Meine sehr geehrten Damen und Herren, Herr Fiedler hat formuliert: Die Linke will noch größere Strukturen. – Da ist wohl eher die Hoffnung der Vater des Gedankens. Ich weiß nicht, wo er es hergenommen hat. Für uns ist das jetzt vorliegende Leitbild der Landesregierung Diskussionsgrundlage. Ich habe das wohlwollend zur Kenntnis genommen. Diese Korridorbildung ist gerade für uns als Linke der Rahmen, in dem wir jetzt diskutieren werden. Sie werden von der Linken keine Debatte und keine
Der Korridor bietet für alle Konzepte, die wir noch zu debattieren haben, für alle offenen Fragen einen ausreichenden Rahmen. Insofern ist da Ihre Hoffnung vergebens, dass wir irgendwie eine neue Debatte abweichend von den Vorgaben im Leitbild führen.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, zu Recht hat der Innenminister auf die demografischen Herausforderungen, auf die finanziellen Rahmenbedingungen und auch auf die nicht homogene Verwaltungsstruktur hingewiesen. Das möchte ich nicht wiederholen, sondern vielmehr ergänzen.
Es gibt weitere Herausforderungen, vor denen wir stehen – sowohl auf Landesebene als auch auf kommunaler Ebene. Das ist die Verfachlichung von Politik und Verwaltungshandeln, die immer stärker zunimmt. Die Prozesse werden immer komplizierter und die Erwartungshaltung der Bürgerinnen und Bürger sowie der Wirtschaft nimmt zu.
Während traditionell die bundesdeutsche Verwaltung ordnungspolitisch ausgeprägt war, das heißt, der Verwaltungsakt als das Hauptinstrument von Verwaltungshandeln, gibt es jetzt immer mehr die Erwartungshaltung der Öffentlichkeit, dass dieses ordnungsbehördliche Handeln durch ein Dialogverfahren ersetzt wird, also frühzeitige Einbeziehung von Bürgerinnen und Bürgern in die Entscheidungsprozesse. Dabei sind wir auf gutem Weg. Das stellt natürlich auch höhere Anforderungen an alle Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Verwaltung, an alle politischen Entscheidungsträger. Das ist eine weitere Herausforderung. Dies natürlich in Kleinstverwaltungen zur realisieren, ist kompliziert, denn dort braucht man hoch spezialisierte Kräfte. Wenn wir Fachkräfte von außen in die öffentliche Verwaltung holen wollen, brauchen wir für diese Fachkräfte Entwicklungspotenziale.
Ich war neulich mit Kolleginnen und Kollegen meiner Fraktion in Artern. Dort gibt es einen jungen, dynamischen Kämmerer, der ist knapp über 30 und sitzt auf einer A-9-Stelle. In der Stadtverwaltung Artern war es das, mehr ist dort für ihn nicht mehr möglich. Das heißt, er muss die Entscheidung treffen: Mache ich das noch 30 Jahre oder wechsele ich? Natürlich wäre es gut, wenn er sich innerhalb der Verwaltung entwickeln könnte.
Das ist in diesem Fall in den Kleinstverwaltungen nicht möglich. Dies hat dann die Auswirkungen, dass natürlich Fachkräfte schauen – gerade hoch qualifizierte mit guten Voraussetzungen –, ob sie nicht möglicherweise in die Privatwirtschaft wechseln. Von daher: Die Komplexität nimmt zu und damit die Anforderungen an die öffentlichen Verwaltungen.
