Protocol of the Session on November 18, 2015

Sehr geehrte Abgeordnete! Sehr geehrte Mitglieder der Lan desregierung! Sehr geehrte Gäste!

Mit den schrecklichen Anschlägen in Paris am 13. November hat Europa die schlimmste Nacht seit Langem erlebt. 129 Men schen haben ihr Leben verloren. Mehr als 350 sind verletzt. An 6 Orten der Stadt haben islamistische Attentäter Bomben ge zündet und wahllos wehrlose Menschen getötet.

In unseren Gedanken und Gefühlen sind wir bei den Opfern und ihren Angehörigen, bei den Menschen in Paris. Wir stehen fest an der Seite Frankreichs.

Die Orte, die die Attentäter für ihre Morde gewählt haben, sind Orte der Lebensfreude, der Begegnung und der Geselligkeit, lebendige Orte unserer freiheitlichen Gesellschaft. Die Atten tate richten sich gegen die Freiheit, gegen die Freude am Leben und die Achtung der Menschenwürde. Sie richten sich gegen uns alle.

Wir sind gefordert, klare Antworten zu geben. Wir werden uns unsere Lebensart bewahren. Wir werden uns von den schreck lichen Ereignissen unsere Mitmenschlichkeit nicht nehmen las sen und nicht das Recht des Einzelnen, glücklich und frei zu le ben. Der IS kann unser offenes und freies Leben nicht zerstören.

Und wir werden die Menschen, die darunter gelitten haben, die vor dem Terror aus Syrien geflohen sind, unterstützen. Jetzt kommt es darauf an, den IS nicht nur militärisch, sondern auch politisch zu bekämpfen. Jetzt kommt es darauf an, dass sich die Gemeinschaft der Demokraten als stärker erweist als die Alli anz aus Hass, Terror und Angst.

Im Gedenken an die Opfer von Paris wollen wir uns jetzt zu einer Schweigeminute von unseren Plätzen erheben.

(Schweigeminute)

- Ich danke Ihnen.

Meine Damen und Herren! Ich begrüße Sie herzlich zur 18. Plenarsitzung des Landtages Brandenburg. Ganz besonders herzlich begrüße ich Schülerinnen und Schüler des EinsteinGymnasiums Potsdam sowie alle weiteren Gäste. Herzlich willkommen!

(Allgemeiner Beifall)

Bevor wir in die Tagesordnung eintreten, informiere ich Sie da rüber, dass unser langjähriger Abgeordnetenkollege Herr An dreas Kuhnert mit Ablauf des 31. Oktober 2015 auf sein Man dat im Landtag Brandenburg verzichtet hat.

Herr Kuhnert gehörte dem Landtag Brandenburg ohne Unter brechung seit der 1. Legislaturperiode an, und für seine in 25 Jahren geleistete hochengagierte Arbeit möchte ich mich an der Stelle im Namen aller Kollegen und Kolleginnen noch ein mal herzlich bedanken.

(Allgemeiner Beifall)

Für Herrn Kuhnert ist Frau Abgeordnete Barbara Hackenschmidt mit Wirkung vom 1. November 2015 in den Landtag Brandenburg nachgerückt. Herzlich willkommen, Frau Ha ckenschmidt.

(Allgemeiner Beifall)

Meine Damen und Herren, der Entwurf der heutigen Tagesord nung liegt Ihnen vor. Ich frage Sie: Gibt es Bemerkungen zu dieser Tagesordnung? - Das ist nicht der Fall. Dann lasse ich über die Tagesordnung abstimmen. Wer ihr folgen möchte, den bitte ich um sein Handzeichen. - Gibt es Gegenstimmen? - Ent haltungen? - Damit ist der Tagesordnung einstimmig zuge stimmt worden.

Ich informiere Sie darüber, dass Frau Ministerin Golze heute ab 18 Uhr abwesend ist und von Herrn Minister Dr. Markov vertreten wird. Herr Gerber wird ab 18 Uhr von Herrn Minister Vogelsänger vertreten. Frau Prof. Kunst wird zeitweise abwe send sein und von Herrn Staatssekretär Gorholt vertreten. Frau Elisabeth Alter und Herr Abgeordneter Schulze fehlen ganztä gig, der Abgeordnete Dr. Gauland ab 16 Uhr und Herr Abge ordneter Kalbitz ab 18 Uhr.

Ich rufe Tagesordnungspunkt 1 unserer heutigen Sitzung auf:

Aktuelle Stunde

Thema: Flüchtlinge in Brandenburg - Unser Anspruch, unser Ziel: Die umfassende und notwendige Unterbringung, Versorgung und Integration gewährleisten

Antrag

der Fraktion der SPD

Drucksache 6/2956

Dazu liegen ein Entschließungsantrag der Fraktionen von SPD, DIE LINKE und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN in der Drucksache 6/3004, Neudruck, sowie zwei Entschlie ßungsanträge der AfD-Fraktion in den Drucksachen 6/3021 und 6/3022 vor.

