Protocol of the Session on December 14, 2018

(Beifall DIE LINKE, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN)

Wir wollen Entwicklungsperspektiven für Förderschulen beschreiben, denn jede und jeder, der oder die unsere wunderbaren Förderzentren, unsere Förderschulen kennt – die bringen sächliche, räumliche und die personellen Voraussetzungen mit –: Warum sollen sich diese nicht auch endlich aufma

chen dürfen, um zu inklusiven, zu Gemeinschaftsschulen zu werden?

(Beifall DIE LINKE, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN)

Und – das ist auch ein ganz wichtiger Punkt – wir haben vereinbart, die Grundschulen zu Ganztagsschulen weiterzuentwickeln und die Aufgaben, die Qualitätsanforderungen und die Ausgestaltung konkret zu beschreiben, denn es geht um mehr Zeit und Ganztagsschulen bieten mehr Zeit. Wir alle wissen, dass das auch immer allen Eltern ganz besonders am Herzen liegt und den Lehrerinnen und Lehrern, den Erzieherinnen und den Schülerinnen und Schülern natürlich auch.

All das sieht dieser Gesetzentwurf vor. Die Regierungskoalition ist nicht nur handlungsfähig, sondern sie steht zu ihrem Wort und gestaltet gemeinsam die Rahmenbedingungen für gute Bildung im Freistaat. Ich will es an dieser Stelle einmal ganz deutlich sagen, weil hier Minister Holter von zwei Seiten vorgehalten wurde, er hätte nur Allgemeinplätze verbreitet: Das finde ich schon ein starkes Stück, wenn jemand eine fast einstündige Erklärung zur Einbringung eines Gesetzentwurfs hält,

(Beifall DIE LINKE, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN)

detailliert darlegt, welche Diskussionsprozesse er geführt hat, wen er eingebunden hat, welche Punkte er besonders berücksichtigt hat, sich hier vorn hinzustellen und diese Leistung nicht mal anerkennen zu können. Ich habe es gestern schon mal gesagt: Häme ist kein guter Ratgeber. Erkennen Sie doch einfach mal an, dass wir einen sehr fleißigen Bildungsminister haben,

(Beifall DIE LINKE, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

der durch das gesamte Land auf und ab unterwegs war und mit jeder und jedem zu diesem Schulgesetz gesprochen hat und das sicherlich jetzt auch im parlamentarischen Verfahren noch einmal tun wird. Wir jedenfalls sind stolz darauf. Unser Dank gilt Ihnen, Ihren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern im Ministerium und allen, die sich daran beteiligt haben, diesen Gesetzentwurf heute hier vorzulegen.

(Beifall DIE LINKE, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Ich will die aus unserer Sicht fünf wichtigsten Aspekte des Gesetzes noch einmal etwas genauer erläutern. Da geht es zum Ersten um die Integration des Förderschulgesetzes in das Schulgesetz. Als Grüne werben wir schon seit Langem für die Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention und fordern ein inklusives und zeitgemäßes Schulgesetz ein. Und ich sage es ganz deutlich: Inklusive Schule kann nur mit einer inklusiven Schulgesetz

gebung Wirklichkeit werden. Wir haben eine völlig zersplitterte Schulgesetzgebung in Thüringen in den letzten Jahren gehabt. Natürlich ist es auch ein Ausdruck einer Haltung, ob ich ein Schulgesetz tatsächlich für alle habe oder ob ich für die Kinder mit besonderen Fähigkeiten und vielleicht auch mit besonderen Schwächen und besonderen Stärken ein Extragesetz – ein exklusives Gesetz – habe.

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Das ist also eine Haltungsfrage, die uns angetrieben hat zu sagen, wir führen diese Gesetze nun endlich zusammen. Ich will auch noch mal klarstellen: Die Integration des Förderschulgesetzes in die allgemeine Schulgesetzgebung stellt überhaupt keine Zerschlagung des Förderschulwesens dar, sondern im Gegenteil: Alle wesentlichen Regeln des Förderschulgesetzes werden ins Schulgesetz übernommen und den Förderzentren kommen auch zukünftig zentrale Aufgaben innerhalb des inklusiven Schulsystems zu. Seien wir doch mal ehrlich: Wir brauchen nämlich sehr viel mehr sonderpädagogischen Sach- und Fachverstand, und zwar in allen Schulen.