Wir haben natürlich Defizite in unserer Verwaltungsstruktur – sowohl auf Landesebene als auch auf kommunaler Ebene. Diese möchte ich nur stichpunktartig benennen. Wir haben natürlich die Mittelbehörden auf Landesebene, wo wir manchmal wissen, dass sich eine demokratische Kontrolle seitens des Landtags als äußerst kompliziert darstellt. Wir hatten in der Vergangenheit – auch gestern – dazu den einen oder anderen Hinweis, Stichwort „Maulkorberlass“ oder „Verfahren zur Bearbeitung von Bedarfszuweisungen“. Da entwickeln natürlich auch manche Mittelbehörden eine Eigendynamik, die nur ganz schwer zu steuern ist, weder von der kommunalen Ebene noch von der politischen Ebene des Landes. Deswegen muss man darüber nachdenken, wie man dort dieses Problem löst. Dazu gibt es im Leitbild einen Prüfungsauftrag zum Übergang von der Drei- zur Zweistufigkeit – in welcher Tiefe, in welcher Dynamik, in welchen Zeiträumen, das ist noch völlig offen. Aber das finden wir richtig, dass es diesen Hinweis gibt, denn wir haben natürlich immer wieder Hinweise, dass gerade diese Mittelbehörden diese Eigendynamik entwickeln, und von daher müssen wir dort handeln.
Herr Kollege Kuschel, habe ich Sie jetzt richtig verstanden, dass Sie sagen, dass das Schreiben vom Landesverwaltungsamt mit dem sogenannten Maulkorberlass in Eigenständigkeit des Landesverwaltungsamts verschickt wurde und nicht, wie es in dem Schreiben heißt, in Abstimmung mit dem Innenministerium?
Das ist ein Beispiel. Dieses Rundschreiben, wissen Sie, nimmt Bezug auf Vorgänge, die schon eine gewisse Zeit zurückliegen. Wir hätten uns tatsächlich gewünscht, dass ein solches Rundschreiben zeitnah an diesen Vorgängen liegt, damit nicht Irritationen entstehen. Nun ist es so gekommen, dass eine zeitliche Dimension dazwischen lag, und das war jetzt der Hinweis von mir, dass sich in diesen Mittel
behörden manchmal eine Eigendynamik entwickelt. Das hat aber nichts damit zu tun, dass die Mittelbehörden völlig ohne politische Führung sind. Dort gibt es einen Präsidenten, da muss man auch mal darüber reden, ob nicht ein solches Rundschreiben möglicherweise besser vom Präsidenten nach außen getragen wird. Das sind Dinge, damit muss man sich eben beschäftigen, aber es sind Hinweise darauf, dass wir uns mit dieser Problematik beschäftigen müssen. Ich will nur betonen, das Leitbild verweist ebenfalls darauf. Deswegen müssen wir jetzt die Debatte zum Leitbild nutzen, um uns auch diesen Mittelbehörden zuzuwenden.
Zu den sogenannten Konstruktionsfehlern der Landkreise will ich etwas sagen. Das ist gar kein Vorwurf an die handelnden Akteure, weder an die Landräte noch an den Landkreistag oder die Kreistagsmitglieder, aber wenn hier Herr Fiedler prognostiziert, dass bei Veränderungen der Landkreise sozusagen das Ehrenamt des Kreistagsmitglieds völlig ausgehöhlt wird, keine Bereitschaft mehr da ist und die Kreistagsmitglieder überhaupt nicht mehr in der Lage sind, sachgerecht zu entscheiden, dann war er offenbar längere Zeit nicht in gegenwärtigen Landkreisen, also Kreistagen. Wir haben nämlich eine andere Wahrnehmung. Wir haben eine Tendenz in den letzten Jahren, dass die Zuständigkeit der Kreistage immer weiter schrumpft, weil sie eben nur für den kommunalen Bereich des Landkreises zuständig sind, nicht für den übertragenen Wirkungskreis, also nicht für die untere staatliche Behörde. Das ist einer der Konstruktionsfehler unserer Landkreise, mit denen muss man sich beschäftigen: Welches Verhältnis übertragener und eigener Wirkungskreis wähle ich bei den Landkreisen, auch hinsichtlich der Finanzierung? Denn es ist gegenwärtig schon so, dass die Kreisumlage als Hauptfinanzierungsquelle nicht mehr nur dazu dient, den eigenen Wirkungskreis der Landkreise zu finanzieren, sondern auch zur Finanzierung des übertragenen Wirkungskreises herangezogen werden muss. Dort haben aber weder der Kreistag Einfluss noch die kreisangehörigen Gemeinden, denn dort unterliegen die Landkreise der Rechts- und Fachaufsicht des Landes. Deswegen muss man sich damit beschäftigen. Wer tatsächlich das Ehrenamt auf Landkreisebene stärken will, der muss die Kompetenz vom Aufgabenkatalog her stärken und gerade die Erfahrungen in Mecklenburg-Vorpommern zeigen, dass es eben keinen Abbruch bei den Kreistagen gab. Es gab mehr Kandidatinnen und Kandidaten, die bereit waren, für die Kreistage zu kandidieren, und das Ehrenamt hat an Stärke gewonnen, weil die Kreistagsmitglieder wieder etwas Echtes zu entscheiden haben. Die haben allerdings dort auch gesetzlich geregelt, dass sie für den übertragenen Wirkungskreis mit zuständig sind, nicht wie in Thüringen, dass der übertragene Wirkungskreis dem Kreistag entzogen wird. Also von daher gibt es dort Debatten,
notwendige Debatten, auch bei uns. Aber von vornherein zu sagen, dass im Ergebnis einer Strukturreform das Ehrenamt auf der Landkreisebene automatisch geschwächt wird, dem möchte ich deutlich widersprechen.
