Protocol of the Session on October 10, 2002

Drucksache 3/4811

Es wurde vereinbart, zu diesem Tagesordnungspunkt keine Debatte zu führen, sodass ich sofort zur Abstimmung über die Empfehlung des Präsidiums kommen kann, den Gesetzentwurf in der Drucksache 3/4811 an den Hauptausschuss zu überweisen. Wer dieser Überweisungsempfehlung folgt, den bitte ich um sein Handzeichen. - Gegenstimmen? - Stimmenthaltungen? - Damit ist einstimmig so beschlossen.

Ich schließe den Tagesordnungspunkt 3.

Wir treten jetzt in eine Pause ein. Der Blick auf den schönen Herbsttag ist uns hier durch die zugezogenen Gardinen verwehrt, aber Sie können jetzt hinausgehen und ihn genießen. Um 13 Uhr wird die Sitzung fortgesetzt, die ich jetzt unterbreche.

(Unterbrechung der Sitzung: 11.56 Uhr)

(Fortsetzung der Sitzung: 13.01 Uhr)

Verehrte Kolleginnen und Kollegen, ich eröffne den Nachmittagsteil unserer heutigen Sitzung und begrüße zunächst Gäste aus Lauchhammer, die unsere heutigen Beratungen verfolgen wollen. Herzlich willkommen!

(Allgemeiner Beifall)

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 4 auf:

1. Lesung des Gesetzes zur Änderung des Gesetzes über den Verfassungsschutz im Land Brandenburg (Brandenburgisches Verfassungsschutzgesetz - BbgVerfSchG)

Gesetzentwurf der Fraktion der DVU

Drucksache 3/4897

Ich eröffne die Aussprache mit dem Beitrag der einreichenden Fraktion. Frau Abgeordnete Hesselbarth, Sie haben das Wort.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Vorschrift des § 6 Abs. 7 Satz 2 des Brandenburgischen Verfassungsschutzgesetzes verstößt eindeutig gegen das Rechtsstaatsprinzip des Artikels 20 des Grundgesetzes. Hier kann durch eine geheime Dienstvorschrift bestimmt werden, dass Mitarbeiter und Agenten des Verfassungsschutzes Straftatbestände erfüllen dürfen, ohne dafür belangt zu werden. Die Regelung, dass die Dienstvorschrift der Parlamentarischen Kontrollkommission vorzulegen ist, ist praktisch ohne Bedeutung. Sie hat lediglich eine Alibifunktion; denn Vorlage heißt nicht Genehmigung oder gar Zustimmung.

Wer aus rechtsstaatlicher Sicht diese Vorschrift in § 6 Abs. 7 Satz 2 betrachtet, müsste mit uns der Auffassung sein, dass eine dringende Korrektur des Gesetzes erforderlich ist. So konnten wir vor einigen Wochen in der Presse nachlesen, dass auch in der SPD-Fraktion der Unmut über diese unmögliche Vorschrift wächst und eine Korrektur für erforderlich gehalten wird.

Sie, meine Damen und Herren der SPD, haben heute Gelegenheit, der Gesetzesänderung zuzustimmen oder zumindest die Ausschussüberweisung zu befürworten. Tun Sie dies nicht, so waren Ihre Worte kurz vor der Bundestagswahl nichts anderes als ein Täuschungsmanöver, um Proteste aus der Bevölkerung gleich im Keim zu ersticken.

Nun sind wir allerdings Täuschungsmanöver aus der großen Koalition gewöhnt. Wenn Sie sich den völlig überschuldeten Haushalt anschauen, dann müssten Sie merken, dass Sie vor einem Scherbenhaufen Ihrer Politik stehen. Sie könnten den hoch verschuldeten Haushalt schon dadurch um etliche Millionen entlasten, dass Sie endlich die Behörde „Verfassungsschutz” abschafften. Rechtsstaatlich orientierte Bürgerinnen und Bürger brauchen nicht bespitzelt zu werden. Aber Sie halten dieses Instrumentarium zur Sicherung Ihrer politischen Macht aufrecht.

Die Verabschiedung des Gesetzentwurfes der DVU-Fraktion ist

dringend erforderlich, um rechtsstaatliche Verhältnisse wieder herzustellen.

