Protocol of the Session on July 8, 2015

Meine Damen und Herren, ich begrüße Sie herzlich zur heutigen 14. Sitzung des Landtages Brandenburg. Vor Eintritt in die Tagesordnung informiere ich Sie darüber, dass der Änderungsantrag, Drucksache 6/1934, vom Antragsteller zurückgezogen wurde.

Ich frage Sie zum Entwurf der Tagesordnung: Gibt es von Ihrer Seite Bemerkungen zur vorliegenden Tagesordnung? Dann lassen Sie mich das wissen. - Das scheint nicht der Fall zu sein. Dann können wir über den vorliegenden Entwurf der Tagesordnung abstimmen. Wer ihr zustimmen möchte, den bitte ich um sein Handzeichen. - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Damit ist der Tagesordnung so zugestimmt worden.

Ich möchte Sie darüber informieren, dass Abwesenheiten angezeigt sind: von Frau Ministerin Prof. Dr. Kunst ganztägig - die Vertretung übernimmt Frau Schneider -, von Herrn Minister Dr. Markov ebenfalls ganztägig, in Vertretung: Herr Minister Görke. Der Abgeordnete Dr. Gauland ist bis 10.45 Uhr abwesend, Herr Kuhnert ganztägig und Herr Abgeordneter Schröder ebenfalls ganztägig.

Bevor wir in die Tagesordnung einsteigen, möchte ich zunächst zahlreiche Gäste heute bei uns begrüßen, zum einen eine Abordnung der Patenfregatte „Brandenburg“ unter Führung des Herrn Fregattenkapitäns Ivo Schneider. Herzlich willkommen!

(Allgemeiner Beifall)

Und ich begrüße sehr herzlich zahlreiche Gäste aus den kreisfreien Städten Brandenburg, Frankfurt (Oder), Cottbus und Potsdam, die aufgrund der hohen Besucherzahlen im ganzen Haus die Gelegenheit haben, die Sitzung mitzuverfolgen. Auch Ihnen allen: Herzlich willkommen! Schön, dass Sie da sind.

(Allgemeiner Beifall)

Wir kommen nun zum Tagesordnungspunkt 1:

Entwurf des Leitbildes für die Verwaltungsstrukturreform 2019

Konzept der Landesregierung

Drucksache 6/1788

Wir eröffnen die Debatte mit dem Vertreter der Landesregierung. Ich bitte Herrn Innenminister Schröter ans Pult.

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Kapitän! Liebe Kameraden zur See! Meine sehr verehrten Damen und Herren aus den kreisfreien Städten! Der Leitbildentwurf der Landesregierung für die Verwaltungsstrukturreform 2019 liegt nunmehr vor. Er bildet die Grundlage für eine breite Reformdiskussion. Das ist das wichtigste Thema der Landespolitik in dieser Legislaturperiode.

Der Leitbildentwurf ist vor allem ein Diskussionsangebot an die Bürgerinnen und Bürger unseres Landes, die sich sicherlich aktiv und sehr konstruktiv für die neuen Verwaltungsstrukturen an der Diskussion beteiligen werden; denn zu den wesentlichen Voraussetzungen für eine vernünftige Landespolitik gehört es nun einmal, dass Land selbst sinnvoll und effizient zu organisieren. Dies, meine Damen und Herren, ist die Herausforderung, vor der wir stehen.

Seit den letzten durchgreifenden Reformen auf der Kreisebene sind über 20 Jahre vergangen. Es ist also an der Zeit, diese Strukturen zu hinterfragen; denn das Land hat sich verändert, zum Teil anders als Anfang der 90er-Jahre angenommen, technische Voraussetzungen sowie Anforderungen von Bürgerinnen und Bürgern an ihre Verwaltungen haben sich verändert. Darum geht es heute, um nicht mehr, aber auch nicht weniger.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, lassen Sie mich kurz in Erinnerung rufen, warum wir jetzt über Reformen reden, warum wir über ein ganzes Reformpaket reden müssen. Es gibt letztlich vier wesentliche Gründe:

Erstens. Wir wissen, dass die Zahl der Brandenburgerinnen und Brandenburger gesunken ist und voraussichtlich weiter sinken wird.

(Wichmann [CDU]: So ist das!)

