Protocol of the Session on June 23, 2016

Neben den Verwaltungsgemeinschaften sind die Landkreise das funktionierende Rückgrat des ländlichen Raums. Diese sollen zu Monsterkreisen von der Größe des Saarlands, eines Bundeslands mit fast 1 Million Einwohnern, zwangsvergrößert werden, ohne Freiwilligkeitsphase, ohne Fusionsprämie und ohne Entschuldungsbeihilfen. Man könnte meinen, nachdem das finanzielle Aushungern bereits begonnen hat – der Thüringische Landkreistag verweist in seiner Stellungnahme zum Vorschaltgesetz darauf, dass die Landkreise in diesem Jahr 46 Millionen Euro weniger an Schlüsselzuweisungen bekommen werden als im letzten –, sind nun die Landkreise in ihrem Bestand selber dran.

Dabei gibt es, wie bei den Gemeinden und den kreisfreien Städten, keinerlei Argumente dafür, dass größere Landkreise effektiver seien. Der Thüringer Rechnungshof stellte kürzlich in seiner Finanzstatusprüfung der Thüringer Landkreise fest: Einen Zusammenhang zwischen Einwohnerzahl und Finanzstatus konnte im Rahmen dieser Prüfung nicht festgestellt werden. Nur bei wenigen Landkreisen ist die dauernde Leistungsfähigkeit gefährdet bzw. nicht mehr gegeben. Praktische Beispiele für diese Aussage finden sich im Bericht des Rechnungshofs. Es genügt aber bereits ein kurzer Blick in die Statistik, um zu erkennen, dass Größe eben nicht mit Effektivität zusammenhängt. Der Landkreis Sömmerda zum Beispiel, mit 70.537 Einwohnern zum 31.12.2014 einer der kleinsten Landkreise Thüringens, verfügte über eine überdurchschnittliche Steuereinnahmekraft und konnte nach den letzten verfügbaren Daten des Landesamts für Statistik den höchsten BIP-Zuwachs aller Kreise in Thüringen erzielen. Die Leistungsfähigkeit einer Verwaltung hängt eben nicht von der Einwohnerzahl oder der Fläche ab, entscheidend sind auf Kreis- wie auf Gemeindeebene die Infrastruktur und die wirtschaftliche Situation. Es ist also kein Wunder, dass die übergroße Mehrheit der Thüringer Landkreise sich ganz klar gegen diese Gebietsreform stellt. Wenn Sie deren Bedenken ignorieren, dann zeigen Sie nur wieder einmal, was Sie vom ländlichen Raum in Thüringen halten, nämlich nichts.

(Beifall CDU, AfD)

Nichts hält diese Landesregierung offensichtlich auch von wenigstens schätzungsweisen Angaben zu den Kosten und Einsparpotenzialen dieser Gebietsreform. Allein die Kosten für die Versetzung von Beamten in den einstweiligen Ruhestand bei Umbildung von Körperschaften sind in diesem Gesetzentwurf erst gar nicht erwähnt worden, worauf der Thüringer Beamtenbund explizit hingewiesen hat. Wenn Sie bei der Anhörung dabei gewesen wären, hätten Sie wirklich mal zuhören müssen, dass da ein großer Knackpunkt hier in Thüringen ist.

Überhaupt wurde der Personalübergang im Vorschaltgesetz gar nicht geregelt, was allein schon ein Grund wäre, das Vorschaltgesetz abzulehnen bzw. aus Sicht der Landesregierung nachzuarbeiten. Wer es nicht ordentlich macht, muss nacharbeiten. Dass der Innenminister dann auch noch die Chuzpe an, im Rahmen einer ganztägigen Anhörung zum Vorschaltgesetz die Fragen der Volksvertreter zu den Kosten der Gebietsreform einfach zu ignorieren und frei heraus zu erklären, er wäre nur zum Zuhören da, ist ein Ausdruck der Inkompetenz dieser Landesregierung.