Wir haben uns die Mühe gemacht und sämtliche Verfassungsschutzgesetze der Bundesländer durchgesehen. In keinem anderen Gesetz finden wir eine Formulierung, wonach aufgrund einer Dienstvorschrift erlaubt wird, dass bestimmte Straftatbestände erfüllt werden dürfen. Im Brandenburgischen Verfassungsschutzgesetz ist noch nicht einmal geregelt, um welche Straftaten es sich handeln soll. Sind hier etwa auch Mord oder Verbrechen wie Totschlag, Raub, Meineid, Landesverrat oder Spionage eingeschlossen?

Nun war der Presse zu entnehmen, dass eine Dienstvorschrift gar nicht existiere. Ja, meine Damen und Herren der Regierung, das macht ja die Sache noch schlimmer; denn dann kann ein VMann offenkundig auch ohne Dienstvorschrift Straftaten begehen.

In diesem Zusammenhang muss der Fall Toni S. Erwähnung finden. Heute Abend wird das ARD-Magazin „Kontraste” berichten, dass sich Verfassungsschutzchef Wegesin persönlich um den V-Mann-Einsatz von Toni S. gekümmert hat und mit der Zusammenarbeit sehr zufrieden gewesen ist. Dem Agenten wurde laut staatsanwaltschaftlichem Vernehmungsprotokoll durch den V-Mann-Führer sogar Straffreiheit zugesagt - mit Rückendeckung von Wegesin.

Herr Innenminister, Sie haben gestern bestritten, dass der Verfassungsschutz Weisungen zur Begehung von Straftaten erteilt. Ich frage aber ausdrücklich nach: Haben V-Leute mit Wissen oder stillschweigender Billigung eines V-Mann-Führers oder anderer Mitarbeiter des Verfassungsschutzes strafrechtlich relevante Handlungen vorgenommen? Warum halten Sie die Ermittlungen der Berliner Staatsanwaltschaft gegen den verdächtigen Straftäter für nicht gerechtfertigt, Herr Innenminister? Ist es zutreffend, dass der brandenburgische Verfassungsschutz den Vertrieb von extremistischer Hass- und Gewaltmusik durch den V-Mann Toni S. gefördert hat? Welche aktive Rolle hat ein VMann-Führer in diesem Zusammenhang gespielt? Ist dieser VMann-Führer aufgrund einer Dienstvorschrift, sei sie auch nur mündlich erlassen worden, straflos gestellt worden? - Zunächst bedanke ich mich.

(Beifall bei der DVU)

Das Wort geht an die Koalitionsfraktionen. Für sie spricht der Abgeordnete Homeyer.

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Zunächst möchte ich klarstellen, dass das Land Brandenburg und alle anderen Bundesländer sowie auch der Bund den Einsatz von V-Männern und V-Frauen weiterhin braucht, um die Sicherheit im Land zu gewährleisten. Das gilt insbesondere bei der Verfolgung von Straftaten im Bereich des Terrorismus, aber auch des Radikalismus. Dass die DVU-Fraktion diesen Antrag auf Veränderung des Brandenburgischen Verfassungsschutzgesetzes einbringt, verwundert nicht. Es verwundert nur, dass die DVU davon Abstand genommen hat, Gesetze einzubringen dahin gehend, den Verfassungsschutz abzuschaffen.

Ich möchte die Position der Koalitionsfraktionen hierzu darlegen, meine sehr verehrten Damen und Herren. Wir gehen davon aus, dass wir im Land Brandenburg im Sinne unserer Sicherheit weiterhin sehr darauf achten müssen, dass der Einsatz von VLeuten - wir haben das in den letzten Monaten ja sehr drastisch erlebt - nicht weiter in dieser Art und Weise in der Öffentlichkeit dargestellt wird.

Ich komme gerade aus einer Sitzung der Parlamentarischen Kontrollkommission. Wir haben uns mit den Vorgängen in Cottbus beschäftigt und haben erleben müssen, wie ein Nachrichtenmagazin eine Information veröffentlicht hat, die dazu führte, dass die Sicherheitsbehörden schnell haben handeln müssen. Es hat aber auch zu Problemen und Risiken geführt.

