Protocol of the Session on October 24, 2001

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir haben als Landtag heute die Frage zu beantworten: Wollen wir eine außergerichtliche Verständigung versuchen oder nicht? Das ist die Frage und nur die soll heute beantwortet werden.

Wir wissen, wie seinerzeit die Diskussion inhaltlich gelaufen ist. Wir wissen, wie die Fraktionen seinerzeit inhaltlich votiert haben. Wir wissen, dass die CDU gesagt hat, sie wolle eigentlich diese über viele Jahre betriebene Brandenburger Politik so nicht fortsetzen. Deshalb ist dieser Punkt auch im Koalitionsvertrag strittig geblieben. Die CDU hat außerdem gesagt, sie sehe die Stabilität der Koalition durch dieses ihr Verhalten nicht in Gefahr. Das sind zunächst einmal die Ausgangsfakten. Die haben wir zur Kenntnis zu nehmen und die haben wir zur Kenntnis genommen.

Natürlich hat jede Partei, hat jede Fraktion eine inhaltliche Position. Es wäre bestimmt auch gut, wenn unsere Prozessbevollmächtigten sie kennen würden. Wie transportieren wir sie? Die PDS hat es für richtig gehalten, dies zuerst mit einem Änderungsantrag zum Antrag des Präsidenten zu versuchen. Dies haben wir abgelehnt, weil es guter Brauch ist - das sollten wir auch für die Zukunft so beibehalten -, dass Anträge des Präsidenten vorher einvernehmlich abgestimmt und dann so beschlossen werden.

(Zuruf von der PDS: Mit uns ist vorher nicht geredet wor- den!)

Der zweite Weg ist der, über eine Entschließung zu gehen, eine Entschließung, die inhaltlich - Herr Vietze hat das richtig gesagt - durchaus mit unseren Positionen übereinstimmt, aber natürlich schon auch das Ziel hat, etwas Druck auszuüben, einen Keil, wenn es ihn schon gibt, noch ein bisschen tiefer in die Koalition zu treiben. Die Frage lautet: Ist das für uns das richtige Transportmedium?

Ich sage es ganz ehrlich: Wir haben heute heftig darüber debattiert, haben alles Für und Wider und viele Meinungen gehört, wie das in einer breiten Volkspartei auch in Ordnung ist. Wir haben uns entschlossen, wie folgt Stellung zu beziehen: Wir halten es nicht für notwendig, unsere Grundsatzposition auf diesem Weg und um diesen Preis zu transportieren; damit - das war in dem Presseartikel auch ausdrücklich so formuliert - würde das Misstrauen gegenüber den Verhandlungsführern und der Landesregierung noch einmal dokumentiert. Wir werden andere Wege finden, diese unsere Grundsatzposition deutlich zu machen.

Ich darf sie noch einmal kurz zusammenfassen:

Erstens: Der Landtag, der dieses Gesetz verabschiedet hat, ist selbstverständlich mehrheitlich der Meinung, dass es grundgesetzkonform ist.

Zweitens: Über die Bedeutung, die Rolle und die Wichtigkeit von LER hat Herr Vietze gesprochen; das sehen wir auch so. Es ist ein wissensvermittelndes Fach. So ist es jedenfalls angelegt. Wenn es das noch nicht ganz ist, dann hat der Bildungsminister noch Arbeit. Wenn es das aber ist, dann ist es ein Fach wie Mathematik, Physik oder Geschichte; dann gehört ein Abwahlrecht da auf Dauer eigentlich nicht hin. Das kann man zwar in einer Experimentierphase machen; irgendwann muss man sich aber entscheiden, ob das auf Dauer so bleiben soll.

Zum Thema Religion: Ich bin sehr dafür, dass möglichst viele Kinder am Religionsunterricht teilnehmen.

