Protocol of the Session on July 10, 2015

Diese Menschen machen sich nicht mal einfach so oder aus einer Laune heraus oder aus Jux und Tollerei auf den Weg. Es ist die blanke Existenzangst und pure, unter anderem durch Ausgrenzung und Benachteiligung entstehende Not, die die Menschen zur Flucht zwingen. Angesichts dieser tatsächlichen Situation, die durch Länderberichte und Studien belegt ist, ist es lebensfremd und menschenverachtend, hier eine Ausweitung der Kategorie der sicheren Herkunftsländer zu verlangen.

(Beifall DIE LINKE, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN)

Das Asylrecht und auch das Recht auf Schutz vor unmenschlicher und erniedrigender Behandlung sind Grund- bzw. Menschenrechte, meine Damen und Herren. Diese Tatsache verbietet ein Abschottungsmodell sogenannter sicherer Herkunftsländer und Drittstaaten. Das gilt umso mehr, wenn im konkreten Fall – und dafür stehen nicht nur die Beispiele Kosovo und Albanien – die Handhabung des Instruments – womit ich dann wieder an den Anfang meiner Rede anknüpfen kann – von leicht durchschaubaren politischen Interessen diktiert wird, zum Beispiel weil an der Zusammenarbeit mit einem

Land ein hohes politisches Interesse besteht und es daher nicht opportun ist, das Land negativ einzustufen, oder aber weil man eine negative Einstufung vermeiden will, weil eine solche Einstufung auch ein Eingeständnis des offensichtlichen Versagens und von Fehlern der bisherigen EU-Politik gegenüber solchen Ländern wäre oder wie hier in Thüringen mit dem vorliegenden Antrag oder in Bayern mit der Forderung des christsozialen Finanzministers Söder nach Streichung von Asylbewerberleistungen für die diskreditierten Flüchtlinge, um diffuse Ängste und Befürchtungen in der Bevölkerung zu bedienen und noch zu verstärken.

(Zwischenruf Abg. Heym, CDU: Diffus, diffus – gehen Sie mal nach Suhl!)

Denn das tun Sie, meine Damen und Herren, um Öl ins Feuer zu gießen, allein um Stimmen am rechten Rand zu fischen.

(Beifall DIE LINKE, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN)

Allein aus diesen Gründen

(Zwischenruf Abg. Heym, CDU: Ich frage mich, wo Sie leben!)

wird mit der Einstufung immer mehr sogenannter sicherer Herkunftsländer das Grundrecht auf Asyl, auf die sorgfältige Prüfung des Einzelfalls immer weiter beschnitten, die das Boot der Feuer-Rhetorik der 90er-Jahre bedienen, und – als könnte man nicht jeden Tag in Sachsen beobachten, wo das hinführt – in Kauf genommen, dass hasserfüllt vor Flüchtlingsunterkünften protestiert wird, dass Flüchtlinge wieder zunehmend Anfeindungen und rassistischer Hetze und Übergriffen ausgesetzt sind und sich das gesellschaftliche Klima verhärtet.

Besonders perfide, meine Damen und Herren, wird es dann, wenn gleichzeitig die Bundeskanzlerin scheinheilig mit dem moralischen Zeigefinger die Abschottung von EU-Staaten gegen Flüchtlinge aus den Nachbarländern bemängelt und mit Blick auf den Plan Ungarns, an der Grenze zu Serbien gegen Flüchtlinge, die in die EU wollen, einen Zaun zu bauen kritisiert, Zitat: „Es hilft nicht, dass sich jeder gegen jeden abschottet.“, während gleichzeitig die Bundesregierung selbst Abschottung betreibt und voraussichtlich heute der Gesetzentwurf zur Neubestimmung des Bleiberechts und der Aufenthaltsbeendigung mit der Einteilung in richtige und falsche Flüchtlinge, mit der Kriminalisierung von Fluchtwegen, mit der Kriminalisierung geflüchteter Menschen, den Bundesrat passiert.

