Protocol of the Session on March 22, 2017

Meine Damen und Herren, ich bitte Sie wirklich, dem Redner die notwendige Aufmerksamkeit zu schenken.

Dabei ist eines klar ersichtlich: Der demografische Wandel ist zwar unterschiedlich ausgeprägt, aber er trifft jede Region, denn demografischer Wandel bedeutet tatsächlich mehr als sinkende Geburtenzahlen und eine älter werdende Gesellschaft. Wir müssen darüber hinaus beobachten, dass Thüringen einen dauerhaft negativen Binnenwanderungs

(Abg. Kowalleck)

saldo aufweist. Es kehren noch immer mehr Menschen unserem Freistaat den Rücken zu als neu hinzukommen. Das gilt insbesondere für Bewegungen in unsere Nachbarländer Sachsen, Bayern und Hessen. Aber auch innerhalb unserer Landesgrenzen spielt die räumliche Bevölkerungsbewegung eine Rolle, zum Beispiel im Zuge der immer fortschreitenden sogenannten Landflucht aufgrund der infrastrukturellen Benachteiligung von Regionen. Nicht zuletzt vollzieht sich auch unabhängig von der natürlichen und räumlichen Bevölkerungsbewegung ein Wandel aufgrund vielfältiger Lebensentwürfe, was tendenziell zu mehr Singlehaushalten und weniger Mehrgenerationenhaushalten führt. Das bringt auch für die Kommunen entsprechende Anforderungen mit sich. Die Entwicklung ist nun mal nicht aufzuhalten, aber sie ist aktiv zu begleiten.

Wie im Demografiebericht dargelegt, muss eine solche Reaktion ressortübergreifend sein und darf auch vor Verwaltungs- und Gebietsstrukturen nicht haltmachen. Mit dem Leitbild „Zukunftsfähiges Thüringen“ wurde 2015 nicht nur ein erstrebenswertes Ziel, sondern eine dringende Notwendigkeit formuliert und letztes Jahr im Vorschaltgesetz verankert. Rot-Rot-Grün vollzieht damit den logischen Schritt, diese Entwicklung nicht nur wie in der Vergangenheit zu beobachten und zu kommentieren, sondern durch Anpassung der Verwaltungs- und Gebietsstrukturen auch aktiv zu begleiten, das heißt, auch die genannten Strukturen den Lebenswirklichkeiten der Menschen anzupassen. Und im Kern bedeutet das für die kommunalen Strukturen, dass, wie es im Landesentwicklungsprogramm 2025 definiert ist, die Zentralen Orte gestärkt werden müssen. Stärkung in diesem Zusammenhang heißt aber nicht nur einfache Eingemeindung, nein, die Zentralen Orte müssen als Impulsgeber und als Zugpferd ihrer Region verstanden und entwickelt werden. Denn es ist keine Neuigkeit, meine Damen und Herren, wir befinden uns im Wettstreit der Regionen und einzelne Städte spielen da nicht mehr die alleinige Rolle. Dessen sollten sich natürlich auch die Akteure in den Zentralen Orten und den Gemeinden gleichermaßen bewusst sein. Denn statt Kirchturmdenken ist ein Denken in zukunftsfähigen Funktionsräumen wesentlich zielführender. Ein Wettbewerb der Regionen stellt alle Beteiligten vor große Aufgaben. Um die zu stemmen, ist ein größerer Gestaltungsspielraum notwendig, was wiederum auch größere Kommunen voraussetzt. Wenn also von Gestaltungsspielraum die Rede ist, meint das nicht nur die Stärkung der Finanzkraft, sondern es geht deutlich darüber hinaus. Zur Finanzkraft des Landes Thüringen, es wurde auch schon angesprochen, ist zu sagen: immer weniger Mittel für immer weniger Menschen, aber in gleicher Fläche. Gleichwertige Lebensbedingungen vorzuhalten, heißt eben auch, gleichwertige Verwaltungsstrukturen vorzuhalten. Die Menschen in ganz Thüringen haben einen Anspruch und ein Recht auf funktions

