Protocol of the Session on November 9, 2018

(Beifall DIE LINKE, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Als nächster Rednerin erteile ich Frau Abgeordneter Herold für die AfD-Fraktion das Wort.

Vielen Dank, Frau Präsidentin. Sehr geehrte Damen und Herren auf der Besuchertribüne, liebe Kollegen Abgeordnete und Zuschauer im Internet! Eine kurze Vorbemerkung vorab: Frau Rothe-Beinlich, über die Zukunft unserer Anträge entscheidet nächstes Jahr unter anderem der Thüringer Wähler.

(Beifall AfD)

Wir haben gerade eben beim vorigen Tagesordnungspunkt erleben dürfen, wie Erinnerungskultur auf Rot-Rot-Grün buchstabiert wird. Die konservativen Abgeordneten in diesem Hohen Haus sind sich darin, glaube ich, weitestgehend einig, dass wir mit einer solchen Instrumentalisierung und Begrünung von Erinnerungskultur, indem man einfach ein paar freundliche Pflanzen über die Narben der Geschichte schmiert, nicht einverstanden sind.

(Beifall AfD)

Es ist bald 30 Jahre her, dass die SED-Diktatur der DDR vom Volk hinweggefegt wurde. Sie wurde niedergerungen von Bürgern, die sich nicht länger bevormunden lassen wollten, die nicht länger eingesperrt sein wollten, die ihre Freiheitsrechte beanspruchen und in einem Rechtsstaat leben wollten; von Bürgern, die die staatliche Zensur und die veröffentlichte Einheitsmeinung satt hatten; von Bürgern, die eine soziale Marktwirtschaft der sozialistischen Planwirtschaft der Bürokraten vorzogen, weil diese Planwirtschaft nichts als Mangel und Umweltschäden erzeugte. Viele von uns erinnern sich noch gut an jene Wochen und Monate, in denen das SED-Regime ins Wanken geriet und schließlich

stürzte – und ganz gewaltfrei. Gewalt wurde übrigens nur vonseiten des Staates ins Spiel gebracht, der die Bereitschaftspolizei in Leipzig aufmarschieren ließ,

(Zwischenruf Abg. Dr. Scheringer-Wright, DIE LINKE: Aber der hat nichts gemacht!)

jeden einzelnen der Männer mit 60 bis 80 Schuss scharfer Munition bewaffnet. Ich kenne Leute aus dieser Zeit, die mir das berichtet und erzählt haben, was sie da für Ängste ausgestanden haben.

(Zwischenruf Abg. Blechschmidt, DIE LINKE: Das ist immer der beste Satz: „Ich kenne Leute.“!)

(Zwischenruf Abg. Harzer, DIE LINKE: Ich kenne Leute!)

Ach, Herr Harzer,

(Zwischenruf Abg. Harzer, DIE LINKE: Frau Herold!)

Ihre Ausfälle erinnern mich immer ein bisschen an ein überdimensioniertes HB-Männchen. Hören Sie doch einfach mal zu!

(Zwischenruf Abg. Harzer, DIE LINKE: Ich bin Nichtraucher!)

Viele von uns erinnern sich noch sehr gut an jene Wochen und Monate, in denen das SED-Regime ins Wanken geriet und schließlich stürzte. Wir waren dabei und vielen von uns bleibt diese Friedliche Revolution ein Schlüsselereignis der eigenen Biografie. Die glückliche Revolution der Deutschen, und zwar der Deutschen im östlichen Teil unseres Landes, von 1989/1990 ist in der Tat ein Grund zum Feiern und ein besonderer Anlass für die historische Erinnerung und Auseinandersetzung mit der DDR und ihrem Ende. Völlig zu Recht hat die CDU daher im April ihren Antrag eingebracht. Der wurde vom zuständigen Ausschuss verworfen. Stattdessen haben wir jetzt neben unserem Alternativantrag auch noch einen solchen der Koalitionsfraktionen. Und so, wie die Mehrheiten gerade liegen, wird nun bedauerlicherweise dieser angenommen werden.