Es gibt darüber hinaus die Tendenz, sich zunehmend in BerlinNähe niederzulassen. Und es gibt einen durchaus erfreulichen Umstand: Wir alle werden älter. Diese Tendenzen sind natürlich nicht ganz neu; aber sie sind stärker ausgeprägt als zu Beginn der 90er, als die jetzigen Strukturen auf Kiel gelegt wurden und als Annahme vorausgesetzt worden sind. Die Stadt-Umland-Problematik, also das Thema der berlinnahen Siedlungsräume, hat sich stärker ausgeprägt, als dies zunächst erwartet werden konnte.

Das hat, zweitens, selbstverständlich auch Auswirkungen auf die finanziellen Möglichkeiten vieler Kommunen. Je weniger Menschen eine Verwaltung tragen, eine Verwaltung quasi alimentieren, desto größer wird der Aufwand pro Einwohner, wenn man gleich gute Verwaltungsergebnisse erreichen will. Diese direkten und indirekten Auswirkungen der demografischen Veränderungen sind hier im Landtag schon oft ausführlich erörtert worden. Auf die umfassenden und sehr gründlichen Ergebnisse der Enquetekommission der letzten Wahlperiode kann ich verweisen, im Übrigen auch aufsetzen.

Lassen Sie mich aber auf zwei weitere Gründe eingehen, die manchmal gerade aus interner Verwaltungssicht zu Unrecht etwas in den Hintergrund treten: Verwaltung, meine Damen und Herren, ist immer für die Menschen da, nicht umgekehrt. Sie hat - und das ist ihre Kernfunktion und ihr eigentlicher Daseinszweck - eine dienende Funktion.

(Beifall SPD sowie vereinzelt Beifall DIE LINKE)

Kommunale Verwaltung ist in erster Linie und vor allem Daseinsvorsorge für Bürgerinnen und Bürger; diese muss in allen Teilen des Landes so aufgestellt sein, dass auch künftig überall in unserem Land möglichst gute Leistungen und möglichst gute Rahmenbedingungen herrschen. Das muss organisiert

werden, zukunftsfest, wie wir gelegentlich so lax sagen. Wie schnell, wie rechtssicher ein Verwaltungsakt erfolgt, das darf eben nicht davon abhängen, wo der Bürger seinen Wohnort hat.

(Beifall SPD und des Abgeordneten Vogel [B90/GRÜNE])

Die Erreichbarkeit und die Qualität der kommunalen Daseinsvorsorge und der öffentlichen Dienstleistungen müssen für alle Bürgerinnen und Bürger in jeder Region des Landes gesichert sein; das entspricht im Übrigen, bekanntlich, auch dem Verfassungsauftrag. Ob Schulen, Wasserver- und -entsorgung, Sicherheit und Ordnung, gute Landes-, Kreis- und Gemeindestraßen oder eine ortsnahe Kitaversorgung: Alles funktioniert nur so lange, wie es auch ausreichend leistungsfähige Verwaltungen gibt.

Dass Daseinsvorsorge und öffentliche Dienstleistungen nicht nur ein Thema für die Kommunen sind, ist völlig unbestritten. Deshalb haben wir im Leitbildentwurf bewusst einen breiten Ansatz gewählt: Alle öffentlichen Verwaltungen - ob Kommunalverwaltung oder Landesverwaltung - müssen so aufgestellt werden, dass sie ihre Aufgaben möglichst in hoher Qualität, möglichst schnell und mit angemessenem Ressourceneinsatz erledigen können.

Das Land wird sich hier keinen schlanken Fuß machen, wie man so schön sagt - nein, wir sehen uns mit im Reformprozess. Deshalb bieten wir auch ein ganzes Bündel an Landesaufgaben an, die wir an die kommunale, kreisliche, aber auch gemeindliche Ebene weitergeben wollen. In einem zweiten Reformschritt sollen gemeindliche Aufgaben gestärkt werden, auch dadurch, dass Aufgaben der Kreise auf die Gemeinden delegiert werden.

Der vierte Grund kommt manchmal etwas zu kurz: Verwaltung wird von Menschen für Menschen gemacht. Der demografische Wandel macht vor unseren Verwaltungen nicht halt. Wenn wir auch künftig gute und motivierte Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter haben und gewinnen wollen, müssen wir gute Perspektiven und moderne Arbeitsbedingungen bieten. Ich freue mich, dass die Gewerkschaften und Spitzenorganisationen in ihren ersten Stellungnahmen zum Leitbild die Reform keinesfalls grundsätzlich infrage gestellt haben. Ganz im Gegenteil, sie teilen die Auffassung - das habe ich, um ehrlich zu sein, auch erwartet -, denn die Gewerkschaften wissen um die Wirklichkeit vor Ort, und sie wissen eben auch, dass es nicht so bleiben kann, wie es ist, wenn wir in eine sichere Verwaltungszukunft gehen wollen.

