Protocol of the Session on December 14, 2018

(Beifall AfD)

Sie versteifen sich darauf, flächendeckende Inklusion an allen Schulen durchsetzen zu wollen, aber mit keinem Wort gehen Sie darauf ein, welche Folgen das für die betreffenden Menschen tatsächlich hat. Nicht mit einem Wort erklären Sie, in welchen Lebenslagen die Menschen sind, die mit einer Behinderung leben, in welchen Lebenslagen sie sich befinden. Nicht mit einem Wort erklären Sie, welchen Mehrwert ein inklusives Schulsystem für all diese Kinder haben soll. Und das sollte man doch mal begründen. Sie blenden die Menschen, über deren Lebensweg Sie heute beschließen wollen, komplett aus, weil Sie nicht wollen, dass die Sinnhaftigkeit flächendeckender Inklusion hinterfragt wird. Sie gehen hin und stellen ein inklusives Schulsystem als etwas Absolutes dar, als etwas, das unhinterfragbar gut sein soll. Dadurch stellen Sie eben nicht nur sich selbst als die angeblich guten Menschen hin, sondern Sie stellen auch Kritiker des Unterfangens als angeblich schlechte Menschen hin.

(Beifall AfD)

Wir haben das ja in der Debatte, glaube ich, auch vorhin schon gehört. Sie versuchen damit auch, eine Debatte darüber, ob ein inklusives Schulsystem für betroffene Kinder- und Jugendliche sinnvoll ist, zu erschweren, auf die unsachliche Schiene zu ziehen, wenn nicht gar zu unterbinden. Das finde ich

nicht nur für unsere Demokratie, sondern auch für die betroffenen Menschen bedauerlich.

(Beifall AfD)

Bevor wir uns allerdings der Frage widmen, wie flächendeckende Inklusion überhaupt realisiert werden soll, sollten wir Ihr Argument, warum wir angeblich ein inklusives Schulsystem installieren müssen, unter die Lupe nehmen. Sie argumentieren in Ihrem Antrag nicht mit den Bedürfnissen der betroffenen Menschen, Sie argumentieren mit der Existenz der UN-Behindertenrechtskonvention. Ja, die UN-Behindertenrechtskonvention ist für Deutschland verbindlich. In ihr steht aber mitnichten, dass Deutschland oder Thüringen verpflichtet wären, ein inklusives Schulsystem zu installieren oder gar Förderschulen abzuschaffen. Und dass Sie sich auf die UN-Behindertenrechtskonvention berufen, um unser Förderschulsystem kaputt zu machen, das wird auch dadurch nicht besser, dass Sie es wiederholt und mit Schnappatmung tun.

(Beifall AfD)

Gerade weil Sie sich wiederholt weigern, diesen Punkt noch einmal zur Kenntnis zu nehmen, möchte ich auch darauf noch mal eingehen. Der deutsche Text der UN-Behindertenrechtskonvention enthält an keiner Stelle die Wörter „Inklusion“ oder „inklusiv“.

(Zwischenruf Abg. Stange, DIE LINKE: Ge- nau das ist das Problem!)

(Unruhe DIE LINKE)

Wenn es das Problem ist, dann berufen Sie sich doch gar nicht auf die UN-Behindertenrechtskonvention.

Also, die UN-Behindertenrechtskonvention enthält diese Wörter „Inklusion“ und „inklusiv“ an keiner einzigen Stelle, auch wenn Sie noch so ramentern.

(Zwischenruf Abg. Skibbe, DIE LINKE: Wenn Sie immer nur Sekundärliteratur lesen!)

Das englische Wort „inclusiv“ wird im deutschen Text mit „integrativ“ wiedergegeben. Das englische Wort „inclusion“, das sich in der englischen Vertragsfassung dann auch findet, wird in der deutschen Fassung in der Regel mit „Teilhabe“ übersetzt. Es geht in der UN-Behindertenrechtskonvention also richtigerweise um Teilhabe von Menschen, die mit einer Behinderung leben, an Bildung, an unserem Bildungssystem. Es geht in der UN-Behindertenrechtskonvention nicht um einen flächendeckenden inklusiven Unterricht und schon gar nicht um die Abschaffung der Förderschulen.

(Beifall AfD)

(Zwischenruf Abg. Stange, DIE LINKE: Doch!)

Im Interesse der Betroffenen, im Interessen einer tiefen, intensiven Diskussion würde ich Sie bitten, diese Tatsache endlich einmal zur Kenntnis zu nehmen.

