Frau Präsidentin, meine sehr geehrten Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen, werte Gäste, ich freue mich sehr, dass wir heute diesen gemeinsamen, von Frau Meißner schon angesprochenen Antrag der Fraktionen CDU, Die Linke, der SPD und Bündnis 90/Die Grünen vorliegen haben. Frau Meißner ist in ihrer Begründung des Antrags auch darauf eingegangen, worum es uns geht. Es geht uns nämlich um die Hilfe für betroffene Frauen, es geht uns um die Hilfe für betroffene Kinder und es geht uns um das gesamte Familiensystem, denn die Familie insgesamt ist betroffen, wenn eine Frau suchtkrank ist – insbesondere auch noch, wenn sie ein Kind erwartet. Davon sind Eltern, davon sind Familienangehörige, davon sind alle Möglichen betroffen, die teilweise mit dem Wunsch zu helfen auch an ihre Grenzen stoßen.
Ich will mich an dieser Stelle auch mal ganz herzlich bei allen bedanken, die sich im Sozialausschuss diesem Thema gewidmet, intensivst mitdiskutiert haben und zum Vorwurf an die Politik: „Ihr könnt euch nicht einigen, wenn es um wesentliche Punkte geht“, deutlich gemacht haben, dass es auch anders funktioniert. Ein solches Thema – die Erarbeitung eines Zukunftskonzepts zur Verbesse
rung der Versorgung Schwangerer, Eltern und Kinder aus suchtbelasteten sowie psychisch belasteten Familien in Thüringen – ist kein Thema, das man mit Parteiprogrammen erklären kann, wie Frau Meißner schon angesprochen hat. Das ist kein Thema, wo es um ideologische Aspekte geht. Das ist ein Thema, wo man zusammen versuchen muss, das Beste im Interesse der Betroffenen zu erreichen. Ich glaube, das ist uns mit diesem gemeinsamen Antrag gelungen.
Wir wissen alle, dass eine Schwangerschaft für Frauen, die illegale oder auch legale Drogen konsumieren, immer mit besonderen Risiken verbunden ist. Das ist eine Binsenweisheit, das weiß jeder. Da ist es auch im Prinzip egal, ob es sich um Alkohol, ob es sich um Rauchen, ob es sich um illegale Drogen wie beispielsweise Crystal Meth handelt. Wir wissen auch, dass es schwerwiegende, lebenslang nicht wieder gut zu machende Schäden für das ungeborene Kind ergibt. Eine Zahl, die das Problem deutlich aufzeigt, ist erschreckend – das ist schon angesprochen worden: Etwa 30 Prozent aller werdenden Mütter zum Beispiel rauchen zu Beginn ihrer Schwangerschaft. Es wird Alkohol konsumiert. Es werden gegebenenfalls andere Drogen genommen, weil der eine oder die andere immer noch meint – es gibt so eine unterschwellig vorherrschende Meinung –, dass es so eine ganz gewisse Untergrenze gibt, also das eine Glas ja nichts macht und die zwei Zigaretten nichts machen und das andere, was ich zu mir nehme, meinem Kind nicht schadet. Nein! Alles, was an Drogen eingenommen wird, ist für den Säugling, der im Mutterleib heranwächst, schädlich. Deswegen sind wir uns auch bei diesem Thema sicher, dass es ein ganz wichtiges Thema ist, was wir hier in den Mittelpunkt gestellt haben.
Besonders alarmierend sind dabei auch die in den vergangenen Jahren deutlich ansteigenden Konsumdaten illegaler Drogen. 2017 wurden in Thüringen über 12.000 Drogendelikte durch die Polizei registriert. Die Dunkelziffer ist deutlich höher. Es gehört ja noch Arzneimittelmissbrauch dazu und alles, was rezeptfrei in Apotheken zu erhalten ist. Dieses Thema ist wirklich sehr vielschichtig – leider. Diese Zahlen, die ich eben vorgetragen habe, sind auch ein neuer Negativrekord im Fünf-Jahres-Vergleich und deswegen auch aus unserer Sicht höchst alarmierend.
