Protocol of the Session on September 29, 2017

dass man den Gerichten auch diese Chance gibt. Ich weiß, es gibt noch ein zweites Verfahren in München, aber hier in Thüringen wäre es besonders wichtig gewesen, dass man letztendlich diesen Weg geht. Wir haben die Gewaltenteilung und das sollte man an der Stelle auch respektieren und man sollte sie auch nutzen.

Ich möchte einen zweiten Punkt Ihres Antrags ansprechen, was den Opferfonds anbelangt. Die Hinterbliebenen der Opfer der Bombenanschläge sind 2012 vom Bund zum Teil entschädigt worden. Hier gab es die Härteleistung für Opfer von terroristischen Straftaten, der Bund hat den Opfern insgesamt 900.000 Euro zugebilligt und ausgezahlt. Auch das Land Thüringen, der Ministerpräsident hat es hier vorhin auch angesprochen, hat sich da nicht zurückgenommen, sondern hat 50.000 Euro bereitgestellt, um den Angehörigen die Möglichkeit zu geben, an dem Prozess teilzunehmen, den zu verfolgen und damit auch die Möglichkeit zu haben, festzustellen, inwieweit eine Aufklärung tatsächlich vor Gericht möglich ist und durchgeführt wird. An der Stelle hat auch das Land Thüringen frühzeitig gezeigt, dass wir die Sache ernst nehmen, unabhängig davon, wie die Gerichte zum Schluss entscheiden.

Was ich an dem Antrag noch als problematisch ansehe, ist die Einteilung der Opfer. Auf der einen Seite haben wir die Opfer des NSU, die hier über den Entschädigungsfonds entschädigt werden sollen. Aber hier in Thüringen, wie wir nicht nur im Untersuchungsausschuss mehrfach festgestellt haben, sondern was letztendlich auch jeweils in den öffentlichen Medien öfter präsent war, werden auch

andere Menschen Opfer rechter Straftäter/Neonazis bis hin zu Morden. Mir ist der Überfall auf die Kirmesgesellschaft in Ballstedt noch sehr deutlich in Erinnerung – das ist ja gleich bei mir um die Ecke –, als Neonazis sich organisiert und die Kirmesgesellschaft zusammengeschlagen haben, die ins Krankenhaus musste, Sachschaden verursacht haben etc. Diese Opfer würden von dem Fonds nicht betroffen sein, die würden davon nicht profitieren. Diese Opfer müssen den Rechtsweg gehen, um letztendlich ihre Rechtsansprüche zu erhalten und damit die Möglichkeit zu haben, ihre Entschädigung von den Tätern abzuverlangen. Das muss diese Opfergruppe machen. Ich habe das Gefühl, dass wir hier zwei Klassen von Opfern schaffen. Das halte ich für mehr als problematisch.

(Zwischenruf Abg. Berninger, DIE LINKE: Was Sie erzählen, ist problematisch!)

Wenn wir den Rechtsweg gehen wollen und sollen, dann müssen wir das stringent bei allen machen. Deswegen sind wir nach wie vor der Meinung, dass die Gerichte hier die bessere Adresse sind. Die Gerichte müssen entscheiden, gibt es eine Mitwirkung, gibt es eine Mitschuld des Staates, gibt es eine Mitschuld des Landes Thüringen, um danach natürlich auch entsprechende Schadenersatzforderungen geltend machen zu können. Aber wir sollten den Gerichten nicht vorweggreifen. Wir haben nach wie vor großes Vertrauen in die Rechtsprechung, dass sie letztendlich da die richtige Entscheidung treffen wird.

