In den Stellungnahmen zum Weißbuch zu den genannten Reflexionspapieren haben die Koalitionsfraktionen, aber auch die CDU deutlich gemacht, dass sie eine Realisierung des Szenarios 5 präferieren. Und dafür sind wir Ihnen auch sehr dankbar, da nur diese Vorgehensweise die Möglichkeit einer schnellen und tieferen Integration der EU-Mitgliedstaaten bietet, wodurch das Projekt Europa eine neue Dimension erhalten würde. Die Realisierung des Szenarios 5 wäre zudem mit einer erheblichen Stärkung der Rechte der Bürgerinnen und Bürger in allen Bereichen verbunden.
Die AfD hat – wenig überraschend – in ihren Stellungnahmen betont, dass sie eine weitere europäische Integration grundsätzlich ablehnt. Sie wollen die EU zu einer freien Wirtschaftsgemeinschaft im Sinne der frühen europäischen Gemeinschaft zurückentwickeln und sie treten mehr für das Konzept „Europa der Vaterländer“ aus den 50er-Jahren ein.
Der Europaausschuss hat am 27.11.2018 eine mündliche Anhörung zum Weißbuch und den genannten Reflexionspapieren durchgeführt. Dabei haben die Anzuhörenden des Europäischen Zentrums – EPSC, Thinktank der EU-Kommission für politische Strategie – in Brüssel und die Europa
rechtsexperten der Universitäten in Jena und Erfurt deutlich gemacht, dass eine Realisierung des Szenarios 5 die grundsätzliche Zielstellung bei der Weiterentwicklung der EU bleiben sollte, dass es aber auf dem Weg dorthin natürlich aller Wahrscheinlichkeit nach auch – zumindest temporär – zu einem Mix der Szenarien 3 bis 5 kommen kann, also zu einer vorweggenommenen Entwicklung in Teilstaatenbündnissen innerhalb der EU.
Demnach ist davon auszugehen, dass sich die EU künftig wahrscheinlich zunächst auf folgende eng definierte Handlungsschwerpunkte konzentrieren wird – eher im Szenario 4, anstatt ihr Engagement in allen Politikfeldern zu zerfasern: Grenzkontrollen, Migration, Partnerschaft mit Afrika, europäische Infrastruktur, Sicherheit, Verteidigung, Nachhaltigkeit, Innovation, Digitales. Innerhalb dieser Handlungsschwerpunkte würden die EU-Mitgliedstaaten dann entscheiden, ob sie jeweils das Szenario 3 „Wer mehr tun will, tut mehr“ oder das Szenario 5 „Viel mehr gemeinsames Handeln“ verfolgen. Bei der Umsetzung der jeweiligen Vorhaben strebt die EU zudem eine deutliche Effizienzsteigerung an, also mehr Tempo und größere Tiefe der jeweiligen Zusammenarbeit.
Diese Anhörungsergebnisse haben dazu geführt, dass die Koalitionsfraktionen und die CDU ihre bisherige Haltung zum Weißbuch dahin gehend modifiziert haben, dass wir nun ebenfalls temporäre Mischszenarien auf dem Weg zur Realisierung des Szenarios 5 als unvermeidbar akzeptieren, aber eben auch als ein Fortschritt, wenn auch nicht den ultimativen, den wir uns wünschen. Diese neue Positionierung schlägt sich dann auch in unserem Koalitionsantrag nieder.
Nun zu dem Antrag selbst: Wir bekennen uns als Koalition ausdrücklich – und das ist wichtig in diesen unseren Zeiten – zur Europäischen Union als Wertegemeinschaft und gemeinsames europäisches Friedensprojekt. Wir würdigen – es ist bereits darauf Bezug genommen worden – die EUFörderpolitik, die maßgeblich zur Gestaltung Thüringens, zum Gelingen Thüringens ab 1990 beigetragen hat. Wir positionieren uns zum Weißbuch und den darauf basierenden Reflexionspapieren und schließen daraus, dass wir uns für eine Stärkung der EU aussprechen.
Schließlich haben wir an das Ende unseres Entschließungsantrags auch noch mal die Aufforderung an alle Thüringerinnen und Thüringer gerichtet, sich an den Europawahlen zu beteiligen.