(Beifall AfD)

Obwohl es auch ganz konsequent ist: Wenn es keine Einsparpotenziale gibt, dann ist es besser, nichts dazu zu sagen. So gut wie alle Evaluationen von Gebietsreformen, egal ob in Baden-Württemberg, Brandenburg oder Sachsen, kommen zu dem Ergebnis: Es wurde nichts eingespart und in manchen Fällen wurde sogar mehr ausgegeben. Das kann jedermann gern in den Stellungnahmen des Ifo-Instituts nachlesen. Nichts anderes besagen auch die Stellungnahmen der kommunalen Spitzenverbände aus Mecklenburg-Vorpommern und Sachsen. Aber um die Kosten brauchen Sie sich ja keine Sorgen zu machen. Diese sollen bitte schön von den Kommunen getragen und am besten von der nächsten Landesregierung und den Bürgern ausgebadet werden. Es ist das hart erarbeitete Geld der Steuerzahler, das hier grundlos verbraten wird. Eine halbe Milliarde Euro, das muss man sich einmal vorstellen, ging in Sachsen für die Gebietsreform drauf. Der Bürger zahlt die Zeche, und zwar auch im übertragenen Sinne. Er verliert vertraute Räume und Möglichkeiten der demokratischen Mitbestimmung und seine Identität wird in Großgebilden angegriffen. Die AfD-Fraktion als Stimme der Bürger im Parlament lässt Ihnen das nicht so einfach durchgehen. Wir haben mit dem endlich hier behandelten Antrag zu den Kosten und Einsparpotenzialen der Verwaltungs-, Funktional- und Gebietsreform bereits im April die Landesregierung dazu aufgefordert, dazu Stellung zu nehmen, und wir haben in dieser Woche eine Große Anfrage zur selben Thematik gestellt, bei deren Antwort wir

mehr erwarten als: Der Landesregierung liegen hierzu keine Angaben vor, Schätzungen wurden nicht vorgenommen, und überhaupt, gedulden Sie sich bis zum Sankt Nimmerleinstag, wenn die Legislaturperiode vorbei ist und wir aus der Verantwortung sind. Wir machen es Ihnen nicht einfach und dazu ist Opposition auch da.

(Beifall AfD)

Jeder muss es mit seinem Gewissen vereinbaren, einem Gesetz zuzustimmen, das unzureichend begründet und durchdacht ist, das keinerlei verlässliche Aussagen über die zu erwartenden Kosten und Einsparungen enthält, das massiv in die kommunale Selbstverwaltung eingreift und Thüringens ländlichen Raum zerstört. Wir leisten gegen dieses Zerstörungswerk entschiedenen Widerstand. Ich möchte zum Schluss noch mal hinzufügen: Wer bei der öffentlichen Anhörung dabei war und die eindringlichen Warnungen des Thüringer Beamtenbundes gehört hat und die Ausführungen von Herrn Dr. Dewes, da kann ich mich nur wundern, dass diese nicht Eingang in dieses Vorschaltgesetz gefunden haben. Denn ich denke, sie hätten dringend da hineingehört. Vielen Dank.

(Beifall AfD)

Danke schön, Herr Henke. Als Nächster hat Kollege Adams von der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen das Wort.

Sehr geehrter Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren, werte Kollegen hier im Thüringer Landtag, wir können über alles reden im Rahmen der Gebietsreform, wir können wirklich über alles reden, aber wir dürfen keinen weiteren Tag die Augen davor verschließen, welche Herausforderungen Thüringen hat. Das ist der Leitsatz, dem man sich in dieser Debatte stellen muss.

(Beifall DIE LINKE, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN)

Thüringen ist ein wunderschönes Land, niemand bestreitet das, mit gut ausgestatteten Kommunen. Dieses Land ist davon geprägt, dass unsere Bürgermeisterinnen und Bürgermeister, unsere Verwaltungsgemeinschaftsvorsitzenden, aber auch viele Landrätinnen und Landräte sagen: Uns geht es doch eigentlich gut, warum sollen wir jetzt etwas ändern? Diejenigen, die so argumentieren, verschließen allerdings die Augen davor, dass wir das Heute nicht mit dem Jahr 2035, auch nicht mit dem Jahr 2025 verwechseln dürfen.

(Zwischenruf Abg. Tasch, CDU: Das stimmt nicht, Herr Adams!)

(Abg. Henke)

Sie verschließen die Augen davor, dass der demografische Wandel in unserer Region in besonderer Weise zuschlagen wird.

(Zwischenruf Abg. Tasch, CDU: Das wissen wir doch!)