Ich verstehe das, moralisch haben wir natürlich eine Pflicht; moralisch sind wir der auch nachgekommen, indem wir sofort einen Untersuchungsausschuss hier in diesem Haus eingerichtet haben – sofort, einstimmig. Wir haben auch den zweiten Untersuchungsausschuss eingerichtet, weil wir festgestellt haben, dass es so komplex ist, dass es nicht in fünf oder in drei Jahren zu leisten ist, hier Licht ins Dunkel zu bekommen und Aufklärung zu betreiben. Wir haben das in dieser Legislaturperiode mit einem weiteren Untersuchungsausschuss fortgesetzt und wir müssen feststellen, es wird nicht weniger. Es zeigt aber auch, wie umfangreich und vernetzt die rechte Szene ist. Deswegen haben wir an der Stelle auch die richtigen Schlüsse gezogen und auch gleich gehandelt, indem wir den Untersuchungsausschuss eingesetzt haben. Und wir haben natürlich auch Konsequenzen gezogen, Stichwort „Verfassungsschutz“. Den haben wir umgestaltet, den haben wir neu aufgestellt, um ihn transparenter zu machen, aber auch letztendlich mehr Einflussmöglichkeit zu geben, über die PKK die entsprechenden Maßnahmen durchzuführen und auch ein Stück weit in dieser Richtung doch den Blick zu schärfen.

An der Stelle, meine sehr geehrten Damen und Herren, möchte ich unserem ehemaligen Innenmi

nister Jörg Geibert, der sich da bei großem Gegenwind aus der ganzen Bundesrepublik nicht beirren ließ, uns alle Informationen zur Verfügung zu stellen, die wir benötigten, recht herzlich danken.

(Beifall CDU, DIE LINKE, SPD)

Ich würde mir wünschen, dass das in diesem Untersuchungsausschuss mit dem Innenminister und mit dem Justizminister auch so gut funktionieren würde, wo wir doch erhebliche Probleme haben, entsprechende Informationen und Unterlagen zu bekommen, die nicht geschwärzt sind, aber das nur am Rande.

(Zwischenruf Abg. Adams, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Da haben Sie aber vieles aus dem UA 5/1 vergessen!)

Wir sind bemüht, das umzusetzen und werden das auch tun. Aus diesem Grund können wir diesem Antrag, einen Fonds einzurichten, nicht zustimmen, weil wir der Auffassung sind, dass erst die Gerichte feststellen sollen, ob hier eine direkte Mitschuld des Landes Thüringen vorliegt oder Behörden beteiligt waren.

Ich komme jetzt zum zweiten Antrag: Stätte der Erinnerung und Mahnung für die Opfer des NSU. Thüringen trägt eine besondere Verantwortung, auch der Ministerpräsident hat das noch mal ganz deutlich in seiner Rede eben gesagt. Ich hatte ja kurz dargestellt, dass wir dieser Verantwortung auch gerecht werden wollen, aber wir sehen natürlich auch, welche Brisanz das hat, einen Erinnerungsort in einem Land zu schaffen, wo es keine Opfer des NSU gab. Die zehn Morde fanden in anderen Bundesländern statt und wir müssen jetzt den Weg finden, einen Erinnerungsort zu schaffen, ohne dass es eine Pilgerstädte für Neonazis und andere Rechtsgesinnte wird. Das halte ich für eine schwierige Aufgabe und einen schwierigen Weg. Ich möchte aber noch zur Feststellung in Ihrem Antrag, dass der Untersuchungsausschuss diese Einrichtung bzw. Erinnerungsstätte festgelegt hat, richtigstellen, dass das nicht der Untersuchungsausschuss war, sondern es bezieht sich auf ein Sondervotum einer Fraktion. Man hat das dann im Antrag richtiggestellt, aber unter Punkt II. hat man es nicht gemacht. Ich denke mal, es ist wahrscheinlich untergegangen, dass man da immer noch auf den Untersuchungsausschuss 5/1 verweist, das nur am Rande. Das sollte man das nächste Mal sorgfältiger vorbereiten.

