Protocol of the Session on April 13, 2000

denn die Angleichung der Lebensverhältnisse wie auch der Löhne und Gehälter ist eine gesamtdeutsche Aufgabe, eine gesamtdeutsche Aufgabe der letzten zehn und der nächsten zehn Jahre.

Aber Angleichung vollzieht sich nicht nur in finanzieller Hinsicht, sondern auch in den Köpfen der Menschen. Da gibt es meines Erachtens noch Nachholbedarf. Die Angleichung der Lebensverhältnisse ist zwar eine Frage der Gerechtigkeit. aber sie ist auch direkt mit ökonomischen und fiskalischen Zwängen verknüpft. Es kann nur das verteilt werden, was zuvor erarbeitet wurde. Diese Zwänge kann man nicht einfach ignorieren. Was dann passieren würde, wenn man sie ignoriert, haben wir 1989 gesehen.

In den letzten zehn Jahren hat sich sehr viel getan, vor allem beim Aufbau der Infrastruktur, beim Ausbau des Verkehrsnetzes und beim Aufbau eines leistungfähigen Telekommunikationsnetzes. Aber seit etwa zwei Jahren läuft die konjunkturelle Entwicklung geteilt. Brandenburgs Wirtschaft wächst langsamer als die der alten Länder. Auch in den anderen neuen Ländern hat sich der Aufschwung zwischen Rostock und Erfurt vielerorts verflüchtigt. Die Schere zum Westen schließt sich damit nicht mehr. Wir sind nicht mehr auf der Überholspur, sondern auf der rechten Spur. Der Westen fahrt uns zurzeit davon.

Das gilt gerade auch für die Arbeitslosigkeit. Sie ist bei uns fast doppelt so hoch wie in Westdeutschland.

(Zuruf von der DVU)

Hier müssen wir ansetzen. Wir brauchen mehr wirtschaftliche Dynamik, die dann mittelfristig höhere Löhne und Gehälter möglich macht. Die Wirtschaft wächst in vielen Bereichen nicht stark genug, um höhere Löhne zu zahlen. Kräftige Lohnerhöhungen würden vor diesem Hintergrund als Rationalisierungspeitsche wirken und zur passiven Sanierung des Personalabbaus führen. Sie hätten somit ein weiteres Ansteigen der Arbeitslosigkeit zur Folge. Ich bin mir sicher: Mehr Arbeitslose - das will niemand in Brandenburg und in den anderen neuen Ländern.

Meine Damen und Herren! Wir arbeiten zurzeit an der Konsolidierung unseres Haushaltes. Natürlich stehen damit auch öffentliche Leistungen auf dem Prüfstand. Wir haben bereits gestern darüber ausführlich debattiert. Die Bürger hätten kein Verständnis dafür, wenn wir das, was wir eingespart haben, direkt an die Beschäftigten im öffentlichen Dienst weitergeben würden. 100 % Lohn und Gehalt würden 600 Millionen bis 800 Millionen Mark für den Landeshaushalt und 250 Millionen Mark für die

Kommunen im Jahr bedeuten. Das würde den gesamten Konsolidierungsbeitrag auffressen.

(Zuruf von der PDS)

Damit wäre unser Ziel, wieder politisch und finanzpolitisch handlungsfähig zu werden, ad absurdum geführt.

Meine Damen und Herren! Bund und Länder verhandeln zurzeit über die Neuregelung des Länderfinanzausgleichs. Die neuen Länder bemühen sich um eine Weiterführung des Solidarpaktes in ausreichendem Umfang.

(Zuruf von der PDS)

Die finanziellen Auswirkungen sind zurzeit nicht abzuschätzen. Alle Beteiligten gehen aber davon aus, dass es zu weniger Einnahmen bei den finanzschwachen Ländern, also auch Brandenburg, kommen wird. Wir können sicher sein, dass man genau prüfen wird, wofür wir unser Geld ausgeben. Wir stehen danach vor einer Quadratur des Kreises. Unser Gerechtigkeitsgefühl spricht für eine schnelle Lohnangleichung. Ökonomische und fiskalische Argumente sowie unsere ökonomische Vernunft sprechen eher dagegen.

