Protocol of the Session on March 16, 2000

Das Problem, das ich in diesem Zusammenhang sehe, ist das Folgende: Wir haben genügend Papier, wir haben genügend Maßnahmenpläne und Möglichkeiten. Setzen wir das, was wir haben, doch endlich um! Fangen wir bei den Lehrern in den

(Beifall bei SPD, CDU und PDS)

Wir streiten uns doch ständi g darüber. Morgen steht wieder je

Schulen und bei der Jugendarbeit an! - Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Bravo! bei der PDS - Zuruf von der SPD: Das war sehr gut! - Beifall bei SPD, CDU und PDS)

Danke, Herr Abgeordneter Muschalla. - Das Wort geht an die Landesregierung. Bitte, Herr Minister Reiche!

(Unruhe bei der PDS - Glocke des Präsidenten)

Herr Präsident! Liebe Kollegen Abgeordnete! Liebe JugendI iche! Der Kollege Muschalla hat Recht. Jeder Satz, den er gesagt hat, stimmt. Deshalb hat er von vielen Seiten Beifall bekommen. Er hätte allerdings etwas deutlicher herausarbeiten sollen - ich hebe das jetzt stärker hervor -, dass wir nicht nur Papiere geschrieben haben, sondern dass wir schon an vielen Stellen angefangen haben, das umzusetzen, was in den vergangenen Jahren auf Papier geschrieben wurde. Das hat an vielen Stellen bereits Erfolg gezeigt.

(Frau Dr. Enkelmann [PDS]: An vielen Stellen, aber viel zu wenig!)

„Die Jugend liebt heutzutage den Luxus."

(Frau Kaiser-Nicht [PDS]: Was?)

„Sie hat schlechte Manieren, verachtet die Autorität. hat keinen Respekt vor älteren Leuten und schwatzt, wo sie arbeiten sollte. Die jun gen Leute stehen nicht mehr auf, wenn Ältere das Zimmer betreten, sie widersprechen ihren Eltern, schwadronieren in der Gesellschaft, verschlingen bei Tisch die Süßspeisen, legen die Beine übereinander und tyrannisieren ihre Lehrer."

Das sagte ein Zeitgenosse.

(Frau Dr. Enkelmann [PDS]: Aber nicht von Ihnen!)

Nein, nicht von uns, sondern von Platon. Sokrates hat das vor 2 300 Jahren gesagt.

(Vietze [PDS]: Wir haben das Quiz schon gewonnen!)

Das Problem, das uns heute bedrängt, ist also nicht neu. Gewalt ächten, nicht achten. Darum geht es heute in dieser Aktuellen Stunde. Darum geht es überhaupt bei der Erziehung.

(Beifall bei SPD und CDU - Vietze [PDS]: Wir haben es nötig!)

Wir haben Menschen so zu erziehen, dass sie begreifen, dass Gewalt niemals ein Mittel der Konfliktbewältigung sein kann. Erziehung ist die ständige Bemühung, andere Wege als die der Gewalt zur Bewältigung von Konflikten zu entwickeln. Deshalb geht es in der Schule neben der Bildung eben immer auch um Erziehung zur gewaltfreien Konfliktbewältigung.

Schule ist der Ort, wo permanent Gewalt geächtet und eben nicht geachtet wird. Dennoch gibt es auch an diesem eigentlich gewaltfreien Ort immer wieder die Androhung von Gewalt. Gewalt entsteht, wenn Menschen sprachlos geworden sind, wenn sie ihre Konflikte und die Wirklichkeit nicht mehr mit Sprache bewältigen, sondern wenn sie im ursprünglichen Sinne des Wortes wild um sich schlagen.

Deshalb sind alle unsere Bemühungen vom „Toleranten Brandenburg", vom Aktionsbündnis, von den mobilen Beratungsteams, von Schulleitern und Lehrern, vom PLIB und vom Medienpädagogischen Zentrum, von Schulkonferenzen und Schulträgern darauf gerichtet, Schülerinnen und Schülern gewaltfreie Wege der Konfliktbewältigung aufzuzeigen.

Trotz der Enttäuschungen und Rückschläge, die es gibt, ist festzuhalten: Die Bereitschaft, Gewalt als Mittel der Konfliktbewältigung anzuerkennen, ist in den letzten Jahren zurückgegangen. Der Trend zu mehr Gewalt ist gestoppt, ja umgekehrt worden. Auch die Deliktschwere hat deutlich abgenommen. Die Bemühungen der Gesellschaft und des Staates in den letzten Jahren haben also gegriffen und zeigen sichtbar und messbar erste Erfolge.

