Gegen die Verwaltungsgemeinschaften spricht, dass aufgrund der fehlenden Finanz- und Gestaltungskraft ihrer Mitgliedsgemeinden im eigenen Wirkungskreis die Möglichkeiten für einen Ausgleich durch die Verwaltungsgemeinschaften be
schränkt sind, da sie diese Funktion gerade nicht wahrnehmen dürfen. Und im Vergleich zu einer Gemeinde mit derselben Einwohnerzahl, ist in einer Verwaltungsgemeinschaft aufgrund der unterschiedlichen Vorgaben der Mitgliedsgemeinde der Abstimmungs- und Koordinierungsbedarf und somit der Verwaltungsaufwand deutlich höher.
Gleiches trifft für den administrativen Aufwand, für die zentralen Dienste, den Sitzungsdienst – ich muss immer nur schauen, Frau Tasch, dass Sie noch gut zuhören! –,
die Kämmerei, die Kasse usw. zu. So muss eine Verwaltungsgemeinschaft oft gleichartige Verwaltungsgänge für eine Vielzahl von Mitgliedsgemeinden umsetzen.
Auch der finanzielle Gestaltungsspielraum für dasselbe Gebiet und dieselbe Einwohnerzahl ist in einer Verwaltungsgemeinschaft im Vergleich zu einer gleich großen Gemeinde geringer, da jede Mitgliedsgemeinde über ihren eigenen Haushalt verfügt und ihre eigenen Entscheidungen trifft, die möglicherweise anders ausfallen würden, fände eine einheitliche Planung und Gestaltung über das gesamte Gebiet statt und gäbe es einen Gesamthaushalt.
Oft sehen sich die Gemeinden in Konkurrenz zueinander, sei es im Wettbewerb um Gewerbeansiedlung oder auch bei der Errichtung und dem Betrieb von öffentlichen Freizeiteinrichtungen, sofern diese noch finanziert werden können.
(Zwischenruf Abg. Fiedler, CDU: Ich dachte, der Innenminister weiß, was kommunale Selbstverwaltung ist! Nur mit Paragrafen kann man ein Land nicht regieren!)
Und bei den – Herr Abgeordneter Fiedler – unterschiedlichen Lösungsvorstellungen und fehlender Einigkeit schaffen auch Zweckvereinbarungen keine bleibende und verlässliche Aufgabenstruktur, da diese jederzeit kündbar sind und für die Bürger nur schwer durchschaubar.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, auch den Ruf einzelner kommunaler Vertreter nach einem Verbandsgemeindemodell à la Rheinland-Pfalz lehnt die Landesregierung ab. Mit einem Verbandsgemeindemodell wird den Gemeinden nur vermeintlich die Selbstständigkeit belassen, denn
große Teile der Aufgaben im eigenen Wirkungskreis würden per Gesetz auf die Verbandsgemeinde übertragen. Zudem liegen dem Verbandsgemeindemodell in Rheinland-Pfalz weitaus größere Mindesteinwohnerzahlen zugrunde als es die Thüringer Vertreter von Verwaltungsgemeinschaften wünschen. In Rheinland-Pfalz sind nämlich 12.000 Einwohner als Mindestzahl vorgegeben. Dies trifft auch auf andere Länder mit ähnlichen Strukturen zu wie zum Beispiel Sachsen-Anhalt mit einer vorgegebenen Mindesteinwohnerzahl von 10.000.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, im Leitbild „Zukunftsfähiges Thüringen“ wird dem Ortsteilund Ortschaftsrecht ein besonderer Stellenwert eingeräumt. Zur Stärkung des Ortsteil- und Ortschaftsrechts der Gemeinden sollen die Befugnisse und Beteiligungsmöglichkeiten ihrer Organe erweitert werden. Das Ortsteil- und Ortschaftsrecht in den Gemeinden und Landgemeinden soll durch Erweiterung des Entscheidungs- und Vorschlagsrechts gestärkt werden. Dies garantiert die Identität der einzelnen Ortsteile und Ortschaften und ermöglicht ihnen weiterhin, ihre eigenen Belange innerhalb der zukünftigen Gemeindestruktur wahrzunehmen.
