Wir jedenfalls werden rassistischer Stimmungsmache niemals Vorschub leisten. Es entsteht so nämlich eine Mitschuld an der Entrechtung ohnehin diskriminierter Minderheitenangehörigen, meine sehr geehrten Damen und Herren. Wir setzen auf eine verantwortungsvolle Migrations- und Asylpolitik, die
die Menschenrechtssituation weltweit im Blick behält. Das habe ich deutlich gemacht. Genau das lässt eine Einstufung von Ländern, auch im Westbalkan, als sichere Herkunftsländer nicht zu. Aus ökonomischen wie aus politischen Gründen werden weiterhin zahlreiche Bürgerinnen und Bürger beider Staaten versuchen, nach Deutschland oder in andere EU-Staaten zu migrieren.
Es gibt kaum legale Möglichkeiten, in die EU einzuwandern, obwohl viele derjenigen, die nach Deutschland kommen, Chancen haben, sich hier eine neue und eigenständige Existenz aufzubauen. Führen Sie sich mal vor Augen: Viele Kosovarinnen und Kosovaren beispielsweise haben gute Bezüge nach Deutschland, sie sind gut qualifiziert, manchmal sogar durch unsere Schul- und Ausbildungssysteme gegangen und haben entsprechende Studienabschlüsse. Wir wollen uns dafür einsetzen, für die Betroffenen legale Einwanderungswege jenseits des Asylsystems und ein Bleiberecht für die bereits hier lebenden Menschen zu schaffen.
An die Kollegen der CDU würde ich appellieren, die Realität anzuerkennen, dass sich die Migration aus dem Kosovo und anderen Balkanstaaten kaum durch restriktive Maßnahmen verhindern lässt.
Gestatten Sie mir noch eine nachdenkliche Frage zum Schluss. Ich weiß, dass diese durchaus auch provozieren kann. Auch aus der ehemaligen DDR sind viele Menschen geflohen. Fragen Sie sich mal, ob diese angesichts unseres Asylsystems in Deutschland heute Anerkennung finden würden? Wir Grüne haben jede und jedem hohen Respekt gezollt, der es gewagt hat, dieses Land, die DDR, zu verlassen.
(Zwischenruf Abg. Möller, AfD: Das war eine Nation! Das ist ein Unterschied! Ein Riesen- unterschied!)
Wenn man mit einem rechtsverdrehten Weltbild auf eine menschenrechtsorientierte und humanitäre Landesregierung und Regierungskoalition trifft, dann, Herr Möller, mag das skurril erscheinen. Das rückt aber nicht die Koalition oder die Landesregierung in das rechte Licht, meine Damen und Herren.
Diesen Leitsatz des Bundesverfassungsgerichts aus dem Jahr 2012 haben mittlerweile alle relevanten gesellschaftlichen Gruppen und Institutionen begriffen und zur Handlungsmaxime gemacht, Wohlfahrtsorganisationen, Parteien, Verbände, die christlichen Kirchen, die jüdischen und auch die muslimischen Gemeinden, nur Sie nicht, meine Damen und Herren von der Thüringer CDU und nicht die Rassistinnen und nicht die Rechtspopulistinnen. Diesen Leitsatz: „Die […] Menschenwürde ist migrationspolitisch nicht zu relativieren.“ werde ich hier so lange und so oft wiederholen, bis ich das Gefühl habe, dass auch Sie ihn verstanden und verinnerlicht haben, sehr geehrte Damen und Herren der CDU. Ich finde, er ist mehr als angebracht als Reaktion auf Ihren Antrag mit diesem populistischen, ja demagogischen, Flüchtlinge diskreditierenden Titel, meine Damen und Herren.