Meine Damen und Herren, der Unionsantrag ist in einigen uns wichtigen Punkten defizitär. Aber das gilt auch und noch mehr für den neuen Antrag von Rot-Rot-Grün. Die Schwächen des Unionsantrags habe ich bereits im April erläutert, daher gehe ich heute vor allem auf den neuen Antrag der Koalition ein. Der leidet an drei schweren Mängeln: Zunächst einmal wird im Antrag von Rot-Rot-Grün das eigentliche Thema verwässert. Es geht 2019 um 30 Jahre Friedliche Revolution und das glückliche Ende der DDR. Das ist ein völlig für sich stehendes Thema. Da muss man nicht krampfhaft jeden 9. November irgendwo in der Geschichte aufblättern und den Leuten erklären, was da sonst noch so alles passiert ist. Die wichtigen und gravierenden Dinge

(Abg. Rothe-Beinlich)

sind dem Publikum bewusst und alles andere ist im Moment Nebensache; es geht um die Friedliche Revolution in der ehemaligen sogenannten DDR.

(Beifall AfD)

(Zwischenruf Abg. Dittes, DIE LINKE: Das ist so widerlich!)

Man kann sicherlich all der anderen Ereignisse und Begebenheiten gedenken – und das machen wir auch –, aber 30 Jahre Friedliche Revolution und der Untergang der DDR sind nächstes Jahr primär.

Wir werden in dem Zusammenhang natürlich auch die europäischen Kontexte, so wie sie sich damals ergeben haben, mit betrachten. Der rot-rot-grüne Antrag – wie schon derjenige der CDU – leidet unter einer gewissen Musealisierung. Es ist richtig, dass verschiedene Schlüsselereignisse wie die gefälschten Kommunalwahlen im Mai 1989 in Erinnerung gerufen werden sollten und dass die entsprechenden historischen Themen zum Beispiel in den Schulen besprochen werden. Ein hierauf gerichtetes Gedenkkonzept ist erforderlich und darum nimmt unser Alternativantrag ebenfalls ein solches Konzept zum Anknüpfungspunkt. Aber man darf dabei nicht stehen bleiben. Ein rückwärts gerichtetes Stehenbleiben wäre eben eine Musealisierung der Ereignisse. Das ist zu wenig. Eine bloße museale Betrachtung der Vorgänge um die Friedliche Revolution und den Mauerfall reichen uns nicht. Es reicht nicht, weil es unter anderem das Risiko birgt, die Geschehnisse zu nostalgisieren. Was wir aber aus der Geschichte ziehen wollen, ist eben nicht die Nostalgie, sondern eine Lehre für das politische Leben und das gesellschaftliche Leben in unserer Gegenwart. Und diesbezüglich bleibt der Antrag der Koalition ganz, ganz dünn. Da war selbst der CDUAntrag entschiedener.

Der CDU-Antrag nämlich hat immerhin, wenn auch etwas wolkig, davon gesprochen, dass die Bürger ihr Bewusstsein für die Voraussetzungen und die Zerbrechlichkeit freiheitlich-demokratischer Verhältnisse schärfen würden, wenn sie sich mit den Diktaturen des 20. Jahrhunderts auseinandersetzen würden. Solche Worte finden sich nicht im Antrag der Koalition. Das ist mir völlig nachvollziehbar. Das 20. Jahrhundert war eine Aneinanderreihung blutigster Diktaturen, aus denen die NS-Diktatur natürlich mit deutscher Gründlichkeit solitär herausragte. Aber in anderen Ländern und anderen Systemen gab es auch einiges zu bieten. Und auch dieser totalitärer Diktaturen sollten wir gedenken, denn letzten Endes war es die DDR, die auf den Grundlagen des Stalinismus errichtet wurde.

(Beifall AfD)

Da soll nur der öffentliche Diskurs bereichert werden und es handelt sich bei all diesen herbeizitierten Co-Ereignissen zum 9. November um linksgrüne Phrasendrescherei.

Meine Damen und Herren, der AfD-Fraktion ist das zu wenig. Es geht nicht einfach um eine Bereicherung des öffentlichen Diskurses, sondern darum, aus unserer jüngeren Geschichte für heute, für jetzt zu lernen.