Diese Erinnerungsorte gibt es in der Bundesrepublik; wir haben sie in Hamburg, in Nürnberg, in München, in Rostock, in Kassel, in Dortmund und in Heilbronn. Man hat Erinnerungsorte an die Opfer des NSU geschaffen, was sehr zu begrüßen ist, weil man da ja auch den Angehörigen, aber auch Interessierten die Möglichkeit gibt, zum einen den Ort der Trauer aufzusuchen und zum anderen auch

zu gedenken, weil man den direkten Bezug zu der Tatstätte hat, wo die Tat stattgefunden hat, wo die Morde stattgefunden haben. Das gestaltet sich bei uns wesentlich schwieriger. Der Ministerpräsident hat das ja auch noch mal eindringlich dargestellt, wie schwierig es ist, diesen Spagat zu schaffen. Ich hatte kurz vorher schon gesagt, wir haben natürlich das Problem oder ich sehe das Problem, dass wir mit einem Erinnerungsort unter Umständen auch den Tätern eine Plattform bieten, weil es ebenen keinen direkten Bezug zu einem Ort gibt, wo was stattgefunden hat. Deswegen haben wir uns das auch nicht leicht gemacht, zu sagen, dass wir es nicht unbedingt als zielführend ansehen, wenn wir das hier in Thüringen machen, einen Ort der Erinnerung, weil hier kein Mord stattgefunden hat

(Zwischenruf Abg. Berninger, DIE LINKE: Das ist zynisch, Herr Kellner!)

und damit letztendlich auch nicht der direkte Bezug da ist. Wenn der NSU auch hier geboren wurde – sie sind hier geboren und sozialisiert worden, sind hier untergetaucht, haben sich 13 Jahre in Sachsen aufgehalten, das ist alles richtig, aber trotzdem ist es hier ein besonders sensibles Thema. Ich hatte in einer Plenarsitzung auch schon mal, als das Thema thematisiert wurde, vorgeschlagen, dass der Bund hier eine Gedenkeinrichtung, Gedenkstätte oder einen Erinnerungsort schaffen sollte, weil es eben nicht ein einzelnes Land ist oder nicht nur die Länder, wo die Morde stattgefunden haben, betroffen sind, sondern die ganze Bundesrepublik. Das hielte ich für zielführend, dass man damit auch wirklich eine Wertung abgibt, wie wichtig uns das ist, wenn nämlich der Bund eine zentrale Erinnerungsstätte schafft, womit auch sichtbar wird, dass es nicht nur Hessen, Thüringen, Bayern usw. sind, sondern dass die Bundesrepublik Deutschland erkannt hat, welche Dimensionen dieser NSU für unsere Gesellschaft und für die ganze Bundesrepublik Deutschland gehabt hat. Deswegen hatte ich damals auch angeregt, man sollte doch den Bund bitten, hier eine Erinnerungsstätte einzurichten, die zentral für die ganze Bundesrepublik Deutschland wirkt und damit auch den Opfern gerecht wird, nämlich dass dann auch eine Aufwertung, indem wir an sie denken, sichtbar wird. Aus diesem Grund können wir diesem Antrag nicht zustimmen. Vielen Dank.

(Beifall CDU, AfD)

(Zwischenruf Abg. Adams, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Applaus der AfD!)

Für die Fraktion Die Linke erhält Abgeordnete König-Preuss das Wort.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen, liebe Zuschauer hier im Saal, aber auch diejenigen am Livestream! Ich weiß, dass diverse Menschen am Livestream, die sich mit dem NSU-Komplex beschäftigen und zum Teil selbst betroffen sind, gerade zuschauen. Ich hoffe, dass diejenigen Ihrem verzweifelten Versuch, zu erklären, warum Sie die beiden Anträge ablehnen, Herr Kellner, genau zugehört haben und einordnen können, was gemeint ist und was Sie damit eigentlich wollen.