In Thüringen und auch angrenzend in Sachsen ist speziell der Anstieg des Konsums von Crystal Meth besonders dramatisch – nicht nur die gesundheitlichen Schäden für die, die Crystal Meth einnehmen, sondern natürlich auch für die Kinder, die mit schweren Schäden geboren werden. Gerade bei diesen sogenannten neuen Drogen – so neu sind
sie gar nicht – ist es wichtig, gerade in der Prävention, in der Beratung und in der Begleitung neue Wege zu gehen. Bei der Behandlung von suchtkranken Frauen kann eine gemeinsame Aufnahme der betroffenen Suchtkranken und der Kinder – Frau Meißner hat es angesprochen – eine große Chance darstellen, weil oftmals auch die Beziehung Mutter/Kind in einer solch schwierigen Situation der Betroffenen nicht mehr ordnungsgemäß funktioniert. Es kann deshalb gerade in einer solchen Einrichtung auch eine besondere Chance darstellen, die Beziehung zwischen Mutter und Kind aufrechtzuerhalten, wieder zu stabilisieren und damit beiden – der Mutter und dem Kind – auch eine direkte Hilfe und Unterstützung zukommen zu lassen. Ich sehe es auch ganz genauso. Ich finde eine Trennung in einer solch schweren Situation zwischen Mutter und Kind schwierig, weil – das ist wirklich so – eigentlich die Mutter versucht, dem Kind und dem Kindeswohl gerecht zu werden,
sie der Aufgabe oftmals nicht gewachsen ist, deswegen dann meint Drogen nehmen zu müssen, um der Aufgabe gewachsen zu sein, und sich damit in einen Teufelskreis begibt, aus dem man allein kaum herausfindet.
Aber ich glaube, in dem Fall ist es tatsächlich so, dass sich das Kind und die Mutter gegenseitig auch helfen können. Das ist eine ganz wichtige Sache und deswegen sind solche Einrichtungen, wie Frau Meißner auch angesprochen hat – Wolfersdorf – ganz wichtige Einrichtungen. Ich selber bin dort – und ich weiß, auch die Kollegen meiner beiden anderen Koalitionsfraktionen – vor Ort gewesen. Das ist wirklich eine Einrichtung, die beispielgebend ist und schon auch den einen oder anderen Fingerzeig geben kann, wenn es darum geht, betroffene Frauen und Kinder zu betreuen.
Insofern war es uns auch ganz wichtig, in diesem Antrag festzuhalten, dass es eine Bestands- und eine Bedarfsanalyse des Thüringer Suchthilfesystems braucht, um genau auf dieser Grundlage verschiedenste Ziele auch umzusetzen. Wir müssen den Bedarf an Angeboten für Suchtkranke und ihre Kinder genau und detailliert ermitteln. Wir brauchen die Daten. Wir müssen nicht nur die Zugänge zu solchen Einrichtungen verbessern, wir müssen die Einrichtungen, wir müssen Krankenhäuser usw. sensibilisieren für die besondere Situation von drogenabhängigen Frauen und Müttern und deren Kinder. Wir müssen auch gucken, dass es ein vernünftiges Netzwerk gibt, das heißt, auch nach dem Verlassen einer Einrichtung dürfen die Betroffenen nicht allein bleiben. Deswegen ist es uns auch wichtig, zum Beispiel die Wartezeiten bei der Aufnahme und Versorgung Suchtkranker und ihrer Kinder zu vermindern.
Lassen Sie mich noch auf zwei Punkte eingehen, die auch im Antrag festgehalten sind. Wir wollen in unserem Antrag unter Punkt 7, dass sich auf Landesebene und Bundesebene dafür eingesetzt wird, dass Maßnahmen für suchtkranke Familien besser aufeinander abgestimmt finanziert werden und nicht – Entschuldigung – der eine mit dem Finger auf den anderen zeigt. Denn das war eine ganz deutliche Aussage in den schon angesprochenen mehreren Anhörungen, dass oftmals einfach das Netzwerk nicht funktioniert, dass man aus dem Raster fällt und dass wir nicht erwarten können, dass eine Frau in dieser schwierigen Situation sich selber damit beschäftigt, zu gucken, wo sie jetzt an welcher Stelle welche Unterstützung bekommt. Das mag funktionieren in einer betreuten Einrichtung wie in Wolfersdorf, aber wenn dann Mutter und Kind wieder in ihren normalen Alltag zurückgehen, dann müssen wir sehen, dass die Rahmenbedingungen so gestaltet werden, dass sie aufeinander aufbauen, dass sie ordentlich finanziert werden und das auch die besonderen Bedarfe von Kindern psychisch bzw. auch der suchtkranken Eltern detailliert zu berücksichtigen sind. Deswegen sind das hier auch andere Aufgaben als in anderen Fällen, wo es um schwierige Situationen in Familien geht.