(Unruhe BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Auf noch einen Aspekt möchte ich Sie gern hinweisen: Die Vereinten Nationen bestehen derzeit aus 193 Staaten. Unter diesen Staaten befinden sich sicherlich Staaten, die ein dem Niveau Deutschlands vergleichbares Bildungssystem haben. Unter diesen 193 Staaten gibt es aber auch noch viel mehr Staaten, in denen vollkommen andere, teils äußerst bedauernswerte Zustände herrschen, was den Zustand des Staates im Allgemeinen, die Sicherheit, die Bildung und eben auch die Bildungsmöglichkeiten von Kindern, die mit einer Behinderung leben, betrifft. Und in diesen Staaten ist es eben nicht nur allgemein problematisch, dass Kinder überhaupt Bildung erhalten, es ist insbesondere problematisch, dass Kinder, die mit einer Behinderung leben, überhaupt nicht zur Schule geschickt werden. Und gerade für solche Kinder soll doch das von der UNBehindertenrechtskonvention gewollte integrative Schulsystem eine Chance bieten.

Wenn es um Deutschland und Thüringen geht, sage ich: Trotz aller Probleme in der Schulpolitik, was mangelnde Lehrereinstellungen und Ausfallstunden angeht, trotz allem, was zu verbessern wäre, finden Kinder, die mit einer Behinderung leben, an deutschen Förderschulen gute, wenn nicht sogar die besten Bedingungen im Vergleich zu den Bedingungen anderer Staaten vor.

Deswegen wollen wir – ich kann es nur wieder betonen – als AfD die Förderschulen erhalten und Inklusion nur an speziellen Schwerpunktschulen ermöglichen, die dann eben auch personell und sächlich so ausgestattet sein müssen, dass es klappt.

(Beifall AfD)

Selbstverständlich ist der Erhalt der Förderschulen eine Maßnahme, die von der Forderung der UN-Behindertenrechtskonvention, dass Kinder, die mit einer Behinderung leben, an Bildung teilhaben sollen, gedeckt ist. Selbstverständlich werden Kinder, die an einer Förderschule lernen und dazu befähigt werden, ihr Leben möglichst selbstbestimmt und bei Bedarf möglichst gut mit Unterstützung zu meistern, in unsere Gesellschaft integriert.

Genauso selbstverständlich kann man an dieser Stelle fragen, ob wir als Gesellschaft hier noch mehr leisten können. Diese Diskussion wollen wir als AfD gern führen. Was wir aber nicht tun wollen, ist, Inklusion zu einer über allem stehenden Gesellschaftsdoktrin zu erheben, die als solche nicht mehr hinterfragt werden darf.

Damit komme ich zu der in Ihrem Antrag aufgeworfenen Frage, wie Inklusion überhaupt realisiert wer

den soll. Ich finde es erstaunlich, dass Ihnen diese Frage erst jetzt einfällt. Sie regieren seit vier Jahren, installieren mit der angesichts des großen Widerstands größtmöglichen Geschwindigkeit ein inklusives Schulsystem. Und mittendrin merken Sie dann plötzlich, dass es vorne und hinten nicht funktioniert, dass das Kind in den Brunnen fällt, und Sie fragen sich, wie überhaupt die Grundvoraussetzungen für das, was Sie längst in Gang gesetzt haben, geschaffen werden sollen.

In diesem Zusammenhang soll die Landesregierung laut Ihrem Antrag Maßnahmen aufzeigen, wie sie, ich zitiere: „[…] zukünftig sonderpädagogisch qualifiziertes Personal für Thüringer Schulen gewinnen und vorhalten will.“ Das ist in der Tat eine interessante Frage, da es der Landesregierung noch nicht einmal gelingt, überhaupt ausreichend Lehrer an unsere Schulen zu bringen, um den regulären Unterricht zu gewährleisten. Dass Sie die Schulen dann auch noch umfassend mit der Inklusion überfordern, zeigt, dass Sie als Koalition mit Ihren Vorstellungen von Inklusion auf dem Weg nach Utopia sind. Ihr Antrag geht komplett an den Bedürfnissen von Kindern, die mit einer Behinderung leben, vorbei und deswegen – das sage ich Ihnen schon – lehnen wir ihn ab. Herzlichen Dank.

(Beifall AfD)

Herr Hartung, wenn Sie noch wollen, beantworte ich Ihre Frage.

Herr Hartung, Sie haben jetzt das Wort.

Vielen Dank, dass ich die Frage stellen darf. Würden Sie bitte zur Kenntnis nehmen, dass ich nicht gesagt habe, dass das ursprüngliche Gesetz ein Schulschließungsgesetz gewesen wäre, sondern dass ich gesagt habe, dass eine Verankerung der Schulmindestgrößen ohne gleichzeitige Verankerung der Ausnahmen und der Kooperationsmodelle ein solches Gesetz gewesen wäre, und dass ich darauf hingewiesen habe, dass beides – die Mindestgrößen wie die Ausnahmeregelung und die Kooperationsmodelle – zeitgleich in den Gesetzentwurf Aufnahme gefunden haben?

Meines Erachtens haben Sie auf Herrn Tischner reagiert und ihm zugestimmt und gesagt: Wäre der Gesetzentwurf so gewesen, dann wäre es ein Schulschließungsprogramm. Das können Sie jetzt weiterhin bestreiten oder Sie lesen es dann einfach im Protokoll nach.

Herr Wolf, bitte.

Herr Wolf, Sie haben das Wort.

