men der Aktion „Mehr Demokratie in Thüringen“ genau dies von ihren Vertretern verlangten und dabei auf erbitterten Widerstand der seinerseits allein regierenden CDU trafen. Christian Carius, damals jüngster Abgeordneter dieses Hauses – ja, so haben sich die Zeiten geändert –, bemängelte in seiner Berichterstattung
zur aus Sicht der CDU leider notwendigen Verfassungsänderung, diese sei, so Zitat, „keine Sternstunde des Parlamentarismus“, denn am Ende war die Einigung aller damals im Landtag vertretenen Parteien für Sie, Herr Carius, mit zu großer Einmütigkeit gefallen. Ich kann mir denken, sehr geehrter Herr Präsident, dies sehen Sie heute vielleicht manchmal anders. Ihr Kollege Frank-Michael Pietzsch, der Vorvorvorgänger des Kollegen Mike Mohring im Amt des Fraktionsvorsitzenden der CDU, ergänzte die Bedenken gegen die Verfassungsänderung und belehrte die damalige Opposition – ich zitiere –: „Das Volk verwirklicht seinen Willen durch Wahlen, Volksbegehren und Volksentscheide. So steht es [in Artikel 45 der Verfassung]. Aber nicht von ungefähr stehen die Wahlen eben an erster Stelle bei der Aufzählung.“
Lieber Kollege Mohring, wenn ich diese Worte in alten Protokollen lese, dabei Ihren heutigen Sitzplatz zur Kenntnis nehme und das gestrige Plädoyer Ihres Kollegen Fiedler für mehr Zeit in Bezug auf den TOP 9 zum Vorschaltgesetz erinnere, dann fallen mir zwei Dinge ein. Erstens: Ja, es ist prioritär so, dass die Zusammensetzung und die demokratischen Mehrheitsentscheidungen, Entscheidungen dieses Hauses durch Wahlen zustande kommen. Deswegen sitzen Sie seit 2014 auf der Oppositionsbank und es wird Zeit, dies zu akzeptieren und den Wählerwillen zu respektieren.
(Zwischenruf Abg. Primas, CDU: Drei Frak- tionen mussten sich zusammenschließen, um eine Regierung zu stellen!)
Zweitens: Zu einer Opposition gehört, dass sie trotz allen Frusts – getroffene Hunde bellen! – über verlorene Wahlen inhaltlich gut arbeitet.
Denn zu einer guten Opposition gehört, dass sie trotz allen Frusts über verlorene Wahlen inhaltlich gut arbeitet und nicht nur blockiert oder auf kurzfristige Erfolge abzielt. Das hebt Sie ja auch von der AfD ab – jetzt lobe ich Sie indirekt –, die per Eigenverständnis nichts anderes kann. Gute Opposition bedeutet dann eben auch Arbeit und inhaltliche Auseinandersetzung, was nicht immer leicht ist. Das zu lernen und zu praktizieren braucht Zeit und die haben Sie jetzt.
Lieber Kollege Fiedler, ich verspreche Ihnen – schade, er ist nicht da –, wir werden nichts unternehmen, um Ihnen diese Zeit zu nehmen. Ganz im Gegenteil, wir werden Sie stets daran erinnern und ermuntern, gute Arbeit zu leisten und sich an dieser zu beteiligen. Dass es möglich ist, zeigt Ihr vorliegender Entwurf zu einer Erweiterung des Artikels 82 unserer Verfassung bzw. das Potenzial Ihres Gesetzentwurfs, denn was auf den ersten Blick als Oppositionswunder einer gewandelten CDU erscheint, die jetzt für mehr direkten Bürgerwillen eintritt, ist auf den zweiten Blick leider zu schnell und zu kurz und handwerklich schlecht gemacht.