Wir wollen auch kontinuierlich mit den kommunalen Spitzenverbänden in Thüringen Gespräche zur Weiterentwicklung einer bedarfsgerechten Versorgung und Beratung von Schwangeren, Eltern und Kindern aus suchtbelasteten Familien sowie Eltern mit psychischer Erkrankung im Rahmen einer Landesinitiative führen und im Landtag soll im IV. Quartal 2018 über konkrete Schritte zur Verbesserung von Präventionsangeboten, Suchtberatung, Entzugsangeboten in Thüringen informiert werden. Ziel ist es, und da sind wir uns – denke ich – alle einig, ein flächendeckendes Netzwerk an eben niedrigschwelligen Hilfs- und Versorgungsangeboten zu bekommen.
Ich glaube, wir sind uns alle einig, dass dieses durchaus sensible Thema ein wesentliches Thema ist und die Entwicklung – gerade im illegalen Drogenbereich, was Drogenarten wie Crystal Meth angeht und andere – zunimmt und dass wir uns dieser Aufgabe stellen müssen. Diejenigen, die in diese Situation hineingekommen sind, die brauchen einen vernünftigen Rahmen, der aufeinander aufgebaut ist, der miteinander vernetzt ist, damit wir den Menschen helfen können. Insbesondere – da haben wir uns auch terminlich festgelegt – wollen wir diese Bestands- und Bedarfsanalyse, was das Suchthilfesystem hier in Thüringen angeht, im I. Quartal 2019 haben.
Ich will noch einmal ganz deutlich sagen: Es geht nicht darum zu sagen, dass es im Moment nichts gäbe, das ist nicht der Fall. Aber wir müssen einfach sehen, dass die Angebote besser miteinander vernetzt werden und aufeinander aufgebaut wer
den. Insofern wollen wir auch über den Tellerrand hinaus schauen und haben unter Punkt II in unserem Antrag festgehalten, dass wir natürlich auch unsere Ergebnisse in Kooperation mit anderen Bundesländern beraten und vielleicht auch vernetzen können, und wir wollen auch darüber nachdenken, wie ehrenamtliche Initiativen eingebaut werden können in die Regelversorgung und gegebenenfalls Finanzierung, weil wir auch wissen, dass wir genau an dieser Stelle auf ehrenamtliche Unterstützung angewiesen sind.
Ich freue mich sehr, dass es im Sozialausschuss nicht das erste Mal, sondern schon öfter möglich gewesen ist, aus einer Grundlage eines Antrags einer Fraktion oder der Koalitionsfraktionen und der CDU-Fraktion im Nachgang einen gemeinsamen Antrag zu formulieren, der einfach zeigt, dass Politik wirklich in der Lage ist, miteinander zu reden und aufgrund von Anhörungen die Dinge mit einzubauen, die diejenigen, die tagtäglich mit der Problematik beschäftigt sind, uns mit auf den Weg gegeben haben, und dass wir an diesem Punkt zeigen, dass bei ganz wesentlichen, sensiblen Themen die Parteizuordnung nicht das Allerwichtigste ist, sondern das Allerwichtigste ist, den Betroffenen zu helfen. Das ist uns mit diesem Antrag gelungen und deshalb bitte ich sehr um Zustimmung. Herzlichen Dank.
Vielen Dank, Frau Präsidentin. Sehr geehrte Damen und Herren Abgeordnete, liebe Zuschauer auf der Tribüne und im Internet! Nach ausführlicher und reichlich anderthalb Jahre langer Behandlung im Ausschuss für Soziales, Arbeit und Gesundheit freue ich mich, dass wir heute endlich einen gemeinsamen Antrag der Fraktionen der CDU, Die Linke, der SPD und Bündnis 90/Die Grünen als Diskussionsgrundlage haben, der sich einem ohne Zweifel sehr ernsten Problem widmet und grundsätzlich in die richtige Richtung weist. Dennoch bleibt die zentrale Frage bezüglich der Problematik drogenabhängiger Eltern im vorliegenden Antrag unbeantwortet.
Worin sind wir uns parteiübergreifend einig? In dem Befund, dass die pränatale Einnahme suchtfördernder, psychoaktiver Substanzen, insbesondere der der sehr gefährlichen Droge Crystal Meth, große Schäden bei jüngeren schwangeren Frauen sowie vor allem dem Ungeborenen anrichtet. Die Drogenabhängigkeit der Eltern ist in ihren Auswirkungen
desaströs und wir sind uns darin einig, dass wir mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln, medizinischen, psychologischen, pädagogischen Mitteln, diesen Erscheinungen unbedingt entgegentreten müssen. Denn nur wenn es uns gelingt, die suchtbelasteten Eltern durch individuell zugeschnittene Therapie- und Hilfsangebote langfristig in der Abstinenz zu halten, können wir die Kinder vor Schäden an ihrer Gesundheit und auch an ihrer Biografie bewahren.
