Protocol of the Session on June 22, 2016

chen. Hier wird eindeutig eine Gesetzeslücke sichtbar.

Nach anderthalb Jahren gesetzlichem Mindestlohn fällt unsere Bilanz dennoch positiv aus, weil er in die richtige Richtung geht. Der Mindestlohn ist bei den Niedriglohnbeschäftigten angekommen. Vor allem Frauen, Geringqualifizierte und geringfügig Beschäftigte profitieren davon. Kurz vor der Einführung des Mindestlohns in Deutschland gab es 5,5 Millionen Jobs, die geringer bezahlt wurden als der Mindestlohn von 8,50 Euro.

Doch wie sieht es in Thüringen aus? Die Zahl wurde auch schon genannt. Laut dem Thüringer Landesamt für Statistik profitieren die Thüringer deutschlandweit am meisten vom Mindestlohn. Es sind 190.000 Jobs, die in Thüringen unter den Schutz des Mindestlohngesetzes gestellt sind. Innerhalb des Landes gibt es klare Unterschiede. Zum Beispiel profitiert die Region um Mühlhausen am meisten vom Mindestlohn und die Region um Jena am wenigsten. Vonseiten der Landesregierung wurden umfassende Anstrengungen und Begleitmaßnahmen vorgenommen, um einerseits die Umsetzung des Mindestlohngesetzes für die Arbeitnehmer und Arbeitgeber realisierbar zu gestalten und andererseits einen sozialen Arbeitsmarkt weiterzuentwickeln, welcher auch zum Ziel hat, mögliche Altersarmut zu vermeiden. So gab es auf Initiative des Sozialministeriums einen Mindestlohngipfel, um die Akteure in diesem Feld direkt anzuhören. Das Wirtschaftsministerium schaltete genau wie die Bundesebene und der DGB eine Telefonhotline für Menschen, die Fragen zum Mindestlohngesetz, dessen Auslegung und Wirkung haben.

Sehr geehrte Damen und Herren, es gibt trotzdem aus grüner Sicht beim Mindestlohn noch Luft nach oben. Die stigmatisierende Ausnahme von Langzeitarbeitslosen vom Mindestlohn ist und bleibt ungerecht und muss so schnell wie möglich abgeschafft werden.

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Gleichzeitig muss die Bundesregierung den Forderungen nach Ausweitung der Regelungen auf Flüchtlinge eine deutliche Absage erteilen.

(Beifall DIE LINKE)

Das Bundesgesetz sieht im Jahr 2020 eine Evaluation vor. Außerdem soll die Mindestlohnkommission regelmäßig die Auswirkungen des Mindestlohns auf den Schutz der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, die Wettbewerbsbedingungen und die Beschäftigung in Bezug auf bestimmte Branchen und Regionen sowie die Produktivität evaluieren. Sie hat die Aufgabe, alle zwei Jahre über die Anpassung der Höhe des Mindestlohns zu beschließen, wobei erstmals ein Beschluss zum 30. Juni 2016 mit Wirkung zum 1. Januar 2017 gefällt werden soll. Das Bundesarbeitsministerium geht von einem

(Abg. Möller)

Stundenlohn von 11,70 Euro aus, damit beim Renteneintritt wenigstens eine Rente auf dem Niveau der Mindestsicherung von 770 Euro herauskommt.

Wir als Bündnis 90/Die Grünen werden uns als Erstes weiterhin auf Bundesebene dafür einsetzen, die missbräuchliche Nutzung von Werkverträgen und Dienstverträgen zur illegalen Arbeitnehmerüberlassung und zur Scheinselbstständigkeit durch gesetzliche Regelungen wirksamer zu verhindern, und als Zweites, die Überwachung der Bestimmungen des Mindestlohngesetzes sowie die Ahndung von Verstößen durch eine enge Zusammenarbeit der Arbeitsschutzverwaltung mit der Finanzkontrolle Schwarzarbeit zu unterstützen. Vielen Dank.

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Vielen Dank, Frau Pfefferlein. Als Nächster hat Abgeordneter Gentele das Wort.

Sehr geehrter Herr Präsident, sehr geehrte Damen und Herren Abgeordnete, liebe Besucher! Seit Januar 2015 gilt ein flächendeckender allgemeiner gesetzlicher Mindestlohn für Arbeitnehmer und für die meisten Praktikanten in Höhe von 8,50 Euro brutto je Zeitstunde. In der Zeit der Einführung wird es bis 2017 noch Ausnahmen geben. Es gibt leider viel zu viele Ausnahmen und Schlupflöcher für die Arbeitgeber, um den gesetzlichen Mindestlohn zu umgehen. Die Aufweichung, die das Bundesarbeitsgericht in Erfurt zugelassen hat, um Weihnachtsgeld und Urlaubsgeld mit einzurechnen, halte ich für einen katastrophalen Fehler. Hier ist Handlungsbedarf, das Gesetz muss geändert werden.

