Protocol of the Session on May 4, 2017

(Beifall DIE LINKE)

Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen, Armutsbekämpfung und Armutsprävention sind sehr wichtige Kernthemen einer sozialen und auch einer demokratischen Gesellschaft. Es geht um Menschenrechte bei gleicher Teilhabe an der Gesellschaft und da ist es egal, welche Hautfarbe und welches Alter ein Mensch hat. In einem reichen Land wie Deutschland sollte und müsste keine Frau, kein Mann, kein Kind in Armut leben, aber die Realitäten sehen leider anders aus. In einem Bericht der „Osterländer Volkszeitung“ vom 3. März dieses Jahres ist zu lesen: „Armut in Thüringen hat zugenommen – Fast jeder Fünfte im Freistaat davon betroffen.“ In dem Bericht wird auf Zahlen des Paritätischen Wohlfahrtsverbands aus dem Jahr 2015 verwiesen. Danach ist der Anteil der Menschen, die in Thüringen in Armut leben – und das haben wir schon öfter gehört –, von 17,8 Prozent im Jahr 2014 auf 18,9 Prozent im Jahr 2015 gestiegen. Damit liegt Thüringen, das wissen wir auch, im Bundesländervergleich auf Platz 12.

Die statistischen Zahlen verbergen aber – nicht immer –, wie die Lebenswirklichkeit, der konkrete Lebensalltag der rund 400.000 betroffenen Thüringerinnen und Thüringer hier in Thüringen aussieht. 50.000 Kinder sind es ungefähr, die davon betroffen sind. Wir haben bereits gehört, diese Betroffenheit spiegelt sich in Schulen bei Ausflügen, bei Hunger, auch wenn Kinder am Montagfrüh in Einrichtungen kommen, wider. Es ist also gut und richtig, dass wir dieses Thema heute im Landtag aufgerufen haben. Circa 17.000 Bedürftige gehen jede Woche in die 64 Ausgabestellen der 33 Tafeln in Thüringen, die für bedürftige Menschen tätig sind. Es sind circa 1.000 ehrenamtliche Helferinnen und Helfer, die sich an diesen Ausgabestellen engagieren, und ich denke, es ist heute auch von dieser Stelle aus richtig, ihnen dafür Danke zu sagen, dass sie diese ehrenamtliche Arbeit immer und immer wieder tun: Danke dafür.

(Beifall DIE LINKE, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Beinahe eine halbe Million Thüringerinnen und Thüringer leben in Armut und wir haben auch gehört, es ist schwer, von ganz allein aus dieser Spirale herauszukommen, werte Kolleginnen und Kollegen. Also gibt es in Thüringen erheblichen Handlungsund Verbesserungsbedarf, auch wenn die rot-rotgrüne Koalition mit vielen Maßnahmen daran arbeitet, diese gleiche Teilhabe für Menschen in Thüringen zu verwirklichen. Insofern ist es schon gut nachvollziehbar, dass es bei der Regierungserklärung um die erste Regierungserklärung zum Thema

„Armut“ hier im Thüringer Landtag geht. Das will ich einmal festhalten. Keine Landesregierung vorher hat sich dieser Thematik in einer Regierungserklärung gewidmet. Nochmals danke schön dafür!

(Beifall DIE LINKE, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Wir wissen, die Problematik Armut hat mit Einkommens- und Vermögensverteilung zu tun. Das hat auch der Armuts- und Reichtumsbericht der Bundesregierung immer und immer wieder belegt. Die kritische Einschätzung hierzu sagt, eine tiefe Spaltung der Gesellschaft ist auf dem Weg vorangekommen. Nach ersten Ergebnissen des Armutsund Reichtumsberichts gehören nach verschiedenen Untersuchungen den reichsten 10 Prozent der Bevölkerung zwischen 57 und 74 Prozent des Nettovermögens in Deutschland. Nach einem Berechnungsmodell der Europäischen Zentralbank ist davon auszugehen, dass das reichste eine Prozent der Bevölkerung 32 Prozent des gesamten Vermögens in Deutschland besitzt. Im Umkehrschluss heißt das, dass die restlichen 90 Prozent der Bevölkerung Deutschlands sich zwischen 43 und 24 Prozent des Gesamtvermögens teilen.