Die Menschenwürde ist migrationspolitisch nicht zu relativieren, meine Damen und Herren. Genau das tun Sie aber, die Damen und Herren der CDU, nicht nur mit dem heute vorliegenden Antrag. Sie werden damit sowohl heute als auch zukünftig bei derartigen Initiativen immer auf Widerstand und Kritik der

Linken treffen. Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall DIE LINKE, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Danke. Das Wort hat nun Abgeordneter Herrgott für die CDU-Fraktion.

Sehr geehrter Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren, die Einstufung als sicherer Herkunftsstaat ist kein Selbstzweck, wie es heute hier schon des Öfteren behauptet wurde.

(Unruhe BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

(Beifall CDU)

Sie wirkt zum einen aufklärend in die entsprechenden Länder und verringert eine mögliche Anreizwirkung des deutschen Asylverfahrens für Menschen, die tatsächlich keine Aussicht auf eine Anerkennung nach diesem Verfahren hier bei uns haben und nur unter dem Vorwand eines Schutzbedürfnisses aus rein wirtschaftlichen Gründen zu uns kommen wollen. Zum anderen bewirkt die Einstufung als sicherer Herkunftsstaat eine Beschleunigung bei der Bearbeitung der einzelnen Verfahren.

(Zwischenruf Abg. Henfling, BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN: Nicht mal das stimmt!)

Dass besonders für den Kosovo und Albanien eine Handlungsnotwendigkeit besteht, verdeutlicht schon ein Blick in die aktuellen Zahlen, meine Damen und Herren. Unter den zehn häufigsten Herkunftsländern von Asylbewerbern als Erstantragsteller in Deutschland im Zeitraum Januar bis Mai dieses Jahres nehmen der Kosovo Platz 1 und Albanien Platz 3 ein. Von Bürgern aus dem Kosovo wurden insgesamt 27.234 Anträge gestellt, von Bürgern aus Albanien waren es immerhin 15.951.

(Zwischenruf Abg. Rothe-Beinlich, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Fragen Sie sich doch mal, warum!)

(Zwischenruf Abg. Berninger, DIE LINKE: Das begründet aber nicht,...)

Das sind zusammen 34,3 Prozent – ich komme gleich zur Begründung –, also mehr als ein Drittel aller Antragsteller in diesem Zeitraum. Bei den Folgeantragstellern sind es mit 33,2 Prozent aller Antragsteller ähnliche Größenordnungen. Auf das Thema der Folgeantragsteller werde ich aber hier nicht noch mal explizit eingehen.

Die gesamte Dimension der Herausforderungen aus den betrachteten beiden Westbalkanstaaten verdeutlichen aber zwei andere Zahlen noch viel besser, denn die genannten Zahlen entsprechen

bei den Antragstellern einer Steigerung im Vergleich zum Vorjahreszeitraum. Beim Kosovo sind es – sage und schreibe – 1.531 Prozent, bei Albanien sind es „nur“ 398 Prozent Steigerung. Die aktuellen Zahlen zur Anerkennung von Asylbewerbern und zur Gesamtschutzquote von Antragstellern aus dem Kosovo und Albanien sprechen hier aber auch eine ganz eindeutige Sprache: Von 18.846 entschiedenen Verfahren seit Beginn dieses Jahres für Antragsteller aus dem Kosovo wurden als Asylberechtigte anerkannt: null.

Herr Herrgott, erlauben Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Dittes?

Am Ende mache ich das gern.

Bitte.

(Zwischenruf Abg. Dittes, DIE LINKE: Das wird doch wieder nichts bei Ihnen, das ist doch immer so!)

