Das wird auch nicht besser, wenn dieser Antrag für die Aktuelle Stunde von Frau Muhsal vorgetragen wird.
Ich weiß nicht, ob Sie in den letzten Tagen mal die Nachrichten gesehen haben, was im Moment an Grenzen passiert.
Nichts? Dann haben Sie die weinenden Kinder nicht gesehen, die tagtäglich an der Grenze zu Amerika von ihren Eltern getrennt und in Käfige gesperrt werden.
Dann haben Sie die Menschen nicht gesehen, die tagtäglich im Mittelmeer ertrinken, weil wir uns abschotten, weil wir die Grenzen zumachen, weil es keine sicheren, weil es keine legalen Fluchtwege hierher gibt. Und Sie behaupten, man könne Geflüchtete an der Grenze einfach abweisen. Das geht so überhaupt nicht. Ich will nur einfach noch mal darauf hinweisen.
Heute geht es Ihnen darum, dass die Menschen, deren Asylantrag abgelehnt wurde, möglichst schnell wieder losgeworden und abgeschoben werden. Aber wohin, meine sehr geehrten Damen und Herren? In Krieg, in Terror?
Meine sehr geehrten Damen und Herren – es herrscht kein Krieg? Aha! Ich erinnere mich, die AfD hat sich ja von russischer Seite offenkundig einen teuren Flug nach Syrien bezahlen lassen, um dann dort mit syrischen Machthabern zu posieren, um zu beweisen, dass dort gar kein Krieg herrschen würde.
Das ist derart perfide, was Sie von der AfD hier aufführen, das kann man sich gar nicht vorstellen. Kein Mensch flieht freiwillig – kein Mensch! Und wenn Sie sich klarmachen, wie die Situation beispielsweise in Syrien im Moment ist,
wenn Sie sich klarmachen, was alles in Afghanistan gerade passiert, wo es im Moment so viele zivile Opfer gibt wie noch nie zuvor, dann müssen Sie sich schon fragen lassen: Wie soll das funktionieren? Wir leben in einem Rechtsstaat – und das ist auch gut, und zwar in keinem rechten Staat, auch wenn Sie das gern so hätten.
Sie reden von schleppenden Abschiebungen und davon, dass die Härtefallkommission circa 400 Abschiebungen verhindert habe. Wir wissen, dass in Thüringen ausreisepflichtige Menschen leben. Es sind 3.659 – das ist die Zahl, die ich jedenfalls zuletzt im Ausschuss gehört habe. Ein Großteil davon sind übrigens Kinder und Jugendliche und Kinderrechte kennen glücklicherweise keine Grenzen. Bei circa 3.000 Menschen ist die Abschiebung vorübergehend ausgesetzt. Das heißt, sie besitzen eine Duldung, weil es dafür rechtliche oder tatsächliche Gründe gibt. Und teilweise besteht diese Duldung auch schon seit vielen Jahren.
Ich will Gründe für Duldungen hier einmal benennen. Das sind zum Beispiel: familiäre Bindungen zu anderen Geduldeten, dringende humanitäre oder persönliche Gründe, zum Beispiel die Beendigung der Schule, Ausbildung, Betreuung kranker Familienangehöriger. Das kann sein, weil es einen Abschiebestopp für bestimmte Gruppen oder für bestimmte Staaten gibt, medizinische Gründe, Eltern von minderjährigen Kindern und sonstige Gründe.
Wenn Menschen Deutschland verlassen sollen, setzen wir als Rot-Rot-Grün ganz klar auf den Vorrang der freiwilligen Ausreisen. Und in den letzten drei Jahren hatten wir übrigens doppelt so viele freiwillige Ausreisen – etwa 3.400 – als Abschiebungen. Die Menschen, die freiwillig ausreisen, erhalten zudem Unterstützung durch Rückkehr- oder Reintegrationsprogramme, wie beispielsweise durch das REAG/GARP-Programm der Internationalen Organisation für Migration.
Thüringen beteiligt sich bekanntermaßen übrigens auch an Rückführungen, die zwangsweise erfolgen. Allerdings möchte ich darauf hinweisen, dass der Abbruch von Abschiebungen ein bundesweites Phänomen ist. Die Gründe dafür sind vielfältig. Ein Hauptgrund für abgebrochene Abschiebungen ist, dass die Menschen, die abgeschoben werden sollen, oft nicht angetroffen werden. Grund dafür ist allerdings eine Asylrechtsverschärfung im Bund, denn Abschiebungen dürfen überhaupt nicht mehr angekündigt werden. Der Vorwurf, die Asylsuchenden würden sich gefälschte Atteste besorgen, ist ein harter Vorwurf in Richtung Ärzteschaft. Vielleicht will die AfD diesen ja mal auf dem nächsten Bundesärztetag öffentlich wiederholen.
Ich will auch noch einmal auf den Fall der schwangeren Frau in Arnstadt verweisen, bei dem Ärzte verhindert haben, dass sie trotz einer Risikoschwangerschaft aus dem Krankenhaus abgeschoben wurde. Da gilt unser Dank tatsächlich dem medizinischen Personal.
Deutschland sollte Verantwortung übernehmen und die Asylverfahren selbst entscheiden, anstatt sie überforderten anderen Staaten zu überlassen und Menschen mit erheblichem ökonomischen Aufwand auf eine ungewisse Reise quer durch Europa zu schicken. Thüringen hält sich natürlich an Bundesrecht. Vollkommen durchschnittlich sind wir übrigens auch bei der Ausreisestatistik, was bitter genug ist. Und ich sagte es schon: Wir bleiben beim Vorrang für freiwillige Ausreisen und bei der Kritik am Dublin-System, das dringend reformbedürftig ist.