Diese und andere Fakten sind in dem Bericht belegt und zeugen von der bereits erwähnten tiefen Spaltung, sind gesellschaftspolitisch brisant und haben zahlreiche Folgewirkungen. So führt zum Beispiel die soziale Ungleichheit und Armut zu ungleichen Gesundheitschancen und unterschiedlichen Lebenserwartungen. Kurz gesagt: Arme Menschen sind häufiger krank und sterben eher. Im Bereich der Steuer-, Wirtschafts- und Sozialpolitik sind durch Umsetzung einer harten neoliberalen Strategie auf Bundesebene die notwendigen sozialen Ausgleichsfunktionen in den letzten Jahren vernachlässigt worden. Hier sind wir, Herr Thamm, genau bei der Problematik, warum das Thema „Armut“ schon ein Thema auch für diesen Landtag ist – mit Blick auf die bundesgesetzlichen Regelungen.

Dass die Folgewirkungen hier in Deutschland nicht noch schlimmere gesellschaftliche Auswirkungen haben – wie in anderen europäischen Ländern mit ähnlicher Reichtumsstruktur –, ist der Tatsache geschuldet, dass insgesamt in Deutschland noch ein gutes gesellschaftliches Klima besteht. Aber dieses Klima und auch diesen Reichtum, den wir hier in Deutschland haben, haben wir – europäisch gesehen – auf dem Rücken anderer Nationen miterwirtschaftet. Und das ist auch ein Thema, das man sich noch mal genauer anschauen muss.

Der Armuts- und Reichtumsbericht ist also eine wichtige Quelle der gesellschaftlichen und politischen Situationsanalyse. Zuverlässige Daten und Fakten sind uns vorgelegt worden und wir müssen gemeinsam Problemlösungen dafür finden.

Ich benannte es schon: Es ist also richtig, dass wir uns heute diesem Armuts- und Reichtumsbericht der Bundesregierung hier im Landtag mit widmen. Und es ist genauso richtig, dass wir die Regierungserklärung sowie den Antrag der Koalitionsfraktionen, der Ihnen vorliegt, sowie die Fakten und Zahlen, die wir aus dem Bericht der Bundesregierung herauslesen können, an die Ausschüsse überweisen und dort in einer Anhörung gemeinsam mit betroffenen Verbänden, mit Sozialexpertinnen und experten in der Sozialforschung an Fachhochschulen und mit den Gewerkschaften – ich will es gleich hier anmelden – gemeinsam in den bereits erwähnten drei Ausschüssen diskutieren. Dies sollte geschehen, indem wir diese Forderungskataloge in den Punkten 2 und 3 unseres Antrags mit zur Diskussion stellen. Meine Idealvorstellung wäre, dass wir aus der Diskussion mit einem ganz konkreten Aktionsplan „Armutsprävention und Armutsbekämpfung für Thüringen“ heraus hier in den Landtag gehen und ihn umsetzen. Frau Kollegin Pelke nannte es einen Pakt, ich habe es bei der Vorbereitung auf die heutige Rede „Armutsbekämpfungs- und Armutspräventionsaktionsplan“ genannt. Zum Schluss denke ich, egal wie es heißt, wir brauchen die Verbündeten in den Gewerkschaften, in den sozialen Organisationen, wir brauchen das gemeinsame Streben nach der Beseitigung der Armut.