fähige und vor allem rechtssichere Verwaltung. Das zu bewerkstelligen, bedeutet für die Verwaltung ein erhebliches Risiko, vor allem auf personeller Ebene, und das nicht erst im Jahr 2035, sondern heute schon. Aber bis zum Jahr 2035 wird es in Thüringen 25 Prozent weniger Personen im erwerbsfähigen Alter geben. 34 Prozent der Thüringerinnen und Thüringer werden über 65 Jahre sein. Unter diesen Bedingungen werden die kommunalen Verwaltungen auf dem Arbeitsmarkt mit allen anderen Arbeitgebern um Mitbewerber, Mitarbeiter konkurrieren müssen. Derzeit gibt es in Thüringen bei den kommunalen Verwaltungen etwa 15,5 Beschäftigte pro 1.000 Einwohner. Sie können sich selbst ausrechnen, wie groß der Bedarf an künftigem Personal auf lange Frist sein wird. Diese Konkurrenz entscheidet sich jedoch nicht alleine in der Höhe des Gehalts, sondern auch in der Attraktivität als Arbeitgeber auf kommunaler Ebene, aber eben auch der Attraktivität einer ganzen Region als Lebens- und als Arbeitsort, womit sich der Kreis an dieser Stelle wieder schließt.

Ich bin der Landesregierung abschließend sehr dankbar für die Begleitung dieses vielschichtigen Prozesses in Form des Demografieberichts und auch dankbar dafür, dass vor den kommunalen Strukturen bzw. deren Überarbeitung nicht zurückgeschreckt wird.

Herr Abgeordneter Hande, Ihre Redezeit ist um.

Ein letzter Satz: Auch wenn von einigen Menschen das Ende des ländlichen Raums hier gesehen wird, ist es doch vielmehr dessen zukunftsfähige Entwicklung. Vielen Dank.

(Beifall DIE LINKE, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Für die Fraktion der AfD hat Abgeordneter Höcke das Wort.

Danke, Frau Präsidentin. Sehr geehrte Kollegen Abgeordnete, sehr geehrte Besucher auf der Tribüne, was wir bis jetzt gehört haben, war im Großen und Ganzen nichts anderes als ein Kurieren an den Symptomen. Das wollen wir beenden. Gut, dass es die AfD im Thüringer Landtag gibt!

(Beifall AfD)

(Heiterkeit CDU)

Der demografische Wandel – ich habe das an dieser Stelle schon mehrfach betont, sehr verehrte

(Abg. Hande)

Kollegen Abgeordnete – ist in meinen Augen ein Euphemismus. Er ist ein Euphemismus, denn er soll das wahre Ausmaß der katastrophalen Folgen der Bevölkerungsentwicklung in Thüringen und in Deutschland schönreden und kaschieren, eine Entwicklung, der man vonseiten aller Altparteien – und den Schuh müssen Sie sich alle anziehen, alle Altparteien – jahrzehntelang tatenlos zugeschaut hat,

(Zwischenruf Abg. Adams, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Das ist wohl ein Witz jetzt?!)

obwohl man der Kinderlosigkeit politisch entsprechend hätte begegnen können. Das belegen die Erfolge pronataler Politik etwa in Russland oder in Frankreich.

(Beifall AfD)

(Unruhe BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Aber leider fehlte der politische Wille dazu und das bedauern wir sehr.

(Beifall AfD)

Sicherlich und unbestreitbar stellt der Bericht im ersten Teil sehr nüchtern die entscheidenden Fakten dar. Von der Alterung über die niedrige Geburtenrate und die ausgefallene Müttergeneration bis hin zu den Wanderungsbewegungen ist alles vorhanden. Doch die Schlüsse, die die Landesregierung daraus zieht, sind leider nur ein Kratzen an der Oberfläche. Ein Blick in das Inhaltsverzeichnis des zweiten Bandes zeigt, wie lebensfremd das ist, was die Landesregierung aus dem Demografiebericht folgert. Da finden wir in dieser Reihenfolge: politische Rahmenbedingungen in Europa, Bund und Thüringen, die öffentlichen Haushalte, dann Staat und Verwaltung, dann Landes-, regionale und kommunale Entwicklung, dann Bildung, Wissenschaft und Kultur, dann Arbeitsmarkt und Deckung des Fachkräftebedarfs. Erst dann, sehr geehrte Kollegen Abgeordnete, kommen wir nach nun immerhin 100 Seiten der Lektüre endlich zu dem Thema, das der Landesregierung zentral sein müsste, wenn sie denn nicht nur eine Politik des Kurierens an Symptomen praktizieren würde, sondern an die Wurzeln des Übels gehen würde: Wir kommen zu den Familien. Wir als AfD-Fraktion meinen, Familie, sehr geehrte Kollegen Abgeordnete, muss der Dreh- und Angelpunkt bei der Debatte über die Demografie sein.