Vorab zur Klarstellung: Die Linke lehnt sowohl das zynische und menschenverachtende Abschottungsmodell der sogenannten sicheren Herkunftsländer als auch sogenannter sicherer Drittstaaten ab, nicht nur, weil es vor allem Deutschland als in der Mitte der EU befindlichem und ausschließlich von sogenannten sicheren Drittstaaten umgebenem Land hilft, sich aus seiner politischen Verantwortung zu stehlen, denn dafür ist dieses Konstrukt erfunden worden. Abzulehnen ist das Konstrukt auch, weil die Einstufung der Länder als sichere Drittstaaten oder sichere Herkunftsländer nicht nach sachlichen Kriterien oder gar humanitären Maßstäben vorgenommen wurde, sondern allein mit dem Argument
gestiegener Zahlen und ohne sich die Zustände in den Ländern anzuschauen und die Einbringung des Gesetzes …
Die Einbringung des Abgeordneten Herrgott hat auch allein mit dem Argument gestiegener Zahlen auskommen müssen. Diesbezüglich, was die Zustände in den Ländern und die Kriterien betrifft, wonach man sichere Herkunftsländer einführen kann, führte das Bundesverfassungsgericht in einem Grundsatzurteil zur rechtlichen Bewertung bereits vom 14. Mai 1996 aus. Ich zitiere: „Der Gesamtwürdigung geht jedoch die Tatsachenfeststellung abtrennbar voraus. An diese [Feststellungen knüpft] das Bundesverfassungsgericht für den Gesetzgeber hohe Anforderungen: Schafft nämlich der Gesetzgeber mit der Herkunftsstaatenregelung eine Grundlage für den Verlust des vorläufigen Bleiberechts bedingt dies [– Zitat –] ‚ein bestimmtes Maß an Sorgfalt bei der Erhebung und Aufbereitung von Tatsachen, die einer solchen feststellenden, verfassungsrechtlich vorgegebene Kriterien nachvollziehenden gesetzgeberischen Entscheidung notwendigerweise zukommt. Dieses Maß ist je nach den konkreten Gegebenheiten im jeweiligen Staat unterschiedlich. Dabei kommt dem Gesetzgeber, insbesondere hinsichtlich der dabei zu beschreitenden Wege, ein Entscheidungsspielraum zu. Er wird zur Ermittlung der bedeutsamen Tatsachen die zugänglichen und als bedeutsam anzusehenden Quellen heranzuziehen und auszuwerten haben.‘ “ Dass dies aber nicht passiert, wird gerade auch im Bezug auf die Balkanstaaten und in Bezug auf Albanien und Kosovo ganz offensichtlich. Deutlich über 8.000 Anträge sind im Jahr 2014 laut Statistik des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge jeweils bezogen auf die Herkunftsländer Albanien und Kosovo gestellt worden. Nun hat sich der Leiter des Amts in den Medien zu Wort gemeldet, im April beispielsweise in der FAZ, dass Albanien und Kosovo in die Liste der sicheren Herkunftsstaaten aufgenommen werden müssten, und er hat dabei auf die ansteigenden Zahlen verwiesen. Das aber ist eine, auch nach Bundesverfassungsgericht, sachwidrige Argumentation. PRO ASYL hat schon im Mai 2014 mit einem Gutachten darauf verwiesen,
dass der Verweis auf steigende Fallzahlen und angeblich sinkende Anerkennungsquoten sachfremde und verfassungsrechtlich unzulässige Begründungen für eine Aufnahme in diese Länderliste sind. Im April dieses Jahres berichtete PRO ASYL davon, dass etwa ein Drittel der Bevölkerung im Kosovo von Obdachlosigkeit, Mangelernährung und mangelnder gesundheitlicher Versorgung betroffen ist. Die Ursachen dieser Situation liegen – so PRO ASYL, aber auch beispielsweise Amnesty International – vor allem darin begründet, dass es unter anderem als Spätfolge des Kosovokriegs und der Abspaltung von Serbien immer noch keine funktionierenden staatlichen Strukturen gibt, die Minderheitenangehörige vor Diskriminierung zu schützen in der Lage oder auch willens wären. Auch – das ist bereits angesprochen worden – im Kosovo gibt es ein massives Korruptionsproblem. Hinzu kommt, dass es im Kosovo nach Erkenntnissen zum Beispiel des UNHCR oder von PRO ASYL immer noch oder wieder erhebliche Konflikte zwischen Bevölkerungsgruppen gibt. Es geht zum einen um den Konflikt zwischen Kosovo-Albanern und im Kosovo lebenden Serben. Besonders hart und gewaltsam sind laut PRO ASYL die Diskriminierungen und Verfolgungen gegen Roma, Ägypterinnen und Ashkali. Dabei geht es eben nicht nur um die Ausgrenzung von der Erwerbsarbeit, von Bildung, medizinischer und sozialer Versorgung, sondern auch um existenz- und lebensbedrohende Übergriffe. Die Journalistin Ana Otasevic macht in einem Artikel in der Juniausgabe der „LE MONDE diplomatique“ auf einen weiteren Gesichtspunkt aufmerksam, nämlich dass die europäische Außenpolitik im Kosovo zwar aktiv ist, jedoch leider auf eine sehr kontraproduktive Art und Weise. Am Beispiel der EULEX-Aktivitäten weist sie nach, dass dieses Rechtsstaatlichkeitsprogramm nicht, wie eigentlich offiziell beabsichtigt, rechtsstaatliche Strukturen gestärkt und Korruption bekämpft hat, sondern vielmehr, dass korrupte Strategien und Strukturen eher gedeckt wurden und sogar Mitarbeiter der EU-Mission selbst verstrickt sind.
Meine Damen und Herren, es ist natürlich ein richtiger Ansatz, Fluchtursachen in den Herkunftsländern zu bekämpfen. Aber gut gemeint und gut gemacht sind zweierlei und immer von verschiedenen Faktoren abhängig.