Und wir haben auf kommunaler Ebene die Verwaltungsgemeinschaften, die auch Konstruktionsfehler aufweisen. Hier ist zu entscheiden: Lösen wir die und entwickeln die Verwaltungsgemeinschaften weiter, oder sagen wir, es ist ein Auslaufmodell. Hier hat doch Herr Fiedler vollkommen recht und das haben wir als Linke schon immer gesagt: Die Verwaltungsgemeinschaften hatten 1994, als sie gebildet wurden, ihre Daseinsberechtigung und das war eine kluge Entscheidung und das können sich die CDU und alle, die damals beteiligt waren, auf ihre Fahnen schreiben. Aber spätestens nach Ablauf der Übergangsregelung, dass die ehrenamtlichen Bürgermeister gleichzeitig in den Verwaltungen der Verwaltungsgemeinschaften arbeiten durften, sind Konflikte aufgetreten, also seit 1999, weil es natürlich ein Spannungsfeld gibt zwischen dem VG-Vorsitzenden als hauptamtlichem Beamten und den ehrenamtlichen Bürgermeistern. Wobei nicht so richtig klar ist, ist denn der VG-Vorsitzende Dienstleister der Bürgermeister oder ist er „kleine“ Kommunalaufsicht. Da haben wir völlig unterschiedliche Erfahrungen. Die Finanzierung der Verwaltungsgemeinschaften ist völlig ungeklärt und durchbricht alle Grundsätze, die wir sonst in dem Finanzausgleichssystem haben. Alle Umlagesysteme sind steuerkraftabhängig, also die Kreisumlage, die Schulumlage, die Finanzbeziehungen zwischen Land und Kommunen – alle sind steuerkraftabhängig, nur bei der VG nicht. Bei der Verwaltungsgemeinschaft haben wir einen personenbezogenen Einwohnermaßstab, und zwar unabhängig von der Finanzkraft der einzelnen Gemeinde. Das kann doch aber nicht sein. Ich mache das immer am Beispiel der Verwaltungsgemeinschaft Großbreitenbach fest. Großbreitenbach als abundante Gemeinde zahlt 8 Prozent ihrer eigenen Steuereinnahmen als VG-Umlage. Nachbargemeinden bezahlen ihr vollständiges Steueraufkommen alleine an VG-Umlage und müssen, damit sie die Kreisumlage noch bezahlen können, schon auf die Schlüsselzuweisungen zurückgreifen. Das kann also nicht gerecht sein. Die Rolle des VG-Vorsitzenden ist völlig offen. Er wird in der VG-Versammlung gewählt, hat dort aber auch Stimmrecht und natürlich eine hohe Abhängigkeit von der VG-Versammlung. Das sind alles Dinge, die kann man reformieren, aber mit einem so hohen Aufwand und relativ geringen Effekten. Deshalb sagen wir – und da stimmen wir voll mit der Landesregierung überein –, dass die VGs ein Auslaufmodell sind; sie hatten ihre Berechtigung, aber sie sind nicht mehr zeitgemäß.