(Beifall des Abgeordneten von Arnim [CDU])

Ich glaube aber nicht, dass man das mit Zwang und Pflicht erreichen kann. Jetzt gibt es viele, die aus Neugier am Religionsunterricht teilnehmen und aus Familien kommen, die von allein gar nicht darauf gekommen wären. Deshalb haben wir gesagt: Das Angebot zur freiwilligen Teilnahme am Religionsunterricht ist der richtige Weg. Ein Pflichtfach ist nicht dazu da - so habe ich das jedenfalls kennen gelernt -, Missionierung zu betreiben.

Eine Bemerkung zu Ihren Äußerungen, Herr Innenminister: Ich verwahre mich energisch dagegen, dass diese unsere Position mit dem Begriff „gottlose Gesellen” in Verbindung gebracht wird. Sie haben eine andere Sozialisation durchlaufen. Dort war es wahrscheinlich eher förderlich, in der Kirche engagiert zu sein. Ich war auch in der Kirche engagiert - ich bin es noch und muss sagen: Es war überhaupt nicht förderlich. - Sich einmal mit den ostdeutschen Lebensläufen zu befassen bewahrt vielleicht vor solchen Äußerungen.

(Beifall bei SPD und PDS)

Letzter Punkt: Natürlich besteht eine gewisse Sorge im Hinblick darauf, wohin denn dieser Kompromiss führen wird. Wir hören dazu nicht nur Stimmen aus diesem Saal. In der Zeitung gibt es Stimmen, die da sagen: Ihr müsst nur machen, was wir wollen; dann ist eine Einigung ganz schnell möglich. - Auf der Basis kann es keinen Kompromiss geben.

(Beifall bei der SPD)

Ich danke dem Abgeordneten Fritsch. - Ich gebe das Wort an die Fraktion der DVU, Herrn Abgeordneten Schuldt.

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir bekennen uns zur christlich-abendländischen Kultur. Aus diesem Grunde lehnen wir das Fach Lebensgestaltung-Ethik-Religionskunde in seiner heutigen Form ab. Gleichzeitig fordern wir den didaktischen Umbau dieses Faches sowie die zumindest gleichberechtigte Einführung des Faches Religionskunde in konfessioneller Form als Wahlpflichtfach in allen Schulen in Brandenburg. Dies und nichts anderes ist die Position unserer Fraktion.

Meine Damen und Herren, wenn wir uns anhand des Rahmenplans des Ministeriums für Bildung, Jugend und Sport einmal die Lernfelder und Themenkomplexe des Faches LER ansehen, so stellen wir fest, dass dieses ein buntes Sammelsurium von Unterrichtsmodulen umfasst, von denen 90 % genauso gut in anderen Unterrichtsfächern gelehrt werden können. Themen wie „Der Mensch als Teil der Natur” oder der Bereich Sexualkunde können genauso gut im Biologieunterricht, Themen wie „Das Zusammenleben mit Fremden und Menschen, die anders sind”, „Schule als Institution” im Geographieunterricht, Geschichtsunterricht oder auch im Fach Sozialkunde gelehrt werden. Was Themenkomplexe wie „Wie finde ich mich zurecht in einer unübersichtlichen Vielfalt von Angeboten und Anforderungen?” oder „Ich habe Bedürfnisse, die sich wandeln und erfüllt werden sollen - Wertigkeiten und Begrenzungen” mit philosophischer Ethik und Religion zu tun haben, erklären Sie uns doch bitte einmal, Herr Minister Reiche!

(Zuruf von der SPD: Aussichtslos!)

Solche Themen gehören doch eher in ein Marketingseminar, oder nicht? Dass schließlich in einem von sieben Lernfeldern doch noch das Fach Religion gelehrt wird, ist immerhin beachtlich.

Wir als Fraktion der Deutschen Volksunion verstehen unter christlich-abendländischer Religionskunde allerdings einen Unterricht ausschließlich in christlich geprägter Form.

(Zuruf von der SPD: Kann man doch machen!)

