Meine Damen und Herren! Es ist 10 Uhr. Ich eröffne die 38. Sitzung des Landtages und begrüße Sie zu morgendlicher Stunde an diesem ersten Sommertag des Jahres. Mein Gruß gilt gleichermaßen den Abgeordneten wie den Vertretern der Medien. Ganz besonders herzlich begrüße ich unsere jungen Gäste vom Puschkin-Gymnasium in Hennigsdorf.
Mir liegt die Mitteilung vor, dass Tagesordnungspunkt 7 „Agrarbericht 2001 - Bericht zur Lage der Land- und Ernährungswirtschaft des Landes Brandenburg” - Drucksache 3/2883, Neudruck -, was die Redezeiten angeht, anstatt mit Variante 1 mit Variante 2 erledigt werden soll.
Gibt es weitere Anregungen, Erweiterungs- oder Änderungswünsche zu der Tagesordnung, die Ihnen mit der Einladung zugegangen ist? - Wenn dies nicht der Fall ist, dann bitte ich um Ihr zustimmendes Handzeichen, dass wir gemäß Entwurf und Änderungswunsch verfahren. - Gibt es Gegenstimmen? Stimmenthaltungen? - Dies ist nicht der Fall. Dann verfahren wir entsprechend.
Mir liegt eine ganze Reihe von Abwesenheitserklärungen sowohl von Ministern als auch von Abgeordneten vor, die, was die Landesregierung angeht, allesamt mit der Pflicht zur Erledigung von Bundesangelegenheiten in Verbindung stehen und unterschiedliche Zeiten betreffen.
Das Wort geht zunächst an die Frau Abgeordnete Redepenning, die damit Gelegenheit hat, Frage 763 (Zukunftsfähigkeit des Bildungssystems) zu formulieren.
Das von Bund und Ländern eingesetzte Forum Bildung hat im April 2001 seine Halbzeitbilanz zur Zukunftsfähigkeit des deutschen Bildungswesens vorgelegt. In der Halbzeitbilanz werden die zunehmende Schlüsselrolle von Bildung in der Gesellschaft von morgen und konzeptionelle Forderungen zur Weiterentwicklung unserer Bildungseinrichtungen hervorgehoben.
Das Forum Bildung geht davon aus, dass nur durch die Modernisierung des Bildungssystems und die Verbesserung von Bildung und Qualifikation in Kindertagesstätten, Schulen und
Einrichtungen der Berufsausbildung die Zukunftschancen unserer Schülerinnen und Schüler gesichert werden können.
Ich frage deshalb die Landesregierung: Welche Schlussfolgerungen zieht sie aus der vorgelegten Halbzeitbilanz des Forums Bildung?
Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren Abgeordnete! Liebe Kollegin Redepenning, das Forum Bildung wird Ende 2001 den Ländern und der Öffentlichkeit seine Empfehlung zur Weiterentwicklung des Bildungssystems in der Bundesrepublik Deutschland vorlegen. Insofern wäre es verfrüht, bereits aus der vorgelegten Halbzeitbilanz detaillierte Schlussfolgerungen abzuleiten. Aber schon jetzt kann ich sagen, dass manches von dem, was ich als gute Praxis Brandenburgs dort vorgestellt habe, Eingang in die Papiere gefunden hat.
Ich will die vorläufigen Ergebnisse des Forums Bildung kurz nennen und Ihnen gleichzeitig die Anstrengungen der Landesregierung zur Weiterentwicklung des Bildungsbereichs darstellen.
Die Landesregierung teilt die Auffassung, dass Bildung eine Schlüsselrolle in der gesellschaftlichen Entwicklung eines jeden Landes darstellt. Bei der Beschreibung der erforderlichen Bildungsziele hält es das Forum Bildung für unumgänglich, dass schulische Bildung neben fachlichen Kompetenzen auch persönlichkeitsbildende und allgemeine Lernkompetenzen vermittelt. Insofern ist unser in den neuen Rahmenlehrplänen gewählter Ansatz, genau diese unterschiedlichen Kompetenzen als Aufgabe allen Unterrichts zu definieren und zu fordern, richtig.