In welcher geistigen Tradition machen wir das alles? Immanuel Kant hat jetzt gerade keinen runden Geburtstag oder kein rundes Jubiläum, aber seine
berühmte Schrift „Zum ewigen Frieden“ ist jetzt genau 222 Jahre alt – eine schöne Zahl. Und deswegen vielleicht auch noch mal ein Grund, uns dieser Grundgedanken dieses Königsberger Philosophen zu entsinnen. Er hat in diesem immer wieder lesenswerten Werk als Bedingungen für einen dauerhaften Frieden drei Punkte festgestellt: Staaten sollen republikanisch organisiert sein. Republikanisch meint Kant im Sinne von nicht despotisch – ein wichtiger Grundsatz für die Staaten der Europäischen Union. Der zweite Grundsatz: Ein Völkerrecht soll Grundlage für zwischenstaatliche Friedensordnungen sein, die staatliche Souveränität eingrenzen können, damit Anarchie verhindert wird. Und das Dritte: Jeder Mensch hat das Recht, seine Rechte einzufordern, auch gegenüber Staaten, deren Bürger er nicht ist. Diese sehr alten, aber immer noch – finde ich – sehr wirksamen und sehr überzeugenden Ideen von Immanuel Kant setzt unsere Europäische Union 222 Jahre später um und dieser Tradition sollten wir uns auch gemeinsam verpflichtet fühlen.
Wir können nicht mehr in eine engstirnige kleine Nationalstaaterei zurückfallen. Das ist weder wirtschaftlich, ökonomisch, politisch, friedenspolitisch, aber auch nicht demokratisch gewandt. Kleinstaaterei heißt heute auch Kleingeisterei. Die europäische Entwicklung der letzten Jahrzehnte hat für uns alle den Horizont erweitert und nicht nur die Reisemöglichkeiten. Deswegen freuen wir uns auf die weitere gedeihliche Zusammenarbeit über Fraktionsplätze hinweg im Thüringer Landtag, in unserem Europaausschuss, an einer gemeinsamen Zukunft von Europa – für uns und unsere Kinder. Herzlichen Dank.
Sehr geehrte Frau Präsidentin, sehr geehrte Besucher auf der Tribüne, sehr geehrte Kollegen Abgeordnete! Sehr geehrter Herr Kubitzki, erst einmal herzlichen Dank für die Berichterstattung. Wir – und das ist richtig, dass Sie das festgestellt haben –, haben eine gute, eine konstruktive Atmosphäre im Ausschuss, auch oder vielleicht auch gerade deswegen, weil es da auch manchmal, jetzt seit Neuestem oder seit wenigen Jahren mal Positionen gibt, die man dort vorher so noch nicht vernommen hat. Ich denke, das hat auf jeden Fall auch zur Be
lebung der Ausschussarbeit beigetragen. Aber wie gesagt, es ist eine sehr konstruktive und positive Atmosphäre in unserem Ausschuss.
Nichtsdestotrotz muss ich natürlich jetzt meinen Vorrednern ein wenig widersprechen. Ich werde das zunächst einmal in der Abarbeitung des Tagesordnungspunkts a) und dann des Tagesordnungspunkts b) tun. Ich möchte eingangs auch das noch einmal wiederholen, was ich eigentlich in fast jeder Ausschusssitzung fast schon wie ein Mantra wiederhole: dass die synonyme Verwendung von EU und Europa nicht zielführend ist. Sie ist nicht zielführend und sie ist in meinen Augen auch – so wie sie von den Altparteien verwendet wird, diese synonyme Begriffslegung – als Manipulation einzuordnen. Wir brauchen Begriffsklarheit,
damit wir unsere Positionen austauschen können, damit wir dann auch zu Konsens und zu Kompromissen finden.
Aber wir sollten die Sprache in klaren Begriffen verwenden. EU ist nicht Europa, das ist schon aus dem Faktum ablesbar, dass wir zurzeit – ich meine – 47 europäische Staaten haben. Davon sind 28 – ich muss sagen: noch 28 – Mitglied der EU. Also kann sich, glaube ich, jeder hier zusammenziehen, dass EU und Europa zwei unterschiedliche Dinge sind.
Ja, sehr geehrte Kollegen Abgeordnete, ich komme zunächst mal zu Punkt 16 a: Die hier in Rede stehende Vereinbarung regelt das Zusammenwirken zwischen der Landesregierung und dem Landtag in Angelegenheiten der sogenannten Europäischen Union. Es geht um legislative wie nicht legislative Angelegenheiten der EU, die in Dokumenten und Modalitäten über uns kommen und die insoweit auch in die Zuständigkeit des Landes fallen. Das Regelwerk, das wir hier vorgefunden haben und das wir hier exekutieren, hat sich unter den gegebenen Bedingungen – ich betone: unter den gegebenen Bedingungen – auch nach unserer Auffassung im Großen und Ganzen bewährt. Deswegen, das kann ich hier schon voran- und vorabstellen, werden wir als AfD-Fraktion auch nicht gegen diese Beschlussempfehlung stimmen.