Ich will Sie an der Stelle an unseren Abschlussbericht der vergangenen Legislatur erinnern. Ich zitiere aus der Drucksache 5/8080, Seite 1582, weil Sie ja meinten, dass im Abschlussbericht und im Untersuchungsausschuss nicht festgestellt worden wäre, dass es eine Verantwortung Thüringens gibt: „Die Häufung falscher oder nicht getroffener Entscheidungen und die Nichtbeachtung einfacher Standards lassen aber auch den Verdacht gezielter Sabotage und des bewussten Hintertreibens eines Auffindens der Flüchtigen zu.“

Wenn Sie sich an den vergangenen Untersuchungsausschuss erinnern, will ich Ihnen eins von hunderten Beispielen bringen, an denen sich nachweisen lässt, dass Thüringen und insbesondere die Sicherheitsbehörden hier sehr wohl eine Verantwortung dafür tragen, dass das NSU-Kerntrio 10 Menschen ermorden und über 50 Menschen verletzen konnte. Ich will das Beispiel des V-Manns Tino Brandt nehmen, der dem Verfassungsschutz mitgeteilt hat, dass sich die drei mit einem Fluchtauto in Richtung Chemnitz abgesetzt haben und das unfallbeschädigte Auto auf der Bundesautobahn A 4 von weiteren Unterstützern des NSU hier aus Thüringen abgeholt worden wäre. Diese Information ist eine von hunderten Informationen, die Verfassungsschutzbehörden nicht an die Thüringer Polizei, nicht an das Zielfahndungskommando weitergegeben haben, sondern im Gegenteil: Der Thüringer Verfassungsschutz hat der Thüringer Polizei mitgeteilt, die drei würden sich gerade in Südafrika aufhalten. Wie bewerten Sie das, Herr Kellner, wenn nicht als zumindest Hilfestellung dazu, dass die drei in den Untergrund verschwinden können und die Polizei keine Chance hat, dies und sie festzustellen und festzunehmen, um damit 10 Morde, 3 Sprengstoffanschläge, diverse Verletzte der Sparkassenüberfälle zu verhindern?

Dass Sie sich hier vorn hinstellen und erklären, warum die CDU jetzt diese beiden Anträge ablehnt – man hat gemerkt, wie schwer Ihnen das gefallen ist, weil Sie höchstwahrscheinlich zumindest persönlich eine ganz andere Position dazu vertreten –, ist fatal, gemessen an dem, was wir in unserem Abschlussbericht festgehalten haben, dem auch Sie in

(Abg. Kellner)

der vergangen Legislatur Ihre Zustimmung gegeben haben.

Ich will kurz zu den zwei Anträgen erklären: Ja, wir behandeln die beiden heute hier gemeinsam – einmal den Opferentschädigungsfonds und einmal die Errichtung einer Erinnerungs- und Mahnstätte. Bodo Ramelow hat richtig gesagt, es gehört beides zusammen. Es lässt sich nicht getrennt verhandeln. Wir wollen über diese Erinnerungs- und Mahnstätte – das vielleicht auch für Sie, Herr Kellner, das steht übrigens auch im Antrag – nicht nur einen Gedenkort schaffen, an dem man rückblickend erinnert, sondern wir wollen auch eine Stätte der Auseinandersetzung und Bildung schaffen, um eben ein Stück weit mit dazu beizutragen, dass zukünftig so etwas nicht mehr stattfinden kann.

Da können Sie sich natürlich hier hinstellen und sagen, es gab keine Toten in Thüringen. Aber was ist das eigentlich für eine fatale Einordnung der Taten von Rechtsterroristen: Sie haben nicht bei uns gemordet, deswegen sind wir nicht zuständig.

(Beifall DIE LINKE, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN)

Das ist ein Schlag ins Gesicht der Angehörigen und ist auch ein Schlag in die Gesichter der Verletzten der Sprengstoffanschläge und der Sparkassenüberfälle.

Wir wollen uns mit dem Opferentschädigungsfonds nicht entschulden und wir wollen uns auch nicht loskaufen von der Verantwortung, die wir hier in Thüringen sehr wohl übernehmen und zu übernehmen haben.