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Und ja, das will ich auch ganz deutlich sagen, da werden wir auch über mehr Personal reden müssen. Das gehört allerdings nicht in das Gesetz, sondern damit werden wir uns in den Haushaltsberatungen auseinandersetzen müssen. Prof. Klemm hat es mal ausgerechnet, dass man perspektivisch für Thüringen, wenn tatsächlich die optimale individuelle Förderung für jedes Kind und inklusiver Unterricht für jedes Kind gewährleistet wäre, etwa 600 zusätzliche Sonderpädagoginnen und -pädagogen bräuchte. Wir schlagen in einem ersten Schritt 150 vor, das ist unsere Vorstellung. Aber ich will ganz deutlich sagen: Wir wissen auch alle, dass Sonderpädagoginnen und Sonderpädagogen entsprechend ausgebildet werden müssen und nicht in Unmengen zur Verfügung stehen.

Es müssen nicht nur Sonderpädagoginnen und Sonderpädagogen entsprechend ausgebildet werden, sondern wir meinen schon lange, dass zur Lehrerbildung für alle Lehrerinnen und Lehrer dazugehört, dass sie den Umgang mit Heterogenität von Grund auf als Bestandteil ihres Studiums selbstverständlich mitvermittelt bekommen.

(Zwischenruf Abg. Höcke, AfD: Und weiter geht es in Richtung …!)

Denn unsere Kinder werden immer unterschiedlicher, das ist wohl wahr. Lebensrealitäten gilt es anzuerkennen und nicht diese Kinder auszugrenzen. Was Sie vorhaben, Herr Höcke, ist uns ja hinlänglich bekannt.

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Der Entwurf sieht außerdem die Stärkung des Elternwillens vor und den Auftrag aller Schulen, am Gemeinsamen Unterricht mitzuwirken, aber auch die neue Option – ich habe es schon gesagt –, dass sich Förderzentren auch zu sogenannten Netzwerk- und Beratungszentren sowohl für den Gemeinsamen Unterricht auch ohne eigene Schülerinnen und Schüler weiterentwickeln können.

Um Mythen vorzubeugen: Die Einrichtung von Netzwerk- und Beratungszentren ist eben kein Zwang, den das Land vorgibt. Nein, stattdessen wird den Schulen und Schulträgern vor Ort lediglich eine weitere Option der Weiterentwicklung des Gemeinsamen Unterrichts gegeben. Das Feststellungs- und Diagnostikverfahren wird ebenso vereinheitlicht – darüber haben wir übrigens lange diskutiert –, indem dafür generell der Mobile Sonderpädagogische Dienst zuständig ist. Mit den Möglichkeiten, auch temporäre Lerngruppen einzurichten, geben wir den Schulen ein neues flexibles Instrument in die Hand, um auf pädagogisch herausfordernde Situationen reagieren zu können.

Ich möchte in diesem Zusammenhang – weil wir ja nicht nur das Schulgesetz diskutieren – auch noch kurz auf unseren Antrag „Gute Schule für Alle“ eingehen. Lieber Herr Tischner, jetzt sind Sie leider nicht mehr da – ach, Sie sind doch noch da, Sie hatten mir ja gesagt, dass Sie noch zu Ihrer Besuchergruppe wollen.

(Zwischenruf Abg. Tischner, CDU: Ich wollte noch warten!)

Sie warten noch, das ist nett von Ihnen, dann können Sie mir auch noch zuhören, so wie ich Ihnen auch zugehört habe.

Wir hätten uns gewünscht – das will ich ganz deutlich sagen –, dass wir den Antrag „Gute Schule für Alle – Die Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention im Thüringer Schulwesen weiter voranbringen“ wieder hätten gemeinsam einbringen können, mit den demokratischen Fraktionen zumindest. Dass die AfD das nicht will, das haben wir ja gehört. Sie von der CDU haben es nicht gewollt. Ich bedaure das ausdrücklich. In der letzten Legislatur war das noch anders.

(Unruhe AfD)

Da saßen hier auch fünf Fraktionen, die FDP, CDU, Bündnis 90/Die Grünen, die Linke und die SPD, und da hat man dies gemeinsam gemacht. Ich bedaure es sehr, dass sich die Fraktion der CDU nach monatelangen Diskussionen dagegen entschieden hat, den Antrag mit uns gemeinsam einzubringen.

Herr Tischner, Sie sprachen von überzogener Inklusion. Haben Sie sich selbst zugehört? Inklusion ist ein Menschenrecht und kein Gnadenrecht.

(Beifall DIE LINKE, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN)

Inklusion ist übrigens auch keine Gesellschaftsdoktrin. Ich empfehle Ihnen – aber auch der AfD – das Handbuch des Deutschen Instituts für Menschenrechte. Dort ist sehr gut erklärt, wie Inklusion zu verstehen ist.

