Protocol of the Session on June 21, 2017

Meine Damen und Herren, ich bin der Thüringer Landesregierung dankbar, dass sie ebenso wie die Landesregierungen von Schleswig-Holstein, Bremen, Rheinland-Pfalz und Niedersachsen nicht erst auf den achten oder neunten schweren Anschlag im von der Bundesregierung als sicher bezeichneten Kabul gewartet hat,

(Beifall DIE LINKE, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN)

sondern dass sie Abschiebungen nach Afghanistan verweigert hat, sei es durch die Verhängung eines Abschiebestopps nach § 60 a Abs. 1 des Aufenthaltsgesetzes für drei Monate oder, wie es die Thüringer Landesregierung gehandhabt hat, durch Nichtmeldung afghanischer Geflüchteter für die Sammelabschiebungen. Danke dafür.

(Beifall DIE LINKE, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN)

Meine Damen und Herren, worum es uns in dieser Aktuellen Stunde geht, ist, durch eine Bundesratsinitiative Sicherheit für afghanische Geflüchtete zu erreichen. Es braucht angesichts der eindeutig lebensgefährlichen Verhältnisse nicht eine vage Aussage einer möglicherweise neu zu bewertenden Sicherheitslage. Was afghanische Geflüchtete brauchen, ist Sicherheit, nämlich die Sicherheit, nicht irgendwann die unangekündigte Abschiebung in Anschlagsgebiete befürchten zu müssen. Eine Bundesregierung, die Geflüchtete angesichts der eindeutigen Gefahrenlage durch derlei vage Ankündigungen hin- und in Ungewissheit hält, hat ihren Anspruch verwirkt, von verantwortungsvoller Flüchtlingspolitik zu reden, meine Damen und Herren.

(Präsident Carius)

(Beifall DIE LINKE, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN)

Und Abgeordnete, die die abstruse Behauptung wiederholen, ein vollständiger Abschiebestopp wäre ein Sieg für die Terroristen, wie das ein CSUBundestagsabgeordneter gesagt hat, haben diesen Anspruch ebenso verwirkt, meine Damen und Herren.

(Beifall DIE LINKE, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN)

Im Gegenteil, dieses Argument bedeutete den Sieg des Terrorismus über die Grund- und Menschenrechte, über Humanität, über eine menschenrechtsorientierte Asylpolitik und es bedeutete eine Fortsetzung einer „Politik, die sich über Skrupel, die eigenen Gesetze und jede Form menschlichen Anstands hinwegsetzt“. Abschiebungen nach Afghanistan gehören ausgesetzt, dauerhaft und für alle aus Afghanistan Geflüchteten.

(Beifall DIE LINKE, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Danke schön. Als Nächste hat Abgeordnete Lehmann für die Fraktion der SPD das Wort.

Sehr geehrter Herr Präsident, sehr geehrte Damen und Herren Abgeordnete, die aktuelle Situation mit dem Anschlag in Kabul am 31.05. und auch die Aktuelle Stunde, die wir heute hier aufgerufen haben, zeigen, wie komplex das Thema „Flucht und Asyl“ ist und dass einfache Antworten zwar manchmal plausibel klingen, aber Probleme nicht lösen.

(Beifall DIE LINKE, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN)

Und wenn zum Beispiel in politischen und gesellschaftlichen Debatten gesagt wird, dass wir – in Anführungsstrichen – lediglich an der Situation in den Herkunftsländern etwas ändern müssen oder dass es mehr Entwicklungspolitik braucht, sieht man jetzt, welche dramatischen Auswirkungen das individuell hat, aber auch, dass wir die Probleme, die die Betroffenen akut haben, damit nicht lösen. Jetzt will ich nicht sagen, dass das kein wichtiger Beitrag ist, aber Asyl ist als Instrument des Schutzes in einer akuten Gefährdungslage nicht infrage zu stellen und dazu gehört auch, dass es keine Abschiebungen in Kriegsgebiete geben kann.

(Beifall DIE LINKE, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN)

Mir ist es wichtig, das hier noch einmal zu sagen, weil wir genau dieses Infragestellen in den vergangenen Monaten vonseiten der Oppositionsfraktionen, aber auch von der Bundesregierung und in ge

sellschaftlichen Debatten, immer wieder erlebt haben. Das hat auch dazu geführt, dass wir eine unterschiedliche Einschätzung der Sicherheitslage in Afghanistan haben. Die Bundesregierung hat gesagt, dass es einige Regionen in Afghanistan gibt, die durchaus sicher sind. Die aktuelle Situation zeigt, dass diese Einschätzung schlicht und ergreifend falsch ist.

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Wir haben in Thüringen immer eine andere Einschätzung vertreten. Das hat auch dazu geführt, dass in der Praxis der Ausländerbehörden Einzelfallprüfungen durchgeführt wurden, um dieser Einschätzung Rechnung zu tragen. Im Ergebnis hat es dazu geführt, dass es keine Abschiebung nach Afghanistan gab, weil die Ausländerbehörden in Thüringen gesagt haben, die Situation ist nicht sicher. Die aktuelle Situation zeigt aber, dass das allein nicht ausreicht, weil es andere Länder oder Ausländerbehörden in anderen Ländern gibt, die genau nicht zu dieser Einschätzung kommen. Das hat in der Konsequenz natürlich nach wie vor zu Abschiebungen nach Afghanistan aus Deutschland geführt. Das darf unserer Meinung nach in Zukunft so nicht sein. Wir wollen deswegen, dass sich die Landesregierung mit einer Bundesratsinitiative dafür einsetzt, dass es eine andere Einschätzung der Sicherheitslage gibt, die in der Konsequenz auch dazu führt, dass es keine Abschiebungen aus Deutschland mehr nach Afghanistan geben kann.