(Beifall DIE LINKE, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN)

Das haben Sie zumindest im Jahr 2014 selber noch mit beschlossen, Herr Kellner, ich will Sie nur daran erinnern, dass Sie Ihre Hand gehoben haben, als es darum ging, den Abschlussbericht zu beschließen. Sondern es geht uns darum, mit dem Opferentschädigungsfonds zumindest etwas von dem Leid, dem finanziellen Leid, was durch die Morde entstanden ist, zu mildern. Wir können natürlich nicht dazu beitragen, dass das persönliche Leid genommen wird, aber wir können vielleicht auch den Angehörigen und den Verletzten das klare Zeichen senden, dass wir die Verantwortung nicht nur in schönen Sätzen übernehmen, die dann in einem Abschlussbericht festgehalten werden, sondern auch im Konkreten Verantwortung übernehmen, sodass sie es spüren.

(Beifall DIE LINKE)

Manchmal ist es ja ganz gut, gar nicht eigene Worte dazu zu finden, sondern ich will mal von den Angehörigen einige wenige Beispiele verlesen: „Samstags abends oder sonntags, wenn nur wenige Menschen auf der Straße sind, die mich beob

achten oder Fragen stellen könnten, besuche ich meinen Vater. Mein Vater ist tot. Er ist weit weg in der Türkei begraben, aber nur wenige Straßenecken von unserer Dortmunder Wohnung entfernt ist mittlerweile ein Gedenkstein in den Bürgersteig eingelassen mit seinem Namen. Das ist für mich wie das Grab meines Vaters. Dort kann ich jetzt mit ihm sprechen. Manchmal bringe ich ihm Blumen oder knie auf dem Bürgersteig nieder und erzähle meinem Vater von uns, von meinen jüngeren Brüdern, von meiner Mutter, von meiner Ausbildung. Ich berichte darüber, was wir so machen und wie unsere Situation ist. Heute erzähle ich ihm dann, dass es nicht mehr ganz so schlimm ist, nicht mehr so schlimm wie damals.“ Das „damals“ bezieht sich auf die Zeit der rassistisch motivierten Ermittlungen, die unter anderem die Familie Kubaşık, der Text gerade war von Gamze Kubaşık, erleiden musste. Gamze Kubaşık konnte im Nachgang des Mordes an ihrem Vater ihre Ausbildung nicht beginnen, weil sie in Panik geriet, sobald sie in Züge einstieg, um zur Ausbildungsstelle zu kommen, weil jeder Mann mit Fahrrad, der ihr in den Weg kam, für sie möglicherweise der Mörder ist, der auf der Suche nach ihr ist, der möglicherweise auch auf der Suche nach ihrer Familie ist. Die Mutter begab sich in Traumabehandlung, hat diverse Schlösser in der Wohnung anbringen lassen aus Angst vor dem, was im Nachgang noch passieren könnte, Angst davor, dass die Kinder auch noch auf der Todesliste stehen. Gamze Kubaşık sagt auch im Nachgang des Auffliegens des NSU: „Einiges ist auch komplizierter geworden. Ich bin hier aufgewachsen, Deutschland ist meine Heimat. Aber die Tatsache, dass mein Vater umgebracht wurde, weil die Täter in ihm nur einen Ausländer gesehen haben, verändert mein Gefühl zu diesem Land. Ich will das nicht richtig wahrhaben. Ich verdränge die Erkenntnis, dass mein Vater als Deutscher in diesem Land gelebt hat, aber mit seinen schwarzen Haaren und seinen dunklen Augen der ständige Türke oder Kurde geblieben ist. Das hat vieles in mir verändert. Es gibt Tage, an denen ich alles hier verfluche und in die Türkei oder irgendwohin anders auswandern möchte. Ich denke dann, dieses Land will dich nicht. Es hat dir deinen Vater genommen und ich falle in eine tiefe Trauer. Aber wenig später motiviere ich mich auch wieder: Hey, das ist auch dein Land, du bist hier aufgewachsen, du bist hier zur Schule gegangen, deine Geschwister sind hier geboren. Ich bin sicher, wenn ich mich als Deutsche fühle, kann mir das keiner wegnehmen. Ich bin Teil derselben Gesellschaft, aus der auch diese Rechtsradikalen gekommen sind.“

Herr Kellner und die CDU-Fraktion, lassen Sie die Angehörigen ein Teil dieser Gesellschaft werden und sorgen Sie heute mit Ihrer Stimmabgabe dafür, dass sowohl der Erinnerungsort und die Mahnstätte als auch der Opferentschädigungsfonds eingerichtet werden. Am Ende ist es eine Frage der Haltung.

