Protocol of the Session on March 15, 2000

Ich danke Ihnen. - Bevor ich der Abgeordneten Frau Tack von der PDS-Fraktion das Wort erteile, möchte ich Gäste begrüßen, und zwar eine 10. Klasse aus der Gesamtschule Beelitz. - Herzlich willkommen!

(Allgemeiner Beifall)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich freue mich, dass es diese Aktuelle Stunde gibt, auch wenn ich einschränkend bemerken muss, dass es kein so brennend aktuelles Thema ist und eigentlich für eine öffentliche Debatte eher ungeeignet.

(Zuruf von der CDU: Das ist aber ganz aktuell!)

- Sie können sich dann dazu äußern.

(Schippel [SPD]: Das können nur Potsdamer sagen!)

Ich freue mich dennoch, dass es die Aktuelle Stunde gibt: denn die SPD hat diese offensichtlich beantragt, um sich im Kampf mit ihrem Koalitionspartner CDU Rückendeckung bzw. Unterstützung von der PDS zu holen.

(Oh! bei der SPD)

Ich kann Ihnen dazu nur gratulieren. Wir unterstützen Sie dabei. Ich denke, es ist ein gutes Zeichen, das Sie hier gesetzt haben.

Herr Fritsch, ich habe Ihnen gleich noch einen weiteren Glückwunsch zu übermitteln. Das Thema unserer Aktuellen Stunde ist sowohl ein politisches als auch ein wortbildnerisches Kunstwerk. Ich beschreibe das gleich genauer. Herr Dellmann. es geht um vorausschauende Regionalplanung durch das raumordnerische Leitbild der dezentralen Konzentration. Offensichtlich hat hier ein ganz kluger Mensch von der SPD-Fraktion in der Überschrift die konträren Koalitionspositionen zu vermitteln versucht, wobei die vorausschauende Regionalplanung von der CDU-Fraktion beigesteuert und die dezentrale Konzentration von der SPDFraktion hinzugefügt wurde.

An Herrn Dellmann richte ich deshalb die Fragen: Was kann vorausschauende Regionalplanung für ein Gebilde sein? Was kann man damit machen? Was Ihre CDU-Kollegen darunter verstehen, war leider nicht zu vernehmen. Ich versuche einmal, die Positionen aufzulösen.

Denn im CDU-Wahlprogramm war zu lesen, dass das Prinzip der dezentralen Konzentration kritisch überprüft und der realen Entwicklung entsprechend geändert werden soll. So steht es nachlesbar in Ihrem Programm: Sie werden sich noch daran erinnern. Jeder von uns weiß freilich, dass „überprüfen" in der Sprache der CDU in diesem Zusammenhang ganz sicher auch „abschaffen" heißt. Wirtschaftsminister Fürniß will - so hat er auf einer Wirtschaftskonferenz in Cottbus im Januar dieses Jahres erklärt - die dezentrale Konzentration durch vorausschauende Re gionalpolitik ersetzen. Nun frage ich Sie - wir werden es noch hören -: Was soll das sein, meine Damen und Herren? Bewirbt sich Herr Fürniß in dieser Koalition als neuer Raumordnungsminister?

Zur allgemeinen Aufklärung und zur Erinnerung, vor allen Dingen an die Kollegen der CDU gerichtet: Wir kennen in Brandenburg erstens die Raumordnung. zweitens die Landesplanung, die auf der Grundlage eines Staatsvertrages. in dem das Leitbild der dezentralen Konzentration festgeschrieben ist, gemeinsam mit Berlin betrieben wird, und wir kennen drittens die Regionalplanung. Letztere ist kommunal verfasst - Herr Dellmann hat das beschrieben, ich habe dazu jedoch eine etwas kritischere Haltung. Die Regionalplanung befindet sich aber - weil die kommunale Verfasstheit nur sehr halbherzig betrieben wird - in unmittelbarer Abhängigkeit von der Landesregierung. Die Nachfrage nach der finanziellen Reduzierung für die regionalen Planungsgemeinschaften hat das deutlich unterstrichen.

In der Landes- und Regionalplanung hat der Staat eine seiner wenigen Möglichkeiten, die Rahmenbedingungen für die wirtschaftliche, soziale und ökologische Entwicklung zu setzen. Dazu bedarf es erstens eines Leitbildes und zweitens geeigneter Instrumente. mit denen dieses Leitbild um gesetzt werden kann. Da das Leitbild der dezentralen Konzentration in Brandenburg in den vergangenen Jahren nicht durch eine intelligente Struk

turpolitik mit Leben erfiillt wurde, wurde es letztendlich diskreditiert. Aber ich frage Sie: Ist deshalb das Leitbild gescheitert? Ein solches Scheitern hat die CDU hier schon im Februar 1997 behauptet. Seinerzeit - Herr Bartsch wird sich möglicherweise noch schmerzlich daran erinnern - ist das DIW-Gutachten völlig falsch verstanden und fehlinterpretiert worden.