Ich befürworte die Einführung des Mindestlohns, aber 8,50 Euro je Arbeitsstunde sind zu wenig. Es kann nicht sein, dass diese Dumpinglöhne teilweise noch vom Staat durch zusätzliche Aufwendungen im Sozialsektor gedeckelt werden müssen. Nein, wer arbeitet, egal was er für eine Tätigkeit ausführt, muss dafür anständig entlohnt werden, um gut leben zu können.

(Beifall DIE LINKE, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Eine Branche, die gerade mal den Mindestlohn zahlt, ist die Leiharbeitsbranche. Leiharbeit gehört abgeschafft!

(Beifall SPD)

Leiharbeit steht für schlechte Arbeitsbedingungen, schlechte Bezahlung und im Alter für eine Rente auf Hartz-IV-Niveau. Leiharbeit ist eine moderne Ausbeutung des Menschen. Setzen Sie sich im Bundesrat ein, dass der Mindestlohn steigt und die

Leiharbeit abgeschafft wird! Hier nutzt auch das neue Gesetz nicht, was die Bundesregierung erst auf den Weg gebracht hat. Ich spreche mich auch klar gegen eine Aufweichung des Mindestlohns bei anerkannten Flüchtlingen aus. Warum sollten unsere Neubürger weniger Lohn bekommen, um diesen dann mit Hartz IV aufzustocken? Einige Nutznießer wären in diesem Fall die freien Wirtschaftler. Dagegen müssen wir etwas tun: ein fairer Mindestlohn für alle Bürger! Danke für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall DIE LINKE, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

(Zwischenruf Abg. Möller, AfD: Auch für Bun- destagsabgeordnete!)

Danke schön. Für die Kollegen liegen mir keine weiteren Wortmeldungen vor, sodass Frau Ministerin Werner für die Landesregierung das Wort erhält. Bitte schön.

Sehr geehrter Herr Präsident, sehr geehrte Damen und Herren Abgeordnete, Sie wissen alle: Gute Arbeit, auskömmliche Löhne und soziale Sicherheit sind Kernanliegen der Arbeitsmarkt-, Sozial- und Wirtschaftspolitik dieser Landesregierung. Gute Arbeitsbedingungen sind Voraussetzung für die Ausschöpfung der großen Potenziale Thüringens und für eine weiterhin positive Entwicklung. Jedem ist klar: Die viel zitierte Herausforderung der Fachkräftesicherung wird nur gelingen, wenn Unternehmen in der Lage und willens sind, gute Löhne zu zahlen, und wenn den Menschen berufliche Perspektiven geboten werden.

(Beifall DIE LINKE, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN; Abg. Gentele, fraktionslos)

Zu diesen guten Arbeitsbedingungen gehört auch ein gesetzlicher Mindestlohn, von dem man tatsächlich leben kann und der später eine gesetzliche Rente sicherstellt, die über der Sozialhilfe liegt. Mit 8,50 Euro ist das nicht der Fall. Besonders in Ballungsgebieten reichen 8,50 Euro auch nicht, um die Lebenshaltungskosten zu decken. Das hat die Bundesregierung kürzlich selbst bestätigt. Und auch wer sein Leben lang nur einen Stundenlohn von 8,50 Euro bekommt, liegt bei der Rente nicht über der Sozialhilfe. Und dennoch war die Einführung des gesetzlichen Mindestlohns in der Höhe von 8,50 Euro ein erster richtiger Schritt, weil mit ihm den schlimmsten Auswüchsen des Lohndumpings ein Riegel vorgeschoben wurde. Und das gilt insbesondere für Thüringen. Jahrzehntelang wurden – damals leider auch mit rhetorischer Unterstützung der CDU – die Löhne in Thüringen niedrig gehalten. Löhne von 3, 4 oder 5 Euro pro Stunde, so wollte

(Abg. Pfefferlein)

man glauben machen, würden zu mehr Beschäftigung führen. Das war natürlich volkswirtschaftlich unsinnig.

(Beifall DIE LINKE, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Das hat sich auch in der Praxis an den hohen Arbeitslosenzahlen gezeigt, mit all den Konsequenzen, die sich daraus ergeben haben, nämlich Altersarmut und Fachkräfteflucht. Dass wir heute eine andere Situation am Arbeitsmarkt haben, ist vor allem der demografischen Entwicklung geschuldet. Die geburtenstarken Jahrgänge gehen in Rente und die geburtenschwachen Jahrgänge der Nachwendezeit kommen auf den Arbeitsmarkt. Das heißt: Wir stehen heute gut da, nicht weil die Thüringer Landesregierung in den vergangenen Jahrzehnten auf Niedriglöhne gesetzt hat, sondern trotz dessen.

Im Übrigen haben die CDU-geführten Landesregierungen mit ihrer Propaganda für Niedriglöhne auch gegen die Thüringer Verfassung verstoßen – und ich möchte Artikel 36 zitieren, da heißt es: „Es ist ständige Aufgabe des Freistaats, jedem die Möglichkeit zu schaffen, seinen Lebensunterhalt durch frei gewählte und dauerhafte Arbeit zu verdienen.“

(Beifall DIE LINKE)

Mit anderen Worten: Niemand darf zurückgelassen werden; es darf keine Arbeitszwänge geben; der Lohn muss zum Leben reichen.