Den, meine Damen und Herren, können nur nach Konfessionen getrennt die staatlich anerkannten Religionsgemeinschaften bieten, insbesondere die evangelische und die katholische Kirche.

Für konfessionslose Schülerinnen und Schüler soll selbstverständlich ein Unterricht in Ethik als Wahlpflichtfach alternativ zum Religionsunterricht erfolgen.

Die Bezeichnung „Lebensgestaltung-Ethik-Religionskunde” können Sie nach meiner Meinung auch beibehalten, nur sollte dieses Fach so umgestaltet werden, dass es einen wirklichen Überblick über die abendländische Philosophie von der Antike bis zur heutigen Zeit vermittelt.

Darüber hinaus sollen aus den verschiedenen philosophischen Ansätzen Ethikbegriffe und ethische Gedanken- und Verhaltensgebäude entwickelt und den Schülerinnen und Schülern nahe gebracht werden. Doch all dies fehlt jetzt völlig. Dazu müssten allerdings erst die entsprechenden Lehrkräfte ausgebildet werden. Dasselbe gilt übrigens auch für Religionskundelehrer.

Um es noch einmal klar und deutlich zu sagen: Wir als DVUFraktion sind dagegen, durch das Fach LER den schulischen Religionsunterricht zu erübrigen, wie es der katholische Erzbischof von München und Freising, Friedrich Wetter, im Jahr 1998 gegenüber der Presse - bezogen auf das Fach LER im Land Brandenburg - befürchtete. Wir wollen zwei gleichgestellte Fächer, Religionskunde und Ethik, welche beide gleichberechtigte Wahlpflichtfächer an allen Schulen Brandenburgs sind. Dies entspricht auch den grundsätzlichen Forderungen. Aus diesem Grund befürworten wir auch den vom Bundesverfassungsgericht vorgeschlagenen Kompromiss zwischen der Landesregierung von Brandenburg und den Verfassungsbeschwerdeführern.

Wir stimmen selbstverständlich dem Antrag des Präsidenten in der vorliegenden Form zu.

Ihrem Entschließungsantrag, meine Damen und Herren von der PDS-Fraktion, werden wir nicht zustimmen. Ich weiß nicht, warum mir beim Lesen dieses Antrages plötzlich der Gedanke kam, dass er ein wenig an das antichristliche FDJ-Lehrjahr erinnert. Also danke! - Ich bedanke mich für die Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der DVU)

Ich danke dem Abgeordneten Schuldt und gebe der Abgeordneten Blechinger das Wort. Sie spricht für die Fraktion der CDU.

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Den Verfassern des Grundgesetzes war der Religionsunterricht wichtig genug, um ihn in Artikel 7 zu verankern und diesen wiederum in der Systematik unserer Verfassung in den Grundrechtsteil für den Bürger zu stellen.

Ich stelle das hier zu Beginn nur deswegen noch einmal ausdrücklich fest, weil dieser Umstand Beleg dafür ist, dass wir seitens der CDU-Fraktion an dieser Stelle nicht um eine der vielen und vielfältigen parteipolitischen Fragen ringen, sondern um eine ganz grundsätzliche Einrichtung in unserer Gesellschaft.

Es ist bekannt und auch in dieser Debatte deutlich geworden, dass es in dieser Frage in Brandenburg sehr unterschiedliche Auffassungen gibt. Das hatte zur Klage von betroffenen Eltern, den christlichen Kirchen und der CDU/CSU-Bundestagsfraktion vor dem Bundesverfassungsgericht geführt.

Ebenfalls ist bekannt, dass die Koalitionspartner in Brandenburg in dieser Frage bisher kein Einvernehmen herstellen konnten und damit auch keine praktische Lösung für das Problem gefunden haben.

Nun hat das Verfassungsgericht nach der mündlichen Verhandlung im Sommer ein überraschendes Angebot unterbreitet, das darin besteht, bei Einverständnis von allen Beteiligten selbst einen Kompromissvorschlag zu erstellen.