Vielen Dank. Frau Muhsal, Sie haben vorhin gesagt, dass die Landesregierung von vornherein geplant hätte, Grundschulen nur mit einer Größe von 160 Schülerinnen und Schülern zu planen. Nun kann es ja sein, dass Ihnen gewisse Diskussionen nicht bekannt sind, unter anderem, dass es dort auch gewisse Größenordnungen der Gemeinden gab, die diese Schulen vorhalten, nämlich 80 bis 160. Jetzt meine Frage: Ist Ihnen das nicht bekannt oder haben Sie es jetzt einfach nur – ich sage mal – „mutwillig falsch zitiert“?

Herr Wolf, ich habe das nicht falsch zitiert, sondern ich habe gesagt: Es ist eine andere Größe im jetzigen Gesetz, als es vorher war, nämlich deutlich geringer, und dass man da keine rote Linie erkennen kann. Ich bin mir sicher – um zu Ihrer Ausgangsfrage zurückzukommen –, dass ich nicht jede Diskussion kenne, die das Bildungsministerium oder Sie persönlich mit den Betroffenen führen. Aber ich erhalte doch viele Rückmeldungen von Betroffenen und die sind leider sehr kritikhaltig, muss man sagen, weil der Gesetzentwurf so schlecht ist.

(Beifall AfD)

Als nächste Rednerin hat die Abgeordnete Astrid Rothe-Beinlich das Wort, Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.

Sehr geehrte Frau Präsidentin, sehr geehrte Damen und Herren, liebe Gäste, liebe Interessierte, heute ist ein besonderer Tag: nicht nur weil es die letzte Plenarsitzung in diesem Jahr ist, sondern weil ich meine, dass eine umfassende Novellierung des Schulgesetzes auch etwas Besonderes ist. Das Schulgesetz ist für die etwa 992 Schulen mit ihren 242.000 Schülerinnen und Schülern und die ca. 20.000 Lehrkräfte in Thüringen, auch für die Eltern, für alle an Schule Beteiligten natürlich von großer Bedeutung, schließlich legt das Schulgesetz die wesentlichen Grundlagen, auf denen unser Schulwesen in Thüringen aufgebaut ist.

Ich will an dieser Stelle kurz auf zwei der Vorrednerinnen eingehen, weil sie hier immer wieder von Verunsicherung gesprochen haben. Ich frage mich ehrlich gesagt, warum jemand das Interesse hat, bei einem solch wichtigen Thema unter den Betroffenen Verunsicherung zu schüren. Das Gegenteil

(Abg. Muhsal)

müsste doch der Fall sein, wenn es uns tatsächlich darum geht, Schule zu einer verlässlichen Größe zu machen. Ich habe Herrn Tischner und leider auch Frau Muhsal ganz anders erlebt, denn die laufen seit Monaten durchs Land und erzählen Mythen, erzählen Dinge, die schlechtweg nicht wahr sind – und so etwas ärgert mich in einer solchen Debatte ganz massiv.

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Ich finde, mit Schule spielt man nicht, das will ich so deutlich sagen. So zu tun, als ob hier ein großes Schulschließungsprogramm auf den Weg gebracht wird, ist nicht nur unredlich, sondern eine glatte Lüge.

(Beifall DIE LINKE, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN)

Besonders betonen möchte ich, dass wir als rot-rotgrüne Regierungskoalition mit dem Thüringer Gesetz zur Weiterentwicklung des Schulwesens unsere bildungspolitischen Zielstellungen aus dem Koalitionsvertrag sehr wohl umsetzen, lieber Herr Tischner. So haben wir vereinbart, dass alle bestehenden Schularten eine sichere Entwicklungsperspektive erhalten. Das war unter Ihnen nicht so. Sie haben es den Förderschulen verunmöglicht, sich weiterzuentwickeln. Da gab es die Doktrin der sogenannten umgekehrten Inklusion. Da hat man es ihnen nicht erlaubt, sich weiterzuentwickeln,

(Beifall DIE LINKE)

beispielsweise zu Gemeinschaftsschulen oder zu inklusiven Schulen. Das wollten auch Sie ganz dezidiert nicht. Da müssen Sie überhaupt nicht wohlfeil nach rechts zur SPD zeigen, sondern ziehen Sie es sich doch einfach mal selbst an.

Wir haben uns außerdem darauf verständigt, dass wir die Thüringer Gemeinschaftsschule als flächendeckendes Angebot des längeren gemeinsamen Lernens ausbauen und die gesetzlichen Regelungen, die sich in den zurückliegenden Jahren bei der Errichtung als hemmend herausgestellt haben, anpassen werden. Wir führen weiterhin – das haben wir uns auch immer vorgenommen – das Thüringer Schulgesetz und das Förderschulgesetz zu einem inklusiven Schulgesetz zusammen. Das wird übrigens auch höchste Zeit, kann ich nur sagen, denn die UN-Konvention ist schon 2006 verabschiedet worden; ich will später noch darauf eingehen.

(Beifall DIE LINKE, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN)