Protocol of the Session on January 23, 2002

Mit den Einblicken in die Arbeits- und Wirtschaftswelt ermöglichen wir den Jugendlichen nicht nur, ein realistischeres Bild unserer Gesellschaftsordnung zu gewinnen, sondern wir geben ihnen auch die Möglichkeit, ihren Fähigkeiten entsprechende Berufe frühzeitig zu wählen. Zudem eröffnen wir ihnen die Perspektive, die Selbstständigkeit als Alternative und Chance in

Abgrenzung zu einem Angestellten- oder Beamtenverhältnis zu erkennen.

In der öffentlichen Diskussion werden oftmals nur die Risiken der Selbstständigkeit angeführt, was gerade jungen Menschen den Mut nimmt, den Schritt in die Selbstständigkeit zu wagen. Wir wollen es den Jugendlichen ermöglichen, ein realistischeres Bild von Chancen und Risiken zu erhalten. Durch die neuen Lerninhalte an brandenburgischen Schulen wird somit die heute oftmals noch vorherrschende Sichtweise, dass ein Job in der öffentlichen Verwaltung die größte Chance ist, die die Arbeitswelt bietet, hoffentlich bald der Vergangenheit angehören.

Es nützt unseren Schülern wenig, wenn wir sie mit den Anforderungen der Zukunft nicht belasten wollen. Diese Anforderungen werden an sie gestellt und sie können nur angenommen werden, wenn wir die jungen Menschen frühzeitig damit vertraut machen, wenn wir ihnen das Rüstzeug für die Zukunft zur Verfügung stellen.

(Vereinzelt Beifall bei der CDU)

Eigenverantwortung und Selbstständigkeit sind Anforderungen, die in jeder Stellenanzeige verlangt werden und deren Training die Perspektiven der Brandenburgerinnen und Brandenburger im späteren Arbeitsleben wesentlich verbessern. Die zunehmende Integration dieser Anforderungen in den Unterricht ist ein wesentlicher Beitrag der Bildungspolitik zu einer positiven Entwicklung. Die Fähigkeit zum selbstständigen Lernen ist die Voraussetzung dafür, dass die Jugendlichen sich den wachsenden Anforderungen im Laufe ihres Lebens erfolgreich stellen können.

Meine Damen und Herren, die Koalitionsfraktionen haben in Ihrem Antrag die Erarbeitung eines differenzierten Curriculums gefordert. Die Landesregierung hat im Bericht dargestellt, wie bisher an der Umsetzung dieses Punktes des Antrages gearbeitet wurde. Aus unserer Sicht fehlt die eingeforderte Differenzierung. Es ist für uns nicht wünschenswert und sicherlich auch nicht im Interesse der Schüler, wenn alle Hauptschüler, Realschüler und Gymnasiasten die gleichen Anforderungen in diesem Bereich erfüllen müssen. Wir werden in den Ausschüssen jedoch sicherlich noch Gelegenheit haben, uns intensiv mit dieser Problematik auseinander zu setzen.

Abschließend möchte ich feststellen, dass ich sehr gespannt bin, welchen Namen das neue Fach erhalten wird. - Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der CDU und vereinzelt bei der SPD)

Ich danke dem Abgeordneten Bartsch.

Meine Damen und Herren, wir sind am Ende der Aussprache zu diesem Tagesordnungspunkt. Ich kann feststellen, dass Sie den Bericht der Landesregierung in der Drucksache 3/3587 zur Kenntnis genommen haben.

Ich schließe den Tagesordnungspunkt 5 und unterbreche die Sitzung des Landtages bis 13 Uhr.

(Unterbrechung der Sitzung: 12.11 Uhr)

(Fortsetzung der Sitzung: 13.01 Uhr)

Ich begrüße ganz herzlich Gäste aus der 10. Klasse der Realschule „Käthe Kollwitz” in Potsdam. Schön, dass ihr da seid!

(Allgemeiner Beifall)

Ich rufe Tagesordnungspunkt 6 auf:

Arbeitsplätze statt Überstunden

Antrag der Fraktion der PDS

Drucksache 3/3753

Wir eröffnen die Aussprache mit dem Beitrag der beantragenden Fraktion. Frau Dr. Schröder, bitte.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Im laufenden Monat Januar wird die offizielle Arbeitslosenzahl bundesweit wieder über 4 Millionen liegen. Auf der Bundesebene tobt bereits der Lagerwahlkampf um das Thema „Arbeitslosigkeit und Beschäftigung”. Weil gerade im Wahljahr der Mut zu echten Reformen in der Wirtschafts- und Arbeitsmarktpolitik fehlt, wird nach plakativen Lösungsangeboten gesucht, die den Wählerinnen und Wählern zumindest suggerieren sollen, dass Bundeskanzler Schröder und dessen Herausforderer Stoiber an der Problemlösung hautnah dran sind.