(Beifall SPD und DIE LINKE)

Meine Damen und Herren! Viele fragen sich jedoch: Warum reformieren wir gerade jetzt, wo die Steuereinnahmen in den Gemeinden so zufriedenstellend sind wie lange nicht? Warum packen wir dieses ehrgeizige Vorhaben nicht etwas später an? Die Begründung ist einfach: Unsere Landkreise und kreisfreien Städte entwickeln sich seit Jahren auseinander. Das erkennt man nicht nur an der Bevölkerungsanzahl, man erkennt es gelegentlich auch, wenn man in die Haushalte schaut. Diese Tendenz hält an, und wenn wir zum Teil solidarisch entschulden oder teilentschulden wollen, dürfen wir nicht länger zuwarten, sondern wir müssen die Aufgaben anpacken.

Zweiter Punkt: Jetzt, meine Damen und Herren, hat das Land auch die Möglichkeit, durch Entnahme aus der Rücklage - das Land hat in den letzten Jahren sparsam gewirtschaftet, deshalb gibt es eine solche - den Prozess der Teilentschuldung und der Anschubfinanzierung zu begleiten. Dies wird unsere Reform von den Reformen in Mecklenburg-Vorpommern unterscheiden. Wir sollten jetzt an das Reformpaket herangehen, weil wir die Möglichkeit der finanziellen Flankierung haben.

(Beifall SPD und DIE LINKE)

Es gibt, meine Damen und Herren, aber einen dritten, einen fast genauso wichtigen Grund: Unsere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in den Verwaltungen sind ein Spiegelbild der Alterspyramide in der gesamten Bevölkerung. Ab 2020 werden große Alterskohorten in Rente oder Pension gehen. Das bedeutet, bei den Reformen muss niemand Angst um seinen Arbeitsplatz haben. Auch dies ist eine wichtige Voraussetzung für erfolgreiche Reformen.

Meine Damen und Herren! Nun zu einigen konkreten Vorschlägen im Leitbildentwurf - für die Kreisebene gibt es dort zwei zentrale Punkte -: Wie viele Einwohnerinnen und Einwohner soll ein Landkreis mindestens haben, und zwar nicht heute, sondern 2030 - besser wäre der Blick auch ins Jahr 2040?

(Oh! bei der CDU)

Meine Damen und Herren, die Landesregierung schlägt deshalb vor, die Zielzahl von 175 000 Einwohnerinnen und Einwohner anzusteuern. Mit dem darunter liegenden Ansatz von 150 000 Einwohnerinnen und Einwohnern, der gelegentlich im Gespräch ist, würde man nicht reformieren, sondern reparieren, was bereits 1993 Reformvoraussetzung war. Meine Damen und Herren, das wäre kein Sichern der Zukunft, sondern der Versuch der Sicherung der Gegenwart. Man macht Reformen aber nicht zur Absicherung der Gegenwart, sondern immer mit dem Blick auf die Zukunft.

(Beifall SPD und DIE LINKE)

Meine sehr verehrten Damen und Herren, eine weitere Zahl ist als zweite Leitplanke von der Landesregierung vorgeschlagen worden. Die betrifft die Obergrenze der Flächen. Sie soll bei ca. 5 000 km2 liegen. Meine Damen und Herren, mit Blick auf die CDU-Fraktion sage ich ganz ausdrücklich: Dies ist keine Zielzahl, sondern die Obergrenze, die nicht überschritten werden sollte, wenn kommunale Selbstverwaltung funktionieren soll. Gelegentlich höre ich das zutreffende Argument, man peile eine Durchschnittsgröße von 5 000 km2 an - das ist schlicht und ergreifend falsch. Der Deckel liegt bei ca. 5 000 km2.

(Beifall SPD und vereinzelt DIE LINKE)

Meine Damen und Herren, jeder Kreistagsabgeordnete von Ihnen weiß, wie schwer die Arbeit dann sein kann, aber wir müssen eine solche Reform auch durch Veränderungen in der Kommunalverfassung flankieren. Hier kann ich mir größere Kreistage vorstellen, sodass die Größe der Wahlkreise unverändert bleibt. Es gibt also ein Bündel von Maßnahmen, um die ehrenamtliche Arbeit von Kreistagsabgeordneten sicherzustellen.