Demnach müssten wir warten. bis sich ein wirtschaftlicher Angleichungsprozess vollzogen hat, der zum gegenwärtigen Zeitpunkt nicht einmal absehbar ist. Nach Berechnungen des sächsischen Finanzministeriums kann es 20 bis 30 Jahre dauern.

Ich glaube, das ist nicht zumutbar. Wir sollten an die Tarifpartner appellieren, Lösungen zu finden, die die Angleichung der Lebensverhältnisse vorantreiben und dennoch für die Wirtschaft verkraftbar bleiben. Für den öffentlichen Dienst sind wir Tarifpartner und kommen nicht um eine Stellungnahme herum. Mit anderen Worten: Wir müssen nachhaltig mit konkreten Schritten den Spielraum ausschöpfen, den wir haben. Ein erster Schritt könnte eine Angleichung der Arbeitsbedingungen im öffentlichen Dienst sein.

Ein Diskussionsvorschlag an die Tarifpartner lautet deshalb, die Arbeitszeit im öffentlichen Dienst auf 38,5 Stunden in der Woche zu reduzieren. Damit wäre ein erster Schritt gesamtdeutscher Tarifgerechtigkeit vollzogen. Vielleicht können wir mit diesem Schritt beginnen, damit die Menschen sehen, dass es uns ernst ist. Natürlich setzt auch dieser Schritt das gemeinsame Handeln der neuen Länder voraus.

Meine Damen und Herren! Die von mir vorgeschlagenen Punkte bedürfen einer ausführlichen Diskussion. Aber wir müssen für die Menschen unseres Landes zu spürbaren Schritten kommen. Erst dann werden sie die Ernsthaftigkeit unserer Bemühungen erkennen können. - Ich bedanke mich.

(Beifall bei der CDU und vereinzelt bei der SPD)

Ich danke Ihnen, Frau Abgeordnete Blechinger. - Das Wort geht an die Fraktion der DVU, Frau Abgeordnete Fechner.

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Auf dem Parteitag der SPD wurde vor wenigen Wochen beschlossen, anstatt zum Jahr 2009 nun bereits schon zum Jahr 2004 die volle Lohnangleichung an den Westen zu erreichen. Das Geld dafür, etwa eine halbe Milliarde DM allein für den öffentlichen Dienst, ist jedoch nach Aussage der Finanzministerin Simon, SPD, nicht vorhanden.

Der Ministerpräsident Herr Stolpe, ebenfalls SPD, begrüßte den Beschluss, lehnt jedoch einen Ausstieg aus der Tarifgemeinschaft der Länder ab. Was wird nun passieren? Wird alles beim Alten bleiben? Werden die Haushaltsberatungen für den Haushalt der Jahre 2000 und 2001 neu überdacht werden müssen? Wird es aufgrund dessen zu noch mehr Einsparungen im Landeshaushalt kommen? Wo will man noch überall sparen, um die 500 Millionen DM für die Finanzierung dieses Vorhabens zu bekommen?

Um die Angleichung der Löhne und Gehälter zu finanzieren, wird es zwangsläufig zu Personalabbau im öffentlichen Dienst kommen müssen. So machen sich die Verantwortlichen gegenwärtig weniger Gedanken um die Aufbringung der Mittel für eine Einkommensaufstockung, sondern sie suchen vielmehr nach der elegantesten Möglichkeit, sich durch Ausgliederungen und Privatisierungen von möglichst vielen Angestellten dauerhaft zu trennen.