Die SPD will auf keinen Fall die Wahl-ABM à la Kohl wieder auflegen, und zwar zu Recht. Stattdessen wird die Ausweitung der Niedriglohnarbeit als rettende Lösung im Kampf gegen die Arbeitslosigkeit verkauft. Die CDU wärmt ihre alte neoliberale Angebotspolitik wieder auf, mit der sie schon viele Jahre unter Kohl gescheitert ist. Traurige Signale für alle Betroffenen. Wer sich dann noch als Arbeitsloser im Land Brandenburg auf die Wirtschaftskompetenz des CDU-Parts in der Landesregierung verlässt, bleibt Verlassener im Gedränge auf den Fluren der Arbeitsämter. Die Not ist groß. Das abgelaufene Jahr 2001 geht für Brandenburg als das Jahr der höchsten Arbeitslosigkeit und des geringsten Wirtschaftswachstums, nämlich mit Negativwachstum, in die Landesgeschichte ein.

Statt über die Ausweitung von Niedriglohnarbeit und irrationales Wirtschaftstum zu sinnieren, gibt es aus Sicht der PDS und auch der Gewerkschaften alternative Wege, der Arbeitslosigkeit spürbar zu Leibe zu rücken. „Arbeitsplätze statt Überstunden” heißt das Konzept mit Aussicht auf hohe Beschäftigungseffekte,

(Fortwährende Unruhe im Saal - Glocke des Präsidenten)

und dies zum Nulltarif für die Politik.

Der Produktivitätsfortschritt führt auch in Deutschland immer mehr zu einer Verringerung des gesamtgesellschaftlichen Arbeitsstundenvolumens bei gleichzeitiger Erhöhung des Bruttoinlandprodukts. Die Folge: Wirtschaftswachstum und Beschäftigungswirksamkeit koppeln sich zunehmend voneinander ab. Eine Ausweitung des bezahlten Arbeitsvolumens zum spürbaren Abbau von Arbeitslosigkeit ist nicht in Sicht. Somit ist eine volkswirtschaftlich vernünftige und sozial gerechte Verteilung vorhandener Arbeit und deren Umverteilung angezeigt und politisch zu unterstützen.

Eine aus Sicht meiner Partei und Fraktion geeignete und dringende Sofortmaßnahme ist der drastische Abbau von Überstunden. Bundesweit stieg der Umfang bezahlter Überstunden von 1,85 Milliarden im Jahr 2000 auf 1,9 Milliarden Stunden im Jahr 2001. Dies ist vor dem Hintergrund des Rekordniveaus von Arbeitslosigkeit auf Bundes- wie auf Landesebene einfach nicht mehr hinnehmbar. Nach seriösen Gutachten lassen sich Arbeitszeitverkürzungen zu 40 % in neue Stellen verwandeln. Dementsprechend wären bei einem vollständigen Abbau der jährlich anfallenden Überstunden nahezu 500 000 Neueinstellungen notwendig. Meine Damen und Herren, nennen Sie mir vergleichbare Beschäftigungseffekte mithilfe anderer Instrumente aus dem voll gepackten Instrumentenkoffer der Wirtschafts- und Arbeitsförderung!

Die Ausweitung der Überstundenzahl wird vor allem begünstigt durch die erhebliche Abweichung der gesetzlichen Höchstarbeitszeit von den tariflich vereinbarten Arbeitszeiten. Die im Arbeitszeitgesetz festgelegte wöchentliche Höchstarbeitszeit von 48 Stunden entspricht schon seit Jahrzehnten nicht mehr der tariflichen Realität - eine Grenze, die der Gesetzgeber bereits vor Gründung der Weimarer Republik festlegte. Änderungen sind hier längst überfällig. Die gesetzliche Höchstarbeitszeit liegt heute um mehr als 10 Wochenstunden über der durchschnittschnittlichen tariflichen Arbeitszeit, sodass die Regelungswirkung des Arbeitszeitgesetzes für die Begrenzung der wöchentlichen Arbeitszeit faktisch bedeutungslos ist.

Dagegen eröffnet die großzügig bemessene Höchstarbeitszeitgrenze die Möglichkeit, in tariffreien Bereichen die Arbeitszeiten bis über das sozial- und gesundheitspolitisch vertretbare Maß hinaus auszudehnen. Das ist gerade ein Problem in Ostdeutschland. Das Nebeneinander von zunehmender Zahl von Überstunden und Unterbeschäftigung ist mit dafür verantwortlich, dass die Arbeitslosigkeit selbst in Phasen konjunktureller Belebung nicht entsprechend abgebaut werden kann. Die Quittung bekommen wir gerade präsentiert, indem bei konjunktureller Flaute die Arbeitslosigkeit sofort wieder über die 4-Millionen-Marke schnellt.

In Deutschland sind längere Arbeitszeiten möglich als in den meisten anderen EU-Staaten. Nur in Portugal, Griechenland, Großbritannien und Irland gilt noch die gesetzliche 48-StundenWoche, während in allen anderen EU-Ländern die wöchentliche Höchstarbeitszeit auf 40 oder weniger Stunden festgelegt ist. Ein großes Vorbild ist Frankreich, wo in Betrieben mit mehr als 20 Beschäftigten die Arbeitszeit auf 35 Stunden begrenzt ist. Hier sind deutliche Beschäftigungseffekte nachweisbar.