Das Forum Bildung hebt auch hervor, dass Bildung und Erziehung zwei Seiten einer Medaille sind. Angesichts des rasanten gesellschaftlichen Wandels ist die Fähigkeit, mit Wandel umzugehen, Position zu beziehen und den Wandel mitzugestalten, eine der wichtigsten Kompetenzen. Dies setzt, wie das Forum formuliert, die Herausbildung von Werthaltungen voraus, die persönliche Orientierung und Entwicklung von Perspektiven ermöglichen.
Das Forum Bildung unterstützt die Individualisierung von Bildungsgängen und die individuellen Fördermöglichkeiten der Schülerinnen und Schüler. Auch insoweit befindet sich Brandenburg bereits auf einem guten Weg. Die Diskussion über eine unterschiedliche Schulzeitdauer durch unsere Versuchsprogramme, die Einführung der flexiblen Eingangsphase, die Förderung von Menschen mit Behinderungen in Förderschulen und im gemeinsamen Unterricht sowie die Förderung von Menschen mit besonderen Begabungen in Spezialschulen sind in diesem Zusammenhang hervorzuheben. All dies sollen und wollen wir ausbauen.
Das Forum Bildung verlangt von den Schulen die Entwicklung und Gestaltung einer neuen Lern- und Lehrkultur. Dies ist der Bereich, in den ich mich persönlich im Rahmen einer Arbeitsgruppe des Forums Bildung einbringe. Ohne dass sich der Un
terricht qualitativ weiterentwickelt und ändert, bleiben Reformen auf der Strecke. Wir sind es unseren Schülerinnen und Schülern, den Eltern und der breiten Öffentlichkeit gerade auch im Hinblick auf die wirtschaftliche Entwicklung unseres Landes schuldig, die qualitativen Aspekte, die sich auf Unterricht und Schule beziehen, in das Zentrum unserer Bemühungen um die Entwicklung der Bildung zu stellen. Die Beteiligung Brandenburgs an vergleichenden Untersuchungen, die Vorgaben von Standards in unseren Rahmenlehrplänen, die Orientierungspunkte für die Arbeit der Schulen darstellen, sollen dazu beitragen, diese Entwicklung zu fördern.
Ich bin sicher, dass der Landtag die Qualifizierungsbemühungen der brandenburgischen Lehrerschaft nachdrücklich begrüßt und unterstützt. Immerhin haben in Brandenburg seit 1990 rund 7 000 Lehrerinnen und Lehrer einen zusätzlichen Abschluss, eine zusätzliche Qualifikation erworben. Dies ist relativ, also im Vergleich zu allen anderen Bundesländern, und auch absolut außerordentlich viel.
Ich bin sicher, dass wir durch die eingeleiteten Maßnahmen der Bildungsoffensive im Sinne der vorläufigen Hinweise des Forums Bildung gehandelt haben und dass wir hierdurch das Schulwesen in Brandenburg positiv weiterentwickeln werden.
Nicht zuletzt zeigen die Ergebnisse internationaler Leistungsvergleiche, dass ein für Schule und Bildung positives Klima in einer Gesellschaft auch die qualitative Entwicklung von Schulen anregt und beeinflusst. Dies ist die Aufgabe der Eltern, der interessierten Öffentlichkeit und der Politik.
Sehr geehrte Kollegin, ich biete Ihnen an, dass wir, wenn die endgültigen Ergebnisse vorliegen, diese und ihre Auswirkungen auf Brandenburg im zuständigen Fachausschuss eingehend diskutieren. Ich freue mich auf diese Diskussion, die wir Anfang des Jahres 2002 gemeinsam führen sollten. - Vielen Dank.
Wir kommen damit zur Frage 764 (Abweichende Unterrichts- organisationen), die die Abgeordnete Hartfelder stellen wird.
Die Carl-Friedrich-Benz-Realschule Potsdam stellte zum Schuljahr 2001/2002 den Antrag auf abweichende Unterrichtsorganisation. Inhalt dieser abweichenden Unterrichtsorganisation war die Ausdehnung des Faches Informatik. Mit einem Schreiben des Ministeriums für Bildung, Jugend und Sport vom 15. März 2001 wurde dieser Antrag mit folgendem Hinweis abgelehnt:
„Nach Überarbeitung des Antrages und des schulinternen Lehrplanes (auf der Grundlage des vorliegenden Rahmen- lehrplanentwurfs) kann erneut über eine Genehmigung entschieden werden.”
Ich frage die Landesregierung: Welche Voraussetzungen erachtet sie für notwendig, um den Antrag auf abweichende Unterrichtsorganisation an dieser Schule genehmigen zu können?