Werte Kolleginnen und Kollegen, was sagt uns der Armuts- und Reichtumsbericht bei einer kritischen Betrachtung? Wie bereits durch Sozialministerin Werner angesprochen wurde, wurden ausführliche Berichte, Zitate, Passagen aus dem Bericht gestrichen, bei denen es um den Einfluss von Reichtum und reichen Leuten, von Lobbygruppen geht, die politische Entscheidungen mittragen. Dieser Kürzungsskandal wurde zu Recht von Sozialverbänden und lobbykritischen Organisationen, wie LobbyControl, heftigst kritisiert. Es ist nicht verwunderlich, dass das CDU-besetzte Bundeskanzleramt für diese Streichungen verantwortlich ist. Denn ist es nicht die CDU – das ist aus dem Spendenbericht ersichtlich –, die am stärksten von Lobbyisten, Großspenden oder Großkonzernen gesponsert wird? Darum ist auch dieser Punkt weiß Gott kritisch anzumahnen. In den USA gibt es zu dieser Problematik, was den politischen Einfluss des Reichtums anbelangt, seit Langem umfangreiche Studien und Forschungen. Ein Ergebnis von dort ist eindeutig zu analysieren. Die Kernaussage heißt: Die reichsten Leute herrschen. Reichtum ist nicht nur ein soziales Gerechtigkeitsproblem, sondern ein hochbrisantes Demokratieproblem. Reichtum ist auch eine Gefahr für gleichwertige demokratische Teilhabe. Mit dem Armutsrisiko steigt die Gefahr, politisch abgehängt zu werden.

Werte Kolleginnen und Kollegen, haben Sie diesen Satz, haben Sie solche Aussagen nicht in den zu

rückliegenden Wochen und Monaten immer und immer wieder in Ihren Wahlkreisen gehört, dass Reichtum die Welt regiert, dass Reiche die Gesetze machen? Genau das ist der Punkt, warum wir uns mit dieser Thematik auch im Lande befassen sollten, warum wir in Thüringen einen starken gemeinsamen Aktionsplan auf den Weg bringen, um diesen Vorurteilen einfach auch etwas entgegenzustrecken. Was die Einflussnahme anbelangt, Kolleginnen und Kollegen, will ich nochmal auf das Thema „Wahlabstinenz“ oder auf das Thema „Rechtspopulismus“ hinweisen. Würden und werden nicht gute Ergebnisse in Armutsprävention erzielt, wird genau das ein Ziel sein, derer, die sich abgehängt fühlen, die gehen nicht zur Wahl oder wenn sie zur Wahl gehen, wählen sie rechts außen. Das kann doch nicht unser Ziel sein.

(Beifall DIE LINKE, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN)

Wir müssen Strategien dagegen entwickeln. Es ist richtig, dass die Sozialverbände und Gewerkschaften, die kirchlichen Organisationen und Parteien am 28. März dieses Jahres eine bundesweite Diskussions- und Aktionskampagne „Reichtum umverteilen“ ins Leben gerufen haben und damit für eine soziale und demokratischere Gesellschaft kämpfen wollen. Diese Initiative wird durch meine Partei Die Linke von Herzen unterstützt. Ohne gerechte und ohne sozial ausgeglichene Steuerpolitik und Steuergesetzgebung lässt sich eine Armutsprävention hier im Lande und im Bund nicht klären.

(Beifall DIE LINKE)

Wir haben hier also ganz gewisse Vorstellungen. Nach der Kohl-Ära, nach der Ära Schröder gab es eine wesentliche Verschärfung in den Sozialgesetzen, aber auch eine Verschärfung, was die Steuergerechtigkeit anbelangt. Hier fordere ich meine Landesregierung auf, in den vor uns liegenden zweieinhalb Jahren immer wieder die Handlungsoptionen zu nutzen, die Sie im Bundesrat haben, um sich eindeutig gegen eine Besserstellung der Reichen in Bezug auf die Abgabe von Steuern zu wehren. Wir haben es bereits erlebt: Die Erbschaftsteuerregelungen sind verändert worden. Hier hat zum Glück die Thüringer Landesregierung dieser Veränderung nicht zugstimmt.