Ich eröffne die Aussprache. Herr Abgeordneter Ness spricht für die SPD-Fraktion zu uns.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kolle gen! Ich möchte mich zunächst ausdrücklich für die Worte un serer Landtagspräsidentin zu Beginn der heutigen Sitzung be danken. Ich glaube, das ist sehr angemessen.

Ich gebe zu, dass wir als Fraktion überlegt haben, ob wir das Thema der heutigen Aktuellen Stunde tatsächlich so umsetzen. Aber es gibt offensichtlich Versuche - auch in der öffentlichen Debatte -, das Thema Flucht und Vertreibung mit Terrorismus in Verbindung zu bringen. Von daher ist es, glaube ich, auch hier richtig, dazu ein paar Worte zu verlieren und diese Debatte wieder vom Kopf auf die Füße zu stellen.

Einige versuchen zurzeit vor dem Hintergrund dieser schreck lichen Anschläge in Paris ein Süppchen zu kochen, das nicht

gut ist für unsere Demokratie, und ich glaube, dieser Landtag muss das heute eindeutig zurückweisen.

(Beifall SPD, DIE LINKE, B90/GRÜNE und BVB/ FREIE WÄHLER Gruppe)

Lassen Sie mich einige Worte zu den Anschlägen sagen. Es war nicht der erste terroristische Anschlag, den wir in Europa erlebt haben - auch nicht der erste terroristische Anschlag des IS; aber er hatte eine neue Qualität. Angesichts der Konzen triertheit, in der die Angriffe in Paris erfolgt sind, ist klar, dass sie lange geplant waren und ein politisches Kalkül dahinter steckt, dass dies ein gezielter Angriff auf unsere Werte, die Art und Weise, wie wir leben, war.

Ich habe mich am Freitagabend und am Samstag häufig an Herrn Stoltenberg, den früheren Ministerpräsidenten von Nor wegen, erinnert. Als er in seinem Land die schrecklichen Atten tate in Oslo und auf der Insel Utøya erleben musste, sagte er: Was uns jetzt nicht passieren darf, ist, dass wir zurückweichen und unsere eigenen Werte, Haltungen und Vorstellungen infrage stellen. Nein, unsere Antwort muss sein, dass wir für mehr Mit menschlichkeit, mehr Mitleiden und mehr Toleranz eintreten.

(Beifall SPD, DIE LINKE, B90/GRÜNE sowie verein zelt CDU)

Das muss auch die Botschaft sein, die wir von den Ereignissen in Paris mitnehmen.

Deshalb - ich habe es zu Beginn gesagt - dürfen wir nicht zu lassen, dass in diesen Tagen einige politische Kräfte - sei es von der AfD, von Pegida oder von noch weiter rechts - versu chen, eine Umdefinition vorzunehmen, nämlich Opfer des IS, die aus Syrien, Afghanistan und dem Irak zu uns flüchten, zu potenziellen Tätern zu erklären. Das ist perfide und pervers.

(Beifall SPD, DIE LINKE, B90/GRÜNE sowie verein zelt CDU)

Wir müssen Sorgen und Ängste ernst nehmen, auch Sorgen und Ängste vor Terrorismus, ja. Wir müssen uns als Staat auch darauf einstellen, dieser terroristischen Herausforderung zu be gegnen. Begegnen kann man ihr nicht mit einer einzigen Maß nahme. Es braucht ein Bündel von Maßnahmen und ein zivil gesellschaftliches Bewusstsein in ganz Europa für das, worauf wir stolz sind, wofür wir stehen und kämpfen. Es braucht aber auch die Durchsetzung des Gewaltmonopols des Staates und möglicherweise an der einen oder anderen Stelle eine Nachju stierung, um das Gewaltmonopol des Staates aufrechtzuerhal ten und terroristische Gefahr zurückzuweisen. Das ist völlig klar.

Gleichwohl muss uns klar sein, dass wir angegriffen werden, weil wir so sind, wie wir sind - nämlich eine offene, liberale, tolerante Gesellschaft, eine Gesellschaft, die fähig ist, mitzu leiden und Solidarität zu zeigen. Deshalb dürfen diese Werte nicht infrage gestellt werden, sondern wir sollten uns immer an die Worte von Herrn Stoltenberg und seine Haltung und Größe erinnern, die er nach dem Terror in Oslo bewiesen hat. Diese sollten wir jetzt auch beweisen.