Meine Damen und Herren! Die Fraktion der Deutschen Volksunion in diesem Landtag setzt sich nachdrücklich für eine Angleichung der Löhne und Gehälter ein, denn zehn Jahre nach der Wiedervereinigung ist es an der Zeit, nicht nur auf den Gebieten der Steuern, der Gebühren, der Abgaben und der Beiträge gleiche Lebensbedingungen herzustellen, sondern auch bei den Löhnen und Gehältern.

(Beifall bei der DVU)

Die Menschen in der ehemaligen DDR haben im Rahmen einer friedlichen Revolution für die nationale Einheit gekämpft. Wir sind zwar heute ein Staat, aber das Gefälle scheint in manchen Bereichen unüberwindlich zu sein. Oft wurden in den letzten Jahren Forderungen nach einer Angleichung laut. Jedes Mal wurde die Nichtfinanzierbarkeit als Ablehnungsgrund dieser Forderung genannt.

Meine Damen und Herren! Man braucht nicht Finanzwissenschaft studiert zu haben, um zu wissen, dass sich das in den nächsten Jahren nicht ändern wird. Im Gegenteil, aufgrund der geplanten Osterweiterung der EU wird es zu noch mehr Einsparungen kommen müssen.

Betrachten wir uns die erst kürzlich auf der Demonstration in Potsdam dargestellten Forderungen der Gewerkschaften. Diese fordern für die 3,1 Millionen Beschäftigten im öffentlichen Dienst unter anderem 5 % mehr Lohn. Bundesinnenminister Otto Schily bietet dagegen nicht mehr als einen knappen Inflationsausgleich von 0,7 % an. Doch was hat diese statistisch schöngerechnete Inflationshöhe mit den tatsächlichen Preissteigerungen im täglichen Leben der Bürger zu tun?

Außerdem fordern die Gewerkschaften eine stufenweise An

gleichung der Einkommen in den neuen Ländern an das Westniveau. Zurzeit erhalten die Beschäftigten in den neuen Bundesländern nur 86.5 % des Einkommens ihrer Westkollegen.

Wie anfangs erwähnt, hält unsere Finanzministerin, Frau Simon, nichts von einer sofortigen Anpassung. Sie fordert, dass die Löhne im öffentlichen Dienst zu den realen Einkommen in der Privatwirtschaft ins Verhältnis gesetzt werden müssten. Tatsächlich gibt es in den neuen Bundesländern sehr viele Arbeitnehmer in der freien Wirtschaft, die mit zum Teil 1 800 DM Bruttoverdienst von einem Tarifeinkommen nur träumen können. Auch sagte unsere Finanzministerin, Frau Simon, gegenüber der „Welt am Sonntag":

„Die Mehrheit der Arbeitnehmer und erst recht die Arbeitslosen in Ostdeutschland würden es nicht verstehen, wenn sich gerade der öffentliche Dienst mit seiner hohen Arbeitsplatzsicherheit zum Vorreiter in der Lohnangleichung machen würde."

Die Beschäftigten im öffentlichen Dienst sollten nach ihrer Ansicht keine Forderungen stellen, sondern im Gegenteil froh sein, nicht von einem Einkommen aus der Privatwirtschaft leben zu müssen.

Meine Damen und Herren! Deshalb fordert die Deutsche Volksunion, dass umgehend Maßnahmen getroffen werden, die es den kleinen und mittelständischen Unternehmern ermöglichen, ihren Angestellten mehr Lohn zu zahlen. Denn aufgrund der hohen Steuer- und Abgabenlast ist es den meisten kleinen und mittelständischen Unternehmern nicht möglich, mehr Lohn zu zahlen. Solange die Bundesregierung Milliardenbeträge für fremde Interessen ausgibt - genannt seien nur der Kosovokrieg und dessen Folgekosten -, wird es bei der eigenen Bevölkerung Einsparungen geben müssen. Wie diese aussehen, erfahren wir tagtäglich aufs Neue. - Danke.

(Beifall bei der DVU)

Ich danke Ihnen, Frau Abgeordnete Fechner. - Das Wort geht an die Landesregierung. Herr Minister Schönbohm, Sie haben das Wort.

