Protocol of the Session on November 22, 2001

Ich schließe den Tagesordnungspunkt 7.

Ich möchte noch einmal auf den Zwischenfall Bezug nehmen, den wir vorhin erlebt haben und der auch von den Medien wahrgenommen worden ist. Der Abgeordnete Dobberstein, unser Alterspräsident in dieser Legislaturperiode, hat einen Schlaganfall erlitten. Er ist dank einer sehr umsichtigen und schnellen Unterstützung durch die Mediziner unter den Abgeordneten rasch in ärztliche Obhut, und zwar auf dem richtigen Weg und unter Berücksichtigung der gegebenen Situation, gekommen. In dieser ärztlichen Obhut befindet er sich noch,

weil eine akute Gefährdung angenommen worden ist. Ich habe sofort die Vertreter der Verwaltung zu mir gebeten. Wir haben darüber gesprochen, in welcher Weise wir infrastrukturelle Bedingungen hier im Hause schaffen, die es uns erlauben, jemanden nicht an Händen und Füßen und um sieben Ecken in das nächste Zimmer schleifen zu müssen. Das ist ein Standpunkt, den ich seit zehn Jahren in diesem Haus vertrete. Ich habe oft genug darauf aufmerksam gemacht. Aber solange nichts passiert, nimmt niemand wahr, in welcher riskanten Situation wir uns befinden. Nun ist es wirklich langsam an der Zeit, dass wir uns in Bezug auf unsere eigenen Arbeitsbedingungen und die Gesundheit der Abgeordneten wie der Besucher ernsthaft Gedanken machen.

(Allgemeiner Beifall)

Ich danke allen, die so schnell und kollegial geholfen haben, als es darum ging, Herrn Dobberstein auf die Intensivstation zu bringen.

(Dr. Wagner [CDU]: Das reicht bis zum Fahrstuhl, Herr Präsident! Verzeihung!)

Nach der fachlichen Bewertung durch Herrn Dr. Wagner sollte es unbedingt möglich sein, in unmittelbarer Nähe des Plenarsaals Hilfe zu leisten. Aber dazu werde ich im Hauptausschuss bzw. auch im Präsidium noch ausführlicher Stellung nehmen, wenn es auch vonseiten der für die Bautätigkeit zuständigen Leute geprüft und bewertet worden ist. Wir brauchen eine Stelle unmittelbarer und schneller medizinischer Hilfe, die wir nicht erst umständlich erreichen. Ich meine, hier wird man sich auch provisorisch auf einiges einstellen müssen, und wenn es die Lagerung bzw. das Bereithalten von Tragen in diesem Raum ist. Damit wollte ich jetzt aber keine Diskussion beginnen.

Ich rufe Tagesordnungspunkt 8 auf:

Volksinitiative „Für Volksentscheide ins Grundgesetz”

Beschlussempfehlung und Bericht des Hauptausschusses

Drucksache 3/3506

in Verbindung damit:

Volksinitiative „Für faire Abstimmungsrechte in Brandenburg” zur Änderung der Verfassung des Landes Brandenburg

Beschlussempfehlung und Bericht des Hauptausschusses

Drucksache 3/3507

Die Aussprache wird eröffnet mit dem Beitrag der PDS-Fraktion. Für sie spricht die Abgeordnete Frau Stobrawa.

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich spreche vor allen Dingen Sie, meine Damen und Herren von der SPD-Fraktion, an und bitte Sie inständig, falls Sie es noch nicht

getan haben, sich noch einmal anzuschauen, worum es bei den vorliegenden Volksinitiativen geht.

Sozusagen als „Weiterbildung” will ich Ihnen erläutern, was Ihr Landesvorsitzender Matthias Platzeck mit unterstützt hat, der diesem Parlament zu einer Zeit angehörte, als der Begriff „direkte Demokratie” im Brandenburger Landtag noch groß geschrieben wurde.