Der demografische Wandel ist in diesem Landtag gut diskutiert und gut dokumentiert durch den Bericht der Enquetekommission und der wurde weiter fortgeschrieben. Wir wissen alle, dass, während das Bundesamt für Statistik für die Bundesrepublik Deutschland einen ganz leichten, aber einen bundesweiten Anstieg bis 2035 sieht, zum Beispiel Thüringen, neben Sachsen-Anhalt, einen deutlichen Verlust an Bevölkerung haben wird, im Durchschnitt 10 Prozent. Manche Regionen sind so stark davon betroffen, besonders auch Ostthüringen, dass dort die Bevölkerung um 20 Prozent sinken wird. Wer davor die Augen verschließt, hat keinen klaren Blick auf Thüringen. Es ist eine wesentliche Aufgabe, diesem demografischen Wandel etwas entgegenzusetzen. Und diejenigen, Frau Tasch, die nicht handeln wollen,

(Zwischenruf Abg. Tasch, CDU: Sie ver- schließen die Augen!)

verkennen einen weiteren Punkt, insbesondere dann, wenn sie behaupten, wir müssten die Kommunen doch einfach nur finanziell gut ausstatten. Das ist übrigens die Fraktion, die uns an jeder Stelle schilt, wenn wir unseren Landeshaushalt etwas erhöhen müssen, weil wir im letzten Jahr große Aufgaben zu lösen hatten.

(Zwischenruf Abg. Mohring, CDU: 1 Milliar- de!)

(Unruhe CDU)

Herr Mohring, das ist so wunderbar, dass Sie auf Stichworte, die ich mir hier notiert habe, ansetzen. Es ist wunderbar, dass ich das hier noch mal ausführen kann. Herr Mohring hat eben wieder reingerufen, dass der Landeshaushalt für dieses Jahr um 1 Milliarde angehoben wurde. Das ist natürlich falsch und das wissen Sie auch, weil wir nämlich in zwei Schritten in einem Doppelhaushalt für dieses Jahr eine Anhebung gemacht haben und für das nächste Jahr eine Anhebung gemacht haben – höchst vorsorglich –, weil wir eine wichtige, große Aufgabe bei der Aufnahme von Geflüchteten haben. Wir sind der gute Kaufmann oder in diesem Fall ist es die gute Kauffrau, Frau Taubert, die so etwas vorher sieht und vorplant

(Unruhe CDU)

und den Landeshaushalt darauf vorbereitet und nicht so wie Sie, mit Vollgas vor die Wand rauscht und sich hinterher wundert, dass man Kredite aufnehmen muss.

(Beifall DIE LINKE, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN)

(Zwischenruf Abg. Wucherpfennig, CDU: Neuverschuldung!)

(Unruhe CDU)

Vor Ihnen sitzt hier eine Landesregierung, die mit Fug und Recht im zweiten Jahr ihrer Regierungstätigkeit sagen darf, dass sie die erste Landesregierung ist, die in dieser Zeit keine neuen Schulden aufgenommen hat.

(Beifall DIE LINKE, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN)

Und das steht auch weiterhin. Damit kann ich hier in meinem Manuskript fortfahren. Zur Faktenlage zur Finanzierung des Freistaats Thüringen gehört die Zahl 16 Milliarden. Das sind die Schulden, die Sie in all Ihren Legislaturen zusammengebracht haben. In jeder Ihrer Legislaturen, auch in der letzten, haben Sie Schulden aufgenommen und es sind Schulden und Belastungen für die Zukunft übriggeblieben. Sie kommen daher und sagen immer wieder: Gebt den Kommunen einfach nur genug Geld, damit könnt ihr jedes Problem lösen. Sie verkennen damit Wesentliches. Sie verkennen, dass wir, meine sehr verehrten Damen und Herren, als finanzschwaches Bundesland natürlich auf den Länderfinanzausgleich angewiesen sind. Dieser Länderfinanzausgleich beruht vor allen Dingen auf der Einwohnerzahl. Ich habe es gerade eben dargestellt. Im Vergleich zum Bundestrend werden wir besonders stark verlieren. Das heißt, allein aus diesem Grund werden wir weniger bekommen und wir werden zusätzlich, weil es einen neuen Solidarpakt geben wird und der Solidarpakt auslaufen wird, weniger Geld bekommen. In dieser Situation den Menschen im Land zu erzählen, dass wir alles mit unserem Geld lösen können, das ist weiterhin das Kreditaufnehmen der CDU. Wir werden das nicht tun, meine sehr verehrten Damen und Herren.