Die Stärkung des Ortsteil- und Ortschaftsrechts wahrt zudem die Identifikation der Einwohner mit ihrem Ort und fördert dadurch deren Bereitschaft zu ehrenamtlichem Engagement in den Ortsteilen und Ortschaften. Dies dient auch dem Zusammenwachsen der neuen Gemeindestrukturen.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, zur Finanzierung der Gemeindereform soll auf ein Säulenmodell zurückgegriffen werden, das flexibel eingesetzt werden kann und das eine Ausgestaltung der einzelnen Säulen in unterschiedlicher Höhe sowie den alternativen oder kumulativen Einsatz dieser Säulen zulässt. Im Rahmen der zur Verfügung stehenden Haushaltsmittel sind folgende Regelungen vorgesehen: Erstens: Sonderregelungen für stark verschuldete Gebietskörperschaften – Strukturbegleithilfen – und zweitens: die Förderung freiwilliger Fusionen unter Berücksichtigung der Finanzkraft einzelner Kommunen. Mit Strukturbegleithilfen sollen finanzielle Schieflagen aufgefangen werden, die durch die Fusion mit leistungsschwächeren Kommunen in die neue Struktur hineingetragen werden oder die eventuell auch strukturell bedingt sind. Im Anschluss an einen mittelfristigen Unterstützungszeitraum müssen die Kommunen in der Lage sein, Effizienzgewinne zu generieren, die diese strukturellen Defizite ausgleichen. Diese Strukturbegleithilfen können sowohl bei freiwillig zustande gekommenen Neugliederungen als auch bei
Neugliederungen in der nachfolgenden Gesetzgebungsphase gezahlt werden. Über eine Förderung freiwilliger Fusionen soll die Bereitschaft zu freiwilligen Änderungen kommunaler Verwaltungsstrukturen im Freistaat Thüringen unterstützt werden. Die Förderung soll außerhalb des Kommunalen Finanzausgleichs gezahlt werden und sich – wie bereits gesagt – an der Finanzkraft der Kommunen orientieren.
Die Fördermittel sollen nach dem Inkrafttreten der kommunalen Neugliederung an die neu gebildeten Kommunen ausgezahlt werden.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, in diesem Kontext werden häufig hohe Kosten einer Gebietsreform bemängelt. Das ist aber nur zum Teil richtig, denn man kann die Entschuldung oder die Förderung freiwilliger Fusionen nicht im engeren Sinne darauf anrechnen. Dies sind freiwillige Maßnahmen des Landes, also nicht zwingend im Prozess zur Umsetzung einer Gebietsreform vorzunehmen. Im Übrigen ist die Durchführung einer Gebietsreform auch damit verbunden, dass in diesem Rahmen die neu gebildeten kommunalen Strukturen über eine stärkere Leistungs- und Verwaltungskraft verfügen werden.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, mit dem Leitbild hat sich die Landesregierung den Rahmen für ihr weiteres Handeln in der Verwaltungs-, Funktional- und Gebietsreform vorgegeben. Was sind nun die nächsten Schritte? Die Landesregierung beabsichtigt, passgenau zu den nächsten Oberbürgermeister- und Landratswahlen im Jahr 2018 die Reformmaßnahmen abzuschließen. Es sind nach derzeitiger Planung diesbezüglich mehrere Gesetzgebungsvorhaben beabsichtigt, zunächst das bereits angesprochene Vorschaltgesetz. Es wird noch einmal die wesentlichen Leitlinien zur Gebietsreform aufnehmen, Vorgaben für das Verfahren der freiwilligen Gemeindestrukturänderung machen und einige Übergangsregelungen beinhalten. Neben dem Vorschaltgesetz wird es voraussichtlich Gesetzgebungsvorhaben zur freiwilligen Neugliederung von kreisangehörigen Gemeinden geben. Der Entwurf eines Gesetzes zur Neugliederung der Landkreise und kreisfreien Städte wird dann die Strukturierung auf Kreisebene festlegen. Er soll im Verlauf des Jahres 2017 erarbeitet und vor der Sommerpause 2017 in den Landtag eingebracht werden.
Schließlich wird es ein Gesetz geben, das sich mit der Funktionalreform, also den Aufgaben, die auf die Landkreise, kreisfreien Städte und kreisangehörigen Gemeinden übergehen sollen, befasst. Die
ses soll nach der zeitlichen Planung Ende 2017 vom Kabinett beschlossen werden, ebenso das abschließende Gesetz zur Neugliederung kreisangehöriger Gemeinden, das rechtzeitig vor den Kommunalwahlen 2018 in Kraft treten soll. Meine sehr verehrten Damen und Herren, Sie sehen, dass wir ein anspruchsvolles Vorhaben beabsichtigen, das einen ebenso anspruchsvollen Zeitplan vorsieht.