Dennoch ist klar zu sagen: Wenn körperliche und verbale Gewalt von so vielen Schülern täglich erlebt wird und zwar von Mitschülern und teilweise sogar von Lehrern. ist und bleibt dies vollkommen inakzeptabel.

(Vereinzelt Beifall bei der PDS)

Wir alle, Gesellschaft, Parlament und Regierung, sind deshalb weiterhin in der Verantwortung, die Gewalt zurückzudrängen.

(Beifall bei der SPD)

Die ersten Untersuchungsergebnisse der aktuellen Studie „Jugend in Brandenburg 1999" liegen seit Februar dieses Jahres vor. Das „Institut für angewandte Familien-, Kindheits- und Jugendforschung" an der Uni Potsdam hat im vergangenen Jahr Angaben von 3 200 Jugendlichen zwischen der 7. Klasse und dem vierten Ausbildungsjahr gesammelt und ausgewertet.

Der Autor, Herr Sturzbecher, stellt fest:

„Die Akzeptanz von Gewalt hat bei Jugendlichen in Brandenburg im Vergleich zu 1996 signifikant abgenommen, wenn auch diese Abnahme von der Größenordnung her nur gering ausfällt. Auch hinsichtlich der Gewaltbereitschaft und der Beteiligung von Jugendlichen an Schlägereien lässt sich ein geringfügiger, statistisch überdurchschnittlicher Rückgang verzeichnen. Der im Zeitraum von 1993 bis 1996 zu verzeichnende Trend einer Zunahme von Gewaltakzeptanz, Gewaltbereitschaft und Gewalthandeln scheint somit gebrochen."

Die Studie kommt zu dem Ergebnis, dass die Gewaltbereitschaft unter Jugendlichen teilweise abnimmt. Rechtsextremismus und Fremdenfeindlichkeit unter Brandenburger Jugendlichen stagnieren.

Nicht zuletzt angesichts des auch in dieser Studie festgestellten

hohen Niveaus von Gewaltbereitschaft, Fremdenfeindlichkeit und Rechtsextremismus gibt es allerdings - auch das sage ich so deutlich - nicht den geringsten Grund zur Entwarnung.

Die wichtigsten Ergebnisse der Studie lassen sich wie folgt zusammenfassen: Die Untersuchung zeigt, dass der im Zeitraum von 1993 bis 1996 zu verzeichnende Trend einer Zunahme von Gewaltakzeptanz und Gewaltbereitschaft gebrochen ist. Eine hohe Gewaltbereitschaft haben nur noch 2,3 % der Befragten. Im Jahr 1996 waren es noch 3 %. Auch die relativ hohe Gewaltbereitschaft sank von 11 % auf 8,7 % im Jahr 1999. Dem gegenüber stieg die niedrige Gewaltbereitschaft von 59 % auf 62 %.

Ein erfreuliches Ergebnis der Studie ist, dass Lehrer in Schulen und Ausbildungsstätten bei Gewalttätigkeiten nicht mehr wegsehen, sondern im Gegenteil in den allermeisten Fällen sofort einschreiten. Dass Lehrer wegsehen, gaben nur 4 % der befragten Jugendlichen an. Ich bitte auch diese Lehrer darum, in Zukunft nicht mehr wegzusehen.

(Beifall bei SPD und CDU)

Die Studie zeigt auch einen Trend zu weniger elterlicher Restriktion und zu Vernachlässigung. Das bedeutet, dass sich das Ausmaß von körperlichen Strafen, strenger Kontrolle und Elternkonflikten in den letzten Jahren verringert hat. Als niedrig bewertet wird beispielsweise die väterliche Restriktion von 55 % der Befragten. Im Jahr 1996 waren dies nur 49 %. Überhaupt keine Schläge erhalten nach eigenen Angaben 60 % der Jugendlichen. Jedoch werden 2 % der Jugendlichen oft geschlagen.

Die Untersuchung ist ein Hinweis darauf, dass die vielfältigen Bemühungen zur Bekämpfung von Rechtsextremismus, Gewalt und Fremdenfeindlichkeit im Land Brandenburg nicht erfolglos geblieben sind. Dieser Trend wird auch von Pfeiffer und Wetze! vom Kriminologischen Institut in Niedersachsen so festgestellt. Von ihnen wird ausgeführt, dass die polizeilich registrierten Gewalttaten junger Menschen in den letzten Jahren nicht brutaler geworden sind.