Wie gesagt, Opposition ist anstrengend und braucht Zeit. Aber wir wollen Ihnen helfen, denn in Ihrem Antrag stecken Ziele, die die Linke bzw. die PDS schon seit den 90er-Jahren verfolgt und die wir auch als Regierungspartei nicht aufgegeben haben. Sie haben diesen Antrag geschrieben, um – ich zitiere – „die Notwendigkeit einer [...] nachträglichen Einbindung des Volkes [...] zum gegenwärtigen Zeitpunkt“ zu ermöglichen. Hier sehen Sie aktuell insbesondere bei der Frage der anstehenden Gebiets- und Kommunalreform Handlungsbedarf. Daher wollen Sie den Absatz 8 des Artikels nun so ändern, dass mit einem Quorum von mindestens 50.000 Bürgern Thüringens innerhalb von 100 Tagen nach Verabschiedung eines Gesetzes gefordert werden kann, dass dieses Gesetz den Bürgern zur Entscheidung vorgelegt wird. So weit, so gut – oder besser: So weit, so schlecht. Denn hier muss ich Sie noch mal an die Verfassungsänderung 2003 erinnern. Damals war Ihre Schmerzgrenze, dass solche Volksbegehren unzulässig sind, wenn sie Abgabenfragen behandeln oder wenn die gesetzlichen Regelungen, um die es beim jeweiligen Volksbegehren geht, bei ihrer späteren Umsetzung nicht unwesentliche Auswirkungen auf den Landeshaushalt haben. So ist es in Artikel 82 Abs. 2 verankert und diesen Finanzvorbehalt wollen Sie auch in Ihrem aktuellen Entwurf nicht anrühren. Da muss ich
Sie nun fragen: Haben Sie da was übersehen oder wollen Sie die Bevölkerung aktuell zu einem Volksbegehren gegen die Gebiets- und Kommunalreform aufrufen, welches die finanziellen Aspekte dieser geplanten Gesetze ausklammert? Wie Sie darauf kommen und was das für Ihre Haltung gegenüber dem souveränen und mündigen Bürger bedeutet, das müssen Sie der Bevölkerung bitte erklären. Wollen Sie wirklich eine direkte Demokratie oder nur ein wenig Demokratieshow aus aktuellem Anlass, um damit Ihre Unzufriedenheit als Oppositionspartei zu überdecken? Aber wahrscheinlich lag es auch hier an der fehlenden Zeit für Sie. Sie haben sich bis zu Ihrer Abwahl vor gut zwei Jahren vehement geweigert, die Arbeitsweise und die Instrumente einer wirklich ernsthaften und funktionierenden Demokratie auf Landesebene zu prüfen und zu ermöglichen. Denn dies bedeutet die Abschaffung des Abgaben- und Finanzvorbehalts. Das haben wir als Oppositionspartei 2003 gefordert und stießen damals auf strikte Ablehnung der regierenden CDU. Wir bleiben auch als Regierungspartei bei dieser Haltung und Forderung. Deswegen möchten wir Ihren Antrag als Angebot betrachten, nun endlich mit uns offen und ehrlich über die wichtigen und sinnvollen Instrumente direkter Demokratie auch in Thüringen zu reden und diese zu ermöglichen. Länder wie Bayern und Berlin sind hier längst weiter. In Bayern gibt es weder einen solchen Finanzvorbehalt noch einen Abgabenvorbehalt für Volksbegehren und Volksentscheide. Als einzige Bestimmung findet sich in Artikel 73 der Bayerischen Verfassung – Zitat –: „Über den Staatshaushalt findet kein Volksentscheid statt.“ In Berlin steht ganz ähnlich und sinngemäß gleich in der Verfassung, dass Volksbegehren zum Landeshaushaltsgesetz unzulässig sind, mit Betonung auf „Gesetz“. Das bedeutet laut Berliner Verfassungsgerichtshof, dass ausschließlich das im Vollzug befindliche Haushaltsgesetz von Volksbegehren ausgenommen ist. Nur dafür hat – so das Gericht – das Parlament sein Budgetrecht schon konkret ausgeübt. Volksbegehren, die die Gestaltung zukünftiger Landeshaushalte betreffen, können danach grundsätzlich stattfinden. Die Verpflichtungen aus dem Demokratieprinzip, die das Verhältnis des Parlaments als Haushaltsgesetzgeber und der Stimmbevölkerung als direktdemokratischer Gesetzgeber angehen, sind so verfassungsrechtlich grundlegend, dass sie für alle Bundesländer gleich sind. Das besagt auch das für alle Bundesländer geltende sogenannte Homogenitätsprinzip in Artikel 28 des Grundgesetzes. So könnte es dann auch in Thüringen sein. Auch hier ist es möglich, den Finanzvorbehalt in Artikel 82 wie in Berlin zu gestalten: Nur das im Vollzug befindliche Haushaltsgesetz ist vom Volksbegehren ausgenommen. Davon abgesehen können finanzwirksame Volksbegehren stattfinden. Dem steht auch nicht das Urteil des Thüringer Verfassungsgerichts vom 15. August
2001 zum Volksbegehren „Mehr Demokratie in Thüringen“ entgegen, welches ja nicht weitere Verfassungsreformen mit dem Ziel von mehr direkter Demokratie ausschließt.