(Zwischenruf Abg. Harzer, DIE LINKE: Ge- nau – und den Vogelschiss vergessen wir!)

Herr Harzer, denken Sie an das HB-Männchen – bitte – und hören Sie zu! – Warum, weil immer mehr Bürger heute das Gefühl haben, dass in diesem Land Dinge vor sich gehen, die sich wie das Gebaren der DDR-Führung ausnehmen. Das Politbüro der verdorbenen Greise ist ersetzt worden durch eine politische Nomenklatura, die es nicht mehr wagt, gegen die gerade zufällig hier Herrschenden aufzubegehren, wenn die Recht brechen und ihre eigenen Regeln einführen an der Kontrolle des Bundestags, des Souveräns, vorbei.

(Beifall AfD)

Die Bürger registrieren, dass die Berichterstattung nur noch die Lesarten der herrschenden Klasse gelten lässt, dass abweichende Meinungen als verwerfliche Entgleisungen an den Pranger einer selbstgerechten Moral gestellt werden. Die Bürger registrieren, dass eine selbstherrliche Obrigkeit über ihre Köpfe hinweg Politik macht, und zwar eine Politik, die Trugbildern und fiebrigen Ideologien und Illusionen verpflichtet ist, nicht aber dem Wohl des Volkes.

Die Bürger registrieren auch, dass sie es sind, die diese mehr und mehr autokratische Politik bezahlen müssen, und zwar buchstäblich bezahlen, oder anderweitig ausbaden, zum Beispiel in Gestalt überteuerter Strompreise, die vorgeblich zur Rettung des Weltklimas notwendig sind,

(Zwischenruf Abg. Henfling, BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN: Was hat das genau mit dem Thema zu tun?)

oder mit Enteignung des Pkw im Zusammenhang mit der Auseinandersetzung um den Diesel. Und weil die Menschen dies alles registrieren, und zwar sehr konkret, sagen immer mehr Bürger: Das ist ja heute wie damals in der DDR. Ja, das hört man heute und es ist Aufgabe der Politik, solche Signale zu hören und ernst zu nehmen. Aber davon wollen weder Rot-Rot-Grün noch die CDU reden. Dort bleibt man bei Festivitäten und historisierender Schau stehen. Das ist uns, wie gesagt, zu wenig. Wir brauchen nämlich auch eine Diskussion darüber, ob wir hier in Deutschland heute, 2018 gerade dabei sind, die Errungenschaften der Friedlichen Revolution einfach zu verspielen.

Eine Auseinandersetzung mit der Revolution von 1989/1990 bedeutet für uns, die AfD-Fraktion, dass man sowohl nach dem Erbe als auch nach der Revolution fragt, dass man sich der Frage stellt, wie

mit dem Vermächtnis von damals umgegangen wird. Legt man sich diese Fragen vor, dann sieht man auch, dass ein vormundschaftlicher Staat nicht genau so wie die DDR auszusehen braucht. Er kann sich in ganz anderer Gestalt zeigen. Und auch in dieser Gestalt bedroht er unsere Freiheit.

(Zwischenruf Abg. Harzer, DIE LINKE: Ihre Freiheit wollen wir nicht!)

Meine Damen und Herren, eine öffentliche Auseinandersetzung mit der Friedlichen Revolution darf nicht in einer musealen und womöglich selbstgerechten Betrachtung der Vergangenheit stehen bleiben, sondern muss die Frage auch nach dem Heute stellen. Dies fordert unser Alternativantrag, der insoweit über die beiden anderen Anträge weit hinausreicht und einen breiteren Horizont absteckt. Vielen Dank.

(Beifall AfD)

Als nächste Rednerin erhält Abgeordnete Pelke von der SPD-Fraktion das Wort.

Frau Präsidentin, meine sehr verehrten Damen und Herren, werte Gäste, wir reden heute über das Thema „Erinnerung an die Friedliche Revolution vor 30 Jahren“. Lassen Sie mich vorwegschicken, dass ich nicht nur, aber gerade an dem heutigen Tag sehr traurig darüber bin, dass es nicht zu einem gemeinsamen Antrag der demokratischen Fraktionen gekommen ist.