Wie viele andere hat auch mich dieses Angebot des Bundesverfassungsgerichts durchaus überrascht, wünscht man sich doch zunächst von einem Gericht ein klares Urteil, mit dem die eigene Rechtsauffassung bestätigt wird. Ich gehe aber davon aus, dass die Verfassungsrichter sich von guten Gründen haben leiten lassen, um diesen außergewöhnlichen Weg zu gehen. Dies war für mich und auch für meine Fraktion Anlass genug, uns auf diesen Vorschlag einzulassen und dies auch frühzeitig öffentlich zu signalisieren.

Meine Damen und Herren! Ich freue mich - jedenfalls glaube ich das der Beratung im Hauptausschuss entnehmen zu können -, dass im Hinblick auf das Verfahren inzwischen große Übereinstimmung in diesem Haus besteht. Ich denke, dass eine Verabschiedung des durch den Präsidenten vorgelegten Antrages schon aus Respekt vor dem höchsten deutschen Gericht geboten ist.

Der gleiche Respekt sollte uns nun auch veranlassen, dem Kompromissangebot des Gerichts in der Sache nicht vorgreifen zu wollen. Die Verfassungsrichter werden sich gewiss von niemandem unter Druck setzen lassen. Daher sollten wir nun gemeinsam abwarten, bis ein substanzieller Vorschlag auf dem Tisch liegt, und erst dann die inhaltliche Diskussion wieder eröffnen.

Es ist unser Ziel und mein Wunsch, dass wir auf diesem Weg fair und mit Respekt vor der jeweils anderen Position einen Zustand herbeiführen, in dem die Rechte von Eltern und Schülern gewahrt sind und vor allem das höchste Maß an eigenverantwortlicher Entscheidung der Eltern und der religionsmündigen Kinder hergestellt und garantiert wird. - Ich bedanke mich.

(Beifall bei der CDU)

Ich danke Ihnen, Frau Abgeordnete Blechinger. - Ich gebe für die Landesregierung Herrn Ministerpräsidenten Dr. Stolpe das Wort.

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Auch die Landesregierung hatte zu entscheiden, ob sie das Angebot des Bundesverfassungsgerichts, einen Vermittlungsvorschlag zu prüfen, annimmt. Die Landesregierung hat diese Frage sorgfältig erörtert und geprüft und am 16. Oktober dazu ihre grundsätzliche Bereitschaft erklärt. Aus Respekt auch gegenüber dem Gericht, das ja nunmehr einen Vorschlag unterbreiten möchte, der auch angenommen wird, habe ich dazu öffentlich erklärt, dass eine Beeinträchtigung des ordentlichen Schulfaches LER etwa durch den Status eines Wahlpflichtfaches nicht möglich ist.

(Vereinzelt Beifall bei der PDS)

Diese Position habe ich dem Vorsitzenden des Zweiten Senats, Vizepräsident Papier, auch persönlich übermittelt. Dies alles ist aber hier bekannt. Es ist von mir öffentlich gemacht worden; das weiß jeder. Weshalb dann diese Entschließung?

Als gelernter DDR-Bürger - Kollege Vietze, da geht es uns beiden vermutlich ähnlich - lese ich nach wie vor jeden Morgen das „Neue Deutschland”. Darin ist die Antwort auf die Frage, die ich heute gestellt habe, enthalten. Um es mit meinen Worten zu formulieren: Die eigentliche Motivation scheint mir mehr im politischen Bereich zu liegen. Es geht offensichtlich nicht um eine zusätzliche Sorge um LER.

(Beifall bei der SPD)

Sie wollen uns Sozialdemokraten, die wir natürlich an diesem Fach festhalten, mit Ihrem Antrag locken. Vielleicht ist es auch Ihr Ziel, die Vision eines möglichen rot-roten Bündnisses in Brandenburg aufzuzeigen.

(Heiterkeit bei der PDS)