Protocol of the Session on May 17, 2000

Die Europäische Union wird - wie ich das am Beispiel Portugals und Spaniens bereits sagte - davon natürlich auch profitieren. Es wird ein Binnenmarkt geschaffen, der seinesgleichen sucht. Es wäre auch Anachronismus, würde man zu Zeiten der Globalisierung die Spaltung in Europa zementieren.

(Beifall bei der CDU und vereinzelt bei der SPD)

Allen ist längst klar, dass diese große Erweiterung der Europäischen Union natürlich auch eine Neuordnung der Strukturen der Europäischen Union mit sich bringen muss. Es wäre aber ein falsches Signal, das eine vom anderen abhängig machen zu wollen. Die intensiven Bemühungen der MOE-Staaten, die formulierten Beitrittskriterien so schnell wie möglich zu erfüllen, schaffen einen zusätzlichen Druck auf die jetzige Europäische Union, sich mit ihren Strukturveränderungen zu beeilen, und das halte ich durchaus für einen positiven Aspekt.

Aus den Erfahrungen der letzten EU-Erweiterun gen wurde ja auch gelernt. Es sind strukturpolitische Instrumente zur Vorbereitung auf den Beitritt beschlossen worden. Das ist nicht nur die Initiative PHARE, die inzwischen jeder kennt, sondern das sind die im Förderzeitraum 2000 bis 2006 hinzu gekommenen Instrumente SAPARD und ISPA.

Das Förderinstrument SAPARD dient dazu, die Landwirtschaft zu modernisieren und die Entwicklung des ländlichen Raumes zu fördern, und zwar in den Beitrittsländern. Das Gleiche gilt für das Förderinstrument ISPA, das den Ausbau der Infrastruktur in den Bereichen Verkehr- und Umweltschutz fördern soll.

Vor uns steht die Aufgabe, den Ängsten, die in der Bevölkerung gegen die Osterweiterung bestehen, mit sachlicher Argumentation zu begegnen. Vor uns steht die Aufgabe, die in der Bevölkerung anzutreffende Gleichgültigkeit gegenüber der EU zu bekämpfen. Die Europäische Union ist für uns wichtig und - davon bin ich überzeugt - sie wird in Zukunft noch viel wichtiger werden.

Immer wieder muss in Erinnerung gebracht werden, dass die historische Dimension der Osterweiterung eine einmali ge Chance

für unseren Kontinent bedeutet, nämlich auf Dauer Frieden zu haben. Und damit, meine Damen und Herren, bin ich wieder am Ausgangspunkt, bei der Karte, auf der steht: "50 Jahre Solidarität, Wohlstand und Frieden". Diese Entwicklung verstetigen wir mit der EU-Erweiterung. - Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der CDU und vereinzelt bei der SPD)

Ich danke auch. - Das Wort geht an die Abgeordnete Frau Stobrawa. Sie spricht für die PDS-Fraktion.

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich will am heutigen Tag keine zweite Debatte zur Geschäftsordnung entfachen, aber welcher aktuelle Anlass die CDU trieb, diese Aktuelle Stunde zu beantragen, blieb mir beim Lesen ihres Antrages zumindest verschlossen.

(Zuruf der Abgeordneten Frau Blechinger [CDU])

War es der Besuch des EU-Kommissars für die Erweiterung der EU Verheugen oder etwa die kürzliche Visite des Präsidenten von Tschechien Vaclav Havel?

Leider, Herr Ministerpräsident, kann ich als Vorsitzende des Europaausschusses nur mutmaßen, und zwar ausschließlich anhand von Zeitungsberichten; denn beide Besuche vollzogen sich im Tete-a-tete vor allem der Brandenburger Regierungsparteien. Der Europaausschuss, dessen Vorsitzende ich bin, blieb außen vor.