Aber aufgrund der zu Beginn meiner Rede genannten Ausführungen ist ein engagiertes und zügiges Handeln auch unvermeidbar. Die Landesregierung ist dazu entschlossen und so sehen es auch die Vereinbarungen der Koalitionsfraktionen vor. Für die Schaffung einer zukunftsfähigen Verwaltung auf Landes- und Kommunalebene für die Bürgerinnen und Bürger unseres Freistaats bitte ich Sie daher um Unterstützung unseres Vorhabens der Verwaltungs-, Funktionalund Gebietsreform. Vielen Dank!
Vielen Dank, Herr Minister Poppenhäger. Gemäß § 29 Abs. 2 Satz 3 der Geschäftsordnung werden Beratungen zu Berichten der Landesregierung grundsätzlich in langer, doppelter Redezeit verhandelt. Ich frage: Wer wünscht die Beratung zum Sofortbericht? Aus allen Fraktionen kommt der Wunsch, sodass ich damit die Beratung zum Sofortbericht zu Nummer II.1 des Antrags eröffne. Gleichzeitig eröffne ich die Aussprache zu den Nummern I und II unter Punkt 2 des Antrags und erteile das Wort dem Abgeordneten Mohring für die CDU-Fraktion.
Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren! Lieber, von mir sehr persönlich geschätzter Innenminister, ich leide mit Ihnen, weil Sie es schwer haben im Amt. Der Regierungschef dieses Landes hat kein Interesse an dem für Sie in Ihrem Haus wichtigsten Reformprojekt. Nicht nur heute im Landtag, weil er vielleicht wichtigere Termine hat.
Er war auch nicht dabei, als der Innenminister im Kabinett sein Leitbild verabschiedet hat. Diese Kabinettssitzung lief ohne den zuständigen Ministerpräsidenten. Deshalb werden Sie es schwer haben, eingekeilt zwischen denen, die das Land komplett verändern wollen, zwischen denen, die mit Ihnen gemeinsam parteipolitisch eine Idee haben, was man aus Ihrer Sicht machen könnte. Zwischen diesen Punkten werden Sie als Innenminister es schwer haben, eigenständig Ihre Position durchzuformulieren. Was man gut sehen konnte in den letzten Wochen und Monaten, als Sie im Rahmen der Regionalkonferenzen bis hin zur Leitbilddebatte auch Ihre Position nachjustieren mussten, weil der Druck von der linken Seite in der Koalition größer war, als Sie ihn erwartet haben. Ich will daran erinnern, dass öffentlich geworden ist, dass die LinkenMinister im Kabinett von Rot-Rot-Grün in einer Protokollerklärung schon von Anfang an gesagt haben: Das, was Sie vorgelegt haben als zuständiger fachlicher Innenminister, findet nicht die Zustimmung der linken Minister im Kabinett. Die Folge war, dass Sie nach Ihren Regionalkonferenzen nicht etwa auf das gehört haben, was Ihnen die zuständigen Bürgermeister und Landräte und Abgeordnete aus den Kreistagen und Stadträten mit auf den Weg gegeben haben, sondern Sie haben einzig und allein auf das gehört, was die linken Kabinettskollegen Ihnen mit auf den Weg gegeben haben, nämlich: Sie wollten größere Strukturen, als Sie schon vorgeschlagen hatten, sie wollten noch größere Einheiten und noch anonymere Strukturen. Dem haben Sie nachgegeben, lieber Innenminister, und deswegen bin ich mit Ihnen in dem Leiden darum, dass Sie es schwer haben werden, dieses Reformprojekt auf den Weg zu bringen, weil Ihnen die Unterstützung der eigenen Koalitionspartner offensichtlich nicht sicher sein kann.