Noch ein Wort zur benannten Quorumgröße von 50.000 Bürgern: Ihr Antrag greift ganz offensichtlich in seinen Eckpunkten auf die in der Schweiz angewendete Ausgestaltung des fakultativen Referendums zurück. So nachzulesen in Artikel 141 der Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft. Das gilt für die Frist von 100 Tagen ebenso wie für die Anzahl von 50.000 Stimmen. Nur ist dort das Quorum von 50.000 Stimmen bezogen auf die gesamte Stimmbevölkerung der Schweiz, im Jahr 2015 rund 5,26 Millionen Personen, damit prozentual betrachtet ein deutlich niedrigeres Quorum, circa 1 Prozent, als der CDU-Gesetzentwurf es für Thüringen vorschlägt, circa 2,5 Prozent. Auch hier könnte man also nachbessern. Die Frist von 100 Tagen sehen wir positiv. Sie sichert ab, dass Parlamentsgesetze nicht zu lange in der Schwebe und unter Vorbehalt bleiben. Liebe Kollegen von der CDU, wenn Sie Ihren Antrag in seiner Grundtendenz ernst nehmen, und das unterstelle ich Ihnen ganz grundsätzlich, dann nutzen Sie die jetzt sich bietende Möglichkeit der ausführlichen und mit genügend Zeit versehenen Beratung dieses Antrags in den zuständigen Ausschüssen, um aus Ihrem jetzigen handwerklichen Schnellschuss ein gutes Werk für direkte Demokratie zu machen.
Die Fraktion Die Linke befürwortet ausdrücklich die Einführung weiterer direktdemokratischer Instrumente im Allgemeinen und die Einführung des fakultativen Referendums im Konkreten – allerdings ohne Verhunzung durch einen Abgabenvorbehalt oder weitreichenden Finanzvorbehalt.
Hierfür möchten wir mit Ihnen gern diskutieren und Sie auch beraten im Sinne einer Best-practice-Opposition. Glauben Sie mir, wir haben langjährige Erfahrung damit und geben diese gern weiter. Der vorliegende Gesetzentwurf ist trotz seiner deutlichen, aber – wie eben ausgeführt – behebbaren Schwächen weiter diskussionswürdig. Daher beantragen wir die Überweisung an den Innenausschuss federführend und mitberatend an den Justizausschuss zur umfassenden weiteren Diskussion und Beratung, eine öffentliche Anhörung mit eingeschlossen.
Am Ende, sehr geehrter Herr Präsident, sehr geehrte Kollegen, gibt es dann in diesem Haus vielleicht eine wirkliche Sternstunde für mehr direkte Demokratie. Ich danke Ihnen.
Sehr geehrter Herr Präsident, sehr geehrte Damen und Herren Abgeordnete, liebe Besucher auf den Tribünen, der Gesetzentwurf der CDU „Gesetz zur Einführung von fakultativen Referenden“ ist in meinen Augen ein Gesetzentwurf, der dem Bürger mehr Demokratiebefugnisse einräumt, was ich natürlich sehr begrüße. Ich kann es vorweg sagen, den Entwurf der CDU würde ich unterstützen. Da es sich aber um eine Änderung der Verfassung handelt und man dazu eine Zweidrittelmehrheit braucht, wird dieser eigentlich gute Entwurf wohl leider nicht zum Tragen kommen. Der Entwurf ist ein gutes Instrument für den Bürger, um vom Landtag beschlossene Gesetze, die nicht ausgereift sind, nachträglich kippen zu können. Hierfür benötigt man statt aktuell 460.000 Unterschriften nur 50.000 Unterschriften innerhalb von 100 Tagen. Ich sage Ihnen, die Bürger würden sich besser mitgenommen fühlen und die Demokratie würde für jeden Einzelnen von uns besser wahrgenommen werden. Der Wille des Volkes wäre besser greifbar. Eine Frage habe ich dennoch an die CDU. Wir alle wissen, warum dieser Entwurf auf den Weg gebracht wurde: natürlich um die bevorstehende so nicht nötige Gebietsreform zu stoppen. Aber warum bringen Sie diesen guten Entwurf erst nach Ihrer aktiven Zeit in der Regierung in den Landtag ein? Ich werbe ausdrücklich für den Gesetzentwurf der CDU bei der Regierungskoalition, um diesen zu unterstützen, denn diese möchte in einem eigenen Gesetzentwurf, den wir auch im nächsten Plenum behandeln, die Demokratie auf kommunaler Ebene stärken. Hier ist nun die Möglichkeit dazu. Vielen Dank.