Wenn die Osterweiterung der Europäischen Union tatsächlich „eine historische Aufgabe" ist, Herr Ministerpräsident - und dieser Feststellung in Ihrer Regierungserklärung stimmt die PDS zu -, und wenn, wie Sie auch betonten, die „bevorstehende EUOsterweiterung bewirkt, dass Brandenburg weiter in die Mitte Europas rückt" und wenn Sie damals an alle Mitglieder des Parlaments und an „alle Bürgerinnen und Bürger im Lande" appellierten: „Packen wir es an?", dann sollte das auch Konsequenzen für die Einbeziehung des Parlaments und seines zuständigen Ausschusses in die außenpolitischen Kontakte des Landes haben.

(Zuruf: Sehr richtig! sowie Beifall bei der PDS)

Ich gehe aber davon aus, dass sich die Große Koalition auch in dieser Frage noch in einem Lernprozess befindet. Rom wurde schließlich auch nicht an einem Tag erbaut.

In der grundsätzlichen Bewertung der Osterweiterung stimmen Landesregierung und linke Oppositionspartei im Landtag weitgehend überein. Wir sehen. dass die Landesregierung in den vergangenen Monaten vieles von dem thematisiert bzw. an Maßnahmen eingeleitet hat, was im Vorfeld der Osterweiterung der EU wichtig ist.

Dazu gehört die ganz praktische Unterstützung bei notwendigen Anpassungen für die so genannten Twinnings- Partnerschaften,

mit denen Brandenburg Projekte in mehreren Beitrittsländern unterstützt.

Dazu gehört der Einsatz bei der EU zur Intensivierun g der Hilfen für die mittel- und osteuropäischen Länder.

Dazu gehören das Votum Brandenburgs für einen Beobachterstatus der Beitrittsländer für den Zeitraum zwischen der Unterzeichnung des Vertrages über ihren EU-Beitritt und dessen In-KraftTreten, die besondere Unterstützung des zügigen Beitritts Polens, die Vereinbarun gen über die grenzüberschreitende Zusammenarbeit zwischen Brandenburg und Polen, aber auch Vorstellungen der Landesregierung für eine umfassende Reform der EU.

Wie in der Vergangenheit werden wir solche Aktivitäten auch künftig unterstützen.

Von unserer positiven Haltung zur Osterweiterung der EU aus lehnen wir das Ansinnen der DVU, eine Bundesratsinitiative zur Aussetzung der Osterweiterung der EU anzuregen, strikt ab.

Dieser Antrag negiert völlig die Grundlagen und vor allen Dingen die Ursachen, die zur Vertreibung von Deutschen aus Osteuropa geführt haben. Er negiert zugleich jene Veränderungen, die sich in den vergangenen zehn Jahren in Polen, Tschechien und anderen Ländern vollzogen haben - gerade auch in Bezug auf die Haltun g zur eigenen Geschichte nach dem Zweiten Weltkrieg. Präsident Havel hat dies in der vergangenen Woche sehr anschaulich angesprochen. Auch wenn die Vertreibung für die Betroffenen schmerzlich war und ihr weiteres Leben entscheidend prägte, sollte man die Ursachen, die dazu geführt haben, nicht vergessen und sie unwiederholbar machen.

(Beifall bei der PDS)

Angesichts all dessen kann ich auch nicht nachvollziehen, warum Landespolitiker wie Ministerpräsident Stoiber Beitrittsländern wie Tschechien immer wieder öffentlich unterstellen, sie würden sich ihrer Vergangenheit mit allen Höhen und Tiefen nicht stellen.

Herr Minister Schelter, ich kann ebenso wenig nachvollziehen, weshalb die Brandenburger Landesregierung „Verständnis" für die Position der bayerischen Sozialministerin Stamm hat, die wie schon zuvor Stoiber - die Anerkennung der Rechtswidrigkeit der Bene'S -Dekrete im April auf das Niveau einer Vorbedingung für den EU-Beitritt Tschechiens gehoben hat. Die Landesregierung teile diese Auffassung nicht, heißt es in der Antwort auf die Kleine Anfrage, aber sie habe Verständnis. Diesen Zusatz habe ich, als ich vor zwei Jahren eine ähnliche Frage an Minister Bräutigam stellte, noch nicht zur Antwort bekommen.

