Protocol of the Session on April 13, 2000

Ich weiß, dass sich hinter jeder genannten Zahl ein Familienvater oder eine Familienmutter verbirgt, der oder die überlegt, wie sie über die Runden kommt. Ich möchte zwei Zahlen nennen, um die Unterschiede deutlich zu machen. Im Jahre 1992 be

trug der Unterschied des Bruttoeinkommens pro Arbeitnehmer zwischen Unternehmen der gewerblichen Wirtschaft und des öffentlichen Dienstes 357 DM zugunsten des öffentlichen Dienstes, im Jahre 1997 betrug dieser Anteil 796 DM zugunsten des öffentlichen Dienstes. Das sind kalte, nüchterne Zahlen, die unterschiedliche Ausdifferenzierungen zulassen. Das ist vollkommen klar.

Wir müssen uns mit der Frage auseinander setzen: Wie können wir insgesamt erreichen, dass sich das Tarifgefüge in den neuen Bundesländern ändert'? Unser Bestreben muss es sein, ein weiteres Auseinanderklaffen zu verhindern. Eine einseitige Erhöhung der Löhne im öffentlichen Dienst, ohne den gesamtwirtschaftlichen Zusammenhang zu sehen, würde diesen Unterschied nur noch weiter herausheben.

Meine Damen und Herren! Unterhalten Sie sich mit den Handwerkern in den entfernten Regionen über deren An- und Abfahrtszeiten. Es fahren Mühlberger morgens um fünf oder halb sechs nach Berlin, uni zu arbeiten, und liegen im Einkommen deutlich hinter den anderen.

(Zuruf der Abgeordneten Frau Kaiser-Nicht [PDS])

Das ist eine Angelegenheit, die zu berücksichtigen ist, wenn wir über Gerechtigkeit reden.

(Frau Kaiser-Nicht [PDS]: Die nehmen noch den Griffel in die Hand!)

- Gott sei Dank! Wenn Sie alle ermuntern, den Griffel in die Hand zu nehmen, sind wir eins. Wir können dann gemeinsam überlegen, was wir mehr tun können.

(Beifall sowie Bravo! bei der CDU)

Wenn man sich die Einkommenssituation der Haushaltsgemeinschaften ansieht, muss man Folgendes feststellen: Das Haushaltseinkommen in den neuen Bundesländern für die Haushaltsgemeinschaften - Zweipersonenhaushalt, Rentner, mit 2 500 DM und Vierpersonenhaushalt, Angestellter, mit 4 819 DM - liegt im Durchschnitt oberhalb der Einkommen des Bundesgebietes. Das hängt mit anderen Dingen zusammen, die ich aufgrund des Zeitmangels nicht erklären kann.

Ich habe diese komplizierten Zusammenhänge kurz erläutert, um einerseits eine Einengung der Diskussion auf den öffentlichen Dienst zu vermeiden und andererseits zu verdeutlichen, dass wir in der Politik eine Gesamtverantwortung tragen.

Was ist also zu tun? Die Bekämpfung der Arbeitslosigkeit bleibt unsere Hauptaufgabe. Die Lohnangleichung müssen wir gemeinsam für alle Arbeitnehmer und nicht nur für den öffentlichen Dienst angehen.

(Zuruf von der PDS: Na dann vorwärts!)

- Mir nach!

(Beifall bei der CDU und vereinzelt bei der SPD)

Den Weg dazu beschreibt der Entschließungsantrag der Koali

tionsfraktionen. Wir können diesen Weg nur gemeinsam mit den neuen Ländern, den Tarifpartnern Ost und West sowie der Bundesregierung gehen. Hierfür werden wir uns in der Regierung einsetzen. Wenn Sie, Herr Bisky. glauben, Sie könnten uns insoweit auseinander dividieren, so wird Ihnen das nicht gelingen.

Eines möchte ich jedoch auch hinzufügen: Ich halte es nicht für möglich, ein festes Datum zu nennen. Auch an dieser Stelle muss ich feststellen, dass die Kommunen und die Landkreise drastische Lohnerhöhungen unter den gegenwärtigen Bedingungen nicht verkraften können. Wir müssen zunächst andere Maßnahmen treffen, über die auch schon diskutiert wurde.

