Nur mal ein Beispiel: So gibt es zu Beginn des Arrests gleich zwei Gespräche mit dem jeweiligen Jugendlichen, in denen vieles ermittelt werden soll und anschließend, wenn das dann ermittelt ist, nachdem auch der daraus resultierende Hilfebedarf durch die Bediensteten noch mal diskutiert worden ist, kommt alles in einem Erziehungs- und Förderplan zusammen. Der wird dann aufgeschrieben, das heißt, da sitzt wieder ein Justizbediensteter unter Umständen ein paar Stunden und überlegt sich, was er da schriftlich in einen sogenannten Vollzugsplan reinschreibt. Da ist der halbe Arrest schon vorbei, bis das alles fertig ist. In § 8 steht das Verfahren dazu drin, wie das aussehen soll. Das ist ein Paragraf, der ist ewig lang. Wenn man das alles wieder machen will und die Vollzugsbediensteten das machen und auch noch darüber diskutieren sollen, welche von den acht verschiedenen Maßnahmen, die man alle anwenden könnte, bei so einem Jugendlichen, der vielleicht zwei Wochen jetzt da im Jugendarrest ist, angebracht wären – also ich will es Ihnen nur mal sagen: Da steht zum Beispiel in Absatz 3 drin, was man da alles mit dem Jugendlichen machen könnte, das sind „Maßnahmen zur Verbesserung der sozialen Kompetenz und Integration“ – sicher ein hehres Ziel –, „Maßnahmen zur Gewalt- und Suchtprävention“ – auch schön –, „Maßnahmen zur lebenspraktischen und finanziellen Eigenständigkeit“ – da müsste er, glaube ich, schon einen größeren Kurs machen –, „Maßnahmen zur beruflichen und schulischen Entwicklung“ – Lesen und Schreiben in zwei Wochen, na ja –,
„angemessene Beschäftigung“ – er soll da auch noch beschäftigt werden während des Ganzen –, „Sportangebote“ – das soll er auch machen – „und
na ja, innerhalb des Arrests hat er natürlich auch noch Freizeit, und die muss aber strukturiert gestaltet werden –,
„Unterstützung bei der Wiedergutmachung des angerichteten Schadens“ – das wäre nicht schlecht – sowie „Vermittlung in nachsorgende Maßnahmen“. Das sind alles Dinge, wenn man das so liest, dann drängt sich für mich auf, dass da sehr viel Papier produziert wird. Ob aber diese ganzen Hilfen auch mit Erfolgsaussichten eingesetzt werden können, wenn man das so liest, drängen sich einem da gelinde gesagt Zweifel auf. Und jetzt zu guter Letzt …
Zu den Zweifeln kommt wohl eine Frage des Abgeordneten Fiedler zum rechten Zeitpunkt. Würden Sie diese gestatten, Herr Abgeordneter Scherer?
Danke, Herr Kollege. Herr Kollege würden Sie mir zustimmen, dass es bei diesen umfangreichen Paketen gegebenenfalls notwendig wäre, dass die Justizvollzugsbediensteten dann mindestens eine Hochschulausbildung benötigen?
Da würde ich Ihnen zunächst mal so ohne Weiteres zustimmen, ich komme aber nachher sowieso noch mal zu dem Thema.
So, jetzt also zu guter Letzt noch ein anderer, allgemeiner Gesichtspunkt, und das greift das etwas auf, was der Kollege Fiedler eben angesprochen hat. Ich habe eben schon gesagt, das sind alles sehr ambitionierte Regelungen, gegen die ich als solches auch gar nichts habe, das ist eigentlich alles in Ordnung. Ich sehe nur das zeitliche Problem und jetzt kommt eben noch ein anderes Problem dazu: Ich habe schon, als wir über das Justizvollzugsgesetzbuch diskutiert hatten – das war schon im Jahr 2013 – gesagt, dass die Umsetzung dieses Justizvollzugsgesetzbuchs ein hohes Maß an Engagement und Kompetenz der Justizvollzugsbe
diensteten erfordert. Und wenn ich dann im Vorwort zum jetzigen Gesetz lese: „Durch den Erlass des Gesetzes“ – bei dem Jetzigen steht das drin – „entstehen keine zusätzlichen Kosten“, dann sage ich Ihnen schon heute:
Dann können Sie sich das Gesetz schenken. Wenn dadurch keine zusätzlichen Kosten entstehen, weiß ich nicht, wie Sie das alles machen wollen.