Dieser Antrag stellt eine wichtige Ergänzung zur Debatte rund um das Schulgesetz dar. Inklusion, da sind wir uns hoffentlich auch einig, braucht Entwicklung und Entwicklung braucht natürlich auch möglichst ein Konzept bzw. einen Plan. Genau darum geht es auch in unserem Antrag. Da hat Minister Holter völlig recht: Inklusion beginnt im Kopf.

(Zwischenruf Abg. Skibbe, DIE LINKE: Da muss ein Wille da sein!)

Wenn sich hier vorn heute immer noch Rednerinnen und Redner hinstellen und sagen: „Wir brauchen aber Zeit und Augenmaß“, und damit meinen: „Lasst es uns bloß nicht umsetzen“, kann ich Ihnen nur sagen oder die Frage stellen: Was sagen wir eigentlich den Kindern, den Eltern, die seit zwölf Jahren darauf warten, dass endlich etwas passiert? Was sagen wir den Kindern, die bis jetzt die Chancen nicht bekommen haben, gleichberechtigt am Unterricht teilzuhaben? Sie haben nur diese eine Kindheit und sie haben nur diese eine Chance, am Unterricht auch gleichberechtigt teilzunehmen, und die wurde ihnen schon zwölf Jahre lang verwehrt, meine sehr geehrten Damen und Herren.

(Beifall DIE LINKE, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

(Unruhe CDU)

Lassen Sie mich deshalb kurz aus dem Übereinkommen der Vereinten Nationen vom 13. Dezember 2006 über die Rechte von Menschen mit Behinderungen sowie zu dem Fakultativprotokoll vom 13. Dezember 2006 zum Übereinkommen der Vereinten Nationen über die Rechte von Menschen mit Behinderungen vom 21. Dezember 2008 zitieren, weil ja manche offenkundig nicht im Kopf haben, was die Gesetzesgrundlage ist, die wir schlichtweg jetzt auch in Landesrecht überführen. Da heißt es nämlich im Artikel 24 zu Bildung unter 1: „Die Vertragsstaaten anerkennen das Recht von Menschen mit Behinderungen auf Bildung. Um dieses Recht ohne Diskriminierung und auf der Grundlage der Chancengleichheit zu verwirklichen, gewährleisten die Vertragsstaaten ein integratives Bildungssystem auf allen Ebenen und lebenslanges Lernen mit dem Ziel, a) die menschlichen Möglichkeiten sowie das Bewusstsein der Würde und das Selbstwertgefühl des Menschen voll zur Entfaltung zu bringen und die Achtung vor den Menschenrechten, den Grundfreiheiten und der menschlichen Vielfalt zu stärken, b) Menschen mit Behinderungen ihre Persönlichkeit, ihre Begabungen und ihre Kreativität sowie ihre geistigen und körperlichen Fähigkeiten voll zur Entfaltung bringen zu lassen“ und „c) Menschen mit

Behinderungen zur wirklichen Teilhabe an einer freien Gesellschaft zu befähigen.“

(Unruhe AfD)

Meine sehr geehrten Damen und Herren, genau das wollen wir. Dafür gibt es diesen Antrag. Dafür gibt es den Entwicklungsplan Inklusion bis 2020, den wir im Landtag in der 5. Legislatur gemeinsam – ich sagte es schon – mit allen damals im Landtag vertretenen Fraktionen auf den Weg gebracht haben. Wir haben gemeinsam die schulische Inklusionsentwicklung in Thüringen ein deutliches Stück vorangebracht und dabei auch die kommunale Ebene und die Fachebene eingebunden. Nun stehen wir mit dem inklusiven Schulgesetz vor den nächsten Schritten. Genau dazu soll es eine Fortschreibung des „Entwicklungsplans Inklusion“ geben, was unser Antrag zum Ausdruck bringt. Entscheidend ist, dass wir gemeinsam die Herausforderungen schulischer Inklusion angehen, und darauf soll der Plan auch Antworten liefern.

Ich komme jetzt zum längeren gemeinsamen Lernen und damit wieder zurück zum Schulgesetz. Viele Thüringerinnen und Thüringer – das sagen uns unterschiedlichste Umfragen – befürworten das längere gemeinsame Lernen und halten auch die frühe Trennung der Schülerinnen und Schüler nach der 4. Klasse für falsch. Wir übrigens auch! Jetzt ist Herr Tischner leider doch weg. Er hatte nämlich behauptet, dass die Versetzungsempfehlungen oder entscheidungen ja jetzt in der 4. Klasse kämen, und das skandalisiert. Lieber Herr Tischner, guten Morgen! Die Versetzungsempfehlungen oder -entscheidungen fanden schon immer in der 4. Klasse statt, auch in Ihrem, dem bisherigen Gesetz.