Die DVU, meine sehr geehrten Damen und Herren, geht davon aus, dass es der § 6 Abs. 7 Satz 2 des Verfassungsschutzgesetzes V-Leuten ermöglicht, Straftaten zu begehen. Ich möchte hier nicht die Rolle des Repetitors übernehmen, doch müsste selbst Ihnen, meine Damen und Herren von der DVU, bei längerem Nachdenken klar werden, dass die Verwirklichung von Straftatbeständen nicht generell mit der Begehung von Straftaten gleichzusetzen ist. Anderenfalls gäbe es nämlich beispielsweise keine Notwehr. Das Begehen einer Straftat ist auch nach § 6 Abs. 7 Satz 2 des Verfassungsschutzgesetzes verboten. Dies entspricht auch dem Rechtsverständnis aller Demokraten. Welches Staatsverständnis müssen Sie eigentlich haben, wenn Sie davon ausgehen, dass der Staat die Begehung von Straftaten duldet?

Auch eine interne Dienstvorschrift, wie sie von Ihnen angesprochen wurde, könnte in keinem Fall den Strafverfolgungsanspruch des Staates im Falle von begangenen Straftaten abbedingen. Eine solche Vorschrift könnte man auf V-Leute auch gar nicht unmittelbar anwenden.

Im Übrigen - auch dies zeigt Ihr fehlendes Rechtsstaatsverständnis -: Geheime Dienstanweisungen kann es bei Vorschriften, die Außenwirkung haben und Dritte binden, nicht geben. Solche Vorschriften müssen öffentlich zugänglich sein. Jeder Bürger muss schließlich wissen und zumindest Kenntnis davon nehmen können, welchen Grenzen sein Handeln unterliegt.

Meine Damen und Herren von der DVU, wir haben in diesem Landtag eine Parlamentarische Kontrollkommission.

(Schuldt [DVU]: Von der wir ausgeschlossen sind!)

Diese nimmt ihre Aufgaben gewissenhaft wahr. Soeben ist das geschehen. Die Parlamentarische Kontrollkommission ist auch dafür zuständig, dass verwaltungsinterne Regularien in diesem Bereich eingehalten werden. Dies werden wir auch in Zukunft tun. Wir werden in der Kontrollkommission auch darüber zu diskutieren haben, ob das bisherige Verfahren gut gewesen ist und wir es beibehalten können oder ob wir aufgrund unserer Erfahrungen in den letzten Monaten nachbessern müssen. Das werden wir in der Parlamentarischen Kontrollkommission in Zukunft wie bisher mit den Verantwortlichen aus dem Innenministerium, mit dem Herrn Innenminister und mit dem Verfassungsschutzchef, besprechen. Wir werden dann zu einer Lösung kommen, die sowohl den Sicherheitsbelangen des Landes Brandenburg als auch der Kontrollpflicht des Landtages dient. In diesem Sinne lehnen wir Ihren Antrag ab, meine Damen und Herren von der DVU. - Danke schön.

(Beifall bei CDU und SPD)

Das Wort geht an die PDS-Fraktion. Für sie spricht die Abgeordnete Kaiser-Nicht.

(Vietze [PDS]: Herr Präsident, wir sehen keinen Erklä- rungsbedarf und sind gegen diese Initiative!)

- Sie spricht also nicht. Gut. - Damit wären wir bei der Landesregierung. Herr Innenminister?

(Minister Schönbohm: Ich verzichte!)

- Gut. - Frau Hesselbarth, bitte.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Homeyer, Ihr Redebeitrag war sehr widersprüchlich. Deswegen werde ich mich an mein Manuskript halten und auf Ihren Beitrag nicht weiter eingehen. Denn dem „Spiegel” war unter anderem auch zu entnehmen, dass der Generalstaatsanwalt Rautenberg in einem Schreiben an den Generalbundesanwalt die Rechtsauffassung von Innenminister Jörg Schönbohm wie folgt kritisierte: V-Leute dürften keineswegs Straftaten ohne Folgen begehen, selbst dann nicht, wenn dadurch Hintermänner aufgedeckt würden. Sie, Herr Innenminister, haben laut „Potsdamer Neuesten Nachrichten” erklärt, ein V-Mann dürfe sich „etwas zuschulden kommen lassen”, um in der Szene akzeptiert zu werden. Ich frage den Innenminister: Was darf sich ein V-Mann zuschulden kommen lassen?

