Da vorhin vom verehrten Herrn Innenminister auch das sogenannte blaue Wunder angesprochen wurde: Ich kann Ihnen nur sagen, das ist immer so, das wird den heutigen regierungstragenden Fraktionen auch so gehen, dass Landesregierungen natürlich
ihren Weg gehen – dann werden sie getragen oder nicht getragen. Ich kann nur für meine Fraktion sagen: Dieses blaue Wunder haben wir unisono alle abgelehnt, weil da Dringe drinstanden, die aus unserer Sicht schon zum damaligen Zeitpunkt nicht dem entsprochen haben, wie wir uns das Land vorstellen.
Meine Damen und Herren, wir setzen weiterhin in diesem Land, im Freistaat Thüringen, auf Freiwilligkeit – auch auf Kreisebene. Wir haben da kein Problem. Wir setzen darauf, dass es vielleicht im Land, denke ich mal, weitere freiwillige Zusammenschlüsse mit dem Ziel der Steigerung der Leistungsfähigkeit unserer Kommunen geben wird. Ich erinnere daran, dass in der 5. Wahlperiode – von SchwarzRot regiert – knapp 300 Gemeinden an der freiwilligen Neugliederung beteiligt waren.
300 Gemeinden haben sich freiwillig gefunden. Dies hat sich als äußerst wirksam erwiesen. Ich muss Ihnen sagen, ich konnte bisher nirgends erkennen – es wird ja immer wieder vorweg getragen, dass es Gutachten gibt. Vorhin habe ich wieder gehört – ich habe den Namen gar nicht so schnell mitgekriegt –, Lehrstuhl Professor Hesse, glaube ich, war der Name. Wenn man schon hört, er ist für internationale Dinge zuständig und will jetzt hier mit beraten, wie die Gebietsreform in Thüringen passiert – oh, oh, oh! Ich ahne das zweite blaue Wunder auf uns zukommen.
Meine Damen und Herren, bisher konnte noch kein Gutachten die sogenannten Einsparungen nachweisen, die immer wieder benannt werden.
Gehen Sie nach Sachsen-Anhalt, gehen Sie nach Sachsen, gehen Sie nach Mecklenburg-Vorpommern. Über die Parteigrenzen hinwegreden Sie mit Ihren Kolleginnen und Kollegen und die sagen Ihnen: Hätten wir es nur nicht gemacht. Denn unterm Strich hat es in Mecklenburg-Vorpommern 500 Millionen mehr gekostet. Da redet man immer von Außenstellen, die man erhält, und was weiß ich, was alles. Ich könnte das jetzt alles noch dreimal durchgehen. Es wird nicht so sein. Es gibt kein Gutachten, das sagt, es wird hier etwas eingespart. Ich will noch einmal darauf verweisen: Wenn dieses passieren sollte, wird das Land am Ende schweren Schaden nehmen. Ich glaube, das hat unser Land einfach nicht verdient.
Wir sollten hier auch in die kommunale Familie hineinhören und nicht nur weghören. Denn wir hören gerade jetzt vor Ort, und ich will noch einmal darauf verweisen, diese Gebietsreform, wenn sie denn kommt, geht vor allen Dingen zulasten des ländlichen Raums. Der ländliche Raum soll hier sys
tematisch zusammengelegt werden. Vielleicht in 10.000er-Einheiten. Da muss man überhaupt einmal schauen im Lande, wie viele gibt es denn überhaupt davon? Was wäre das für ein Land? Das wäre nicht mehr unser Land, was wir haben. Die kommunalen Strukturen werden vor Ort kaputt gemacht. Das können und wollen wir nicht.
Ja, das ist die so genannte Bürgernähe, die man zwar immer wieder postuliert, die man am Ende aber nicht halten will.