Die genannten Fakten zeigen auf, existenzielle, soziale Bedrohungslagen haben ihre Ursache in politischen Problemlagen wie der sogenannter gescheiterter Staaten im Kosovo, vor allem als Spätfolgen von Krieg, für die auch die Politik der EU einen ganz gehörigen Anteil an Mitverantwortung hat. Das Auswärtige Amt kommt in vertraulichen Lageberichten, so berichtete es die „Berliner Zeitung“ schon im Mai 2014, zu harten Urteilen über die menschenrechtliche Lage in Albanien und Monte
negro. So heißt es über Albanien: Dort herrschten Korruption, Nepotismus und organisiertes Verbrechen sowie eine Kultur der Straflosigkeit und fehlenden Implementierung der vorhandenen Regelwerke. Viele Institutionen, insbesondere Gerichte und Polizei, gelten als käuflich, Roma würden gesellschaftlich ausgegrenzt und es könne auch nicht ausgeschlossen werden, dass sie Opfer diskriminierender Verwaltungspraxis würden.
Meine Damen und Herren, es wird doch wohl keiner bestreiten, dass eine Kumulation solcher Fluchtursachen durchaus asylrechtliche Relevanz in der sorgfältigen Prüfung des Einzelfalls haben kann. Die sorgfältige Prüfung des Einzelfalls, die wird durch die Einstufung sogenannter sicherer Herkunftsländer ad absurdum geführt und den Menschen verwehrt. Angesichts all der beschriebenen Zustände – und ich kann mir nicht vorstellen, dass Ihnen, sehr geehrte Damen und Herren der CDU, diese unbekannt sein sollten –, angesichts all dessen ist schon der Titel Ihres Antrags äußerst populistisch und meines Erachtens nicht nur latent rassistisch. Die Begriffswahl „Wirtschaftsflüchtling“ wird während ihres plakativ abwertenden Charakters und der unausgesprochenen Assoziation mit anderen sehr negativ konnotierten Begriffen wie zum Beispiel „Sozialschmarotzer“ und andere in volksverhetzender Absicht
auch gern von ganz rechts außen benutzt. Ich will mal in diesem Zusammenhang auf die Ausgabe 25 der Zeitschrift „Aus Politik und Zeitgeschichte“ der Bundeszentrale für politische Bildung verweisen, die am Dienstag zu einer flüchtlingspolitischen Veranstaltung des Europäischen Informationszentrums in der Staatskanzlei zur Verfügung gestellt wurde, in der Klaus Jürgen Bade sehr deutlich aufzeigt, was in dem Begriff „Wirtschaftsflüchtlinge“ abwertend und denunziatorisch ist und weshalb ihn CDUund CSU-Politiker immer mal wieder verwenden. Der Abgeordnete Christan Herrgott war in der Veranstaltung da, er stellt Ihnen sicherlich gern eine Kopie dieses Artikels zur Verfügung.
Dass die Fraktion der CDU mit diesem Plenumsantrag am ganz rechten Rand fischt, ist sehr entlarvend, was inhaltliche Ausrichtung und das Klientel angeht, dass
Herr Kollege Heym, bereits mit dem Zwischenruf vorhin haben Sie bestätigt, dass dies genau das ist, worum es Ihnen geht.
Bürgerkriege oder Unruhen aus politischen Gründen, existenzielle Notlagen, Klimakatastrophen und anderes. Ja, es ist nicht auszuschließen, dass sich viele der Flüchtlinge aus Albanien und Kosovo aufgrund der wirtschaftlichen Lage, aus existenzieller Not auf den Weg machen, wie es in der Begründung des Antrags heißt. In andere Länder fliehen Menschen übrigens auch. Aber auch diese von der CDU als Wirtschaftsflüchtlinge diskreditierten Menschen fliehen bei genauer Betrachtung nicht vorrangig aus diesen wirtschaftlichen Gründen, sondern weil es eine politisch unsichere Lage gibt, weil es staatlich geförderte oder zumindest geduldete Diskriminierung bis hin zu Übergriffen gibt oder weil wegen fehlender funktionierender staatlicher Unterstützungsstrukturen existenzielle Bedrohungen bestehen, vor allem auch für Familien mit Kindern.
Die damit verbundenen wirtschaftlichen Schwierigkeiten sind sozusagen Begleiterscheinungen dieser Situation. Wissenschaftlich spricht man von „subsistence migration“, nämlich der Flucht aus unerträglichen Existenzbedingungen, einem Teilbereich der unfreiwilligen Wanderungen, so erklärt es Klaus Jürgen Bade in dem bereits erwähnten Artikel, den Ihnen der Abgeordnete Herrgott gern zur Verfügung stellen wird.
Diese Menschen machen sich nicht mal einfach so oder aus einer Laune heraus oder aus Jux und Tollerei auf den Weg. Es ist die blanke Existenzangst und pure, unter anderem durch Ausgrenzung und Benachteiligung entstehende Not, die die Menschen zur Flucht zwingen. Angesichts dieser tatsächlichen Situation, die durch Länderberichte und Studien belegt ist, ist es lebensfremd und menschenverachtend, hier eine Ausweitung der Kategorie der sicheren Herkunftsländer zu verlangen.