Hinzu kommt aber – und die Debatte wollen wir auch führen –: Wollen wir die VGs sofort umwandeln in die Einheitsgemeinde oder Landgemeinde
oder wollen wir in begründeten Ausnahmefällen einen Übergangszeitraum schaffen? Da diskutieren wir in der Linken als Angebot an SPD und Grüne, ob es zum Beispiel unter der Voraussetzung, dass alle Mitgliedsgemeinden einer Verwaltungsgemeinschaft leistungsfähig sind und über einen Bürgerentscheid dieses Modell vor Ort bestätigt wird, dann noch eine Übergangsfrist geben kann. Das müssen wir diskutieren, ob so eine Öffnungsklausel sinnvoll ist.
Wir haben auch zur Kenntnis genommen, dass es im Land eine Initiative gibt, die die VGs erhalten will, ohne dass wir aber jetzt wissen, wollen sie die VGs in jetziger Ausprägung oder VGs fortentwickeln, also hin zum Modell beispielsweise der Verbandsgemeinde oder Amtsgemeinde. Auch das werden wir in der Debatte zu diskutieren haben.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, Herr Fiedler hat hier formuliert, die Kommunen sind gut aufgestellt. Ich hätte mir diese klaren Worte von Herrn Fiedler am gestrigen Tag gewünscht in der Debatte zum Haushalt und zum Finanzausgleich.
Wir müssen doch Folgendes zur Kenntnis nehmen: Unsere Kommunen in Thüringen finanzieren sich zu über 50 Prozent aus Landeszuweisungen, und zwar dauerhaft. Das ist doch keine gesunde Finanzierungsebene. Die eigene kommunale Steuerquote liegt bei 25 Prozent. Im Bundesdurchschnitt liegt sie übrigens bei 40 Prozent, bei uns in Thüringen bei 25 Prozent. Und wie gesagt: 50 Prozent/51 Prozent sind im laufenden Haushaltsjahr Zuweisungen des Landes. Aus diesem ungesunden Verhältnis müssen wir rauskommen. Das heißt, wir müssen die Kommunen leistungsfähiger gestalten, dass sie ihre eigene Steuerbasis stärken und das Verhältnis zwischen Land und Kommunen tatsächlich ausgewogener ist.
Wir müssen noch zur Kenntnis nehmen, dass wir trotz Hilfspaket und trotz Bedarfszuweisungen in Größenordnungen dieses Jahr noch immer rund 250 Gemeinden ohne Haushalt haben. Das ist jede vierte Gemeinde, das ist doch kein punktuelles Problem. Wir haben 400 Gemeinden, die im vergangenen Jahr ihren Haushalt nur durch Entnahme aus der Rücklage ausgleichen konnten, also jede zweite Gemeinde. 200 Gemeinden haben überhaupt keine Rücklagen mehr, jede vierte Gemeinde hat überhaupt keine Rücklagen mehr. Das heißt, wenn die ein Problem haben, können die nur Vermögen
veräußern, das ist alles, aber haben keine finanziellen Rücklagen mehr. Über 100 Gemeinden sind in der Haushaltssicherung und haben Bedarfszuweisungen für über 100 Millionen Euro beantragt. Das ist nicht dauerhaft zu leisten. Deswegen hat Herr Höhn gestern recht gehabt: Da soll doch mal jemand von der kommunalen Ebene sagen, wie hoch denn der Finanzausgleich dotiert sein muss, damit sie dann sagen: Jetzt reicht es. Ich bin mir sicher, selbst wenn wir 100, 200, 300 Millionen drauflegen, das wird nicht reichen, um diese Strukturprobleme zu lösen.