(Beifall DIE LINKE, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN)

Wir setzen uns deswegen dafür ein und unterstützen die Landesregierung bei dieser Bundesratsinitiative. Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall DIE LINKE, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Danke schön. Als Nächster hat Abgeordneter Herrgott für die CDU-Fraktion das Wort.

Sehr geehrter Herr Präsident, meine sehr geehrten Damen und Herren, die Lage in Afghanistan ist differenziert zu betrachten. Besonders vor dem Hintergrund der Ereignisse im letzten Monat ist es berechtigt, die Einschätzungen zur Sicherheitslage im gesamten Land und in einzelnen Regionen von Afghanistan zu überprüfen und gegebenenfalls neu zu bewerten.

(Beifall Abg. Gentele, fraktionslos)

Meine sehr geehrten Damen und Herren, diese Prüfung und Bewertung sollten wir aber den sicherheitspolitischen Experten überlassen, denn diese

(Abg. Berninger)

haben einen Einblick in die konkrete Lage vor Ort und den Zugriff auf nachrichtendienstliche Erkenntnisse und Informationen, die ein umfassendes Lagebild erst ermöglichen oder abrunden können. Daher verbietet sich hier vor der Veröffentlichung dieser Ergebnisse eine entsprechend vorschnelle und wenig fundierte Bewertung von Mitgliedern dieses Hauses zur Lage in Afghanistan.

(Beifall CDU)

Verehrte Kollegen, Ihre Verlautbarungen strotzen leider vor Halbwissen, Fehlinformationen und Wunschdenken. Sie sind daher nicht mehr als eine stark verklärte Sicht

(Beifall CDU)

vom entspannten und gemütlichen Thüringer Wohnzimmersofa aus.

(Zwischenruf Abg. Hennig-Wellsow, DIE LIN- KE: Haben Sie schon Urlaub gebucht?)

Ich kann Ihnen hier im linken Rund des Plenarsaals nur empfehlen, sich mit der Bewertung und mit Schlussfolgerungen zu Afghanistan doch zurückzuhalten, wenn Ihnen ganz offensichtlich wesentliche Informationen fehlen.

(Zwischenruf Abg. Berninger, DIE LINKE: Dann sollten Sie mal die Berichte des Aus- wärtigen Amts lesen!)

Frau Berninger, ich lese sehr viel und sehr gut, was ich allerdings von Ihnen lese, ist dann meistens sehr interessant. Die Welt ist nämlich komplizierter als schwarz und weiß und einfache Antworten – auch von Ihrer Seite – sind selten die richtigen.

(Beifall CDU)

Selbst ich würde im Moment keine Bewertung zu Afghanistan abgeben und ich war immerhin 13 Jahre Offizier bei der Bundeswehr. Aber auch ich kann eine fundierte Bewertung nicht abgeben, dafür fehlen mir aktuell die notwendigen Informationen.

Meine Damen und Herren, es drängt sich hier doch sehr der Eindruck auf, dass Sie sich mit diesem Halbwissen und ideologisch verklärtem Wunschdenken aus Ihrer ordnungspolitischen Verantwortung für dieses, unser Land – hören Sie genau zu, Frau Berninger – stehlen wollen.

(Beifall CDU)

Abschiebestopp – und schon ist das Problem gelöst.

(Beifall CDU)

(Zwischenruf Abg. Berninger, DIE LINKE: In- dem wir Flüchtlinge schützen!)

Nein, mit einem Abschiebestopp ist dieses Problem nicht gelöst. Ordnungspolitik heißt, klar Verantwor

tung für unseren Staat und seine Menschen zu übernehmen.

(Zwischenruf Abg. Berninger, DIE LINKE: Für Menschen, genau!)

Das bedeutet nicht nur, alle zwei Wochen eine Kita zu eröffnen, Bänder durchzuschneiden und leckeren Kuchen zu essen, sondern Verantwortung für unser Land heißt auch, nach abschließender Entscheidung Menschen ohne Bleiberecht in ihre Heimat zurückzuschicken –

(Zwischenruf Abg. Berninger, DIE LINKE: Menschen!)

(Beifall CDU)

ohne die Aussicht auf Leistungen des deutschen Sozialstaats und möglicherweise auch mit einer schlechteren Sicherheitslage als hier in Deutschland. Ich will noch einmal sehr deutlich sagen: Zwischen der Sicherheitslage in Deutschland und kriegsähnlichen Zuständen, wie Sie das hier beschreiben, gibt es sehr viele Zwischenschritte und Unterschiede. Daher gilt es, die Experten erst einmal ordentlich prüfen zu lassen. Und wenn dabei herauskommt, dass Afghanistan oder nur einzelne Regionen in Afghanistan als sicher eingestuft werden können, dann ist es unsere Pflicht, die derzeit ausgesetzten Abschiebungen unmittelbar und mit aller Konsequenz zügig wieder aufzunehmen, meine Damen und Herren.