(Beifall DIE LINKE, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN)

(Zwischenruf Abg. Berninger, DIE LINKE: Keine Ahnung!)

Ich will Sie nur darauf hinweisen. Es sind wirklich Mythen, die hier in den Raum gestellt werden, und das finde ich schlichtweg nicht redlich.

Mittlerweile gibt es 65 Gemeinschaftsschulen in Thüringen und wir können uns sehr gut vorstellen, dass es zukünftig noch weitaus mehr Gemeinschaftsschulen in unserem Land gibt. Denn von einem wirklich flächendeckenden Schulangebot sind wir noch relativ weit entfernt. Unser bildungspolitisches Ziel ist es jedenfalls, dass alle Schüler/-innen in Thüringen tatsächlich die Wahl haben, bis zum Ende der Sekundarstufe I in einer Gemeinschaftsschule gemeinsam zu lernen. Im Moment ist die Voraussetzung leider noch nicht überall gegeben. Daher beseitigen wir – wie ich eingangs schon sagte – mit dem Gesetzentwurf jetzt einige Hemmnisse, um die Gründung von Gemeinschaftsschulen zu unterstützen. So sind klarere Regeln und Fristen vorgesehen, um die organisatorische Schaffung

von Gemeinschaftsschulen zu vereinfachen. Auch erhalten Gemeinschaftsschulen ab Klasse 5, die ab Klasse 5 bestehen und mit Grundschulen kooperieren, Planungssicherheit und können ebenso wie die kooperierenden Grundschulen dauerhaft bestehen.

Der Gesetzentwurf der Landesregierung sieht zudem vor, die Kooperationsmöglichkeiten auch für die gymnasiale Oberstufe zu erweitern. Und für reformpädagogische Ansätze von Gemeinschaftsschulen – darauf war vorhin schon einer der Redner eingegangen, nämlich Herr Hartung –, für die Schulen, wie zum Beispiel die Jenaplan-Schule in Jena, die ihre Schülerinnen zum Abitur in 13 Schuljahren führt, soll es endlich eine gesetzliche Grundlage geben. Es werden auch neue Entwicklungsperspektiven für die Förderschulen geboten, die sich künftig zu Gemeinschaftsschulen weiterentwickeln können, wenn sie dies wollen.

Lassen Sie mich jetzt noch auf die Ganztagsschulen und den Ganztagsunterricht in Thüringen eingehen. Wir Grüne werben sehr für das Modell der Ganztagsschule. Uns geht es hier um mehr Zeit für gute Bildung, indem wir mehr teilgebundene und gebundene Ganztagsschulen in Thüringen auf den Weg bringen. Wir finden es sehr gut, dass alle Grundschulen in Thüringen ein offenes Ganztagsangebot haben. Das ist, glaube ich, auch etwas, was uns tatsächlich wohltuend gerade auch von vielen westdeutschen Bundesländern unterscheidet. Aber führen Sie sich mal vor Augen, dass lediglich 25 Grundschulen – übrigens alle in freier Trägerschaft – derzeit in vollgebundener Form und gerade einmal fünf in der teilweise gebundenen Form existieren. Der Entwurf des Schulgesetzes sieht nun erstmals einen konkret beschriebenen Weg hin zu voll- und teilgebundenen Ganztagsschulen vor und beschreibt auch das Verfahren zur Gründung von Ganztagsschulen. Das bedeutet übrigens auch ganz viel Sicherheit für die Erzieherinnen und Erzieher, die dann auch selbstverständlich und viel besser in die Rhythmisierung des Unterrichts mit eingebunden werden können. Die Chancen des Ganztages liegen auf der Hand: Konzentriertes Lernen im Klassenverband, allein oder in unterschiedlichen Gruppen, aber auch Entspannung oder Rückzug, Pflege sozialer Beziehungen und individueller Interessen, selbstbestimmte und gestaltete Aktivitäten – für all das kann der gebundene Ganztag mit dem richtigen Konzept Zeit und Raum bieten. Auch das zeigt übrigens, dass wir von einem Einheitsschulsystem, wie es CDU und AfD leider gern unisono behaupten, meilenweit entfernt sind, im Gegenteil, wir erhöhen nämlich die Vielfalt im Schulwesen.

Jetzt will ich noch auf den schwierigen Punkt der Schulnetzplanung und Kooperationen eingehen. Verlässlicher, vielfältiger und wohnortnaher Unterricht in hoher Qualität, gute Arbeitsbedingungen für unsere Lehrkräfte, das sind universelle Anforderun