Herr Präsident, sehr geehrte Damen und Herren, sehr geehrte Besucher! Lieber Bodo Ramelow, du bist eben mit verschiedenen Ausführungen zitiert worden und ich muss dir ganz ehrlich sagen: Jedes einzelne dieser Zitate könnte ich für mich persönlich so unterschreiben. Also danke für das, was du gesagt hast.
Das ist auch genau meine Auffassung. Es ist meine ganz persönliche Meinung, dass jede Abschiebung, die scheitert, für den Menschen, den sie betroffen hätte, ein Sieg ist. Warum ich zu dieser Auffassung gekommen bin, dazu gibt es ganz viele verschiedene Gründe. Ich möchte heute, am Weltflüchtlingstag, mal einen erzählen: Im Jahr 2013 ist ein tschetschenischer Familienvater mit seiner Frau und seinen drei Kindern – 6, 7 und 9 Jahre alt – nach Thüringen gekommen, schwerkrank, Leberzirrhose aufgrund einer Hepatitis C, ist hier einige Zeit geblieben, ein paar Monate. Weil er aber ein tatsächlicher Flüchtling war, der nicht mit dem Flugzeug und einem Flugticket usw. hierher kommen konnte, sondern sich tatsächlich durch Polen durchgeschlagen hat, ist er, ohne irgendwann mal eine medizinische Versorgung zu bekommen, nach Polen zurückgeführt worden gemäß Dublin II. Er ist dort noch mal zwölf Tage interniert worden, auch wieder ohne medizinische Versorgung, um dann nachts um drei mit seiner Frau und seinen drei kleinen Kindern nach Tschetschenien zurückgeführt zu werden, denn es ist ja da sehr sicher. Noch am Rollfeld wurde der Familienvater von Bewaffneten erwartet, er wurde dort zusammengeschlagen, ist dann leblos in einen Jeep verfrachtet worden, vor den Augen seiner Frau, vor den Augen seiner Kinder und zehn Stunden später ist dann auch der Kontakt zur Ehefrau abgebrochen.
Das ist jetzt ungefähr fünf Jahre her, das war im Oktober 2013. Seitdem gibt es keinerlei Kontakt von irgendeinem Familienangehörigen in Tschetschenien, Russland oder sonst wo im Ausland zu einem Mitglied dieser Familie. Das heißt, sie müssen davon ausgehen, dass mindestens die Erwachsenen, wahrscheinlich aber alle fünf tot sind. Ich sage Ihnen ganz ehrlich: Ich akzeptiere lieber, dass 2.000 Abschiebungen im Jahr scheitern, als dass
Das ist für mich absolut unbegreiflich, unglaublich und das darf eigentlich nicht an der Tagesordnung sein. Ich weiß, die AfD würde die Frage genau umgekehrt beantworten: Lieber 1.000 ausgelöschte Familien als ein ihrer Meinung nach zu Unrecht hier bleibender Flüchtling.
Das ist etwas, das will ich nicht. Ich sage Ihnen auch ganz ehrlich: Ich bin froh, dass mich diese Auffassung von der AfD unterscheidet, darauf lege ich auch Wert, darauf bin ich auch stolz.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, wir gehen jeden Tag da draußen an einer Ehrentafel zu Hermann Brill vorbei, jeden Tag. Hermann Brill hat mal vor Jahren gesagt, ich zitiere: „Nazis sind keine Menschen, sie sehen nur aus wie welche.“
Jedes Mal, wenn ich an einem solchen Tag, dem Weltflüchtlingstag, solche Drucksachen sehe, solche Reden höre, das Gegrummel da drüben höre, während ich rede, dann weiß ich, das war ein sehr kluger Mann.
Sehr geehrter Herr Präsident, meine sehr geehrten Damen und Herren der demokratischen Fraktionen, sehr geehrte Zuhörerinnen und Zuhörer! Die rechtspopulistische und ausländerfeindliche AfD-Fraktion behauptet mit ihrer Aktuellen Stunde, mit der Erhöhung der Abschiebezahlen setze man den Rechtsstaat effektiv durch. Mein Genosse Steffen Dittes hat gestern im Zusammenhang mit dem als „Linksterrorismus“ behaupteten Radmutternschwindel eines AfD-Abgeordneten gesagt, ich zitiere: „Die AfD verfolgt das Ziel, die Öffentlichkeit durch Manipulationsversuche zu täuschen.“ Nichts anderes sind die Behauptungen der AfD in dieser Aktuellen Stunde, ein Täuschungsmanöver, der inzwischen schon gewohnte Versuch, durch Hetze gegen den Rechtsstaat diesen zu schwächen. Und man hat den Eindruck, bei den rechtspopulistischen Reden darf jeder aus der AfD-Fraktion mal reden, heute war es die Frau Muhsal.
Leider, meine Damen und Herren, wird dieser Versuch einer sein, der wahrscheinlich einen guten Resonanzboden findet bei Menschen, die empfänglich sind für Hass, Hetze und Höcke. Dennoch finde ich es wichtig, diese Behauptung zu widerlegen. Die rechtspopulistische Fraktion behauptet, seit 2015 hätte die Hälfte der geplanten Abschiebungen abgebrochen werden müssen.