Meine Damen und Herren, ich will noch einmal auf die Größenordnungen für unsere Kommunen verweisen, die hier genannt wurden, ich habe sie genannt, da werden Prognosen gemacht bis 2035. Ob die nun seriös sind, lasse ich einmal dahingestellt. Ich kann es einfach nicht glauben. Ich erlebe jedenfalls in meiner Gemeinde, in meinem Umland, dass in Größenordnungen Kinder geboren werden, Gott sei Dank, dass in Größenordnungen die Kitas voll sind, Gott sei Dank. Manchmal ärgert man sich als Bürgermeister, dass das Geld nicht reicht. Aber wir sind froh, dass wir trotzdem den Zuwachs hier haben. Was meiner Meinung nach diese Landesregierung einfach vergisst – wenn ich es gleich gesagt hätte, wären die Linken und die Grünen über mich hergefallen, aber da es vielleicht eine linke Genossin als Landrätin gesagt hat –: Wir sollten nicht vergessen, in welcher schwierigen Lage wir uns gerade in ganz Deutschland und in Thüringen befinden. Wir kämpfen gemeinsam, ich sage bewusst „gemeinsam“, dass wir den Zustrom, der ins Land kommt, in geordnete Bahnen bringen, dass wir den Zustrom überhaupt beherrschen und dass wir gemeinsame Lösungen finden, wie dort für die, die hier Bleiberecht haben, Integration auf den Weg gebracht wird und alles, was dazugehört. Nun stelle ich mir vor, die Landkreise werden aufgelöst, die Kommunen werden alle umstrukturiert, überall gibt es neue Leute, neue Verantwortlichkeiten, ehe sich das eingespielt hat, und das Land soll in der Zeit dieses alles bewältigen.
Meine Damen und Herren, ich kann nur warnen und meine Fraktion warnt. Meine Fraktion sagt: Diese sogenannte Gebietsreform ist eine Gebietszusammenlegung, sie hat keine Substanz, sie hat keinen Hintergrund. Wir werden mit allen Mitteln mit der kommunalen Familie dagegen angehen und werden versuchen, das zu verhindern. Dieser Freistaat hat es nicht verdient, dass dieses hier passiert.
Vielen Dank, Herr Abgeordneter Fiedler. Das Wort hat nun Abgeordneter Kuschel für die Fraktion Die Linke.
Herr Präsident, meine sehr geehrten Damen und Herren, Sie werden Verständnis haben, dass das für mich heute ein freudiger Tag ist.
Erstens zeigt sich, dass Rot-Rot-Grün funktioniert und sich einem der sicherlich kompliziertesten Reformverfahren zuwendet und
dabei den Zeitplan einhält. Schon der ist eine Herausforderung. Und wir beenden hiermit eine Phase der Stagnation,
denn der Reformbedarf in dieser Frage hat sich seit 1999 angekündigt und war seit 2004 unverkennbar. Wir haben zehn Jahre verloren, umso wichtiger ist es jetzt, dass dieses Reformvorhaben gelingt. Hier steht Rot-Rot-Grün zusammen und wir stehen am Anfang einer Debatte. Wir diskutieren heute ein Leitbild, nicht mehr und nicht weniger. Der Innenminister hat darauf verwiesen, dass sich jetzt eine Debatte in den Regionen anschließt. Dort können alle Vorschläge, Hinweise, Anregungen und Kritiken geäußert werden, dann werden wir das zusammenfassen und auswerten. Der nächste Schritt ist dann das Vorschaltgesetz.
Aber ich muss deutlich sagen, ich habe wie gestern, als es um den Finanzausgleich ging, auch jetzt wieder zur Kenntnis nehmen müssen, dass die CDU offenbar alles so lassen will, wie es ist, denn es gab nicht einen Vorschlag, den Herr Fiedler hier
zur Debatte gestellt hat, außer dass er gesagt hat, alles was Rot-Rot-Grün plant, wird abgelehnt. Also kann ich nur daraus schlussfolgern: Es soll alles so bleiben, wie es ist. Da sind unsere Erfahrungen, auch meine persönlichen Erfahrungen auf der kommunalen Ebene andere. Dort erwarten viele, dass wir nun endlich handeln, und es werden auch berechtigte Fragen gestellt. Alle Fragen, die gestellt werden, sind berechtigt. Damit muss man sich auseinandersetzen. Es ist keinesfalls so, dass wir hier dogmatisch irgendein Konzept vorstellen wollen.
Wir sind drei Parteien in dieser Koalition und die einzelnen Parteien haben natürlich unterschiedliche Auffassungen. Die Linke hat bereits 2005 auf dem Parteitag in Bad Langensalza – damals hieß das Papier „Strukmod 09“, also „Strukturmodell 2009“ – ein Diskussionsangebot unterbreitet. Seitdem bestimmen wir eine Debatte, ohne dass wir aber sagen, dass das, was Die Linke vorschlägt, das einzig wahre Konzept ist. Gerade in dieser Frage gibt es mehrere Varianten, mehrere Wahrheiten. Ich finde es gut, dass wir auch in der Regierungskoalition eine Debattenkultur pflegen, an deren Ende dann ein Papier steht, das von allen mitgetragen wird.