(Beifall SPD, DIE LINKE, B90/GRÜNE sowie verein zelt CDU)

Es gibt immer Angst vor dem Fremden. Die Menschen, die jetzt aus Syrien, Afghanistan und dem Irak zu uns fliehen, sind vielen Menschen hierzulande erst einmal fremd. Sie kennen sie und ihre Lebensgeschichte nicht. Sie kennen auch nicht die po litischen Bedingungen in ihren Heimatländern. Durch das At tentat in Paris ist uns möglicherweise sehr konkret vorgeführt worden, was diese Menschen täglich erleben.

Ich habe heute Morgen auf Facebook ein Foto von einer Lichtinstallation gesehen, die gestern in Rathenow aufgebaut wor den ist. Dort steht: In Syrien ist jeden Tag Paris. - Ja, das ist die Wirklichkeit. Die Menschen, die zu uns fliehen, tun dies aus Angst vor Zwangsrekrutierungen durch den IS. Frauen, die zu uns kommen und auch in Flüchtlingslagern in Brandenburg le ben, sind von IS-Mitgliedern vergewaltigt worden - teilweise wochen- und monatelang.

Über diese Geschichten müssen wir sprechen. Wir müssen zu rückweisen, dass einige das einfach ausblenden. Ich verstehe in bestimmten Diskussionen nichts mehr.

Mein Kollege Daniel Kurth hat mir kürzlich erzählt, dass eine Schülergruppe den Landtag besucht hat und Schüler die Frage gestellt haben: Warum fliehen diese Menschen eigentlich zu uns? Was wollen die hier? - Dass solche Fragen gestellt wer den, ist ein Zeichen dafür, dass wir als Demokraten noch zu wenig über die Realität in diesen Ländern aufgeklärt haben. Kollege Dombrowski unternimmt jetzt verschiedene Reisen - auch in die Kriegsgebiete. Ich begrüße das sehr. Er berichtet über das, was er dort erlebt, und darüber, wie es den Menschen geht.

So etwas müssen wir tun. Die zu uns kommenden Flüchtlinge sind keine potenziellen Täter, sondern unsere Verbündeten im Kampf gegen den „Islamischen Staat“.

(Beifall SPD, DIE LINKE, CDU, B90/GRÜNE und BVB/FREIE WÄHLER Gruppe)

Nichtsdestotrotz ist völlig klar, dass die große Zahl der zu uns kommenden Menschen eine riesige Herausforderung darstellt, weil wir sie unterbringen müssen und integrieren wollen. Viele der zu uns kommenden Menschen wollen eigentlich in ihre Heimat Syrien, Afghanistan oder den Irak zurück. Viele von ihnen haben aber auch schon eine Zeit in den Camps der anlie genden Länder verbracht und die Hoffnung zurückzugehen aufgegeben, und deshalb machen sie sich auf den Weg zu uns. Wir müssen uns darauf einstellen, dass auch in den nächsten Jahren viele nicht zurückkehren können, weil die kriegerischen Auseinandersetzungen in ihren Heimatländern möglicherweise nicht beendet sind.

Wir sind gut beraten, Fehler, die möglicherweise in Paris be gangen wurden, nicht zu wiederholen. Ich erinnere mich: Als vor elf Jahren, im Jahr 2005, in den Banlieues bürgerkriegs ähnliche Auseinandersetzungen und Aufstände von Migranten, die sich als sozial deklassiert empfunden haben, stattfanden, wurde vonseiten der Politik gesagt, dass sich dringend etwas ändern, dass die Integration besser gelingen müsse und den Menschen Perspektiven aufgezeigt werden müssten. Offen sichtlich wurde das nicht umgesetzt. Der Nährboden für Isla mismus und Salafismus in Europa ist soziale Ausgrenzung. Die soziale Ausgrenzung von Menschen und die Perspektivlosig keit müssen beendet werden. Das ist die erste Botschaft, die

wir verstehen müssen. Wenn wir zu uns kommende Menschen integrieren wollen, müssen wir gewährleisten, dass sie eine be rufliche Perspektive finden, die deutsche Sprache lernen und so Teil unserer Gesellschaft werden können.

(Beifall SPD, CDU, DIE LINKE, B90/GRÜNE und BVB/FREIE WÄHLER Gruppe)

Ich bin unglaublich dankbar, dass sich sehr viele Ehrenamt liche auf den Weg gemacht haben, um Deutschkurse zu organi sieren, nicht nur um Kleider und anderes zu sammeln, sondern einen Beitrag dazu zu leisten, dass die Menschen bei uns an kommen. Ein hervorragendes Beispiel ist das Team „Welcome United 03“ aus Babelsberg. Das wird mittlerweile bundesweit wahrgenommen und inspiriert andere im Landessportbund, auch zu versuchen, Flüchtlinge über den Sport zu integrieren und sie Teil unserer Gesellschaft werden zu lassen. Die Kern aufgabe sind jedoch der Spracherwerb und die berufliche Inte gration.