(Beifall AfD)

Sie, werte Kollegen aus dem rot-rot-grünen Lager – Ihre Redebeiträge haben das wieder eindrucksvoll belegt –, denken aber bei einer Debatte um die Demografie eher an Strukturreform und Gebietsaufteilung. Das ist das, woran Sie denken, wenn Sie an die Zukunft Thüringens denken.

Wir von der AfD denken zuerst an die Familien, wenn wir an die Zukunft Thüringens denken.

(Beifall AfD)

(Heiterkeit DIE LINKE)

Denn wir wollen nicht, dass dem sogenannten demografischen Wandel einfach nur immer weiter hinterherreformiert wird. Machen wir dann in 25 Jahren die nächste Gebietsreform und in 45 Jahren dann die übernächste Gebietsreform? Nein, das muss nicht sein, wenn wir endlich eine Politik machen, die das Übel an der Wurzel packt.

(Beifall AfD)

Sehr geehrte Kollegen Abgeordnete, Familien leben in der Gegenwart, in einer Gegenwart, in der Eltern nicht zugetraut wird, gut für ihre Kinder zu sorgen, in einer Gegenwart, in der viel zu oft gefragt wird: „Und, ist es ein Wunschkind?“, in einer Gegenwart, in der zumeist rote und grüne Politiker ungestraft Millionen von Frauen verunglimpfen können, sie würden sich an den Herd ketten lassen und dort das Saufen anfangen, in einer Gegenwart, in der der Staat den Familien die Sau vom Hof klaut und ihnen ein Kotelett zurückschickt.

(Beifall AfD)

So kann es nicht weitergehen. Wenn wir die demografische Krise in Thüringen langfristig korrigieren wollen, wenn wir eine kluge Politik entgegensetzen wollen, dann muss die Familie endlich zur Chefsache erklärt werden. Dafür stehen wir ein.

(Beifall AfD)

Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat Abgeordneter Adams das Wort.

Sehr geehrte Frau Präsidentin, werte Kollegen hier im Thüringer Landtag! Vielen Dank an die SPDFraktion, dass sie diesen wichtigen Demografiebericht, der uns einen besonderen Blick auf unser Land ermöglicht, hier in die Aktuelle Stunde eingebracht hat.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, für mich, für uns als Grüne sagt dieser Demografiebericht natürlich vieles aus, aber zwei Aussagen sollte man sich noch einmal genauer anschauen, und zwar Aussage Nummer 1: Wir werden in 20 Jahren dramatisch weniger Fachkräfte und Menschen im berufsfähigen Alter haben. Das ist ein Problem. Und das Zweite: Wir haben einen weltweiten Trend, der natürlich auch in unserem kleinen Thüringen zum Ausschlag kommt, das ist das Ziehen aus ländlichen Regionen in die Ballungsräume, auch wenn der Ballungsraum in Thüringen relativ klein ist – Gera, Jena, Weimar, Erfurt seien hier genannt, aber auch Suhl und Nordhausen. Ich möchte des

(Abg. Höcke)

halb gern Herrn Kowalleck darauf hinweisen, dass ich nachher noch mal anhand von Zahlen dazu komme, dass Sie sich genau überlegen müssen, wenn Sie sagen: Während wir als CDU Verantwortung getragen haben, haben wir die Dörfer erhalten und die Dörfer sind gewachsen. – Wir werden gleich noch mal schauen, was uns die statistischen Zahlen zu dieser Behauptung sagen.

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Weiterhin hat Herr Kowalleck gesagt, es sei ein Beleg gegen die Gebietsreform oder ein Beleg für den ländlichen Raum, weil wir im Augenblick bei 8,2 Geburten je 1.000 Einwohner angekommen sind. Dabei vergisst Herr Kowalleck, ähnlich wie Herr Höcke, Folgendes – und ich werde nicht müde, Folgendes immer wieder auszuführen –: In den drei Bezirken der DDR gab es in den letzten zehn Jahren der DDR im Durchschnitt 13 Geburten je 1.000 Einwohner. Dann gab es ein dramatisches Absinken in den 90er-Jahren auf im Durchschnitt 6,4 – Maximalwert – oder sogar im Jahr 1994 auf den Minimalwert von nur fünf Geburten je 1.000 Einwohner. Jetzt geht es wieder hoch in Richtung acht Geburten je 1.000 Einwohner. Das bedeutet zwei Dinge – für Sie Herr Höcke! –, erstens: Ideologie und Familie haben meistens wenig miteinander zu tun, auch wenn Sie es gern anders darstellen wollen. Und zweitens, Herr Höcke: Sie sagen, dass die ordentlichen Parteien wie CDU, SPD, Grüne und Linke jahrzehntelang nichts getan hätten. Aber Sie sehen ja, dass wir von den dramatischen Werten Mitte der 90er-Jahre noch nicht genug, aber relativ schnell durch Familienförderung auch wieder einen Anstieg herbeiführen konnten.