Von 2.851 entschiedenen Verfahren seit Beginn dieses Jahres für Antragsteller aus Albanien wurden als Asylberechtigte anerkannt: ebenfalls null. Als Flüchtlinge wurden von den Antragstellern aus dem Kosovo vier anerkannt, subsidiären Schutz genießen sechs und ein Abschiebeverbot haben 29 erhalten. Das sind die realen Zahlen. Es gibt eine Gesamtschutzquote für Antragsteller aus dem Kosovo von 39 Personen von insgesamt 18.846 entschiedenen Anträgen. Das sind – etwas plastischer dargestellt – 0,2 Prozent für ganz Deutschland, meine Damen und Herren. Bei Albanien sieht das nicht anders aus. Als Flüchtlinge wurden von den albanischen Antragstellern insgesamt drei anerkannt, subsidiären Schutz genießen ebenfalls drei und ein Abschiebeverbot erhalten sieben. Das ergibt eine Gesamtschutzquote für Antragsteller aus Albanien von 13 Personen in diesem Jahr bei immerhin 2.851 entschiedenen Anträgen.

(Zwischenruf Abg. König, DIE LINKE: Ich glaube, da hat wohl jemand in Mathe aufge- passt!)

Um das hier noch mal plastisch darzustellen: 0,5 Prozent – ja, mit Mathe muss man ab und zu mal ein bisschen aufpassen, damit man die realen Zahlen auch mal darstellen kann.

(Beifall CDU)

Die genannten Zahlen sprechen nämlich eine eindeutige Sprache, meine Damen und Herren.

(Abg. Berninger)

Die Gesamtschutzquote über alle Herkunftsländer liegt in diesem Jahr bei 34,7 Prozent. Das hat Herr Möller schon schön ausgerechnet. Im Vergleich dazu sind 0,2 Prozent für den Kosovo und 0,5 Prozent für Albanien eindeutige Anhaltspunkte. Die weit überwiegende Masse dieser Antragsteller aus den beiden Ländern, nämlich jeweils mehr als 99 Prozent, hat kein Anrecht auf unseren Schutz durch Asyl, auch nicht als Asylberechtigter, als Flüchtling oder unter dem Schild des subsidiären Schutzes. Wenn die Argumente, die Frau Rothe-Beinlich und auch Frau Berninger vorhin hier angeführt haben, tatsächlich im individuellen Verfahren diese Gründe herausgearbeitet hätten, dann frage ich mich, warum diese Zahlen in diesen geringen Dimensionen so vonstatten sind. Denn diese Staaten sind aktuell keine sicheren Herkunftsstaaten und es sind Einzelfallprüfungen für jeden Einzelnen individuell.

(Beifall CDU, AfD)

Diese Fakten können Sie als Mitglieder der regierungstragenden Fraktionen nicht abstreiten. Das sollten Sie auch nicht tun. Dennoch wird an dieser Stelle von verschiedenen Seiten – und das haben wir hier vorne auch wieder erlebt – immer wieder der Einwand vorgebracht, die tatsächliche Lage der Bevölkerung und insbesondere der Minderheiten in diesen beiden Ländern ließen eine Einstufung als sichere Herkunftsstaaten nicht zu. Gegenüber der Presse wird hier immer wieder auf verschiedenste Rechtsgutachten und Ausführungen dazu verwiesen. Weil vorhin das Thema „PRO ASYL“ hier genannt wurde, kann ich nur mal auf das Rechtsgutachten von PRO ASYL aus dem letzten Jahr verweisen. Da wurden die drei Länder Serbien, Bosnien-Herzegowina und Mazedonien behandelt und dazu gab es in diesem Jahr noch eine aktuelle Ergänzung. Hier lohnt sich wirklich mal ein Blick in diese Ergänzung. Denn zur Frage der Länder Kosovo und Albanien, wie immer in der Presse darauf verwiesen wird, wird dabei ganz explizit das Thema „sichere Herkunftsstaaten“ von PRO ASYL angesprochen. Ein Blick in das Werk zeigt aber, dass tatsächlich in diesem Ergänzungswerk von Dr. Reinhard Marx und Frau Dr. Karin Waringo nämlich nur Albanien und Montenegro behandelt werden. Vom Kosovo ist in diesem Ergänzungsgutachten überhaupt gar keine Rede.