Ein Schritt, um an der Armutsprävention weiter zu arbeiten, ist natürlich existenzsichernde, faire Bezahlung. Wir haben bereits gehört, wir brauchen eine Entlohnungsgerechtigkeit zwischen Frauen und Männern. Wir brauchen eine stärkere Tarifbindung, aber wir brauchen auch – und das sage ich als Linke ganz bewusst – einen Mindestlohn von 12 Euro in der Stunde.

(Beifall DIE LINKE)

Nur so kann gleichwertige Teilhabe am gesellschaftlichen Leben perspektivisch erreicht werden.

Wir wissen auch: In den zurückliegenden Jahren haben vor allen Dingen prekäre Beschäftigungsverhältnisse, haben Leiharbeit, Teilzeitarbeit genau dazu geführt, dass Altersarmut auf den Weg gebracht worden ist. Hier brauchen wir ein Umsteuern und ein Umsteuern muss einhergehen mit einer veränderten Bundestagswahl, also mit einer Wahl zum Bundestag am 24. September und mit einer anderen Farbgebung in der Regierung.

(Beifall DIE LINKE)

(Zwischenruf Abg. Mohring, CDU: Wird nichts!)

Werte Kolleginnen und Kollegen, lassen Sie uns dafür streiten, dass es was wird, denn so wie bisher kann es an der Stelle nicht weitergehen. Die Zahlen sind genannt worden.

Kolleginnen und Kollegen, Frau Ministerin Werner hat darauf hingewiesen, dass es vor allem Frauen in Thüringen sind, die in den zurückliegenden Jahren immer mehr abgehangen worden sind, wenn es um Arbeit in sozialversicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnissen ging. Hier haben wir einen großen Teil Arbeit noch vor uns und ich könnte mir auch sehr gut vorstellen, dass mit einer guten Novelle des Thüringer Gleichstellungsgesetzes, so wie es der Ministerpräsident in seiner Pressemitteilung am 8. März gefordert hat, wir gute Weichen stellen, um Frauen in Thüringen auch besser mit Arbeit und mit gut bezahlter Arbeit zu unterstützen.

Werte Kolleginnen und Kollegen, auf das Thema „Rente“ ist von meinen Vorrednerinnen bereits eingegangen worden. Die Rente und die sich daraus ergebende Altersarmut ist ein Ergebnis einer verfehlten bundesrepublikanischen Gesetzgebung in den letzten 25 Jahren. Wir haben hier von dieser Stelle aus sehr oft darüber gesprochen und es reicht nicht, dass wir jetzt gehört haben, dass die jetzige Bundesregierung bis zum Jahr 2025 eine Angleichung der Renten Ost an West erreichen will. Diese Problematik muss viel schneller und eher geklärt werden. Zeitgleich muss geklärt werden, dass die immer noch offenen Ungerechtigkeitslücken endlich geschlossen werden. Wir als Linke-Fraktion haben hier in dem Hohen Hause, aber auch im Bundestag diesbezüglich sehr oft auf diese Problematik hingewiesen und wir werden es auch perspektivisch tun.

Armutsprävention hat auch was mit guter Arbeit zu tun – und da bin ich bei dem neuen Schlagwort: „Arbeit 4.0“. Ich weiß nicht, ob diese neuen Arbeitsmodelle dazu dienen werden, Armut wirklich zu verhindern. Ich bin da eher skeptisch. Ich will an der Stelle nur das Wort der Solo-Selbstständigen einwerfen. Auch Menschen mit Behinderung werden diesen neuen Sachstand so nicht tragen können. Hier braucht es endlich ein Mehr an Arbeitsplätzen für Menschen mit Behinderung. Heute ist zu lesen,

dass der stellvertretende DGB-Vorsitzende Sandro Witt noch einmal auf die schlechten Eingliederungsergebnisse bei Menschen mit Behinderung auf dem ersten Arbeitsmarkt hingewiesen hat. Hier braucht es eine Offensive an die Arbeitgeberinnen und Arbeitgeber.

