Protocol of the Session on June 20, 2018

(Zwischenruf Abg. Möller, AfD: Mehr als die Hälfte!)

Frau Muhsal hat von dem Scheitern der Mehrzahl aller Abschiebungen gesprochen. Das ist eine Lüge, meine Damen und Herren, und die AfD weiß das auch.

Bitte mäßigen Sie Ihren Wortgebrauch.

(Zwischenruf Abg. Henfling, BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN: Wieso kann man eine Lüge nicht auch als Lüge bezeichnen?)

Ich kann auch sagen, es ist eine tatsachenwidrige Behauptung. Schon der Terminus „Abschiebungen hätten abgebrochen“ werden müssen, ist falsch. Und das hätte man auch in den Beratungen des zuständigen Ausschusses lernen können, wenn man nicht argumentationsresistent wäre und nur zur Kenntnis nimmt, was ins ausländerfeindliche Menschenbild passt. In der Mehrzahl der Fälle geht es darum, dass Abschiebungsvorbereitungen abgebrochen werden. Etwa, Frau Abgeordnete RotheBeinlich hat es schon angedeutet, weil krankheitsbezogene Abschiebungshindernisse bestehen oder weil der Zielstaat die Menschen nicht aufnimmt oder weil andere Gründe dafür bestehen, den Geflüchteten, obwohl sie vollziehbar ausreisepflichtig sind, eine Duldung zu erteilen. Oder weil auch Menschen im Asylverfahren immer noch der – wenn auch durch die Asylrechtsverschärfungen der letzten Jahre sehr verkürzte – Rechtsweg offen steht, meine Damen und Herren. Es ist nicht so, wie die Rechtspopulisten behaupten, dass sich 3.431 vollziehbar ausreisepflichtige Menschen als Folge der schleppenden Abschiebepolitik in Thüringen aufhielten. Zum Stichtag 30. April, auch das hat Frau Rothe-Beinlich schon gesagt, waren laut Ausländerzentralregister in Thüringen 3.659 Personen vollziehbar ausreisepflichtig. Davon verfügten aber 3.019 Personen über eine Duldung. Und diese Zahlen hat Minister Lauinger übrigens vergangenen Freitag erst im zuständigen Ausschuss berichtet. Auch das negiert die rechtspopulistische Fraktion und begründet ihre Aktuelle Stunde, obwohl sie es besser weiß, mit einer Falschbehauptung.

(Zwischenruf Abg. Möller, AfD: Da waren Sie noch gar nicht da!)

(Abg. Dr. Hartung)

Besonders perfide sind die tatsachwidrigen Behauptungen, die ich nur als Hetze bezeichnen kann, der Rechtspopulisten zur Arbeit der Härtefallkommission. Die Härtefallkommission ist nicht für den Abbruch von Abschiebungen verantwortlich, sondern sie ist ein Teil der Möglichkeiten, die in besonderen Härtefällen verhindern sollen, dass durch die Beendigung des Aufenthalts dringende humanitäre oder persönliche Belange der betroffenen Menschen verletzt werden. Und sie entscheidet auch nicht kurzerhand, wie das Frau Muhsal hier eben sehr perfide behauptet hat, sondern es lässt sich in der öffentlich einsehbaren Verordnung zur Härtefallkommission nachlesen, wie das Verfahren ist. Frau Muhsal, lesen können Sie ja, wenn ich das richtig erinnere.

Dass ein Mitglied der rechtspopulistischen Fraktion Mitglied in dieser Härtefallkommission sein darf und immer wieder – das ist heute mit dieser Aktuellen Stunde nicht das erste Mal – die wichtige Arbeit dieser Kommission in den Dreck zieht, ist für mich persönlich sehr bitter.

(Beifall DIE LINKE, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN)

Es wäre nur konsequent, dass diese Person das Amt niederlegt. Ein Bock sollte nicht gärtnern, meine Damen und Herren.