Indes können wir dieser Beschlussempfehlung auch nicht zustimmen, denn wenn wir die Vereinbarung in einen EU-politischen Zusammenhang stellen, erweist sich die Sache dann doch als problematisch. Bei der in Sprache stehenden Vereinba
rung geht es vorrangig um zwei Dinge. Erstens: Der Landtag soll in die Gesetzgebung der EU eingebunden werden, und zwar mit Blick auf die Frage, ob von Brüssel geplante Rechtsnormen in die Zuständigkeiten des Freistaats eingreifen und, wenn ja, ob die EU zu einem solchen Eingriff berechtigt ist. Das ist die Frage der Einhaltung des Subsidiaritätsgrundsatzes.
Zweitens soll der Landtag in nicht legislative Materien der EU eingebunden werden, etwa in die Diskussion – die auch schon erwähnt wurde – der Grün- und Weißbücher aus Brüssel. Das klingt zunächst einmal, sehr geehrte Kollegen, nach demokratischer Beteiligung, nach demokratischer Legitimation des EU-Handelns. So soll es ja auch klingen. Durch die entsprechenden parlamentarischen Beratungen und Verfahren soll der Landtag seiner sogenannten – und das ist ein ganz zentraler Begriff, der häufig verwendet wird und von meinen Vorrednern stellenweise auch schon gebraucht worden ist – Integrationsverantwortung in EU-Angelegenheiten nachkommen und selbige wahrnehmen. Leider aber ist es so, dass wir hier mehr Schein als Sein vor uns haben, denn tatsächlich vermag die Mitwirkung des Landtags in den genannten Angelegenheiten der EU nur sehr wenig Wirkung zu entfalten, wenn überhaupt. Im Grunde kann man eigentlich gar nicht von Mitwirkung reden,
und das liegt quasi in der Natur der Sache. Auch das wurde zumindest indirekt von meinen Vorrednern hier und da mal angesprochen: Die Stimme des Thüringer Landtags ist eben nur eine von 16 Stimmen der deutschen Landesparlamente und nun kommen in der EU noch zahlreiche andere Parlamente hinzu, beispielsweise – wie heute auch schon erwähnt – neun österreichische Landtage. Die wirken alle ebenfalls mit und jedes einzelne dieser Parlamente stellt für sich stets nur ein kleines, im Zusammenhang des EU-Ganzen machtloses Mosaiksteinchen dar.
Denn haben wir Einwände gegen ein Rechtsetzungsvorhaben der EU, so können wir zwar Subsidiaritätsrüge erheben, aber diese Einwände versickern de facto bereits auf der Ebene des Bundesrats.
Selbst wenn der Bundesrat einmal seinerseits eine Subsidiaritätsrüge erhebt und entsprechende Einwände der Bundesländer aufgreift, wird Brüssel regelmäßig darüber hinweggehen, denn der Bundesrat allein ist natürlich auch wiederum nicht gewichtig genug. Es müssten sich noch mehr mitgliedstaatliche Parlamente gegen das jeweilige Brüsseler Vorhaben stellen, und das kommt nur selten vor, eigentlich so gut wie nie.
Wir sehen also, wie das funktioniert: Man hat das Subsidiaritätsprinzip in Artikel 5 des EU-Vertrags verankert. Man hat den Landesparlamenten großspurig Mitwirkungsrechte eingeräumt, man spricht erhaben von „Integrationsverantwortung“, also von einer Verantwortung deutscher Parlamente für die sogenannte europäische Integration, aber de facto handelt es sich bei dieser Mitwirkung zwar um zeitund kostenintensive Prozesse, aber eben um Prozesse, die sich gegenüber Brüssel letztlich kaum je wirksam durchsetzen können.
Das, sehr geehrte Kollegen Abgeordnete, ist Scheinpartizipation, das ist zumindest ein Ansatz von Fassadendemokratie und damit können wir als AfD-Fraktion nichts anfangen.
Am Ende setzt sich Brüssel durch, wie gewichtig die Einwände des Thüringer Landtags auch sein mögen. Allerdings ist die Neigung des Thüringer Landtags, Einwände gegen Brüsseler Vorhaben geltend zu machen, eher – und ich drücke mich jetzt mal ganz diplomatisch aus – nicht so stark ausgeprägt. 81 sogenannte Subsidiaritätsdokumente hat der Europaausschuss zwischen April 2014 und April 2018 beraten. Und wie oft wurde Subsidiaritätsrüge erhoben? In sage und schreibe zwei Fällen, sehr geehrte Kollegen Abgeordnete.