Es braucht nämlich hochqualifiziertes Personal zur Umsetzung. Insbesondere gehe ich bei diesen Zielen davon aus, dass man zusätzlich psychologisches und pädagogisches Fachpersonal braucht – wenn man das Papier jedenfalls mit Leben erfüllen will. Wenn alle Maßnahmen mit dem vorhandenen Personal bereits durchgeführt werden, dann können Sie es auch bei der Arrestvollzugsordnung des Bundes belassen. Dann brauchen wir eigentlich kein neues Gesetz.
Ich will noch einen Satz zitieren, der bezeichnend ist. Im Vorwort zu diesem Gesetzentwurf steht drin, ich darf zitieren: „Im Jugendarrest fallen aufgrund dessen kurzer Dauer in der Regel keine personalintensiven Maßnahmen […] an.“ Was soll man von diesem Satz halten, der im Vorwort steht,
wenn man dann liest, was im Gesetz alles getan und gemacht werden soll, was ja, wenn man es machen kann, ganz gut wäre? Dieser Satz konterkariert meines Erachtens das Gesetz. Wenn Sie den Arrestvollzug wie bisher betreiben wollen, dann brauchen wir in der Tat auch kein neues Gesetz.
Aus meiner Sicht gibt es hinreichend Diskussionsbedarf, um im Justizausschuss ausführlich über dieses Gesetz zu diskutieren. Danke schön.
Wir haben eine Wortmeldung des Abgeordneten Rietschel für die AfD-Fraktion. Herr Abgeordneter Rietschel.
Herr Präsident, werte Abgeordnete, liebe Gäste, ich darf mit einem Zitat beginnen: „Zu weiche Gesetze werden selten befolgt, zu strenge selten vollzogen.“ Über dieses Zitat von Benjamin Franklin lohnt es sich, etwas länger nachzudenken. Denn am Ende dieses Nachdenkens landet man auch unweigerlich bei der Kriminalität von Jugendlichen und daraus resultierend bei den Regeln der Sanktionen einer solchen. Zu Recht ist einhellige Auffassung, da sind
wir uns alle einig, dass Jugendliche nicht bestraft werden müssen. Allerdings muss auch der Erziehungsgedanke Maß und Mitte haben.
Jeder, der Kinder hat, weiß, dass keinesfalls zu jedem Zeitpunkt Verständnis und Nachsicht angebracht sind, sondern von Fall zu Fall auch Konsequenzen und Durchsetzungsfähigkeit.
Wo die Regeleinhaltung nicht eingefordert wird, entstehen möglicherweise solche Phänomene, wie die öffentliche Aufforderung zur Begehung von Straftaten durch Jugendorganisationen von Parteien, aktuell der Jugendorganisation der Linken mit dem Motto: „Deutschland knicken“. Und das von einer Partei, die auch hier im Parlament immer behauptet, sie wäre demokratisch und stehe mit den Füßen auf dem Boden des Grundgesetzes.
Bei der Durchsicht des Gesetzentwurfs drängt sich die Befürchtung auf, dass der gesetzlich vorgeschickte Gedanke der Erziehung, das Bewusstmachen von begangenem Unrecht, der Befähigung zu eigenverantwortlichem Leben ohne Straftaten etwas Schlagseite hat. Zwar erkennen Sie, dass die in den Jugendarrest überwiesenen Personen regelmäßig bereits größere Defizite in der Persönlichkeitsentwicklung haben und die erzieherischen Einwirkungsmöglichkeiten schon wegen der kurzen Dauer des Arrests – die kürzeste Frist sind bekanntlich zwei Tage, der Kollege von der CDU hat das vorhin noch mal detaillierter gesagt – begrenzt sind. Zudem kommt, um einen bekannten Politiker zu zitieren, „niemand wegen eines geklauten Schokoladenriegels in den Knast“. Wir haben es hier also schon mit größeren Früchtchen zu tun. Ich fürchte, Ihre ambitionierten Ziele sind daher kaum adäquat erreichbar.
Ich will dabei gar nicht darauf herumreiten, dass Ihnen schon bei der Fassung des Gesetzes der Lapsus unterlaufen ist, eine Vorschrift, nämlich den § 37, der die Bildung eines Beirats ermöglicht, im Inhaltsverzeichnis einfach zu unterschlagen. Offenbar wurde der Beirat noch kurz vor Torschluss hinein fabriziert. Wozu der notwendig sein soll, das kann mir bei der Kürze der Arrestdauer wahrscheinlich auch niemand erklären.
Wir unterstützen ausdrücklich das Ansinnen, die Arrestanten an einen geregelten Tagesablauf heranzuführen und sie durch Sport zu beschäftigen. Nur benötigt es dafür extra ein neues Gesetz, ein eigenes? Selbst Ihrer eigenen Ansicht nach demnach nicht. Verfassungsrechtlich, möchte ich feststellen, ist der Vollzug des Jugendarrests in seiner bisherigen Form nicht zu beanstanden. Warum behaupten Sie dann, dass der Entwurf alternativlos sei?
Was uns jedoch viel mehr umtreibt, ist Ihre kühne Behauptung, dass der bisherige Personalbestand und die bisherigen Organisationsstrukturen ausreichend seien. Angesichts der Vorgänge des letzten Winters im Thüringer Justizvollzug und der dauerhaft anstehenden Beschwerden vonseiten des Personals haben wir daran wohl berechtigte Zweifel.
Wollen wir hoffen, dass Sie das in der Ausschussarbeit erklären können. Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
Danke schön. Nun hat Frau Abgeordnete RotheBeinlich für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen das Wort.
Herr Präsident, meine sehr geehrten Damen und Herren, wir reden ja heute über einen Gesetzentwurf, welcher sich da nennt „Jugendarrestvollzugsgesetz“. Ich bin meiner Kollegin Frau Dr. MartinGehl sehr dankbar, dass sie mit Blick auf dieses Gesetz auch schon auf Schwierigkeiten im Namen eingegangen ist.
Ich will trotzdem noch etwas vorwegschicken. Der Gesetzentwurf schafft durchaus die Grundlage für den modernen Vollzug des Jugendarrests. Er ist deswegen aber nicht minder umstritten. Ich will es einfach so deutlich sagen: Vielleicht erinnert sich der eine oder die andere daran, es gab dazu einen Beschluss auf Bundesebene am 14. Juni 2012 gegen die Stimmen der Opposition damals im Bundestag, weil ein solches Vorgehen durchaus auch von uns als sehr kritisch gesehen wurde, Jugendliche mittels solcher drastischen Maßnahmen quasi erziehen zu wollen. Damals gab es immer wieder die Aufforderung, doch vielmehr Perspektiven zu eröffnen, statt wegzusperren. Aber Fakt ist, dass der sogenannte Warnschussarrest – so wurde er ja genannt – damit eingeführt worden ist und die Gesetzgebungs- und Regelungskompetenz auf die Länder überging und genau deshalb hat die Landesregierung jetzt auch einen entsprechenden Gesetzentwurf vorgelegt.
Frau Martin-Gehl hat es vorhin angedeutet. Ich will schon noch einmal daran erinnern, woher der Jugendarrest eigentlich kommt: Der Jugendarrest war von den Nazis 1940 eingeführt worden, als sogenanntes Zuchtmittel und Instrument der politischen Verfolgung. Damals arrestierte die Polizei beispielsweise die Swing Kids und andere Jugendliche, die nicht in das Menschenbild der Nazis passten. Es ging damals um Umerziehung durch Strafe. Sie
können aber beruhigt sein, denn außer dem Namen hat der heutige Jugendarrest mit diesem ursprünglichen Arrest zum Glück nichts mehr gemein. Heute ahnden Richter Jugendliche und Heranwachsende dann mit Jugendarrest, wenn eine Jugendstrafe nicht geboten scheint. Es ist wichtig, darauf hinzuweisen. Es gibt nämlich einen Unterschied zwischen der Jugendstrafe und dem Jugendarrest. Und die Vorkommnisse, die hier eben angesprochen wurden, fanden nicht in einer Arrestanstalt, sondern im Strafvollzug statt, auch da muss man sicher unterscheiden. Es geht darum, dem Jugendlichen dennoch eindringlich zum Bewusstsein zu bringen, dass er für das begangene Unrecht einzustehen hat – so sagt es jedenfalls auch § 13 Abs. 1 Jugendgerichtsgesetz. Dabei handelt es sich um ein breites Spektrum an Vergehen, wegen derer Jugendliche in den Jugendarrest gehen. Dazu gehören beispielsweise Diebstähle, Körperverletzungen, aber auch Delikte wie das Schwarzfahren – dazu haben wir gerade eine intensive, ganz andere Debatte – oder – das muss hier auch erwähnt werden – notorisches Schulschwänzen. Nun hat der Jugendarrest nicht die Rechtswirkung einer Strafe wie § 13 Abs. 2 Jugendgerichtsgesetz betont, sondern speist sich heute aus dem Gedanken „Erziehung statt Strafe“. Deswegen – Frau Martin-Gehl ist ja darauf eingegangen – gibt es auch Parallelen zur Jugendhilfe, und das muss man sicherlich auch berücksichtigen, wenn man über die entsprechenden Maßnahmenpläne spricht.
Ich habe eben schon mal den Begriff „Warnschuss“ erwähnt. Das war damals der Begriff für das Gesetzesvorhaben bei der Beschlussfassung im Bundestag 2012, obgleich der Vergleich des Jugendarrests mit einem Warnschuss – aus unserer Sicht jedenfalls – deutlich verfehlt ist. Es kann nicht darum gehen, Jugendliche möglichst wirkungsstark zu erschrecken. Wir wissen auch alle, dass bloßes Wegsperren nichts bringt. Vielmehr soll der Jugendarrest – ich sagte es eingangs schon – erzieherisch auf die Jugendlichen einwirken und die Weichen für ein Leben ohne Straftaten stellen. Ich will aber nicht verhehlen, dass die Wirkung durchaus umstritten ist – übrigens auch in der Kriminologie. So will ich verweisen auf einen Artikel aus „Der Zeit“, der konstatierte „Warnschussarrest ist ein kriminalpolitischer Irrweg“. Eine Binsenweisheit ist nämlich – das wissen wir alle –, dass Prävention sehr viel mehr bewirken kann als Repression. Aber trotzdem müssen wir uns natürlich mit dieser Gesetzlichkeit auseinandersetzen – ich sagte es schon –, weil wir schlichtweg den Auftrag dazu haben.
Es braucht also entsprechende gesetzliche Rahmenbedingungen, denn klar ist auch, dass die verhältnismäßig kurzen Zeiträume eines Jugendarrests – dieser geht nämlich vom Kurzarrest bis zu sechs Tagen, dem Freizeitarrest an den Wochen
enden und dem Dauerarrest von einer bis vier Wochen – natürlich eine besondere Herausforderung für den formulierten Anspruch des erzieherischen Einwirkens darstellt. Herr Scherer hat schon hinterfragt, inwieweit das in vier Wochen tatsächlich wie wirken kann und wie umfassend da mit dem Jugendlichen gearbeitet werden kann. Das muss man sich anschauen, aber genau deshalb – ich werde am Ende auch noch darauf eingehen –, meine ich eben: Man muss auch weiter denken als über diesen Zeitraum, wo der oder die Jugendliche sich im Jugendarrest befindet.
Ich danke daher dem Justizministerium, dass mit dem Entwurf genau dieser erzieherische Gedanke auch in den Vordergrund gestellt wird. Wir nutzen also nicht nur die Gesetzgebungskompetenz, die auf die Länder übergegangen ist und seitdem übrigens auf Umsetzung wartet, sondern der Jugendarrest in Thüringen wird auch entsprechend fortentwickelt, wie dies auch in anderen Bundesländern in den vergangenen Jahren schon passiert ist.