(Dr. Hackel [CDU]: Wissen Sie überhaupt, wie viel die verdienen?)

In Deutschland jedoch konnten die Gewerkschaften im Bündnis

für Arbeit keine Vereinbarung zum beschäftigungswirksamen Überstundenabbau durchsetzen.

(Zuruf von der CDU)

Stattdessen wird von den Unternehmen der großzügig bemessene Zeitkorridor immer mehr benutzt, um notwendige Neueinstellungen zu verhindern.

(Dr. Hackel [CDU]: Nicht, dass Sie sich verlesen, meine Dame!)

Überstunden müssen endlich zu Arbeitsstunden für heute noch Arbeitslose werden und hier sind besonders die strukturellen Überstunden gemeint.

Das Land Brandenburg mit seiner katastrophalen Arbeitsmarktbilanz muss jetzt deutliche Akzente auf der Bundesebene setzen. Die Staatssekretärin für Arbeit im MASGF, Frau Schlüter, erhob bereits im September 2000 auf einem von der IHK Frankfurt (Oder) organisierten Symposium zur Arbeitszeitflexibilisierung berechtigte Forderungen zur Umverteilung von Arbeit. Nicht ohne Kritik der Arbeitgeberseite gab sie folgende Anregung - ich zitiere Frau Schlüter aus dem Protokoll der Tagung -:

„Sollten die Überstunden in naher Zukunft nicht deutlich zurückgehen, kann es notwendig werden, ihren Abbau über neue Anreizstrukturen für Unternehmen und Arbeitnehmer voranzutreiben. Denkbar wäre es, Überstunden einerseits mit höheren Beiträgen zur Arbeitslosenversicherung zu belegen, aber gleichzeitig die dadurch erzielten Mehreinnahmen zur allgemeinen Absenkung der Arbeitslosenversicherungsbeiträge zu verwenden.”

(Senftleben [CDU]: Einen Tag Untersuchungshaft für Unternehmer!)

- Jawohl, diesen Vorschlag hält meine Fraktion für diskussionswürdig. Wir befinden uns in dieser nahen Zukunft. Ein deutlicher Rückgang bei der Zahl der Überstunden ist, wie eingangs erwähnt, nicht erkennbar. Handlungsbedarf ist somit dringend angezeigt.

Lassen Sie uns im Ausschuss für Arbeit und Soziales ausführlich über diesen Weg und auch andere Wege eines spürbaren Abbaus von Überstunden beraten. Die Landesregierung muss in solchen Fragen auf der Bundesebene engagierter auftreten.

(Zuruf von der CDU)

Landesinitiativen wie die zur Förderung von Arbeitszeitberatung für kleinere und mittlere Unternehmen im Rahmen des INNOPUNKT-Ideenwettbewerbes sind als innovative Maßnahmen zwar zu begrüßen, reichen aber bei weitem nicht aus, um anstehende Reformen in der Arbeitszeitpolitik schnell und wirksam voranzutreiben. Wir brauchen den großen politischen Schlag

(Lachen bei der CDU)

gegen den Überstundenberg für eine gerechte Verteilung des Arbeitsvolumens im Interesse der Arbeitslosen. - Vielen Dank.

(Beifall bei der PDS)

Das Wort geht an die SPD-Fraktion. Für sie spricht der Abgeordnete Kuhnert.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Thematik der Überstunden ist schon oft diskutiert worden und es ist sicherlich richtig, dass ein Überstundenabbau bis zu einer bestimmten Grenze auch neue Arbeitsplätze in sechsstelliger Höhe schaffen würde. Schon wenn jede dritte oder vierte Überstunde abgebaut werden könnte, dann hätte das einen enormen Effekt für den Arbeitsmarkt.

Gefordert sind in erster Linie die Tarifpartner. Dort müsste es Ansätze geben. Aber dort passiert natürlich zurzeit noch zu wenig. Kollege Freese könnte dazu etwas sagen. Mir ist nur ein Beispiel aus der Chemieindustrie bekannt, wo es tariflich so geregelt ist, dass Überstunden spätestens nach vier Wochen in Freizeit abgegolten werden müssen, wenn sie nicht vorher abgebaut worden sind. Das könnte Vorbild sein für eine Regelung überhaupt; denn nur die Tarifpartner können wirklich entscheiden, wo Überstunden aus Gründen des Wirtschaftsablaufs, der Innerbetrieblichkeit notwendig sind oder toleriert werden müssen oder wo sie wirklich abgebaut und in zusätzliche Arbeitsplätze umgemünzt werden könnten. Übrigens hat sich der Vorsitzende des DGB Schulte sehr skeptisch dazu geäußert, ob ein Gesetz Chancen hätte, dies wirklich zu regeln.