(Zwischenruf Abg. Höcke, AfD: Das reicht nicht, Herr Adams, das reicht nicht!)

Das ist uns allen nicht genug, deshalb arbeiten wir ja alle daran, in der Familienförderung nach vorn zu kommen. Aber man darf nicht vergessen, dass das Quatsch ist, was Sie erzählen, dass wir im Augenblick eine familienfeindliche, eine kinderfeindliche Gesellschaft hätten, denn es gibt keine Zeit, in der mehr Wunschkinder geboren werden als jetzt. Auch das müssen Sie erkennen.

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Für Herrn Kowalleck ist es wichtig zu sehen, dass wir noch weit weg davon sind, mit den nur acht Geburten je 1.000 Einwohnern, wieder eine – wenn man es so sagen will – dauerhafte, nachhaltige Bevölkerungspyramide aufbauen zu können. Gut wäre es, wenn wir da auch noch weiterkommen; daran müssen wir auch arbeiten. Aber das ändert nichts daran, dass diejenigen, die Kinder gebären können, die dann im Jahr 2025, 2030 in den Beruf einsteigen, jetzt schon geboren bzw. nicht geboren sind. Daran können wir auch nichts mehr ändern. Dieser Situation muss man sich stellen.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, im Konkreten bedeutet das, dass wir in Thüringen 25 Prozent unserer Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer verlieren werden. Im Extremfall wird es sogar dazu führen, dass wir zum Beispiel im Landkreis Sonneberg 12.000 Menschen in den nächsten 20 Jahren aus dem Arbeitsleben verabschieden werden, im Saldo, also das heißt, 600 je Jahr gehen aus der Arbeit raus und werden nicht ersetzt durch neu in die Arbeit Hineingehende. Das bedeutet, wenn man es sich mal auf der Zunge zergehen lässt, dass an jedem Arbeitstag in den nächsten 20 Jahren im Landkreis Sonneberg drei Arbeitnehmer weniger auf die Arbeit kommen werden. Wer dann nicht erkennt, dass wir dringend handeln müssen, dass es um diese wenigen Arbeitnehmer zwischen Industrie, Handwerk, Pflege und Verwaltung, allgemeiner Verwaltung, Polizei und Lehrern einen enormen Wettbewerb geben wird, der verkennt die Welt, der versteht nicht, was demografischer Wandel ist, und dass durch verantwortliche Politik dem entgegenzuwirken ist. Vielen Dank.

(Beifall DIE LINKE, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Als nächster Abgeordneter hat Abgeordneter Gentele das Wort.

Danke, Frau Präsidentin. Sehr geehrte Damen und Herren Abgeordnete, liebe Live-Zuschauer, viel haben wir heute über den demografischen Wandel in Thüringen gehört. Ich möchte hier mal einen ganz anderen Denkanstoß für die nächsten Jahre geben, der unser Parlament betrifft. Wenn wir in Thüringen die nächsten Jahre immer mehr Bürgerinnen und Bürger verlieren, müssen wir uns alle hier in diesem Hohen Haus Gedanken machen, in welchem Verhältnis wir gewählten Volksvertreter, sprich wir Abgeordnete, unsere Bürgerinnen und Bürger vertreten werden. Deswegen gebe ich Ihnen den Denkanstoß, dass wir künftig dieses Parlament in ein sogenanntes Feierabendparlament umwandeln, um verhältnismäßig zu unserer Bevölkerung Politik machen zu können. In Deutschland haben wir ja aktuell drei Landesparlamente, die als sogenanntes Feierabendparlament agieren, darunter den Stadtstaat Berlin mit über 3,5 Millionen Einwohnern, und es funktioniert dort. Wenn wir die Zahlen von Ministerin Keller, die sie erst kürzlich veröffentlichte, zugrunde legen, leben in Thüringen weit weniger als 1,9 Millionen Bürger und Bürgerinnen. Vielleicht wäre diese Idee auch ein Zeichen an unsere Bevölkerung und würde die Glaubhaftigkeit der Politik im Allgemeinen stärken. Der Bund der Steuerzahler sprach sich schon 2010 in dem großen Niedersachsen dafür aus und begründete dies mit der gesun

(Abg. Adams)