Meine Damen und Herren, ich hoffe und erwarte, dass wir eine unabhängige Justiz in diesem Lande haben und der Generalstaatsanwalt jeden VS-Mitarbeiter oder -Agenten, der verdächtigt wird, Straftaten begangen zu haben, verfolgt.

Die Presse hat in den letzten Monaten eine Vielzahl von Sachverhalten vorgetragen, die eine schlimme Verstrickung des Verfassungsschutzes in Straftaten erkennen lassen. Die Landesregierung hat bis heute keine Gegendarstellungen veranlasst, sodass die Behauptungen in der Presse als wahr unterstellt werden müssen. Ich möchte Sie dennoch fragen, Herr Innenminister: Waren die Behauptungen in der Presse falsch und werden Sie unverzüglich mit Gegendarstellungen und Klagen auf Widerruf antworten?

Die DVU-Fraktion empfindet es als ungeheuerlich, dass laut Pressemeldungen ein Brandenburger V-Mann möglicherweise mit Billigung eines V-Mann-Führers für den Vertrieb von CDs zuständig war, auf denen unter anderem zum Mord am Vizepräsidenten des Zentralrates der Juden in Deutschland, Michel Friedman, an der CDU-Politikerin Rita Süssmuth oder am Generalstaatsanwalt Rautenberg aufgerufen wurde.

Ist es zutreffend, dass die Berliner Staatsanwaltschaft gegen einen brandenburgischen V-Mann-Führer ermittelt, unter anderem wegen des Verdachtes der Strafvereitelung im Amt? Ist es zutreffend, dass ein V-Mann eine zentrale Rolle spielte, um die Machwerke der angeblichen Band „Landser” zu vertreiben? Spielte ein Topmann des Verfassungsschutzes bei der Produktion des bislang letzten Hetzwerkes „Ran an den Feind” eine führende Rolle? Inwieweit haben V-Leute die Verbreitung des Machwerkes „Noten des Hasses” gefördert? War die Gruppe

„White Aryan Rebels” gar nur ein Phantom? Wurden die Gewaltaufrufe, die auf den CDs zu hören sind, mit Billigung oder Kenntnis oder mit stillschweigender Duldung des VS im Ausland produziert und hier verbreitet?

Ich frage: Gibt es eine mündliche Dienstvorschrift oder Anweisung, die den Vertrieb von Gewalt-CDs deckt? Sind die Gewalt-CDs inzwischen als jugendgefährdend indiziert?

Der Abgeordnete Muschalla hat laut „Potsdamer Neuesten Nachrichten “ am 11. September erklärt, dass die Vorschrift des § 6 Abs. 7 Satz 2 etwas erlaube, was nicht zulässig sei. Ferner schreibt die Zeitung, dass die SPD den Nachsatz streichen wird, um die nötige Rechtsklarheit herzustellen. Diese Gelegenheit haben Sie hier und heute.

Herr Muschalla, sind Sie in der Presse richtig zitiert worden, dass nach Schönbohms Angaben der Verfassungsschutz zugestimmt hat, dass sich ein Agent des Verfassungsschutzes am Vertrieb neofaschistischer Musikvideos oder CDs beteiligen konnte?

Meine Damen und Herren, es gab einmal einen niedersächsischen Innenminister und Landesvorsitzenden der CDU, Wilfried Hasselmann. Der vertrat die Auffassung, dass Verfassungsschützer Straftaten begehen könnten, ohne sich strafbar zu machen, da ihre Rechtsbrüche vom Gesetz gedeckt seien. Hierzu zählte er ausdrücklich das Einschleusen von V-Leuten in verbotene Organisationen, in denen die Mitgliedschaft strafbar ist. Der „Spiegel” schrieb:

„Hasselmann sanktioniert Ordnungsvergehen und Straftaten wegen Friedens-, Hoch- und Landesverrats, Sabotage, Wahlfälschung, Bildung bewaffneter Haufen und krimineller Vereinigungen, Amtsanmaßung, Geld- und Urkundenfälschung und einiges mehr.”