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe Kollegin Hartfelder, der Wunsch der Carl-Friedrich-Benz-Realschule nach Einführung des Fachs Informatik und der Wunsch, dass der Unterricht in Informatik auch auf dem Zeugnis dokumentiert werden sollte, ist sinnvoll. Die beantragte Abweichung ist aber so - zumindest derzeit - noch nicht genehmigungsfähig. Informatik als eigenständiges Zusatzfach oder als Fach Medienkunde beziehungsweise als Fach Medien und Informatik muss im konzeptionellen Verhältnis zu den Ansätzen der Medienoffensive - Integration von Medien in alle Fächer - geklärt werden.
Die Realschulen hatten Ende 1999 mit Abstand die besten Statistikwerte bei der Integration der neuen Medien in den Unterricht. Auf dieser Basis sollte weitergearbeitet werden. Der von der Benz-Realschule vorgelegte Plan wird diesen Anforderungen nicht gerecht, da es sich allein um eine überwiegend technische Auffassung von Informatik handelt und die Ziele insbesondere bei Objektorientierung und Programmierung mit der Programmiersprache Java deutlich zu hoch gesteckt sind. Gesellschaftspolitische und soziale Aspekte der Informatik, also Auswirkungen wie Informationsgesellschaft, Urheberrecht, Datenschutz usw., sind nicht enthalten. Ebenso fehlen Aussagen und Abstimmungen zur informations- und kommunikationstechnischen Grundbildung.
Der künftige Rahmenlehrplan Informatik wird, wie Sie wissen, derzeit erarbeitet und soll zum Schuljahr 2002/2003 eingeführt werden. Er ist für den Wahlpflichtbereich ab Jahrgangsstufe 9 konzipiert. Nach Auffassung meines Hauses muss der vorliegende Entwurf dieses neuen Rahmenlehrplanes bei einem Neubeginn des Wahlpflichtfaches Informatik ausreichend Berücksichtigung finden und auch als Grundlage für eine schulspezifische Überarbeitung dienen. Die Einführung eines Wahlpflichtfaches Informatik ab Jahrgangsstufe 7 wäre grundsätzlich im Rahmen einer abweichenden Organisationsform auch an einer Realschule möglich, setzte dann allerdings eine größere Zügigkeit in der betreffenden Schule voraus, denn sonst würden keine ausreichend großen Kursgrößen für die Wahlpflichtfächer erreicht.
Wichtigste Voraussetzung für ein neu eingeführtes Wahlpflichtfach ist jedoch ein schuleigener Lehrplan, der den anderen Wahlpflichtfächern in der Qualität ebenbürtig ist. Der vorgelegte Lehrplan erfüllt diese Bedingungen - zumindest zurzeit - noch nicht. Nach Überarbeitung des Antrages und des schuleigenen Lehrplanes auf der Grundlage des vorliegenden Rahmenlehrplanes kann sehr zeitnah erneut über eine Genehmigung entschieden werden. Das Pädagogische Landesinstitut bzw. die Arbeitsgruppe, die an dem Rahmenlehrplan Informatik arbeitet, wird gern Unterstützung geben. - Vielen Dank.
Ich habe zwei Nachfragen. Zum einen bezieht sich die Nachfrage auf den schulinternen Lehrplan. Herr Minister Reiche, ist Ihnen bekannt, dass das von der Realschule erarbeitete Curriculum mit dem schulinternen Curriculum einer anderen Potsdamer Schule, die diese abweichende Unterrichtsform führt, abgestimmt ist?
Frage 2: Zwei der Lehrer befinden sich im Augenblick in der Ausbildung zum Informatiklehrer. Ein Lehrer ist abgezogen worden. Wie werden Sie zukünftig mit dem Lehrerpotenzial dieser Schule verfahren, wenn sich die Lehrer gerade in diesem Bereich qualifizieren? Wird das Personal weiter abgezogen werden oder wie werden Sie sich mit dem Schulamt Potsdam in dieser Sache verständigen?