Jugendgewalt ist weiterhin männlich. Das Übergewicht junger männlicher Täter hat sich seit Mitte der 80er Jahre sogar verstärkt.

Das Risiko der Entstehung von Jugendgewalt erhöht sich drastisch - so heißt es dort -, wenn mindestens zwei der folgenden drei Faktoren zusammentreffen: die Erfahrung innerfamiliärer Gewalt, gravierende soziale Benachteiligung der Familie und schlechte Zukunftschancen des Jugendlichen selbst aufgrund eines niedrigen Bildungsniveaus.

Wie helfen wir vom Land Brandenburg aus, mit diesen Problemen in Zukunft besser umzugehen? Diesbezüglich ist das Handlungskonzept „Tolerantes Brandenburg", das wesentliche Ziele des Bi ldungs- und Erziehungsauftrages für die brandenburgische Schule aufnimmt, zu nennen. Es gibt verstärkt Auseinandersetzungen mit Rechtsextremismus im Unterricht. Auch die neuen Lehrpläne bzw. die neuen Rahmenpläne weisen dies an mehr Stellen und zu einem früheren Zeitpunkt aus, als es bei den alten Plänen der Fall war.

elf Niederlassungen bezüglich dieser Fragen erfolgreich. Es gibt Unterrichtsbausteine. es gibt einen Medienordner _Herausforderung Gewalt". An den staatlichen Studienseminaren ist das zum Gegenstand der Lehrerausbildung geworden.

Nicht wegsehen heißt deutlich und adäquat reagieren. Deshalb müssen wir gemeinsam daraufachten, dass nicht panisch reagiert wird, dass also Äußerun gen missverstanden und dann in nicht adäquater Weise zur Anzeige gebracht werden. Die Verhältnismäßigkeit der Mittel ist immer wieder auch gerade in einer solchen Situation, in der wir klar und deutlich damit umgehen wollen und müssen, zu beachten. Manchmal ist ein Gespräch, das nicht öffentlich geführt wird, wichtiger als eine Anzeige.

Im Fall von Müncheberg war die Reaktion der Schüler, der Schulleitung und der Schulaufsicht vorbildlich. Das führt hoffentlich bei allen Schülern dazu, klarer zu erkennen, wo Gedankenspiele in Ernst und konkrete Gefahr umschlagen. Viele Jugendliche können genau diesen Punkt nicht richtig einschätzen. Wir müssen es ihnen deutlich sagen, weil sie im Fernsehen oder bei Videospielen, in Videos oder im Internet etwas anderes lernen.

Ein Jugendlicher hat, bis er volljährig wird, mehrere tausend Morde in Filmen gesehen. Zukünftig wird er viele hundert oder tausend virtuelle Morde in Spielen begehen. Wo hört die virtuelle Welt auf? Wo fängt die reale Welt an? Wir Erwachsenen wissen das genau. Jugendliche, die mehrere Stunden vor dem Fernsehgerät sitzen, wissen das oft nicht.

Deshalb meine Frage, die ich insbesondere an die Eltern in Ostdeutschland richte: Warum haben ostdeutsche Kids doppelt so viele Fernseh- und Videogeräte wie die westdeutschen Kids im eigenen Zimmer'?

(Beifall bei SPD und PDS)

Ich bitte Sie deshalb: Kontrollieren Sie den Zu gang zu Fernsehgeräten, Videogeräten, Videospielen und zum Internet. Unsere Kinder sollen das alles lernen und erleben, aber sie brauchen dabei unsere Begleitung.

Deshalb sollten wir dem Vorschlag des Vorsitzenden des Verbandes Erziehung und Wissenschaft Ludwig Eckinger folgen und ein solches Bündnis für die Verantwortung miteinander eingehen, und zwar nicht als Institution, sondern als tägliche Verantwortung für Schülerinnen und Schüler, Lehrer und Eltern, damit die Verantwortung für gewaltfreie Schule täglich aktiv wahrgenommen wird. Wir setzen dafür die Rahmenbedingungen. Die Akteure in den Schulen müssen dies täglich umsetzen. - Vielen Dank.

(Beifall bei SPD, CDU und PDS)

Ich danke Ihnen, Herr Minister Reiche. - Das Wort geht jetzt noch einmal an die Fraktion der PDS, an Herrn Abgeordneten Hammer. Herr Hammer, Sie haben noch drei Minuten Redezeit.