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Brandenburg ist ein Land im Umbruch, aber auch im Aufbruch. Die Wirtschaftsdaten zeigen nach oben. Die persönliche Lebenssituation hat sich in den letzten Jahren verbessert. Wir sollten dafür dankbar sein, dass wir das gemeinsam erreicht haben.

(Beifall bei der CDU)

Dennoch, eine dunkle Wolke liegt über unserem Land. Sie verdunkelt alles. Es ist die Arbeitslosigkeit. Herr Kollege Bisky, es gebietet die Redlichkeit, dass man das im Zusammenhang mit der heutigen Diskussion erwähnt und nicht gegeneinander ausspielt.

(Zurufe von der PDS)

Die Arbeitslosigkeit ist die eigentliche Herausforderung an die Politik in unserem Lande, um unseren Menschen in allen Landesteilen eine Perspektive und vor allen Dingen unserer Jugend Hoffnung zu geben. Das hatten Sie gestern selbst ausgeführt.

(Zuruf von der PDS)

Alles muss getan werden, um die Arbeitslosigkeit zu reduzieren.

(Beifall bei SPD und CDU und vereinzelt bei der PDS - Zu- ruf von der PDS: Richtig!)

Diese Herausforderung richtet sich an jeden Einzelnen, an die Bundesregierung, an die Landesregierungen, an die Tarifpartner und an die Wirtschaft. Die Tarifpartner haben hierbei eine besondere Verantwortung für die, die Arbeit haben, aber auch für die, die Arbeit suchen.

In dieses Problemgemenge kommt die Frage der Lohnangleichung, über die wir jetzt diskutieren. Ich will damit nur auf den Zusammenhang hinweisen.

Je mehr die Löhne im Westen erhöht werden, desto schwieriger wird die Aufholjagd für den Osten. Je langsamer die Löhne im Westen erhöht werden, desto leichter wäre die Aufholjagd für den Osten. Das ist vollkommen klar. Ich kenne bisher niemanden von den Gewerkschaften oder vom öffentlichen Dienst - wie Frau Blech inger bereits ausgeführt hat -, der diesen Zusammenhang so deutlich dargestellt hat, wenn es ihm wirklich darum geht, dass wir die Lohnangleichung schnellstmöglich erreichen,

Dieser Grundgedanke wurde mit dem Schlagwort "Teilung durch Teilen überwinden" beschrieben. Dieser Grundgedanke hat bisher in die Tarifverhandlungen keinen Eingang gefunden.

(Beifall bei der CDU)

Wir brauchen eine Diskussion über die möglichen Wege zur Lohnangleichung. Diese Diskussion wollen wir mit der Bundesregierung, mit den Landesregierungen und mit den Tarifpartnern - auch im Westen - führen. Eines ist vollkommen klar: Auf Dauer hält niemand eine schematische Zweiteilung unseres Landes aus.

Wir müssen jetzt den Weg der Aufholjagd beschreiten, da die westlich dominierenden Tarifpartner die Zuwachsrate vorgeben und wir hinterherhecheln. Des Weiteren müssen wir berücksichtigen, dass nur im öffentlichen Dienst die Gehälter auf Bundesebene vergleichbar sind. Schlosser, Tischler, Maurer haben auch vor der Einheit in Westdeutschland unterschiedlichen Lohn bekommen. Zum Beispiel wurde in der Lüneburger Heide weniger Lohn als im Rhein-Main-Gebiet gezahlt und in Ostfriesland weniger Lohn als in der Lüneburger Heide. Diese Unterschiede wird es auch in Zukunft geben. Auch in Brandenburg gibt es diese Unterschiede, wie Sie wissen. Aber wir dürfen uns nicht nur auf den öffentlichen Dienst fixieren lassen, wie es immer wieder geschieht. Die Unterschiede sind schon jetzt erheblich.