Passend zu dieser Aktuellen Stunde der rechtspopulistischen Fraktion – das wird den Damen und Herren von rechts natürlich nicht passen – hat erst gestern der Europäische Gerichtshof die Rechte abgelehnter Asylbewerber gestärkt, die Rechtsmittel gegen ihre Abschiebungsanordnung eingelegt haben. Sie seien weiter als Asylbewerber zu behandeln, so der Hof. Ausreisefristen dürften nicht in Gang gesetzt werden, während das Verfahren noch läuft. Eine Abschiebehaft sei während des Rechtsmittelverfahrens ausgeschlossen. Das straft nicht nur die Eingangsbehauptung der Rechtspopulisten Lügen, die Erhöhung der Abschiebezahlen setze den Rechtsstaat effektiver um, sondern es bedeutet das genaue Gegenteil. Und, meine Damen und Herren, es ist natürlich auch ein sehr deutlicher Hinweis an die Bundesregierung hinsichtlich

Ich muss Sie bitten, zum Ende zu kommen.

der Rechtsverstöße – letzter Satz, Herr Präsident –, die der Bundesinnenminister mit seinen geplanten Grenzabweisungen in Kauf zu nehmen bereit ist, einzig wegen des Landtagswahlkampfs in Bayern.

(Beifall)

Als Nächster hat Abgeordneter Herrgott für die CDU-Fraktion das Wort.

Sehr geehrter Herr Präsident, meine Damen und Herren! Frau Kollegin Berninger, Abschiebungen sind die Durchsetzung des Rechtsstaats,

(Beifall CDU)

und zwar in letzter Konsequenz und das ist auch gut so.

(Zwischenruf Abg. Berninger, DIE LINKE: Und Rechtsmittel auch!)

Und sie sind eine nationale Kraftanstrengung, der wir uns auch hier in Thüringen stellen müssen, meine Damen und Herren. Diese Anstrengungen erwarten wir auch von der rot-rot-grünen Landesregierung und den sie tragenden Fraktionen,

(Beifall CDU)

auch wenn dieser Appell wahrscheinlich bei Ihnen nicht fruchten wird. In dem Artikel von der „Thüringer Allgemeinen“ vom 01.06. haben wir nun alle sehr öffentlich gesehen, dass in Thüringen deutlicher Nachholbedarf beim Thema „Abschiebungen“ herrscht. Mehr als 200 Personen wurden zwar in diesem Jahr abgeschoben, aber auch mehr als 300 Abschiebungen und Abschiebevorbereitungen sind gescheitert.

Wir dürfen – und das müssen wir da dezidiert sagen – hier aber nicht den Zahlen, die die AfD in ihren Antrag schreibt, auf den Leim gehen, denn von den 3.600 Ausreisepflichtigen – es wurde schon gesagt – haben etwa 3.000 eine Duldung.

(Zwischenruf Abg. Möller, AfD: Das ist auch Versagen des Rechtsstaats!)

Herr Kollege Möller, dazu kommen wir noch.

Bei diesen Menschen liegt ein Abschiebehinderungsgrund vor und deswegen können wir sie nicht abschieben. Wie intensiv wir das überprüfen müssen und wie schnell wir immer wieder prüfen müssen, ob diese Gründe noch vorliegen, ist eine andere Debatte.

(Zwischenruf Abg. Möller, AfD: In jedem an- deren Rechtsstaat kann man das!)

(Zwischenruf Abg. Berninger, DIE LINKE: Ziehen Sie doch in einen anderen Rechts- staat!)

Aber diese Gründe liegen vor und deswegen reden wir hier gerade einmal über eine Zahl von 500 bis 600 vollziehbar Ausreisepflichtigen. Immer noch zu viel, meine Damen und Herren, aber es sind nur 500 bis 600 Personen.

(Abg. Berninger)

Und diese Zahlen sind uns allen bekannt – auch Ihnen Herr Möller – aus der letzten Sitzung des Ausschusses für Migration, Justiz und Verbraucherschutz. Das Problem bei diesen Zahlen sind aber nicht nur die zu geringen Anstrengungen in unserem Bundesland, abgelehnte Asylbewerber und Flüchtlinge zügig wieder nach Hause in ihre Heimatländer zu führen. Hier müssen wir intensiv und in der Tat besser werden. Das Problem ist vielmehr das, was die Interpretation dieser Abschiebungen und abgebrochenen Abschiebungen betrifft. Wir haben hier vielfach zu den Gründen – auch von Ihnen, Herr Minister Lauinger – gehört, dass es nicht das Problem sei, dass die Menschen nicht angetroffen würden, sondern das vielfältigste andere Gründe vorliegen würden. Nun lesen wir in der „Thüringer Allgemeinen“, dass in über der Hälfte der Fälle tatsächlich der Grund ist, dass die Abschiebungen nicht umgesetzt werden konnten, weil sie nicht angetroffen wurden. Die genauen Zahlen werden wir sicherlich in der nächsten Ausschusssitzung noch einmal hören oder Sie werden es heute berichten, das werden wir nun sehen.