Achtung: Was von der Opposition allzu gern gemacht wird, wenn wir als verantwortliche Politiker der Koalition darstellen, dass demografischer Wandel und zunehmend geringere Finanzmittel und finanzpolitische Ressourcen dazu führen, dass wir jetzt agieren müssen, ist, dass sie dann daherkommt – und Herr Henke hat es eben auch wieder plastisch gemacht – und sagt: Aha, ihr wollt nur Geld sparen.

Eine Sache, glaube ich, muss man klarstellen: Die letzte Landesregierung, die bei den Kommunen Geld sparen wollte, das ist die CDU-geführte Landesregierung gewesen. Sie haben Politik nach Kassenlage gemacht. Sie haben bei der Kommunalisierung der Umweltämter, bei der Kommunalisierung der Hortnerinnen und Hortner nur eines im Blick gehabt, nicht die Zukunft der Kommunen, sondern

Geld sparen um jeden Preis. Das war falsch und das werden wir nicht wieder tun.

(Beifall DIE LINKE, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN)

Wir, meine sehr verehrten Damen und Herren, wollen unsere Kommunen stark machen. Das ist das Ziel. Ich kann und will an dieser Stelle immer wieder ein Beispiel, weil es so treffend ist, bemühen. Wenn Sie Fußball spielen möchten, brauchen Sie elf Leute. Es nutzt Ihnen nichts, Frau Tasch, dass in einer Gemeinde fünf, in der nächsten sechs und in der dritten noch acht Fußballspieler da sind. Sie brauchen elf für eine Mannschaft und Sie müssen die zusammenbringen.

(Zwischenruf Abg. Tasch, CDU: Ach ja, zwei Reserve!)

Dann geht es dabei nicht darum, einen Trainerplatz oder zwei Trainerplätze einzusparen. Es geht nicht darum, die Effektivitätspotenziale zu erschließen, die man beim Einkauf von 20 Trikots gegenüber fünf Trikots hat. Es geht darum, wieder mitspielen zu können. Es geht darum, wieder Spitzenreiter werden zu können. Dazu brauchen wir starke Kommunen und das werden wir auf den Weg bringen, meine sehr verehrten Damen und Herren.

(Zwischenruf Abg. Tasch: CDU: Das Eichs- feld – wir sind gut aufgestellt!)

Zusammentun, weil wir zusammen stärker sind.

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Auch in der ländlichen Region sind die Menschen stärker, wenn Sie zusammenhalten. Ich staune immer darüber, Frau Tasch, dass Sie genau diesen Punkt bestreiten. Zusammen geht es besser, miteinander sind wir stark auch in der Zukunft.

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Ich kann einige Punkte, die meine verehrten Kollegen von der Linken, aber auch Uwe Höhn hier angesprochen haben, überschlagen, um auch das Zeitbudget nicht über Gebühr zu belasten. Ich denke aber, ein Punkt ist in der Debatte noch nicht hinreichend angesprochen und beleuchtet worden. Wir wollen mit dieser Reform vor allen Dingen nicht nur größere Einheiten bilden, sondern wir wollen auch unsere Zentren stärken.

Meine sehr verehrten Damen und Herren. Eisbar, Kino, Theater, Volkshochschule, Einkaufspassagen, der Festplatz, all das sind neben Apotheken, Ärztehäusern, EC-Automaten, Baumarkt wichtige Funktionen, die unsere Zentren für das gesamte Land und für den gesamten ländlichen Bereich bereithalten. Sie dürfen bei der Bereitstellung dieser Funktion nicht abgewürgt werden, sondern sie müssen getragen werden von der gesamten ländlichen Gemeinde. Deshalb müssen sich alle zusammen

tun und deshalb müssen unsere Zentren auch wachsen können.

(Zwischenruf Abg. Tasch, CDU: Und die an- deren?)

Um es auf den Punkt zu bringen: Weimar und Jena müssen auch wachsen können, sonst haben sie keine Zukunft.

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)