Die heutige Aktuelle Stunde bietet aufgrund ihrer zeitlichen Begrenzung nicht den Raum, um in allen Einzelheiten über die EUOsterweiterung zu sprechen. Deshalb möchte ich Ihnen allen und besonders meinen Kollegen im Europaausschuss folgenden Vorschlag unterbreiten:

Die Osterweiterung könnte aus meiner Sicht in den kommenden vier Jahren der Schwerpunkt unserer Ausschussarbeit sein, und zwar in enger Zusammenarbeit mit anderen Ausschüssen. Natürlich müssen wir uns auch künftig regelmäßig mit der Umset

zung der EU-Förderprogramme in den einzelnen Ressorts beschäftigen, wir müssen uns mit entwicklungspolitischen Fragen beschäftigen, aber die Osterweiterung der EU hat heute einen erstrangigen Stellenwert - und wird ihn erst recht in Zukuknft haben - in der Europapolitik Brandenburgs. Das ist - zumindest aus meiner Sicht - aus vier Gründen nahe liegend:

Erstens: In der Zeit bis zur nächsten Landtagswahl müssen die Beitrittsländer die entscheidenden Schritte vollziehen, damit sie die Beitrittsbedingungen der EU erfüllen können.

Zweitens: Europaminister Schelter als Bundesratsbeauftragter für die Fragen der Erweiterung der Europäischen Union - und damit das Land Brandenburg - hat eine besondere Verantwortung für die Begleitung der Vorbereitung der Staaten auf ihren Beitritt.

Drittens: Durch seine Grenzlage hat Brandenburg traditionell enge Beziehungen zu Polen. die im Rahmen der Vorbereitung Polens auf den Beitritt weiter auszubauen sind. Schließlich verpflichtet auch die Landesverfassung zu einer besonders intensiven Zusammenarbeit.

Viertens denke ich, dass Brandenburg mit seinen eigenen Transformationserfahrungen einen spezifischen Beitrag im Rahmen der Vorbereitung der Osterweiterung leisten kann.

(Zuruf des Abgeordneten Homeyer [CDU])

Ich möchte aus der Sicht unserer Fraktion einige wenige grundsätzliche Ansätze formulieren, die ich zugleich auch als Diskussionsangebot verstehe:

Erstens geht die PDS davon aus, dass in die Beitrittsverhandlungen im Rahmen der Osterweiterung vor allem auch die Erfahrungen des Transformationsprozesses einbezogen werden, die im Osten Deutschlands seit 1990 gesammelt wurden. Nun. es ist ein offenes Geheimnis, dass die SPD, die CDU und die PDS jeweils ihre spezifische Sicht auf die vergangenen zehn Jahre haben. Das ist auch völlig normal. Es re gt den politischen Meinungsstreit an und kann in einer parlamentarischen Demokratie die politische Willensbildung durchaus befruchten.

Unsere diesbezügliche Position ist bekannt: In Deutschland gibt es auch zehn Jahre nach Herstellung der staatlichen Einheit zwei Teilgesellschaften. Ost- und Westdeutschland unterscheiden sich nach der sozialen Situation der Menschen, nach der Wirtschaftsund Finanzkraft, der Kapital- und Einkommensstärke, der Vermögenssituation sowie nach der rechtlichen Stellung des einzelnen Bürgers. Sie sind verschieden in Bezug auf Erfahrungen und Biografien vor 1989 und auf grundlegende Wertvorstellungen.

Wir meinen auch: Die bisherige Vereinigungspolitik hat es nicht vermocht - weder die unter Kohl noch die unter Schröder -, die real vorhandenen Unterschiede politisch zu bewältigen oder sie grundsätzlich für die größer gewordene Bundesrepublik produktiv zu machen. Aus unserer Sicht genügt es eben nicht, heutige Defizite in den neuen Bundesländern nur als Folge von 40 Jahren so genannter SED-Misswirtschaft darzustellen - ein Totschlagargument, mit dem diejenigen, die es jetzt in Brandenburg wieder vermehrt verwenden, nur ihre ei gene Hilflosigkeit bloßstellen.