(Bartsch [CDU]: Haha!)

Also Sie erinnern sich doch. Das ist gut.

Es ist wahr, meine sehr verehrten Damen und Herren. und wir haben es schon damals kritisiert: Die Situation im Land Brandenburg hat sich weiter zugespitzt. Die strukturellen Diskrepanzen zwischen dem äußeren Entwicklungsraum, den Zentren und dem engeren Verflechtungsraum mit Berlin sind weiter verfestigt worden. Das bedeutet aber nicht, dass die Probleme Brandenburgs in seinem raumordnerischen Leitbild der dezentralen Konzentration liegen. Nein, sie liegen unseres Erachtens im inkonsequenten und defensiven Handeln der bisherigen Landesregierungen und erinnern an die Debatte von 1997.

(Zuruf des Abgeordneten Dr. Wiebke [SPD])

Wir haben damals schon festgestellt, dass wir nicht davon überzeug sind. Herr Wiebke, dass es ein steuerbares Nacheinander in der Entwicklung im Land Brandenbur g geben wird wie es die CDU damals gefordert hat und möglicherweise heute wieder fordert. Man kann unseres Erachtens nicht erst die Zentren im engeren Verflechtungsraum und dann die Zentren im äußeren Verflechtungsraum. also nicht die Mitte vor den Außenbereichen, entwickeln. Einen Wartestand auf unbe grenzte Zeit darfes für den äußeren Entwicklun gsraum im Land Brandenburg nicht geben.

(Beifall bei der PDS - Zuruf des Abgeordneten Dr. Wiebke [SPD])

- Das mache ich, Herr Wiebke, bloß wir beide sind uns da erstaunlicherweise gar nicht begegnet.

(Zuruf der Abgeordneten Frau Siebke [SPD])

- Sie sagen es, Frau Siebke.

Aber nun wird der gleiche Fehler wiederholt. Erneut setzt das „neue Konzept- des Wirtschaftsministers zunächst auf die Konzentration im engeren Verflechtungsraum mit Berlin - in der irrigen Annahme. man werde dort jene Mittel erwirtschaften. die dann für die Entwicklung der Landesränder Impulse geben sollen. Und wie schon vor drei Jahren sage ich Ihnen: Das wird nicht gehen. Wer ein solches Konzept wie das Ihre will, soll den Menschen in den ländlichen Regionen sagen, dass er sie letztendlich nicht braucht, dass er die Entwicklung ihrer Region zur wirtschaftlichen und sozialen Brache duldet und damit Arbeitslosi gkeit und Bevölkerun gsabwanderun g aus den ländlichen Regionen befördert werden. ^

Wir bleiben bei unserer Forderung: Brandenburg braucht eine aktive, an den Grundsätzen von Umwelt- und Sozialverträglichkeit orientierte Landesentwicklungspolitik, die dem Wildwuchs und Fehlentwicklungen im Zentrum entgegensteht

und zentrumsferne Regionen besonders fördert und unterstützt. Dazu, meinen wir, müssen sowohl die Funktion wie auch die Wirkungsweise der Landesentwicklungspolitik verändert werden. Anstelle einer weitgehend auf Beobachtung und unverbindliche Prognose der räumlichen Entwicklung gerichteten Landesplanung muss es eine unmittelbare und zwingende Verknüpfung mit den Instrumenten der Wirtschafts- und Beschäftieungs-, Wohnungs- und Städtebauförderung, mit Natur- und Landschaftsschutzprogrammen und mit Instrumenten zur Entwicklung sozialer Infrastruktur geben. Die Strukturpolitik muss auf die nachhaltige Entwicklung des Gesamtraumes zielen und in den Teilregionen vor allem die Schaffung von regionalen Wirtschaftskreisläufen, die sich an den Bedürfnissen der gesamten Region orientieren, unterstützen.