Danke schön, Herr Gentele. Weitere Wortmeldungen liegen mir momentan nicht vor. Herr Brandner für die AfD-Fraktion und dann Herr Mohring. Bitte, Herr Brandner, 40 Sekunden.
Ja, Zeit läuft. Meine Damen und Herren, es wurde die Frage aufgeworfen, warum die CDU diesen Gesetzentwurf erst jetzt einbringt. Ich kann Ihnen die Frage beantworten: Weil die Druckversion des AfDGrundsatzprogramms erst seit einiger Zeit vorliegt. Ich lese Ihnen einmal wörtlich vor, Punkt 1.1: „Die AfD setzt sich dafür ein, Volksentscheide in Anlehnung an das Schweizer Vorbild auch in Deutsch
land einzuführen.“ Satz 2: „Wir wollen dem Volk das Recht geben, über vom Parlament beschlossene Gesetze abzustimmen.“ Das ist genau ein zentraler Punkt unseres AfD-Grundsatzprogramms, den Sie hier umsetzen. Dafür zunächst mal vielen Dank. Warum machen Sie das? Weil Sie angesichts dramatischer Umfragezahlen für Sie jetzt merken, dass „von der AfD lernen“ „siegen lernen“ heißt und uns hinterherhecheln.
Das ist eigentlich arm, aber aus unserer Sicht sehr schön, dass Sie unsere Programme umsetzen. Herr Mohring, Sie werden als Mogel-Mohring in die Geschichte eingehen, das kann ich Ihnen sagen.
(Zwischenruf Abg. Rothe-Beinlich, BÜND- NIS 90/DIE GRÜNEN: Du hast es nicht nötig, dich auf dieses Niveau herabzulassen!)
Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren, zunächst danke an Herrn Gentele für den Beitrag, aber auch danke an Frau Müller, weil Sie sehr sachlich – wenn auch inhaltlich in unterschiedlichen, differenzierten Positionen – zu unserem Antrag Stellung genommen haben. Ich will aber ausdrücklich sagen: Mit Verlaub, lieber Dirk Adams, ich bin schon verwundert, dass Sie als Vorsitzender der Bürgerrechtspartei Bündnis 90/Die Grünen mit so einer Rede reagieren auf einen Vorschlag, der als konstruktives Angebot gemeint ist, wo Sie sich völlig in Ihrer Rede verzetteln und sehr aggressiv reagieren.
Ich will Ihnen am Beispiel Ihrer eigenen kommunalen Verankerung gern noch mal sagen, Herr Adams, Sie können ja viel kritisieren an dem, was die CDU vielleicht in der Vergangenheit gemacht hätte. Wenn Sie sich ein bisschen auf die Zukunft konzentrieren würden, wären Sie auch besser aufgehoben. Aber mit Beispiel darauf, wie Sie selbst kommunal verankert sind, will ich Ihnen sagen, wir sind deshalb immer für eine gute Auseinandersetzung um die repräsentative Demokratie und Ergänzung durch direktdemokratische Elemente, weil wir auch in den Parlamenten, im Gemeinderat, im Kreistag, im Stadtrat – überall – auch Verantwortung tragende Mandatsträger haben.
Von 5.040 Gemeinderatsmitgliedern in Thüringen gehören 30 Bündnis 90/Die Grünen an. Es ist mir klar, warum Sie dauernd auf die Straße setzen: weil Sie in den Parlamenten nicht gewählt werden. Das muss man mal festhalten.
Ich will gern noch mal daran erinnern: Bei der letzten kleinen Kommunalwahl waren die AfD und die Grünen die Einzigen von den politischen Parteien in diesem Land, die keine Kandidaten aufgestellt haben. Wer keine Kandidaten aufstellt, kann auch nicht verwurzelt sein. Wer keine Kandidaten aufstellt, kann auch nicht gewählt sein, den interessieren die Interessen des ländlichen Raums dann auch gar nicht.
Ich will Ihnen schon noch mal sagen mit Blick auf diese Debatte zur Gebietsreform: Natürlich war es Schweinsgalopp. Damit es für die Protokolle festgehalten ist, wie dieser Schweinsgalopp aussah – Innenausschuss: nach dem 21.04. und 12.05. alles noch okay, dann Innenausschuss am 09.06., am 16.06., am 21.06., am 23.06. und gestern Abend mal ganz schnell HuFA am 22.06. und Justizausschuss am 22.06. In sechs Tagen fünf Ausschusssitzungen – wenn das kein Schweinsgalopp ist; das sucht seinesgleichen in der politischen Debatte.