Man kann das gut sehen am Beispiel der vorgeschlagenen Größen der Landkreise. Sie, Herr Innenminister, haben vorgeschlagen, dass es aus Ihrer fachlichen Sicht eine Begründung dafür gäbe, dass Landkreise künftig zwischen 130.000 und 200.000 Einwohner haben sollten, mit Blick auf die Bevölkerungsprognose des Jahres 2035. Dann haben in den vier Regionalkonferenzen Hunderte, über Tausend Kommunalpolitiker gesagt, Ihre vorgeschriebenen Größenordnungen, für Landkreise insbesondere, sind zu groß, passen nicht auf dieses Land, passen nicht auf die Strukturen, passen nicht auf die Aufgaben, passen nicht auf die Identitätserwartungen. Da denkt man, wenn diese Bürgernähe da vor Publikum organisiert werden soll, dann hört man auf das, was die sagen, die gefragt werden, sonst machen die Regionalkonferenzen gar keinen Sinn. Die sagen Ihnen alle, es ist zu
groß, was Sie vorgeschlagen haben. Manche waren mit Ihnen und haben gesagt, es ist genau richtig. Aber keiner hat gesagt, es ist zu klein. Dann gehen Sie ins Kabinett und kommen aus dem Kabinett mit einem verabschiedeten Leitbild raus. Plötzlich sind die Landkreise nicht mehr 200.000 Einwohner groß, sondern 250.000 Einwohner groß, ohne eine neue Begründung, die sich aus dem öffentlichen Wohl, die sich aus der rechtlichen Begutachtung oder gar aus den Regionalkonferenzen ergeben hat. Lieber Innenminister, das müssen Sie sich zurechnen lassen, dass Sie diesen Weg umgekehrt gehen und auf den Regionalkonferenzen alle die enttäuscht haben, die darauf vertraut haben, dass die Organisation Ihrer Regionalkonferenzen zu fachlichem Nachdenken und Begleitung hilft und nicht, dass man die Leute vor den Kopf tritt. Mit Verlaub, nachdem Sie das Leitbild im Kabinett vorgelegt hatten und das Kabinett es verabschiedet haben, haben sie die Hunderte und Tausende Kommunalpolitiker nach den Ergebnissen der Regionalkonferenzen schier enttäuscht.
Ich verstehe, dass es aus Sicht des Koalitionspartners SPD bei Rot-Rot-Grün natürlich für Ihre Partei das regionale, besondere, hervorgehobene Reformkonzept ist, was Sie in dieser Wahlperiode umsetzen wollen. Parteipolitisch habe ich als Parteipolitiker Verständnis dafür, dass Ihre Markierung darin stattfinden muss. Aber ich sehe, dass Ihnen der Faden dafür fehlt, wie Sie das umsetzen wollen. Und ich bedaure, dass auch euer Sofortbericht heute nicht dazu beigetragen hat, was Sie wirklich vorhaben. Sie haben angekündigt, Sie wollen nächstes Jahr ein Gesetz vorlegen, in dem vielleicht die genaue Struktur steht. Natürlich wollen Sie über Aufgaben reden, natürlich wollen Sie über Standards reden, natürlich wollen Sie auch eine Funktionalreform machen. Da sind Sie fachlich klug beraten und wissen das natürlich als gelernter Jurist auch selbst, dass das eine nicht ohne das andere geht. Aber was Sie wirklich machen wollen, das ist nicht geklärt. Am zentralsten kann man das sehen, dass in der Koalition keine Einigkeit darüber besteht, wie Sie die Verwaltung dieses Landes aufbauen wollen: zweistufig, dreistufig, zentrale Mittelbehörde, abgespeckte, abgeschaffte. Alles schwierig, ich verstehe auch die SPD, die nun endlich mal den Präsidenten des Landesverwaltungsamts stellt. Lange haben Sie darauf gewartet, jetzt haben Sie ihn. Jetzt wollen Sie natürlich alles, nur nicht das Landesverwaltungsamt sofort wieder abschaffen. Dafür habe ich Verständnis – wir aus fachlicher Sicht, Sie aus personeller Sicht.
Aber Sie haben natürlich weder heute im Sofortbericht noch im Leitbild angekündigt, dass diese Koalition sich klar ist, wo sie mit der Struktur dieser Verwaltung hinwill. Ich sage Ihnen: Ohne diese grundlegende Frage aufzulösen – wollen Sie die Landesverwaltung dreistufig oder zweistufig aufbauen –, werden Sie Ihre Fragen für eine Struktur, wie Sie sich aus Ihrer Sicht auch politisch künftige Landkreisstrukturen vorstellen, nicht beantworten können. Ich weiß, dass Sie da zerrieben sind von dem, was der Abgeordnete, der kommunalpolitischer Sprecher bei der Linkspartei ist, sagt, der sagt, alles abschaffen, alles weg, brauchen wir nicht. Der rennt schneller durchs Land, als Sie hinterherkommen können und gibt immer schon vor, was Sie denken sollen.