Kollegin Hartfelder, stimmen Sie mir zu, dass man Abstimmungen mit Erfolg und mit weniger Erfolg durchführen kann. Hier scheint - wenn eine solche Abstimmung stattgefunden hat - der Erfolg noch nicht optimal zu sein, das heißt, daran muss weiter gearbeitet werden. Das hatte ich in der Beantwortung Ihrer Anfrage gesagt. Wir haben uns gemeinsam unter Ihrer Führung im Fachausschuss für eine große Selbstständigkeit der Schulämter entschieden. Selbstständigkeit heißt, dass das Schulamt diese Entscheidung natürlich im Kontext der Gesamtsituation in Potsdam bzw. in Zukunft des regionalen Schulamtes selbst trifft. Da das Schulamt weiß, dass wir eine möglichst starke Profilierung jeder einzelnen Schule wollen, werden die Schulämter in diesem Sinne im Rahmen ihrer gegebenen Möglichkeiten entscheiden. Ich halte es nicht für sinnvoll, dass wir die Selbstständigkeit von Schule und Schulämtern betonen und dann immer wieder hineinregieren, weil eine solche Selbstständigkeit dann nicht wirklich praktiziert werden kann.
Herzlichen Dank. - Wir sind damit bei der Frage 765 (Schwer- punktverlagerung der brandenburgischen Arbeitsmarktpolitik), gestellt von Frau Dr. Schröder.
Die von der Landesregierung initiierte Schwerpunktverlagerung in der aktiven Arbeitsmarktpolitik hin zur Qualifizierung führte zu einem massiven Rückgang bei SAM und ABM.
Infolgedessen lag die Entlastungswirkung der Brandenburger Arbeitsmarktpolitik bei Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen im April 2001 weit unter dem Durchschnitt der neuen Bundesländer. Mit sechs Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen je 100 Arbeitslosen liegt Brandenburg im entsprechenden Ländervergleich an letzter Stelle.
Gleichzeitig gelang es nicht, den Brandenburger Arbeitsmarkt durch Qualifizierungsmaßnahmen spürbarer als in anderen neuen Bundesländern zu entlasten. Überdies zeigen die unlängst vorgelegten Ergebnisse der fünften Welle des Brandenburger Betriebspanels, dass der von der Landesregierung behauptete Qualifizierungsbedarf nicht belegbar ist.
Ich frage deshalb die Landesregierung: Sieht sie Korrekturbedarf in der Arbeitsmarktpolitik sowohl hinsichtlich der Schwerpunktsetzung als auch des Finanzierungsumfangs?
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Arbeitsmarktpolitik ist - das wissen Sie alle - heute eine Gratwanderung. Zum einen muss sie kontinuierlich und verlässlich sein, zum anderen aber auch flexibel auf neue ökonomische und politische Herausforderungen reagieren. In Zeiten knapper Kassen - das lernen wir im Augenblick alle - müssen wir diese beiden Seiten für die Beteiligten unter einen Hut bringen. Das ist nicht einfach. Unser Landesprogramm „Qualifizierung und Arbeit für Brandenburg” zeigt das. Es enthält, so denke ich, so viel Kontinuität wie nötig und greift so weit als möglich neue Entwicklungen auf.
Nach wie vor halten wir in Brandenburg - wie zahlreiche andere Länder auch - die Akzentverschiebung hin zu einer fundierten Qualifizierungspolitik für richtig. Sie ist nicht neu. Man muss aber genauso deutlich sagen - das sagen wir auch immer wieder: Die Existenzberechtigung von ABM und SAM steht für uns außer Frage, Frau Dr. Schröder. Das haben wir bei vielen Anlässen deutlich gemacht. Allerdings meine ich, anders als Sie, dass die Qualität, die Wirksamkeit unserer Arbeitsmarktpolitik, nicht am ABM- und am SAM-Volumen, also allein an der Quantität, festgemacht werden kann.
Frau Dr. Schröder, es freut mich, dass Sie die Ergebnisse unseres letzten Betriebspanels zurate ziehen. Allerdings wird dort nicht ausgeführt, dass kein Qualifizierungsbedarf besteht. Qualifikation ist ganz sicher einer der wichtigsten Standortfaktoren. Unternehmen gehen dorthin, wo qualifizierte Arbeitskräfte sind, und nur mit qualifizierten Fachkräften bleiben sie auch wettbewerbsfähig. Das Problem ist aber, dass sich Brandenburger Unternehmen wenig für betriebliche Weiterbildung interessieren, weil sie - wie zum Teil auch in anderen Ländern - in ihrer Personalpolitik den zukünftigen Fachkräftebedarf unterschätzen.