Ich habe das gestern schon mal an dem Beispiel unseres Hilfspakets festgemacht. Die Investitionszulage oder Investitionspauschale an die Gemeinden: 18,51 Euro. Was erzielen die denn für eine Wirkung vor Ort, wenn 571 Gemeinden von den 841 weniger als 1.000 Einwohner haben? Dann bekommen die 18.000 Euro oder weniger. Was kann ich denn da vor Ort machen? Da schmerzt mich als Haushaltspolitiker das Geld, denn nach Gießkanne versickert das irgendwo. Das geht dauerhaft nicht, meine Damen und Herren, insbesondere von der CDU. Wenn Sie wirklich starke Gemeinden wollen, verweigern Sie sich nicht der Debatte. Aber ich habe manchmal das Gefühl, Sie wollen gar keine starken Gemeinden, sie wollen schwache Gemeinden, damit das Land hier immer stärker seine Funktion sozusagen als Patronat wahrnehmen kann. Das wollen wir nicht. Ein Ziel der Reform für uns ist die Stärkung der kommunalen Ebene. Das ist klar. Das geht zulasten des Landes, auch zu unseren. Wenn wir starke Kommunen haben, dann ist klar, dann sind die natürlich auch selbstbewusster, dann wird es einen anderen Dialog mit dem Land geben. Das ist auch vernünftig, denn dort findet letztlich das Leben statt.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, der Landkreistag hat geäußert, auch heute noch mal: Es gibt keinen Handlungsbedarf, die Landkreise sind gut aufgestellt. Die Verschuldung wäre unterdurchschnittlich. Dazu nur die Anmerkung – auch da werde ich nicht müde, immer wieder darauf zu verweisen –: Wer heute immer noch behauptet, dass Verschuldung ein geeignetes Kriterium zur Bewertung von Leistungsfähigkeit ist, der hat sich weder mit dem Haushaltsrecht intensiv beschäftigt noch mit der volkswirtschaftlichen oder betriebswirtschaftlichen Dimension von Krediten. Wir haben 141 schuldenfreie Gemeinden – 141. Wir können sagen, das ist schon eine wahrnehmbare Größe, fast 20 Prozent, jede fünfte Gemeinde. Aber wenn Sie sich mal mit den 141 schuldenfreien Gemeinden beschäftigen, warum sie schuldenfrei sind, werden Sie zur Kenntnis nehmen, dass 115 dieser 141 Gemeinden nicht deshalb schuldenfrei sind, weil sie leistungsfähig sind, sondern weil sie eine so gerin
ge Steuerkraft haben, dass ihnen keine Kredite genehmigt werden. Die haben ihre Schulden in der Infrastruktur. Das können wir doch nicht hinnehmen und können dann so tun, als wäre Schuldenfreiheit ein Wert an sich. Bei den Landkreisen gestaltet sich das genauso. Verschuldung der Landkreise allein ist kein geeignetes Kriterium. Wir müssen uns damit beschäftigen, hinzuziehen. Aber zum Schluss ist bei den Landkreisen das Problem die Kreisumlage. Da müssen wir doch zur Kenntnis nehmen, dass die ersten Landkreise dort bei einer 50-Prozent-Grenze sind. Das entzieht den kreisangehörigen Gemeinden Potenziale. Dort findet aber das reale Leben statt. Es gibt keinen Kreisbürger an sich. Es sind alles Bürgerinnen und Bürger, Einwohnerinnen und Einwohner von Gemeinden. Dort findet das Leben statt.
Ich komme zu einem weiteren Punkt: Gibt es denn tatsächlich eine Kreisidentität? Gibt es die wirklich? Identifizieren sich Menschen in Größenordnungen mit ihrem Landkreis? Wir haben eine andere Wahrnehmung. Die Identifikation erfolgt im Regelfall mit der Gemeinde. Es gab ein letztes Identifikationskriterium mit dem Landkreis, das war das einheitliche Kfz-Kennzeichen. Selbst das ist weg. Sehen Sie es sich bei Neuanmeldungen an, bei 95 Prozent der Neuanmeldungen wird nicht mehr das Kreiskennzeichen genommen, sondern das Kennzeichen der ehemaligen, also der jetzt größeren Städte, der ehemaligen Strukturen von 1994. Also nicht mal mehr beim Kfz-Kennzeichen können Sie nachweisen, dass sich die Menschen mit ihrem Landkreis derart identifizieren, wie Sie das hier beschreiben. Wir wollen die Landkreise weiterentwickeln.