(Zwischenruf Abg. Möller, AfD: Weil es par- teiisch ist!)

Wobei der Teil zu Albanien in diesem Ergänzungsgutachten ganze drei Seiten umfasst, von 38 Seiten insgesamt, der Rest ist Montenegro. Der Erkenntnisgewinn aus diesen drei Seiten ist zum Teil vorhin von Frau Berninger ein wenig zitiert worden. Das sind aber Verweise auf Seiten des Auswärtigen Amts.

Gestatten Sie mir, dass ich an dieser Stelle einmal aus diesem Gutachten zitiere: „Gemessen an den

im Gutachten aufgezeigten Grundsätzen kann Albanien nicht als ‚sicherer Herkunftsstaat‘ behandelt werden. Zwar ist die verfügbare Auskunftslage zu Albanien extrem schmal, sodass ein verlässliches Urteil derzeit nicht getroffen werden kann.“ Ja, meine Damen und Herren, was ist es denn nun? Ist das nicht in der Lage, kann es nicht als sicherer Herkunftsstaat behandelt werden oder gibt es nicht genügend Daten, um das einzuschätzen? Diese zwei Sätze von diesem Gutachten zeigen schon, auch hier werden nur Schaufensterpolitik und auch eine ganze Reihe Populismus betrieben.

(Beifall CDU, AfD)

Nach diesem Zitat wird auf undatierte Erkenntnisse des Auswärtigen Amtes verwiesen, aber mit sehr rudimentären Quellenangaben. Verzeihen Sie mir, aber unter einem Rechtsgutachten, das begründen soll, warum Albanien und das Kosovo keine sicheren Herkunftsstaaten sind, erwarte ich etwas anderes, etwas Konkretes mit belegbaren Fakten und im Fall des Kosovo auch mit einer Erwähnung dieses Staats im angeführten Gutachten. Mit zwei Seiten unter dem Motto „nichts Genaues weiß man nicht“ und „bei Bedarf schauen Sie mal bitte auf den Seiten des Auswärtigen Amts nach“, lässt sich hier schwerlich argumentieren.

Weitere Gutachten zur Frage der Einstufung als sichere Herkunftsstaaten habe ich bei PRO ASYL zu dieser Sache leider nicht gefunden. So bleiben in der Diskussion zu unserem Antrag nur die harten Fakten unserer eigenen Behörden, die Sie alle im Internet nachlesen können. Beim BAMF kann sich die jeder mit zwei Klicks runterladen, die Gesamtschutzquote von 0,2 Prozent für den Kosovo und von 0,5 Prozent für Albanien. Mehr als 99 Prozent, die Masse der Antragsteller – so muss man daraus fast zwangsläufig schlussfolgern – kommt nur unter dem Vorwand des Asylgesuchs nach Deutschland. Tatsächliche Schutzgründe bestehen nicht. Ich habe die Zahlen vorhin ausgeführt.

(Zwischenruf Abg. Henfling, BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN: Schon mal Interviews von den Leuten gelesen? Wahrscheinlich nicht!)

Diese mehr als 99 Prozent sind keine Flüchtlinge und sie genießen auch keine andere Form des Schutzes hier bei uns. Diese Menschen sind Wirtschaftsflüchtlinge, die sich unter dem Vorwand des Asylrechts bei uns ein besseres Leben versprechen.

(Zwischenruf Abg. Dr. Scheringer-Wright, DIE LINKE: So arrogant!)

Das ist menschlich nachvollziehbar, aber es ist der völlig falsche Weg, meine Damen und Herren. Denn das Asylrecht ist nicht das Ticket zur Zuwanderung.

(Beifall CDU)