Die AfD-Fraktion hat in durchaus mehr als zwei Fällen – und das habe ich ja im Ausschuss getan – begründeten Anlass zur Subsidiaritätsrüge gesehen und im Ausschuss auch entsprechende Anträge gestellt, aber davon wollten die vereinten Jubeleurokraten von Rot-Rot-Grün und CDU dort und heute hier augenscheinlich und ohrenscheinlich leider auch nichts hören.
Brüssel, sehr geehrte Kollegen Abgeordnete, verfolgt unbeirrt seine Agenda, während wir uns hier darüber unterhalten, wie die Landesregierung den Landtag am besten über Mitteilungen der Europäischen Kommission unterrichtet. So sind wir jetzt wieder beim Verfahren in Thüringen: Dieses Verfahren der Subsidiaritätsprüfung steht stets – und das wurde durchaus zu Recht von zwei Vorrednern
auch betont – unter einem außerordentlichen Zeitdruck. Das steht einer intensiven Befassung mit den Materien der EU-Rechtssetzung von vornherein im Wege. Aber immerhin ermöglicht dieses Verfahren einen Einblick in die Herrschaftsmechanismen dieser EU. Jean-Claude Juncker gab diesen Einblick einmal wahrscheinlich ungewollt in einem Interview, wo er die Brüsseler Entscheidungspraxis offenlegte. Ich zitiere mit Ihrer Zustimmung, Frau Präsidentin: „Wir beschließen etwas, stellen das dann in den Raum und warten einige Zeit ab, was passiert. Wenn es dann kein großes Geschrei gibt und keine Aufstände, weil die meisten gar nicht begreifen, was da beschlossen wurde, dann machen wir weiter – Schritt für Schritt, bis es kein Zurück mehr gibt.“
Sehr geehrte Kollegen Abgeordnete, ernsthaftes Interesse an Partizipation, ernsthaftes Interesse an lebendiger Demokratie springt mich tatsächlich aus diesen Zeilen des Jean-Claude Juncker nicht an.
Das also ist der größere Zusammenhang, in den wir unsere parlamentarischen Beratungen in EUAngelegenheiten stellen müssen. In einer solchen Perspektive erscheint die Vereinbarung über die Unterrichtung und Beteiligung des Landtags in Angelegenheiten der Europäischen Union als ein Dokument, das zwar geeignet ist – und ich betonte das eingangs schon –, unsere Arbeit unter den gegebenen Rahmenbedingungen angemessen zu organisieren, das aber zugleich dazu beiträgt, einer fragwürdigen EU-Herrschaftspraxis ein demokratisches Feigenblatt umzuhängen.
Damit komme ich, sehr geehrte Kollegen Abgeordnete, dann zum Punkt 16 b. Ich gehe erstens zunächst auf das Weißbuch und die Reflexionspapiere ein, dann zweitens auf einige Forderungen des rot-rot-grünen Antrags in Drucksache 6/7141.
Zu Erstens: Hier ist davon gesprochen worden – und so steht es im Antrag –, dass mit den Papieren aus Brüssel ein breit angelegter Diskussionsprozess über die Zukunft der EU angeschoben worden sei. Für diese Diskussion hat die EU-Kommission jene bereits auch von meinen Vorrednern hier und im Ausschuss erläuterten fünf Szenarien einer möglichen Entwicklung der EU vorgelegt. Sieht man sich das Weißbuch und die Reflexionspapiere genauer an, so erkennt man allerdings rasch, dass es der EU-Kommission nicht wirklich um eine unvoreingenommene und ergebnisoffene Debatte geht. Dies ist unschwer an den impliziten und expliziten Wertungen in den Formulierungen zu ersehen, die dort präsentiert werden. Namentlich wer
den die Szenarien 2 und 4, die in Richtung weniger EU weisen, vor allem unter den Gesichtspunkten der Nachteile und Verluste präsentiert. Eine tatsächlich alternative Position taucht in den Papieren allenfalls am Rande und – ich betone – ohne faire Darstellung auf.
Für eine wirklich alternative Position muss es angesichts der Krisen unserer Zeit der Auffassung der AfD nach eher um eine Stärkung der Nationalstaaten und nicht um ihre Schwächung gehen, wie das hier heute die Mehrheitsmeinung im Hohen Haus zu sein scheint, darum, mehr nationale politische Vielfalt zu ermöglichen. Es muss darum gehen, die Regelungsexzesse eines demokratisch völlig unzureichend legitimierten Verwaltungsregimes zu beenden, und darum, sowohl die desaströse Euro- und Währungs- wie auch die immer weniger effektive Wirtschaftspolitik preiszugeben. Für diese wirklich alternativen Ansätze steht augenscheinlich im Augenblick nur die AfD bereit, aber wir tun das mit Stolz und in dem Bewusstsein, das Richtige zu tun.