch als deutliches Signal für Brandenburger, sprich: ostdeutsche, Agrarbetriebe verstanden worden, dass Sie, Herr Ministerpräsident Platzeck, dazu direkte Gesprächskontakte in Brüssel suchten. Aber die Hoffnung, die Europäische Union würde von ihren Plänen der gemeinsamen Agrarpolitik abrücken, hat getrogen. EU-Kommissar Fischler legte unmittelbar im Anschluss an Ihren Besuch nach, um seine Pläne, die Prämienzahlung pro Betrieb auf einen Höchstbetrag von 300 000 Euro zu begrenzen, deutlich zu unterstreichen. Die Art, wie Herr Fischler auf Ihren Besuch, Herr Platzeck, reagierte, lässt vermuten, dass Sie besser daran getan hätten, Ihren ersten Weg nicht nach Brüssel, sondern nach Berlin zu Frau Künast und Herrn Schröder zu nehmen. Letzterer ist ja über Ihre eigenen Parteistrukturen für Sie erreichbar. Nicht eine Meinung aus der Sicht eines Bundeslandes, sondern die Position des Bundeskanzlers und seiner Verbraucherschutzministerin haben in Brüssel Gewicht.
Lassen Sie mich zu Herrn Fischlers Vorwurf, die EU-Agrarsubventionen seien ungerecht verteilt, noch einige Sätze sagen.
lungen und Tierprämien, die Deutschland aus dem EU-Haushalt erhielt, ganze 36,7 % an ostdeutsche Landwirte, obwohl doch fast alle der angeblich den Löwenanteil dieser Beihilfen verschlingenden Großbetriebe im Osten liegen.
Auch der Bundesagrarbericht widerlegt Fischlers Aussage: Danach realisierte der durchschnittliche Großbetrieb je Hektar 234 Euro und der Familienbetrieb im Haupterwerb 203 Euro an Direktzahlungen. Die unterschiedliche Höhe des Hektarertrages ist dabei nicht der Betriebsgröße, sondern der Produktionsstruktur geschuldet.
Fischler hat nur insoweit Recht, als größere Betriebe in der Tat auch ein größeres Prämienvolumen erhalten als kleinere. Das aber ist normal, eine einfache Rechenaufgabe und keineswegs ungerecht. Denn dafür ist auch deren Produktion für die Gesellschaft entsprechend groß.
Im Übrigen gehört zu einer soliden Analyse der „Subventionen” nicht nur der Vergleich der EU-Beihilfen, sondern die Gesamtheit der unternehmensbezogenen Direktzahlungen. Hier lagen die im Durchschnitt 24 ha großen Nebenerwerbsbetriebe - das sind immerhin 57 % aller Betriebe -, bei denen die außerlandwirtschaftliche Erwerbstätigkeit die Haupteinnahmequelle ist, mit 381 Euro je Hektar noch vor den ostdeutschen Großbetrieben mit 351 Euro je Hektar.
Es spricht also vieles gegen die Kappung. Daran ändert auch der Versuch Fischlers nichts, die betriebswirtschaftliche Auswirkung mit dem Hinweis auf die Freibeträge für Arbeitskräfte herunterzuspielen. Dass Fischler sie trotzdem massiv fordert, hat zwei Gründe, die bereits in der vorigen Landtagsdebatte reflektiert wurden: einen ideologischen Grund - hin zu mehr Bauernfamilien - und einen fiskalischen, der anscheinend sehr deutlich mit der Aussage von Bundeskanzler Schröder zu tun hat, der in einem Interview mit einer großen Tageszeitung im Frühsommer dieses Jahres selbst die Höhe der Direktzahlungen in einen Zusammenhang mit der künftigen Erweiterung der Europäischen Union brachte.
Ich verweise auf die Berechnung der Bundesforschungsanstalt für Landwirtschaft in Braunschweig, nach der allein auf die ostdeutschen Großbetriebe bis zu 90 % des EU-weiten Kappungsvolumens entfallen würden. Die betroffenen Betriebe müssten Prämienkürzungen zwischen 5 und 70 % hinnehmen.
Herr Ministerpräsident, beenden Sie die Sprachlosigkeit Ihres Genossen Bundeskanzlers, ansonsten können Sie sich von Ihrem unterstützungswürdigen Ziel der flächendeckenden Landbewirtschaftung in Brandenburg, das in der Antwort auf die Große Anfrage auch Reflexion fand, verabschieden.
Zur integrierten ressortübergreifenden Entwicklung ist zu fragen, inwieweit eine wirklich integrierte ressortübergreifende ländliche Entwicklung mit einer komplexen multisektoralen Förderung tatsächlich funktioniert bzw. welche Hemmnisse zu überwinden sind, damit sie funktioniert. Es genügt doch nicht, Maßnahmen und Fördermittel aufzuzählen, ohne genau zu analysieren, was bisher erreicht wurde, welche Wege und Fördermittel sich dabei bewährt haben und welche Niveaus in absehbarer Zeit erreichbar erscheinen. In welchem Maße - das heißt, real messbar -, bezogen auf die Landesfläche bzw. die Regio
nen, ist es zum Beispiel gelungen, mittels Diversifizierung der Landwirtschaft und der Gestaltung regionaler Wirtschaftskreisläufe die Landwirtschaft zu festigen, Arbeitsplätze zu mehren und Regionen bzw. Dörfer wirtschaftlich und sozial stabiler zu machen?
Welche Ergebnisse, Pilotprojekte und übertragbaren Erfahrungen liegen vor, ländliche Räume und Siedlungen als Standorte nichtlandwirtschaftlicher Gewerbe und Arbeitsplätze zu entwickeln? Zu betrachten sind dabei landwirtschaftsnahe Bereiche, Umweltschutz, Kleinunternehmen des Handwerks und der Dienstleistungen, regenerativer Energiegewinnung bis zu den Möglichkeiten dezentraler Wirtschafts- und Arbeitsplatzentwicklung.
Die widersprüchlichen Aussagen, die einen potenziellen Einfluss von Kultur, Sport und anderer Freizeitgestaltung auf die demographische Entwicklung verneinen, lassen vermuten, dass es kein über das Ministerium hinausreichendes gemeinsames Konzept der Landesregierung für eine integrierte und nachhaltige Entwicklung des ländlichen Raumes gibt. Die Beantwortung der Fragen lässt den Eindruck entstehen, dass die Landesregierung auch die Notwendigkeit der Befassung mit diesen Themen nicht für erforderlich hält.
Ich hätte gern noch etwas zu den regionalen Abgrenzungen gesagt. Vielleicht kann ein Redebeitrag auch in schriftlicher Form eingebracht werden. - Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren Abgeordnete! Lassen Sie mich zunächst den Fragestellern für diese Anfrage und dem Beantworter dafür danken, dass er die Antworten so komplex gegeben hat,