(Beifall DIE LINKE)

Von den circa 4.525 Thüringer Unternehmen, bei denen mehr als 20 Beschäftigte tätig sind, haben 1.000 Unternehmen bisher ihre Beschäftigungspflicht nicht realisiert. Das ist ein Punkt, der auch in der Anhörung zu unserem Armutsantrag noch einmal mit diskutiert werden sollte.

Werte Kolleginnen und Kollegen, wir haben in unserem Antrag in Punkt 2 und 3 eine Vielzahl von Aufzählungen notiert, in denen wir die Thüringer Landesregierung bitten, sich aktiv in der Armutsprävention einzusetzen. Meine Vorrednerinnen und Vorredner haben dies schon zum Ausdruck gebracht und ich möchte es an dieser Stelle nicht noch einmal wiederholen. Wichtig ist mir, dass sich die Thüringer Landesregierung auch perspektivisch bei anstehenden Verschärfungen der Sozialgesetzgebung auf Bundesebene aktiv dagegen einsetzen wird. Denn nur so können wir ein gutes sozialpolitisches, rot-rot-grünes Zeichen aus Thüringen auch auf die Bundesebene senden. Heute sind in den letzten Stunden schon mehrfach die bereits angegangenen Bundesratsinitiativen erwähnt worden. Frau Ministerin: Der Kampf gegen Hartz IV, so wie wir ihn als Linke in den letzten zehn Jahren geleistet haben, sollte auch durch eine Thüringer Sozialministerin weiterhin mit Tatkraft erfolgen. Darum bitte ich Sie ausdrücklich.

(Beifall DIE LINKE)

Zum Thema „Bildung und Bildungssystem“ ist gesprochen worden und hier will ich noch einmal sagen: Ich sehe schon, dass die Thüringer Gemeinschaftsschule ein gutes Werkzeug und Ziel ist, um ungleiche Bedingungen in familiären Hintergründen mit aufzufangen. Darum sind wir auch hier auf einem guten Weg, was die Ausgestaltung dieser Schulart anbelangt.

Werte Kolleginnen und Kollegen, an der Stelle will ich zwei Appelle von hier aus richten: Einmal möchte ich darum bitten, dass es eine – ich nenne sie mal – Öffentlichkeitsoffensive geben wird, die vor allen Dingen über die Thüringer Sozialämter geführt werden sollte. Zum 1. April dieses Jahres haben sich die Freibeträge für Empfängerinnen und Empfänger von Grundsicherung erhöht von ehemals 2.500 Euro sind jetzt 5.000 Euro Schonbetrag angesetzt. Ich rufe alle diejenigen, die in den letzten Wochen aus Scham den Weg zum Sozialamt nicht gegangen sind, auf, ihn jetzt zu gehen. Das Schonvermögen ist erhöht worden. Nehmen Sie Ihr Recht wahr! Suchen Sie, solange es keine andere Mög

lichkeit gibt, die Variante der Grundsicherung, um zumindest ein bescheidenes Leben in Würde auf den Weg zu bringen.

Als Zweites will ich noch einmal sagen: Die unsägliche Gesetzesänderung, die im Januar dieses Jahres in Berlin auf den Weg gebracht worden ist, dass Hartz-IV-Bezieherinnen, die getrennt leben und Eltern sind, den Elternunterhalt oder vielmehr den Regelsatz für die Kinder für die Zeit, in der das Kind beim Vater oder bei der Mutter lebt, nicht anerkannt bekommen, muss sofort aufgebrochen werden. Es kann nicht sein, dass eine Mutter, die ein gemeinsames Sorgerecht mit dem Vater für das Kind hat, noch dafür bestraft wird und vielleicht in der Zeit nicht den vollen Regelsatz für das Kind bekommt. Es ist unsäglich, dass somit Mütter, die ihr Sorgerecht mit Liebe ausführen wollen, vielleicht noch mehr in Armut gestürzt werden. Wir nennen es Umgangsmehrbedarf, der bereitgestellt werden muss, das heißt also, in Berlin muss noch einmal eine konkrete Gesetzesänderung angeschoben werden.