Die SPD/CDU-Landesregierung will aber mit ihrem Konzept nicht wirklich Strukturpolitik betreiben, sondern in vorausschauendem Gehorsam lediglich dort günstige Entwicklungsbedingungen schaffen, wo das Kapital sowieso hingeht. Dort, wo niemand hingeht. wohin auch niemand will. kann dann angeblich auch die Landesregierung nicht helfen. Das trifft auf viele ländliche Regionen zu. verstößt aber, meine Damen und Herren von SPD und CDU, massiv gegen das Verfassungsgebot. in allen Teilräumen des Landes gleichwertige Lebensbedingungen zu schaffen. Herr Dellmann ist darauf ein gegangen. Ich will hier noch an die Brandenburger Landesverfassung erinnern, in der dieser Grundsatz festgeschrieben ist. Es ist dies ein Verfassungsgebot, das in Berlin-Brandenburg ein Leitbild der dezentralen Konzentration geradezu erzwingt. Zur strukturpolitischen Konkretisierung und Weiterentwicklung dieses Leitbildes muss ganz selbstverständlich die Funktionsbestimmung der regionalen Entwicklungszentren des Städtekranzes deutlich erkennbar erfolgen. Die Entwicklung dieser Städte kann nicht ohne langfristige Programme und deutliche Prioritätensetzung. auskommen. Von der Entwicklun g der Zentren des Städtekranzes muss eine hohe Ausstrahlung in das jeweilige Umland und damit in die Fläche des Landes Brandenburg erfolgen.

In den Regionen des Landes Brandenburg müssen - orientiert an regionalen Leitbildern - integrierte Konzepte zur Schaffung regionaler Wirtschaftskreisläufe initiiert werden. Dabei müssen durch die Regionalplanung die regionale Verkehrs- und Infrastrukturpolitik, Wirtschafts-. Sozial-. Arbeitsmarktpolitik und die Umweltpolitik eng miteinander verzahnt werden und es bedarf der Organisierung eines aufeinander abgestimmten, zielorientierten Handelns sowohl der verschiedenen Ressorts der Landespolitik als auch der Städte und Gemeinden im Land Brandenburg.

Wir fordern, dass sich die regionalen Planungsgemeinschaften gemeinsam mit den regionalen Wirtschaftsfördergesellschaften als Moderatoren für alle Bereiche der regionalen Entwicklung profilieren und aktiv an der Umsetzung regionaler Entwicklungskonzepte mitwirken. Deshalb dürfen ihnen die finanziellen Mittel im kommenden Haushalt nicht gekürzt werden, wie es heute schon zur Debatte stand. Diese Forderung wollen wir noch einmal gegenüber dem Raumordnungsminister, Herrn Birthler, deutlich machen.

Sie, meine Damen und Herren von der Koalitionsregierung, fordern wir auf: Respektieren Sie den Verfassungsauftrag zur gleichwertigen Entwicklung der Lebensbedingungen für alle Menschen in Brandenburg, und das nicht nur im Verflech

tungsraum von Berlin. sondern im ganzen Land im Sinne einer ausgewogenen und zukunftsfähigen Landesenmieklune! - Vielen Dank.

(Beifall bei der PDS)

Das Wort geht an die Fraktion der CDU, an den Abgeordneten Bartsch.

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die SPD stellt in ihrem Antrag zur Aktuellen Stunde richtig fest:

_Die unterschiedliche wirtschaftliche Entwicklung zwischen dem Berliner Umland und der Peripherie des Landes Brandenburg setzt sich fort."

Da Kollege Dellmann die positiven Effekte, die durch das Leitbild der dezentralen Konzentration zu konstatieren sind ausführlich dargestellt hat, möchte ich mich bei meinem Redebeitrag daraufbeschränken aufzuzeigen, was wir noch zu leisten haben.

Meine Damen und Herren! Bereits im Juni 1998 stellte Prof. Seitz in seiner Studie „Migration. Arbeitsmarkt. Wirtschaft und öffentliche Finanzen in Brandenburg und in den anderen ostdeutschen Bundesländern- fest, dass die Disparitäten zwischen dem Berliner Umland und den peripheren Räumen Brandenburgs in dramatischer Weise zunehmen.

So betrug die Differenz der Arbeitslosenquoten im Jahr 1996 4 %; 1998 ist diese Differenz auf 8 % angestiegen. Bei der Bevölkerungsentwicklung ist in den berlinnahen Räumen ein Bevölkerungszuwachs zu verzeichnen, während die Peripherie mit einer zunehmenden Abwanderung gerade junger Brandenburgerinnen und Brandenburger zu kämpfen hat.

Meine Damen und Herren, diese Entwicklung soll und kann nicht hingenommen werden. Ein unverändertes „Weiter so!" kann nicht die Lösun g sein, auf die die Menschen in den peripheren Räumen warten und hoffen. Artikel 44 der brandenburgischen Landesverfassung gibt uns das Ziel vor, in allen Landesteilen gleichwertige Lebensbedingungen zu schaffen und zu erhalten. Die dezentrale Konzentration als raumordnerisches Leitbild soll die Schaffung gleichwertiger Lebensbedingungen bewirken.