Die Angleichung der Löhne und Gehälter im öffentlichen Dienst ist aber nicht nur eine Frage der Haushaltslage, so wichtig diese auch ist; es ist auch eine zutiefst politische Frage, auch in der Prioritätensetzung, wie ich das Geld des Staates ausgebe, das ich nur einmal habe. Wenn wir den Menschen die ungleiche Bezahlung nicht mehr überzeugend erläutern können, dann gehen die Einsicht und das Vertrauen in die soziale Gerechtigkeit verloren.

(Vereinzelt Beifall bei der PDS)

Darum müssen wir handeln und dies sollten wir gemeinsam tun. Darum sollten wir eine Perspektive entwickeln, was auch von uns gemeinsam vollbracht werden sollte. Man könnte sagen: Je schneller die Lohnangleichung kommt, desto lieber; je weniger Arbeitslose es gibt, desto besser. In dieser Kürze könnte man es zusammenfassen.

(Beifall bei der CDU sowie vereinzelt bei SPD und DVU)

Ich hoffe, dass es uns gelingt, in diesem Jahrzehnt den entscheidenden Durchbruch zu erzielen.

Lassen Sie mich mit einem Wort unseres Nationaldichters Fontane enden, der in einem Brief im Jahr 1883 - Fontane war damals 64 Jahre alt, hatte also Lebenserfahrung - Folgendes an eine Frau von Rohr schrieb. Ich möchte darum bitten, über diese Worte für einige Augenblicke nachzudenken:

„Das Gute. das man hat, nimmt man als selbstverständlich hin. Und von dem, was einem fehlt, macht man mehr, als man bei richtiger und dankbarer Betrachtung daraus machen sollte."

Herzlichen Dank!

(Beifall bei SPD und CDU)

Ich danke Herm Minister Schönbohm. - Das Wort geht jetzt noch einmal an die Fraktion der SPD, Frau Abgeordnete Ziegler.

(Klein [SPD]: Wir verzichten!)

- Das nehme ich dankend zur Kenntnis.

Dann erteile ich noch einmal der Landesregierung das Wort. Herr Ministerpräsident Stolpe. bitte!

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Diese Debatte ist also, wie wir alle gespürt haben, auch ein Teil der Bilanz im zehnten Jahr der deutschen Einheit. Den wirklichen Stand der deutschen Einheit, wie ihn die Menschen empfinden, werden nicht die Politiker vorgeben, sondern ihn müssen wir bei den Menschen abfragen. Viele von Ihnen werden Ähnliches erfahren haben wie ich: Wer fragt, erfährt, dass es den meisten persönlich besser geht als vor zehn Jahren. Er erfährt aber auch, dass die Lage in Ostdeutschland von vielen skeptisch gesehen wird. Ich habe das gerade gestern wieder erlebt. Als besonders bedrückend empfinde ich die Perspektivlosigkeit, die bei jungen Menschen gerade auch in den äußeren Entwicklungsräumen Brandenburgs vorherrscht.

Meine Damen und Herren! Es ist die Massenarbeitslosigkeit, die alle bedrückt und vor allem die Menschen ängstigt, die den Berufsweg noch vor sich oder keinen sicheren Arbeitsplatz haben. Das ist nach meiner Überzeugung der Hauptgrund einer verbreiteten Enttäuschung über die deutsche Einheit.

Die Enttäuschung wird durch das Gefühl der Zweitklassigkeit der Ostdeutschen verstärkt. Dieses Gefühl macht sich an Ungleichheiten. die als Ungerechtigkeiten empfunden werden, fest. Was die Ungleichheiten zwischen Ost und West betrifft, so ist beispielhaft auf Folgendes hinzuweisen: Bestimmte Ausbildungs- und Berufswege werden nicht anerkannt; es gibt nach wie vor verschärfte Überprüfungen ostdeutscher Vergangenheiten. Vor allem aber gibt es auch weniger Lohn für gleiche Arbeit bei längerer Arbeitszeit.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! In diesem Zusammenhang ist es notwendig, die Debatte über die Lohnangleichung zu führen. denn Lohnangleichung ist wirklich auch eine Frage der Gerechtigkeit. Die Politik muss richtige Ziele auch deutlich benennen. Berechtigte Forderungen nach Gerechtigkeit und Gleichheit dürfen eben nicht von vornherein mit dem Hinweis auf harte Realitäten zum Schweigen gebracht werden,

(Beifall bei der PDS und vereinzelt bei der SPD)

schon gar nicht in einem Land, in dem jahrzehntelang schlichte Forderungen nach Gleichheit, Gerechtigkeit und Freiheit im günstigsten Fall als weltfremd abgetan worden sind, wenn nicht sogar noch Anderes passierte.