Werte Kolleginnen und Kollegen, eigentlich – das ist hier von vielen Seiten gesagt worden – muss eine wirksame Armutsbekämpfung und Armutsprävention so gestaltet werden und möglich sein, dass niemand perspektivisch mehr auf die Leistungen nach SGB II und XII angewiesen wäre. Das ist keine Vision, sondern dies sollte gesellschaftspolitische Realität werden. Danke schön.

(Beifall DIE LINKE, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Als nächste Rednerin hat Abgeordnete Pfefferlein, Fraktion Bündnis 90/Die Grünen, das Wort.

Auf diesem Weg möchte ich sehr gern die Schülerinnen und Schüler einer 9. Klasse des GoetheGymnasiums in Weimar, die Gemeinschaftsschule Grabfeld und den Bund der Vertriebenen aus Schmölln auf der Besuchertribüne begrüßen. Seien Sie herzlich willkommen und verfolgen Sie mit Interesse unsere Debatte.

(Beifall im Hause)

Frau Abgeordnete Pfefferlein, Sie haben das Wort.

Vielen Dank. Frau Präsidentin, sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen, sehr geehrte Gäste, als Erstes möchte ich Frau Ministerin für Ihre umfangreiche Regierungserklärung danken.

Lieber Herr Thamm, ich muss auch sagen, ich werde auf den Bund eingehen, denn Sozialpolitik spielt sich nun mal zum größten Teil im Bund ab. Ich finde, ob das der Bund oder das Land oder die Kom

mune ist, wenn wir nicht offen und ehrlich die Dinge ansprechen, gerade zum Thema „Armut“, kommen wir hier auch nicht weiter. Ich finde es einfach nur fair und richtig, dass wir auch Dinge ansprechen, die nicht so angenehm sind, aber beim Thema „Armut“ müssen wir schon alle zusammenstehen, damit sich in Deutschland da auch etwas ändert und es auch in Bezug auf Kinderarmut besser wird,

(Beifall DIE LINKE, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

denn kein Thema ist so sehr mit Angst und gleichzeitig mit Hoffnung besetzt. Wenige Themen sind auf der einen Seite so nah an den direkten Lebensund Daseinsbedürfnissen der Menschen und zeitgleich mit einer so hohen Verantwortung ausgestattet wie das Thema „Armut“.

In der Regierungserklärung und in der Begründung des Antrags der Koalition können Sie die Fakten zum Thema „Armut“ lesen. Dennoch möchte ich noch einmal einige nennen, auch wenn schon viel gesagt worden ist, aber ich halte es einfach für wichtig, dass wir die Zahlen noch einmal hören. Laut Statistischem Bundesamt waren im Jahr 2015 18,9 Prozent der Thüringer armutsgefährdet. Das sind 1,1 Prozentpunkte mehr als im Jahr zuvor. Zuletzt wurde 2007 so eine hohe Quote erreicht. Als armutsgefährdet gelten Menschen, die weniger als 60 Prozent – das haben wir heute auch schon mehrfach gehört – des mittleren Einkommens zur Verfügung haben. Laut dem oben genannten Bericht sind vor allem junge Thüringerinnen und Thüringer zwischen 18 und 24 Jahren besonders gefährdet. Bei jungen Frauen betrug die Quote im vergangen Jahr fast 43 Prozent, bei jungen Männern waren es 36. Das höchste Risiko hatten Menschen ohne Arbeit, Alleinerziehende sowie Rentnerinnen und Rentner. In den vergangenen Jahren hat sich die Armutsquote in Thüringen damit auf einem hohen Niveau stabilisiert. Damit liegt Thüringen im bundesweiten Vergleich der Länder mit der Armutsquote an 11. Stelle und weist unter den jungen Bundesländern die geringste Armutsquote aus.