(Zuruf des Abgeordneten Homeyer [CDU])

Vom Verschweieen hat sich noch kein Problem gelöst -nicht vor 1989, aber auch nicht danach. Dasselbe gilt für die Probleme, die im Zusammenhang mit der Osterweiterung der EU stehen. Lassen Sie uns deshalb gemeinsam auch hierüber streiten - sowohl über das Positive als auch über das Hemmende! Die Erfahrungen der Transformation im Osten Deutschlands, die Erfahrungen im Einigungsprozess sind in all ihrer Vielfalt unabdingbar für den Einigungsprozess in Europa.

Zweitens: Zweifelsohne kommen auf Brandenburg und auf die Bundesrepublik im Zusammenhang mit der Osterweiterung zahlreiche Probleme zu. Diesbezügliche Befürchtungen, die gerade in den Grenzregionen Brandenburgs mit Bezug auf die unterschiedliche wirtschaftliche und soziale Entwicklung diesseits und jenseits von Oder und Neiße geäußert werden, haben doch einen realen Hintergrund.

Ich denke da z. B. an die Handwerker im Kammerbezirk Frankfurt (Oder), von denen ziemlich massiv Maßnahmen zum Schutz der einheimischen Handwerker gefordert wurden. Sie setzen sich seit längerem für veränderte Rahmenbedingungen ein. Zollfragen seien nicht geklärt, es gebe kein Rechtshilfeabkommen. so einige ihrer Kritikpunkte.

Den in der Bevölkerung vorhandenen Bedenken muss sich die Politik stellen, ihnen müssen wir alle mit konkreten Vorstellungen und Maßnahmen, mit einer Öffentlichkeitsarbeit begegnen, die auf die Probleme und Fragen eingeht, damit rechtsextremistische und fremdenfeindliche Parolen keine Chance haben. Auch deshalb sollten wir den Meinungsaustausch zwischen dem Parlament, der Regierung und den Brandenburgern intensivieren.

Minister Schelter, Sie haben wiederholt öffentlich auch über die Risiken der Osterweiterung gesprochen, insbesondere in Bezug auf die noch zur Verhandlung ausstehenden Vertra gskapitel freier Dienstleistungsverkehr, freier Personenverkehr, Landwirtschaft. Regionalpolitik, Justiz und Inneres - und auch in Bezug auf die Wirkungen der Einbeziehung der Staaten in den europäischen Binnenmarkt. Natürlich, Herr Minister, stimme ich auch Ihrer Schlussfolgerung zu: Angst ist ein schlechter Ratgeber -, aber die Fragen, die Sie in Luckau formuliert haben, sind doch mehr als berechtigt. Denn wie werden die vielfältigen verschiedenen Interessen der einzelnen Staaten in Europa unter einen Hut zu bringen sein?

Drittens: Die Gestaltung der Zusammenarbeit in der Grenzregion mit Polen ist eine der wichtigsten Aufgaben der Landesregierung. Die PDS-Fraktion hat wiederholt ihre Vorstellungen für dementsprechende landespolitische Ansätze formuliert. Sie reichen von einer gemeinsamen Technologieförderung...

Frau Abgeordnete. auch wenn ich eine hohe Affinität zu diesem Thema habe, möchte ich Ihnen nicht erlauben, die Redezeit erheblich zu überschreiten.

Ich komme zum Schluss, Herr Präsident. - Sie reichen von der Technologieförderung in der Oderregion über Veränderungen in

der investitions- und arbeitsmarktpolitischen Förderung im Rahmen des Grenzraumprogrammes. die Entwicklung der Euroregion, gemeinsame Marketingstrategien, die Entwicklung der Verkehrsverbindungen bis hin zu einer angestammten Tourismusförderung und zur gemeinsamen Nutzung der Potenziale der Land-, Forst- und Nahrungsgüterwirtschaft.

Auf diese Details kann ich, wie gesagt, jetzt nicht weiter eingehen. Deshalb freue ich mich auf die Diskussionen im Parlament und im Ausschuss. - Ich danke Ihnen.