Der integrative Ansatz, der die gesamte Familienkonstellation, also Väter und Mütter und gern auch die Großeltern der jungen Eltern, in den Blick nimmt und einbezieht, hat sich als erfolgversprechend erwiesen. Eine zentrale Rolle spielt hier vor allem eine stabile Mutter-Kind-Beziehung. Denn wie die CDU-Fraktion hier in ihrer Begründung schon formuliert hatte und darauf hinweist, ist der Aufbau einer vertrauensvollen Mutter-Kind-Beziehung das A und O auf dem Weg zu einer erfolgreichen Therapie und einer langfristig gelungenen Suchtprävention. Eine stabile und empathische Eltern-Kind-Beziehung über die Dauer der Therapie hinweg unterstützt das Therapieziel insgesamt. Dabei hilft auch eine später etablierte sichere Mutter-Kind-Bindung. Vielen jungen Frauen mit einer Sucht- und schwierigen Sozialbiografie gelingt es ja nicht von Anfang an, zu ihren neugeborenen Kindern eine stabile innere Bindung aufzubauen. Da sollte schon angesetzt werden und da sollte man den jungen Frauen helfen, zu ihren Kindern eine liebevolle und entspannte Beziehung aufzubauen. Daher ist mit diesem Angebot einer niederschwelligen und sektorenübergreifenden Versorgungsstruktur in Thüringen und deren rechtlichen Einbettung eine unterstützenswerte politische Initiative formuliert worden. Die gemeinsame Behandlung suchtbelasteter Eltern mit ihren Kindern durch die bedarfsgerechte Einbindung der Kinder als Begleitpersonen in verschiedene Therapiephasen der Entgiftung, der Rehabilitation sowie der Nachsorge stellen ein zentrales Element dar. Und natürlich gilt: Die therapiebegleitende Aufnahme der Kinder suchtbelasteter Mütter in eine stationäre Einrichtung ist insbesondere für alleinerziehende Mütter allemal besser als die Betreuung durch wie auch immer geartete Fremde.
Die Kinder haben ja auch Väter. Diese Väter sollten aus unserer Sicht bei der anvisierten Weiterentwicklung der bestehenden Modellprojekte bedeutend mehr Beachtung finden als im hier vorgelegten gemeinsamen Antrag geschehen.
Im initialen Antrag der CDU-Fraktion in Drucksache 6/3413 finden die Väter ja noch kaum Erwähnung. Immerhin spricht der nun jüngst im Sozialausschuss beschlossene Änderungsantrag in Vor
lage 6/4040 nun von suchtkranken Eltern. Der Einbezug der Väter in die sensible Familien- und Therapiesituation ist auch deshalb fundamental wichtig, da eben diese Kinder Mutter und Vater haben. Ich weiß aus den Gesprächen mit den Häftlingen in der JVA, die mir oft kurze Bruchstücke ihrer Biografie zur Kenntnis geben, dass schon sie ohne Vater aufwachsen mussten, in der Pubertät auf die schiefe Bahn geraten sind, die falschen Freunde hatten und die falschen Antworten auf seelische und biografische Probleme und damit oft in die Drogensucht abgeglitten sind.
Ich empfehle nochmals, an der Stelle unbedingt anzusetzen, damit wir am Ende nicht nur gesunde Mütter und stabile Kinder haben, sondern gesündere Familien mit Vater und Mutter für die Kinder.
Wir als AfD betonen, dass bei diesem Thema der Prävention viel mehr Bedeutung zuwachsen muss, als dies im vorliegenden Antrag angesprochen wird. So sollte zum Beispiel überall da, wo dies noch nicht geschieht, frühzeitig Präventionsberatung Aufklärungsarbeit leisten. Ich meine, Prävention beginnt im Wochenbett. Es bleibt zu fragen, welche Suchtpräventionsmaßnahmen in den letzten zehn Jahren in Thüringen neu ins Leben gerufen wurden, um der weiteren Verbreitung von Crystal Meth und anderen Substanzen entgegenzuwirken. Da wäre ein Stichwort die vermehrte Kontrolle der Zufahrtswege und der Importwege illegaler Drogen.