(Beifall bei SPD und CDU)

Deshalb muss die Politik - daran führt gar kein Weg vorbei - als Kunst des Möglichen mit Nachdruck alles tun, um baldmöglichst, die Lohnangleichung zwischen Ost und West zu bewirken.

Meine Damen und Herren! Niemand hierzulande zwischen Rügen und Fichtelberg und in Brandenburg, das mittendrin liegt, erwartet das zum 3. Oktober 2000. Aber ich könnte dieses Jubiläum nicht guten Gewissens feiern, wenn wir nicht den Menschen im Osten verbindliche Perspektiven eröffnen könnten, wie sie auf ihren Verfassungsanspruch auf Gleichheit eine Antwort bekommen werden. Tarifpartner und Gesetzgeber, insbesondere aber auch das Bündnis für Arbeit, das ja auch ein Bündnis für Ar

beit in Ost und in West sein muss, sind insoweit gefordert. Die Lösung könnte in einem Zeitplan bestehen.

Nun muss ich Ihnen ganz klar sagen: Ein Freund von Terminsetzungen bin ich auch in dieser Frage nicht.

(Vereinzelt Beifall bei der PDS)

Terminsetzungen vollbringen keine Wunder. Die Lösung könnte vielleicht besser in einem Gesamtpaket bestehen, in dem Prozentschritte und Arbeitszeitregelungen enthalten sind, in dem vielleicht mit Arbeitszeitkonten gearbeitet wird, in dem vermögensbildende Maßnahmen enthalten sind, in dem zum Beispiel auch Teilzeit- und Vorruhestandsregelungen enthalten sein könnten und in dem möglicherweise örtliche Bedingungen berücksichtigt werden.

Entscheidend muss dabei nur sein, dass die Menschen im Osten erfahren, dass ihr Anliegen verstanden und entsprechend gehandelt wird. Zugleich muss natürlich eine Lösung gefunden werden, die den Arbeitsmarkt nicht gefährdet, sondern ihn stabilisiert. Das wird der entscheidende Punkt in diesem Zusammenhang sein.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich sage es im ganzen Ernst: Der öffentliche Dienst wird in diesem Gesamtprozess auch Solidarität zu zeigen haben; er wird keine für die anderen Bürgerinnen und Bürger unverständlichen Privilegien in Anspruch nehmen können, aber er darf natürlich auch keine Benachteiligung erfahren. Eine Vorläuferrolle hat er bereits.

Vorlaufen darf jedoch nicht zum Weglaufen werden, denn es muss auch eine politische Aufgabe für uns sein, dass das Ansehen des öffentlichen Dienstes in der Bevölkerung gefestigt und verbessert und nicht gefährdet wird. Das gehört zu den Aufgaben in diesem Zusammenhang. Es ist also nicht nur eine Finanzfrage, sondern es betrifft auch die Frage, wie unser öffentlicher Dienst ankommt.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich kann die berechtigte Forderung nach Angleichung der Löhne und Gehälter nur für den Osten im Ganzen verstehen. Ich weiß wirklich ganz genau - da muss ich nicht abgemahnt werden -, dass die Menschen Ergebnisse sehen wollen, hier in Brandenburg, aber natürlich gemeinsam mit den ostdeutschen Ländern, dem Bund und den Tarifpartnern.

Meine Damen und Herren! Der Entschließungsantrag der Koalition ist für unsere Bemühungen auf der Bundesebene ein wichtiger Rückhalt. Ich selbst werde schon heute Abend Gelegenheit haben, mich dafür einzusetzen und Verbündete zu suchen. Ohne Verbündete ist das nicht zu machen. Das wissen Sie alle hier im Raum.

Ich persönlich sehe mich jedenfalls in der Pflicht, weiter mit aller Entschlossenheit an der Lösung dieser Aufgabe mitzuwirken. Herr Bisky, ich lasse mich hier gern jedes Jahr kontrollieren. Schönen Dank.