Meine Damen und Herren, wer in der 2. Wahlperiode bereits Mitglied des Landtages war oder die Veröffentlichungen der Presse verfolgt hat, weiß, dass das Leitbild der dezentralen Konzentration nicht gerade zu den Themen gehörte - um es vorsichtig auszudrücken -, die die Harmonie zwischen SPD und CDU vergrößerten. Dabei ging es im Eigentlichen nicht um das Leitbild selbst, sondern eher um die Umsetzung dieses Leitbildes in den einzelnen Politikbereichen. insbesondere im Bereich der Wirtschaftspolitik. Ich begrüße es deshalb sehr, dass wir heute im Rahmen dieser auf Antrag der SPD-Fraktion einberufenen Aktuellen Stunde über mögliche Anpassungen aufgrund veränderter Entwicklungsbedingungen diskutieren kön

nen. In den nächsten Jahren müssen es SPD und CDU gemeinsam schaffen, die wirtschaftliche Entwicklung voranzutreiben, Arbeitsplätze zu schaffen und regionale Disparitäten zu verringern, sodass gleichwertige Lebensbedingungen in ganz Brandenburg nicht vorwiegend nur in der Verfassung vorzufinden sind.

Meine Damen und Herren, wenn Sie über Standortentscheidungen sprechen, wissen Sie genauso gut wie ich, dass es uns nicht gelingen wird nationale und internationale Investoren aufgrund entsprechender Fördersätze in die Peripherie unseres Landes zu locken. Standortentscheidungen der Unternehmen werden nicht allein aufgrund der öffentlichen Fördermöglichkeiten getroffen. Arbeitskosten. Transportkosten, Verkehrsinfrastruktur, Steuersätze, das An gebot von Spezialarbeitskräften, das Vorhandensein von Absatzmöglichkeiten, Umweltstandards oder auch persönliche Gründe und weiche Standortfaktoren wie Kultur- und Freizeitmöglichkeiten, aber auch das Image einer Region spielen bei der Standortwahl eine entscheidende Rolle. Deshalb ist es sinnvoll, die Entwicklun g. anderer Standortfaktoren neben den differenzierten Fördersätzen nicht zu vernachlässi gen. Auf viele Faktoren haben landespolitische Entscheidungen einen direkten Einfluss. Andere bedürfen veränderter gesetzlicher Rahmenbedingungen. Wieder andere fallen in den Persönlichkeitsbereich des Unternehmers, auf den der Staat keinen Einfluss hat.

Meine Damen und Herren. der Entwicklung der Infrastruktur kommt dabei eine hervorragende Bedeutung zu. Um der Peripherie des Landes erhöhte wirtschaftliche Entwicklungschancen zu eröffnen, ist es nicht unwesentlich, die Verkehrsinfrastrukturen in diesen Regionen zu verbessern. Wer wie die CDU-Fraktion auf einer Klausurtagung in Kleinzerlang war, weiß, wovon ich rede und dass die Verbesserung der Verkehrswege unumgänglich ist, um neue Investoren für diese Regionen zu gewinnen.

(Beifall bei der CDU und vereinzelt bei der SPD)

Meine Damen und Herren, auch überzogene Umweltstandards dürfen die wirtschaftliche Entwicklung nicht ausbremsen. Wer an der Anhörung des Wirtschaftsausschusses zur FFH-Thematik teilgenommen hat, weiß, welche aktuellen Konflikte zwischen Ökologie und Ökonomie auszustehen sind. Wer in der Vergangenheit akzeptiert hat, dass mit einer zunehmenden Zahl von Natur- und Landschaftsschutzflächen die Arbeitslosenquote ständi g weiter mit ansteigt, muss sich fragen lassen, ob dieser Politikansatz richtig war.

(Zuruf der Abgeordneten Frau Tack [PDS')

Wer an die Diskussion um die Einführung der so genannten Ökosteuer im März letzten Jahres zurückdenkt, der weiß, dass diese steuerlichen Zusatzbelastungen die Menschen der Peripherie eines Flächenlandes wie Brandenburg besonders treffen.

(Beifall bei der CDU - Zurufe von der SPD)

Die Verbesserung des Images, Toleranz und Weltoffenheit müssen charakteristisch für unsere Region sein. Schnelle und unbürokratische Genehmigungsverfahren sowie eine dienstleistungsorientierte Wirtschaftsförderung sind ebenfalls Faktoren,