In der Volksinitiative „Für Volksentscheide im Grundgesetz” steht nicht mehr und nicht weniger, als dass sich Brandenburg im Bundesrat für die Aufnahme von Bestimmungen über Volksinitiativen, Volksbegehren und Volksentscheide in das Grundgesetz einsetzen soll.

Sie von der SPD haben sich nun, natürlich - das ist mir klar nur aus Koalitionsdisziplin, denn Sie sind ja eigentlich die wahren „Direktdemokraten”, im Hauptausschuss dazu entschlossen, diese Volksinitiative abzulehnen. Ist Ihnen eigentlich auch bekannt, dass die rot-grüne Koalition in Berlin gegenwärtig in Umsetzung des Koalitionsvertrages dabei ist, eine Initiative zur Einführung von Volksinitiativen, Volksbegehren und Volksentscheiden auf Bundesebene vorzubereiten? Und dabei bewegt sie sich auf dem Boden nicht nur des Grundgesetzes, sondern auch eines Beschlusses des Parteivorstandes der SPD im März dieses Jahres.

Ich gehe davon aus, dass nicht nur Matthias Platzeck und Regine Hildebrandt, sondern auch der Ministerpräsident des Landes Brandenburg diesem Beschluss aus vollem Herzen zugestimmt haben. Aber ich bemerke auch seit dem SPD-Parteitag in Nürnberg: Die Haltbarkeitswerte von Parteitags- oder Parteivorstandsbeschlüssen in der SPD sind im Moment wahrscheinlich genauso viel wert wie die Wählerversprechen der SPD an einigen Stellen.

(Schippel [SPD]: Ach hören Sie doch damit auf!)

Uns liegt auch eine zweite Volksinitiative vor. Sie trägt den Titel „Für faire Abstimmungsrechte in Brandenburg”, Herr Schippel. Diese Volksinitiative ist, ausgehend von den fast zehnjährigen Erfahrungen mit unserer Landesverfassung, darauf gerichtet, dass einige der Kinderkrankheiten - nicht des Kommunismus, sondern unserer Volksgesetzgebung - geheilt werden. Entstanden noch bevor das Landesverfassungsgericht zur Zulässigkeit der Volksinitiative „Für unsere Kinder” entschieden hatte, versucht diese Volksinitiative den mit dem Urteil zweifelsohne enger gewordenen Spielraum für die Volksgesetzgebung auszufüllen. Die Initiatoren wollen die Hürden für die Volksgesetzgebung senken. Wie bei Wahlen soll auch hier das Mehrheitsprinzip gelten.

Ich weiß, dass Ihnen diese Forderung Kummer bereitet. Wenn aber ein Bürgermeister mit nur 15 % aller Wahlberechtigten gewählt wird, dann ist das in Ihren Augen rechtens. An dieser Stelle stellen sich mir natürlich Fragen.

Die Volksinitiative bleibt zum Schutz unserer Landesverfassung ausdrücklich bei speziellen Hürden für Verfassungsänderungen. Haben Sie sich das genau angeschaut und haben Sie das überhaupt gemerkt?

Von den Initiatoren wird auch angestrebt, die Rahmenbedingun

gen für den Erfolg von Volksinitiativen zu verbessern. Eine minimale, aus öffentlichen Mitteln finanzierte Öffentlichkeitsarbeit soll gewährleistet werden.

Darf ich Sie in diesem Zusammenhang noch einmal daran erinnern, dass Sie weit über 4 Millionen DM ausgegeben haben, als Sie 1996 dem brandenburgischen Steuerzahler Ihre unselige Fusionskampagne mit Berlin auf das Auge - oder besser: ins Portemonnaie - gedrückt haben?

(Zuruf von der SPD: Wieso unselig?)

Warum sollen Gruppen von Menschen, die in einem Volksbegehren 80 000 Brandenburger für ihr Anliegen gewonnen haben, nicht wenigstens ein paar tausend Mark für eine solide Öffentlichkeitsarbeit erhalten?