Da komme ich zu dem Problem: Ist Bürgernähe ein Problem von Kilometern, von Entfernungen oder hat Bürgernähe eher etwas mit Entscheidungsabläufen zu tun und mit Einbeziehung? Auch dort haben wir ganz unterschiedliche Erfahrungen und sagen: Bürgernähe ist kein Problem von Entfernungen, sondern von Einbeziehung und Ausgestaltung von Entscheidungsprozessen. Es gibt Menschen, die wohnen neben dem Rathaus und trotzdem ist die Verwaltung weit weg, weil sie es nicht verstehen, Menschen in Entscheidungen einzubeziehen. In anderen Teilen unseres Landes funktioniert diese Bürgerbeteiligung und -einbeziehung völlig unabhängig davon, wie weit die Verwaltung entfernt ist.
Über die Frage der Kreisidentität bin ich gern bereit, mit Ihnen zu streiten. Ich habe bisher vor Ort niemanden wahrgenommen, der sozusagen sein ganzes Herzblut an einen Landkreis hängt. Dass politische Entscheidungsträger das anders sehen, dafür habe ich doch Verständnis. Ja, ich erwarte von jedem Landrat, dass er sich natürlich mit seinem Landkreis identifiziert, auch von jedem Kreistagsmitglied. Ich bin selbst Mitglied im Kreistag des IlmKreises. Natürlich stehe ich da auch für einen leis
tungsstarken Ilm-Kreis. Der ist übrigens leistungsstark. Also von daher ist doch das kein irgendwie unlösbarer Widerspruch.
Dann müssen wir uns damit beschäftigen, was denn die Identität mit den Gemeinden ausmacht, weil auch hier Herr Fiedler beschrieben hat, es geht Bürgernähe verloren und so weiter. Woran machen Menschen fest, ob ihre Gemeinde lebenswert ist? Unsere Erfahrung: Das Erste ist die Vereinsstruktur, ganz wichtig, das Zweite die vorhandene Infrastruktur, also wo ist der Kindergarten, wo ist die Schule, wo ist die Sparkasse, wo ist die Post, öffentlicher Personennahverkehr, Verkehrsanbindung. Das sind alles entscheidende Fragen. Irgendwann mal fragen die Leute: Wo ist denn jetzt der Verwaltungssitz? Die Verwaltungsstruktur spielt für die Lebensqualität der Menschen in den Orten keine dominierende Rolle, sondern die von mir beschriebenen Kriterien sind viel wichtiger. Damit die Gemeinden das sichern können, müssen sie leistungsstark sein, denn nur dann können sie dafür Sorge tragen, dass wir eine funktionierende Vereinsstruktur haben, können dafür Sorge tragen, dass die technische und soziale Infrastruktur funktioniert und dergleichen. Von daher bitten wir auch um eine Versachlichung.
Einige Anmerkungen zu der gemeindlichen Ebene, auch in Ergänzung zu dem, was der Innenminister hier dargestellt hat. Wir halten die Umwandlung der Verwaltungsgemeinschaften in Einheitsgemeinden oder in Landgemeinden für sinnvoll. Ich hatte gesagt, dass wir noch mal eine Prüfung von Übergangsregelungen wollen. Wir halten es für erforderlich, dass Gemeindeneugliederungen künftig auch kreisübergreifend stattfinden können. Als Beispiel nenne ich dort immer mal Kaltensundheim-Kaltennordheim und Schmalkalden-Meiningen-Wartburgkreis. Die wollen seit Jahren fusionieren und es scheitert bisher an der Blockade der Landkreise. Wir wollen aber auch vollzogene Strukturen, Veränderungen der vergangenen Jahre noch mal kritisch prüfen, zumindest eine Debatte darüber. Auch das lässt das Leitbild zu. Herr Fiedler hat gesagt, Freiwilligkeit in den letzten Jahren. Aber diese Freiwilligkeit hat zum Teil raumordnerische und landesplanerische Konfliktpunkte geschaffen, die uns noch über Jahre beschäftigen werden. Ich will nur beispielhaft einige nennen. Die Bildung des Amts Wachsenburg als Kragengemeinde um die Stadt Arnstadt herum ist landesplanerisch und raumordnerisch tatsächlich fragwürdig.