Ich hoffe, dass Sie diese Haltung heute hier haben. Danke schön.

(Beifall DIE LINKE, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Als nächste Rednerin hat die Abgeordnete Pelke, Fraktion der SPD, das Wort.

Frau Präsidentin, meine sehr verehrten Damen und Herren! Es geht heute und zu dieser Stunde hier in diesem Plenarsaal um zwei Anträge der Regierungskoalition zum Thema „Erinnerungsstätte und Opferentschädigung“. Herr Kellner, ich will in der Diskussion eigentlich gar nichts auseinanderdividieren, aber man hat Ihnen als einem, der in diesem Ausschuss immer gut und intensiv mitgearbeitet hat, schon angemerkt, wie schwer es Ihnen gefallen ist, die vorgegebene Ablehnung der Anträge vonseiten Ihrer Fraktion hier zu erklären. Es geht um Verantwortung, Herr Kellner, es geht nicht um die Frage einer direkten Schuld. Sich immer freizureden von einer Verantwortung, weil einen die direkte Schuld nicht betrifft, halte ich und halten die Koalitionsfraktionen für falsch.

(Beifall DIE LINKE, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Wir haben Verantwortung gegenüber den Opfern und deren Familien und wir wissen alle ganz genau, dass wir damit nichts ungeschehen machen und auch nichts wiedergutmachen. Aber es ist für mich eine verdammte Verpflichtung moralischer und menschlicher Natur und der wollen wir uns stellen.

(Beifall DIE LINKE, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Mit den vorliegenden Anträgen wollen wir auch einen weiteren Schritt der Versöhnung und der Aufarbeitung gehen. Ich sage das hier ganz offen und ganz ehrlich an dieser Stelle: Ich hätte mir sehr gewünscht, Sie da an unserer Seite zu wissen, weil wir uns gemeinsam im Abschlussbericht des Untersuchungsausschusses 5/1 auf folgenden Text geeinigt haben: „Aufgrund der besonderen Verantwortung Thüringens für das Handeln der Mitglieder des sogenannten Nationalsozialistischen Untergrundes und insbesondere für die diesen zur Last gelegten Morde halten wir die Errichtung einer entsprechenden Gedenkstätte in Thüringen als Erinnerungsort an die Opfer für richtig und erforderlich.“ Das haben wir seinerzeit gemeinsam beschlossen, und das war richtig so.

(Zwischenruf Abg. Kellner, CDU: Das ist Un- sinn!)

(Beifall DIE LINKE, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN)

Die Anerkennung des Leids der Opfer und ihrer Angehörigen nach fast 20 Jahren ist uns wichtig. Obwohl es große Verantwortung vonseiten der Sicherheitsarchitektur gegeben hat – das ist immer wieder Thema im Untersuchungsausschuss gewesen –, hat sich, Gott sei Dank, resultierend aus der Arbeit und den Erkenntnissen des Untersuchungsausschusses einiges geändert. Einiges hat sich geändert, aber möglicherweise noch nicht genug.

Wir aber wollen erinnern, denn erinnern lässt uns den Spiegel vorhalten und erkennen, dass Rassismus, dass Nationalsozialismus, Gedankengut dieser Art, Antisemitismus immer noch vorhanden sind und immer wieder erneut aufflammen. Deswegen brauchen wir eine zivilgesellschaftliche Wendung dagegen und deswegen brauchen wir Erinnerungen. Das sollten alle demokratischen Parteien wollen.

(Beifall SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)