Ich will es bei der Aufzählung dieser Beispiele bewenden lassen. Jeweils fast 30 000 Brandenburgerinnen und Brandenburger haben ihre Unterschrift unter die beiden Volksinitiativen, über die wir jetzt reden, gesetzt. Nun können Sie natürlich sagen: Diese 30 000 Unterschriften interessieren uns genauso wenig wie die 150 000 Unterschriften, die für die Volksinitiative „Für unsere Kinder” geleistet wurden.

(Schippel [SPD]: Sie sagen jetzt bewusst die Unwahrheit!)

Was denken Sie eigentlich, weshalb sich Bürgerinnen und Bürger in unserem Land zunehmend nicht nur der demokratischen Mitwirkung, sondern generell der Demokratie verschließen?

(Schippel [SPD]: Weil es solche Demagogen gibt wie euch!)

Wollen Sie nicht endlich etwas gegen die geringe Wahlbeteiligung, wie wir sie erst am vergangenen Sonntag wieder erlebt haben, tun? Ich verweise nur auf Nauen, wo im ersten Wahldurchgang nur ganze 34 % der Stimmberechtigten zur Wahlurne schritten. Im südbrandenburgischen Großräschen waren es auch nur 37 %.

Mit der Ablehnung der Volksinitiativen am heutigen Tag setzen Sie mit Sicherheit das falsche Signal. Sie gefährden nicht nur die direkte Demokratie, nein, Sie treiben auch die repräsentative Demokratie in eine Legitimationskrise.

Herr Schippel, damit Sie sich jetzt ordnungsgemäß auf die Abstimmung vorbereiten können und recht viel Zeit haben, um darüber nachzudenken, wie Sie abstimmen, habe ich für meine Fraktion eine namentliche Abstimmung beantragt. - Ich bedanke mich.

(Beifall bei der PDS - Klein [SPD]: Das wäre gar nicht nötig gewesen, Frau Stobrawa!)

Das Wort geht an die SPD-Fraktion. Für sie spricht der Abgeordnete Klein.

(Schippel [SPD]: Da kommt der nächste Lehrer!)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Frau Stobrawa, dieser Hilfe hätte es nicht bedurft. Außerdem: Die Tatsache, dass ich einmal falsch abgestimmt und damit Herrn Vietze in die Hand gespielt habe, müssen Sie mir nicht so ankreiden, dass ich ewig in Sack und Asche gehen muss!

(Frau Dr. Enkelmann [PDS]: Das war eine richtige Ent- scheidung, Herr Klein!)

Herr Abgeordneter, sprechen Sie bitte zur Sache!

Ich habe auch eine Erklärung dafür, wie es passiert ist. Das hängt damit zusammen, dass Herr Fritsch etwas andere Geheimzeichen benutzt als ich. Dadurch ist es eben passiert.

(Lachen und Beifall bei der PDS)

Aber kommen wir zum Thema. Heute stehen zwei Volksinitiativen zur Beratung an: zum einen die Volksinitiative „Für Volksentscheide ins Grundgesetz” und zum anderen die Volksinitiative „Für faire Abstimmungsrechte in Brandenburg”.

Der Hauptausschuss des Landtages hat am 18. Oktober über die Zulässigkeit entschieden, nachdem wir auch die Vertreter der Volksinitiativen angehört hatten. Wir wissen, dass nach Artikel 76 der Verfassung 20 000 Unterschriften notwendig sind; über 29 000 Unterschriften sind geleistet worden. Davon waren bei jeder dieser Initiativen etwa 1 500 ungültig. Damit ist dieses Ziel der Volksinitiative klar erreicht worden.

(Vietze [PDS]: Das sollte Ihnen zu denken geben!)

- Das gibt mir immer zu denken, Herr Vietze! - Nach dem Volksabstimmungsgesetz hat der Landtag jetzt über die inhaltliche Zulässigkeit der Volksinitiativen zu entscheiden, und das wird heute passieren.

In der ersten Volksinitiative wird, wie gesagt, die Landesregierung aufgefordert, sich für die Aufnahme von Volksinitiativen, Volksbegehren und Volksentscheiden in das Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland einzusetzen.