Das Amt Wachsenburg ist jetzt leistungsfähig, aber doch nicht aus eigener Kraft, sondern das macht sich an der Siedlungsstruktur im 8. Jahrhundert fest. Wir leben aber im 21. Jahrhundert. Warum die Siedlungsstruktur im 8. Jahrhundert dafür sorgt, dass heute Gemeinden völlig unterschiedlich aufge
setzt sind, muss mir auch mal einer erklären. Aber es lag daran, dass das Kloster Ichtershausen 25 Jahre früher errichtet wurde, als die Besiedlung der Geraaue stattgefunden hat. Deshalb reicht die Flur Ichtershausen ganz weit in die Stadt Arnstadt und damit ist die Hälfte des Industriegebiets Erfurter Kreuz auf der Flur von Ichtershausen. Dafür kann aber kein Gemeinderat was oder der Herr von der Krone, der jahrelang Bürgermeister und Landtagsabgeordneter war. Wie gesagt, das ist einfach regional bedingt. Und dann zuzulassen, dass sich diese Gemeinden so um Arnstadt „herumlegen“, dass überhaupt keine Entwicklungspotenziale für diese Stadt mehr da sind; da müssen Bürger aus der ehemaligen Gemeinde Wachsenburg durch Arnstadt fahren, um zum Verwaltungssitz nach Ichtershausen zu kommen – das ist alles fragwürdig.
Ein weiteres Beispiel ist die Bildung der Gemeinde Frankenblick. Nicht an sich, dass die Gemeinde Frankenblick in Sonneberg gegründet wurde, sondern dass Schalkau sozusagen als Enklave zurückgelassen wurde, ohne dass klar ist, was man denn jetzt mit Schalkau macht, rund 3.000 Einwohner. Oder die Eingemeindung von Oberland nach Sonneberg, da bleibt das Problem Steinach zurück. Wie wollen wir das lösen? Klar könnte man sagen: mit Lauscha. Schon das Wort „Lauscha“ lässt bei Finanzpolitikern alle Alarmglocken schlagen. Oder Bad Salzungen, dort sind Immelborn und Barchfeld ermöglicht worden, ohne dass da eine leistungsfähige Gemeinde entstanden ist, aber das Mittelzentrum Bad Salzungen wurde dadurch geschwächt. Das muss noch mal überprüft werden.
Meine Damen und Herren, wir wollen jetzt in der Debatte zum Leitbild auch prüfen, ob möglicherweise die eine oder andere Aufgabe, die gegenwärtig die Landkreise wahrnehmen, auf die gemeindliche Ebene übertragen werden kann. Der Innenminister hat zu Recht den „Prüfungsauftrag Landesaufgaben auf Landkreisebene und Ebene der kreisfreien Städte“ thematisiert, aber wir können uns auch vorstellen, dass die eine oder andere Aufgabe, die jetzt beim Landkreis angesiedelt ist, künftig bei den Gemeinden wahrgenommen wird. Einer der Punkte dessen, was uns tatsächlich fast wöchentlich erreicht, ist der Widerspruch, dass die kreisangehörigen Gemeinden für die Bauleitplanung zuständig sind, der Landkreis aber Bauordnungsbehörde ist. Darüber muss man debattieren. Bei den kreisfreien Städten steht das Problem nicht, da ist das im Übrigen alles zusammen.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich hatte schon darauf verwiesen, die Landkreise sollen nach unserer Überzeugung stärker Dienstleistungsbehörde im Hintergrund sein, nicht mehr so viel Publikumsbehörde. Der Bürger soll künftig alles in der Gemeinde realisieren können. Das Modell der Bürgerservicebüros hat der Innenminister hier dargestellt. Insofern stellen sich dann auch wieder
Fragen der Zugänge zur Kreisverwaltung völlig anders, wenn ich alle Dinge im Wesentlichen vor Ort klären kann.