Aber wenn Sie uns in der Debatte um Ankerzentren – eine Zentralisierung, die auch dann die Information erleichtert – immer vorhalten, dass, wenn jemand abgeschoben werden soll, er nur deswegen nicht anwesend ist, weil er gerade keine Information davon hatte, er aber vielleicht untergetaucht ist, weil er sich der Abschiebung entziehen wollte, diese Problematik würden Ankerzentren lösen.

(Beifall AfD)

Über das Ganze können wir hier tatsächlich mal reden.

(Unruhe DIE LINKE, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN)

Ganz entspannt meine Damen und Herren.

Und der Artikel zeigt, dass das, was bisher hier immer entsprechend behauptet wurde, eben nicht stimmt. Die Mehrheit der Abschiebungen wird abgebrochen, weil die Personen nicht da sind. Die Zahlen bestätigen nun offenbar auch das, was uns die Praxis aus der Polizei seit Jahren berichtet, meine Damen und Herren.

Ich bin mal auf die genauen Zahlen gespannt, entweder heute oder im Ausschuss, wo wir uns sicher intensiver damit beschäftigen können als hier zu einer Aktuellen Stunde, zwei Wochen nach der Aktualität des Themas, aber wenn man eben nichts anderes vorzuweisen hat, dann nimmt man auch gern diese Aktuelle Stunde, Kollegen von der AfD.

(Beifall CDU)

Die Zahlen belegen hier eins: Ankerzentren, wie wir sie als Union fordern, lösen einen Teil des Problems. Einen anderen Teil, den man nicht durch zentrale Unterbringung lösen kann, muss der Staat

in letzter Konsequenz dann über Abschiebehaft regeln und lösen.

(Zwischenruf Abg. Kalich, DIE LINKE: Ich bin mir aber nicht sicher, ob ihr das alle wollt!)

Das ist genauso Umsetzung von Recht und Gesetz.

(Beifall CDU)

Und noch einen kleinen Satz zu Herrn Ministerpräsident Ramelow: Wenn Sie auf LINKEN-Parteitagen verkünden, jede Abschiebung sei für Sie eine persönliche Niederlage, dann kann ich nur sagen: Wappnen Sie sich mal für viele persönliche Niederlagen. Vielen Dank!

(Beifall CDU)

Danke schön. Für die Landesregierung redet nun der Minister für Migration, Herr Minister Lauinger.

Sehr geehrter Herr Präsident, meine sehr geehrten Damen und Herren Abgeordneten, man sieht, es ist eine sehr emotionale Debatte. Deswegen probiere ich es mal mit etwas sehr Altmodischem, nämlich Fakten zu dem Thema.

Ich will mich als Erstes damit auseinandersetzen, dass auch der Kollege Herrgott von der CDU wörtlich gefordert hat: Es gibt zu geringe Anstrengungen in Thüringen und wir erwarten, dass Thüringen da mehr unternimmt. Jetzt trage ich Ihnen mal hoffentlich sehr nüchtern vor, wie die bundesweite Situation im Bereich Abschiebungen ist. Wir hatten im Jahr 2017 bundesweit insgesamt 23.966 Abschiebungen aus Deutschland, aufgeteilt auf die Bundesländer. Ich greife jetzt mal exemplarisch vier Bundesländer heraus – Sie dürfen mich gern auch nach anderen Bundesländern fragen, wenn Sie die komplette Statistik interessiert –, und zwar Sachsen, Sachsen-Anhalt – als Nachbarländer von uns, von Ihnen regiert –, Thüringen und dann vielleicht noch mal als Paradebeispiel, weil das immer herangeführt wird als Musterland, wie man es zu machen hat, Bayern. Ich fange damit an, Ihnen die Zahlen von Sachsen zu nennen. Sachsen hatte von diesen 23.966 Abschiebungen 1.034. Jetzt muss man natürlich wissen, dass nach Königsteiner Schlüssel Sachsen 5 Prozent der Flüchtlinge bekommt, und sich dann logischerweise die Zahl anschauen, wie viel das auf die Gesamtzahl betrachtet ist. Das waren dann eben nur noch 4,31 Prozent und in der Statistik der Bundespolizei – das ist also auch nicht meine – steht bei Sachsen damit ein Minus von 0,43 Prozent unter dem, was sie nach Königsteiner Schlüssel hätten eigentlich abschieben müssen. Für Sachsen-Anhalt stellt sich die Situation wie folgt dar: 645 Abschiebungen in Sachsen-Anhalt, nach

(Abg. Herrgott)