Meine Damen und Herren, viele Emotionen werden geweckt, weil die Zielzahlen, die sich auf die Bevölkerung beziehen, auch für kreisfreie Städte gelten sollen. Meine sehr verehrten Damen und Herren, ja, ich halte dies für richtig, ich halte dies für erforderlich. Im Übrigen unterscheidet sich der Reformansatz in dieser Legislaturperiode vom Reformansatz von 1993 genau in diesem Punkt. 1993 galten die Zielzahlen für die Kreise, nicht für die kreisfreien Städte - das, denke ich, war ein Stück weit ein Mangel der letzten Reform. Im Übrigen, meine Damen und Herren, viele von den Verlustängsten, die gegenwärtig in der Diskussion sind, sind zum Teil übertrieben, andere sind schlicht und ergreifend ungerechtfertigt. Ich freue mich auf die Dialogveranstaltungen in den kreisfreien Städten, da wir dort die Gelegenheit haben werden, das eine oder andere zu berichtigen.

Meine Damen und Herren! Die Landesregierung hat darüber hinaus ein ganzes Bündel an Aufgaben vorgeschlagen, die vom Land auf die Kommunen übertragen werden sollen. Das ist ein ziemlich anspruchsvolles Paket, ein Paket, das in dieser Größe selten angepackt worden ist, ein Paket, das Mut und Tapferkeit bei der Umsetzung bedeutet. Meine sehr verehrten Damen und Herren, wir sollten aber den Mut haben, die Verwaltungen nicht in ihrer gegenwärtigen Leistungsfähigkeit zu betrachten, sondern in der zukünftigen Leistungsfähigkeit zu sehen. Glauben Sie mir, ich weiß, wie leistungsfähig eine Verwaltung sein kann, die für 200 000 Einwohner in der Verantwortung steht. Wenn wir in die Nähe dieser Größenordnungen kommen, werden wir ganz sicher in der gleichen Perfektion die Aufgaben in den Kreisen wahrgenommen sehen, wie sie gegenwärtig durch unsere Landesbehörden wahrgenommen werden.

Ich bitte die sehr geschätzten Fachpolitikerinnen und Fachpolitiker, die Dinge hier wirklich mit Sachverstand anzugehen. Ich halte nichts von polemischen Diskussionen nach dem Motto „Jetzt wird in jedem Naturschutzgebiet künftig ein Supermarkt entstehen können“. Das ist nicht Anliegen unserer Reform, und es wäre ihr auch nicht angemessen, wenn man sie so diskreditieren würde.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, innerhalb der ersten Stellungnahmen und innerhalb der ersten Gespräche ist immer wieder die Frage der Finanzierung des Ganzen aufgeworfen worden - ja, ich gebe zu: eine wichtige, eine wesentliche Frage. Sie kann aber nur auf Heller und Pfennig korrekt beantwortet werden, wenn wir wissen, wie viele Kreise und kreisfreien Städte von der Reform betroffen sind. Deshalb kann kein Mensch zu Beginn des Dialogprozesses eine exakte Zahl in den Raum stellen. Sicher ist aber, es wird ein deutlich dreistelliger Millionenbetrag sein, der sich in seiner Dimension durchaus mit den sächsischen Aufwendungen vergleichen kann, bei dem es gerechtfertigt ist, ihn als Teilentschuldung zu bezeichnen. Ich bin sicher, das wird am Ende zu einem guten Gelingen des gesamten Reformprozesses führen.

Meine Damen und Herren! Was wir vorhaben, ist etwas, das das Land prägen soll und prägen wird - ich hoffe, für Jahrzehnte. Das, was in dieser Reform nicht geschafft wird, wird nach Ihnen kaum ein Landtag korrigieren können, weil schon jetzt die Größe der Einzelteile eine Reform schwierig macht. Wenn Sie, meine Damen und Herren, mit den Gesetzen zur Kreisgebietsreform neue Kreise verabschiedet haben werden, wird

eine weitere Verwaltungsstrukturreform nur noch die Abschaffung von Kreisen zum Inhalt haben können,

(Wichmann [CDU]: Größer kann man sie nicht machen!)

weil dann größere Kreise wenig denkbar sind.

(Wichmann [CDU]: Das ist klar!)

Ich hoffe, dass Sie gemeinsam diese Verantwortung erkennen und wir sie gemeinsam schultern werden. Denn am Ergebnis dieser Reform wird man nicht nur das Ergebnis dieser Legislaturperiode messen, sondern es soll unser Land auf Jahrzehnte hinaus zukunftssicher machen. - Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit und freue mich auf den offenen Dialog.