(Beifall DIE LINKE)

Sehr geehrte Damen und Herren, im Ergebnis der Einführung des Mindestlohns können wir feststellen, dass der Thüringer Arbeitsmarkt seine positive Entwicklung fortgesetzt hat. Rund 200.000 Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, Herr Möller, profitieren von der Einführung des Mindestlohns. Das scheint aber der AfD egal zu sein.

(Zwischenruf Abg. Möller, AfD: „Nicht genug“ habe ich gesagt!)

Die jahresdurchschnittlichen Arbeitslosenzahlen sanken von circa 90.000 im Jahr 2014 auf circa 85.000 im Jahr 2015. Für 2016 zeichnet sich ein weiterer Rückgang ab.

Sehr geehrte Damen und Herren, das Bundesarbeitsgericht hat aktuell in einem Grundsatzurteil entschieden, dass Sonderzahlungen wie Urlaubsund Weihnachtsgeld auf den gesetzlichen Mindestlohn angerechnet werden dürfen, wenn der Arbeitgeber diese statt jährlich in monatlich gleichbleibenden Raten auszahlt. Wenn das Urteil eines zeigt, dann das, dass die Bundesregierung beim Mindestlohngesetz nicht sorgfältig genug gearbeitet hat. Eine Sonderzahlung wie Urlaubs- und Weihnachtsgeld soll den Beschäftigten entsprechende Mehrausgaben ermöglichen, damit diese beispielsweise

in den Urlaub fahren oder ihren Kindern zu Weihnachten Geschenke kaufen können. Diese Sonderzahlungen sollen also gerade nicht die Lebenshaltungskosten im Alltag decken; dafür ist der Lohn da. Und der muss ohne die Sonderzahlungen so hoch ausfallen, dass die Menschen davon leben können. Das ist der Sinn und Zweck des Mindestlohngesetzes.

(Beifall DIE LINKE, SPD)

Nach meiner Auffassung lässt der Spruch des Bundesarbeitsgerichts deshalb nur einen Schluss zu: Die Bundesregierung muss das Gesetz unverzüglich so bearbeiten, dass Sonderzahlungen wie Weihnachts- und Urlaubsgeld nicht mehr auf den Stundenlohn angerechnet werden dürfen. Um diesem Anliegen gegenüber der Bundesregierung Nachdruck zu verleihen, habe ich im Kabinett angeregt, im Bundesrat gemeinsam mit anderen Ländern einen entsprechenden Gesetzentwurf einzubringen. Dabei werden wir natürlich auch die schriftliche Urteilsbegründung des Bundesarbeitsgerichts eingehend würdigen.

(Beifall DIE LINKE, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Meine Kolleginnen und Kollegen im Kabinett teilen mein Anliegen. Der Chef der Staatskanzlei hat auf meine Bitte hin Kontakt zu den Bundesländern aufgenommen, um einen möglichen Gesetzentwurf abzustimmen. Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall DIE LINKE, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN; Abg. Gentele, fraktionslos)

Vielen Dank, Frau Ministerin Werner. Weitere Wortmeldungen liegen mir nicht vor, sodass ich den zweiten Teil schließe und nunmehr den dritten Teil der Aktuellen Stunde aufrufe

c) Aktuelle Stunde auf Antrag der Fraktion der AfD zum Thema: „Kürzung der Redezeit und monatelange Nichtbehandlung von Tagesordnungspunkten der Opposition – Gefahren für den Parlamentarismus in Thüringen“ Unterrichtung durch den Präsidenten des Landtags - Drucksache 6/2308

Das Wort hat Abgeordneter Höcke für die AfD-Fraktion.

(Ministerin Werner)

Sehr geehrter Herr Präsident, sehr verehrte Kollegen Abgeordnete, sehr verehrte Besucher auf der Tribüne! „Nicht an ihren Worten, an ihren Taten sollt ihr sie messen.“ – und das wollen wir hier und heute tun. Sehr verehrte Kollegen Abgeordnete von den Altfraktionen, Ihr Verhalten, also Ihre Taten, gegenüber der AfD-Fraktion lässt keinen anderen Schluss zu: Sie sind augenscheinlich nicht willens oder nicht in der Lage oder aber beides, die Ergebnisse einer demokratischen Wahl zu akzeptieren.

(Beifall AfD)

Anders ist es nicht zu erklären, dass Sie sich zu einer fortwährenden Manipulation der Geschäftsordnung, und zwar wieder einmal zulasten meiner Fraktion, entschieden haben. Die Kürzung der Redezeit für die Mehrheit der Tagesordnungspunkte – nicht für alle – ist nur das jüngste Beispiel einer ganzen Reihe solcher korrupten Maßnahmen