(Beifall DIE LINKE, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Als wir im April im Plenum den CDU-Antrag zum Thema „Erinnern an den 30. Jahrestag der Friedlichen Revolution“ beraten haben, da ist der Tenor der Debatte zusammengefasst folgender gewesen: Die Initiative an sich ist richtig und es verdient eine tiefergehende fachliche Auseinandersetzung. Auch Frau Rothe-Beinlich hat bereits darauf verwiesen. Allerdings – und auch das ist in der Plenardebatte damals deutlich geworden – muss der 9. November als Datum des Mauerfalls und der Öffnung der innerdeutschen Grenze in einen breiteren historischen Kontext gestellt werden und – dazu stehen wir auch – dieser Tag in seiner Ambivalenz für die deutsche und Thüringer Geschichte des 20. Jahrhunderts verdeutlicht werden.

Ich lege großen Wert darauf, Frau Herold, dass da eben nicht alles andere, was an diesem 9. November in den Jahren und Jahrhunderten geschehen ist, einfach nur Nebensache ist. Das ist es nicht. Der 9. November ist in seiner Gänze zu betrachten.

(Beifall DIE LINKE, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Ich wiederhole mich, wenn ich jetzt noch mal stichwortartig erwähne den 09.11.1918, den Tag der Ausrufung der ersten deutschen Republik, den 09.11.1923, das Datum des Hitler-Ludendorff-Putsches, und nicht zuletzt auch den 09.11.1938, der die schrecklichste Zeit eingeleitet hat, die Reichspogromnacht. Zudem sollten wir uns auch vor einer zu engen Fokussierung auf die Ereignisse in der damaligen DDR hüten. Es braucht ja eine größere europäische Perspektive. Das ist auch schon von Frau Rothe-Beinlich erwähnt worden und ich hatte es auch damals in der Debatte schon gesagt. Auch das finde ich immer wieder wichtig zu erwähnen, denn ohne die in den 80er-Jahren erfolgten Veränderungsimpulse aus Polen, der damaligen Sowjetunion, ohne Solidarność, Glasnost und Perestroika wäre eine Friedliche Revolution überhaupt nicht möglich gewesen. Sie wäre zumindest nicht friedlich verlaufen. Wenn wir den Blick auf den 17. Juni 1953 richten oder auf die gewaltsame Niederschlagung des Prager Frühlings 1968, dann wissen Sie alle, was ich damit meine.

Ich will auch ganz deutlich machen, dass im Mittelpunkt des Gedenkens schließlich und ganz besonders der beispiellose Mut und das Engagement der ostdeutschen Bevölkerung stehen müssen. Von den Menschen ging die Friedliche Revolution aus. Sie haben unter großem persönlichen Risiko gegen eine anfangs übermächtige und gewaltbereite Staatsmacht initiiert, sie sind auf die Straße gegangen, sie haben den Widerstand auf die Straße gebracht, sie haben es energisch vorangetrieben, gegen alle Widerstände durchgesetzt und binnen weniger Wochen zu einem in der deutschen und Thüringer Geschichte beispiellosen Erfolg geführt. Dafür kann man nicht oft genug Danke sagen und diese Anerkennung öffentlich aussprechen.

(Beifall DIE LINKE, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Mit diesen fachlich ebenso notwendigen wie sinnvollen Ergänzungswünschen haben die Koalitionsfraktionen den CDU-Antrag im April zur weiteren Beratung an den Ausschuss für Kultur, Europa und Medien überwiesen. Wir haben im Plenum auch deutlich gemacht, dass wir eine große Bereitschaft haben, bei einem derart wichtigen Thema zu einer gemeinsamen Initiative mit der CDU zu kommen. Dazu sollten die Ausschussberatungen und weitere gemeinsame Gespräche dienen. Funktioniert hat das allerdings nicht und – ich wiederhole mich – ich bedaure das sehr.

Ich will jetzt gar nicht auf die ganzen einzelnen Winkelzüge und Argumente der CDU eingehen, womit man Zeit schinden wollte, weil irgendwelche Mails mit irgendwelchen Überlegungen der regierungstragenden Fraktionen angeblich nicht angekommen