Diese Freiheit lassen wir uns nicht nehmen. Natürlich suchen die CDU und auch manche Medien irgendwelche Konfliktpunkte zwischen Linke, SPD und Grünen in dieser Frage
und sie dramatisieren damit, dass es irgendwelche unüberwindbaren Hürden gibt. Da kann ich Ihnen versichern, Sie liegen völlig verkehrt.
Ein Leitbild soll zur Diskussion auffordern und dieses Angebot gilt nicht nur in die Öffentlichkeit hinein, sondern auch zwischen den Partnern dieser Regierung.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, ich möchte es nicht versäumen, Herrn Fiedler meine Hochachtung für sein Wirken als ehrenamtlicher Bürgermeister auszusprechen. Da leistet er hervorragende Arbeit, manchmal widerspiegelt sich das hier nicht eins zu eins im Parlament. Aber, vor Ort, alle Achtung, meine Anerkennung über einen so langen Zeitraum Politik vor Ort zu gestalten.
Andererseits haben mich seine harten Worte heute hier vom Rednerpult aus doch etwas irritiert. Wenn er hier darstellt, dass wir angeblich das Land anzünden und dergleichen, dann ist das eine Wortwahl, die hat Herr Fiedler gar nicht nötig. Wir können uns inhaltlich auseinandersetzen, ohne gleich in verbale Gewalt zu verfallen. Das war heute widersprüchlich, was Herr Fiedler gesagt hat, aber für ihn ist das sicherlich heute auch ein guter Tag.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, in einem weiteren Punkt muss ich Herrn Fiedler zustimmen: Eine solche Reform ist nicht einfach. Die zwei zurückliegenden Reformen waren nicht einfach und die vor uns stehende Reform ist auch nicht einfach, weil es gelingen muss, möglichst viele Interessen miteinander abzuwägen. Das ist für uns alle eine hohe Herausforderung, insofern sind wir alle hier gefordert, gerade als Landespolitiker möglichst die Diskussion versachlicht zu führen.
Der Reformstau wird nun aufgebrochen, darauf hatte ich schon verwiesen. Im Leitbild, um eine aktuelle Debatte aufzumachen, das hat der Innenminister hier heute noch mal bei der Einbringung der Regierungserklärung deutlich gemacht, ist der Zusammenhang zwischen einer Funktional-, Verwaltungsund Gebietsreform unverkennbar. Das müssen auch die CDU und die kommunalen Spitzenverbände und einige Landräte zur Kenntnis nehmen, dass dieses Leitbild bewusst auf diesen Zusammenhang abstellt. Klar, da wir erst am Anfang der Debatte stehen, wissen wir nicht, in welche Tiefe diese Funktionalund Verwaltungsreform ausgestaltet sein soll. Das begründet übrigens auch den großen Korridor von 130.000 bis 230.000 bei den Landkreisen, das ist ein Indiz dafür. Wir sind jetzt alle aufgefordert, diesen Korridor „mit Leben“ zu erfüllen, sodass am Ende der Debatte auch klar ist, wohin die Reise geht.
Wir müssen uns auch im Klaren sein, selbst wenn die untere Grenze zur Wirkung kommt – also 130.000 demografiebereinigt im Jahr 2035, heißt das, wir müssen de facto alle 17 Landkreise und sechs kreisfreien Städte „anfassen“. Außer dem Landkreis Gotha, der jetzt noch über 140.000 Einwohner hat, passt keiner der anderen Landkreise in den Korridor des Leitbilds. Das ist eine große Herausforderung.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, Herr Fiedler hat formuliert: Die Linke will noch größere Strukturen. – Da ist wohl eher die Hoffnung der Vater des Gedankens. Ich weiß nicht, wo er es hergenommen hat. Für uns ist das jetzt vorliegende Leitbild der Landesregierung Diskussionsgrundlage. Ich habe das wohlwollend zur Kenntnis genommen. Diese Korridorbildung ist gerade für uns als Linke der Rahmen, in dem wir jetzt diskutieren werden. Sie werden von der Linken keine Debatte und keine