Was wir in Ihrem Antrag völlig vermissen, ist ein Hinweis auf die frühestmögliche Heranführung suchtbelasteter Eltern an die Arbeitswelt. Die Einbindung in die Arbeitswelt ist für die Stabilisierung der betroffenen Männer und Frauen im Sinne eines langfristigen Therapieerfolgs von sehr großer Bedeutung. Hiervon lese ich in Ihrem Antrag allerdings kein Wort. So bietet die Einbindung in die Arbeitstherapie Grundlage für eine sinnvolle Tagesstrukturierung, die für die Aufrechterhaltung einer zufriedenen Abstinenz unbedingt notwendig ist.
Gestatten Sie mir an dieser Stelle auch noch ein Wort zur Genese des vorliegenden Antrags. Es ist schon erstaunlich, aber auch symptomatisch, wie gut sich die CDU und die Regierungsfraktionen inzwischen verstehen und für welche taktischen Manöver sich die Pseudoopposition CDU hier hergibt. Alternativ hätte die CDU ja zum Beispiel auch den Antrag der AfD-Fraktion „Drogenkriminalität bekämpfen – Suchthilfe für Schwangere und Familien in Thüringen ausbauen“ in Drucksache 6/3490 vom Februar 2017 unterstützen können. Diese Unterstützung ist aber leider unterblieben.
Wir sind natürlich in der Sache an Lösungen interessiert und finden Ihren Antrag durchaus ganz beachtlich und gut gemeint. Da er uns aber nicht weit genug geht, erlauben wir uns, ihm nicht zuzustim
men und stattdessen Ihre geschätzte Aufmerksamkeit auf unseren alten Antrag von Februar 2017 zu lenken. Vielen Dank.
Sehr geehrte Frau Präsidentin, liebe Kolleginnen, liebe Zuschauerinnen auf der Besuchertribüne und am Livestream, der Antrag, welchen wir heute abschließend beraten, hat bereits eine lange Geschichte hinter sich. Meine Vorrednerinnen sagten es ja bereits. Im Februar des vergangenen Jahres brachte die CDU-Fraktion einen Antrag mit dem Titel „Drogenabhängige Schwangere und Mütter in Thüringen“ in das Plenum ein. Dieser wurde an den Ausschuss für Soziales, Arbeit und Gesundheit überwiesen, dort beraten und es wurden drei öffentliche Anhörungen durchgeführt. Dies war nötig, da sich immer wieder neue Problemlagen auftaten bzw. sich immer wieder Nachfragen für uns ergeben haben. Im Ergebnis der Behandlung im Ausschuss haben alle vier demokratischen Fraktionen einvernehmlich einen gemeinsamen, umfassenderen Antrag erarbeitet, der den zutage getretenen Problemlagen auch Rechnung trägt. Die CDU-Fraktion hat daraufhin ihren ursprünglichen Antrag zurückgezogen.
Mit dem nun vorliegenden Antrag sollen durch verschiedene Maßnahmen auf Landes- und Bundesebene die bedarfsgerechte Versorgung und Beratung von Schwangeren, Eltern und Kindern aus suchtbelasteten Familien sowie Eltern mit psychischen Erkrankungen weiterentwickelt und verbessert werden.
Im Folgenden möchte ich kurz erläutern, warum dies notwendig ist und auf welche Problemlagen wir in der Anhörung gestoßen sind. In Deutschland leben etwa 2,6 Millionen Kinder mit alkoholkranken Eltern zusammen. Hinzu kommen noch mal 40.000 bis 60.000 Kinder drogenabhängiger Eltern. Das heißt, dass jedes sechste Kind von einer Suchtkrankheit in der Familie betroffen ist. Und hier sind die Kinder, die unter nicht stofflichen Abhängigkeiten im Elternhaus leiden, wie Spielsucht, Onlinesucht, Arbeitssucht, noch gar nicht mit eingerechnet, da sich diese Zahlen nur sehr schwer einschätzen lassen. Alle diese Kinder sind oft durch ihre Sozialisationsbedingungen schwer belastet und benachteiligt. Laut Statistik wird ein Drittel von ihnen später selbst abhängig werden, ein weiteres Drittel wird psychische und soziale Störungen davontragen und nur ein Drittel wird es schaffen, aus dieser
Kinder aus suchtbelasteten Familien werden auch als „vergessene Kinder“ bezeichnet, einerseits, weil ihre Eltern mit ihrer Aufmerksamkeit vollständig um ihre Sucht kreisen – so bleibt natürlich wenig Raum für Zuwendung –, andererseits aber auch, weil sie von der Gesellschaft vergessen werden. Kinder suchtkranker Eltern erhalten in Deutschland eben nicht die Aufmerksamkeit, die sie benötigen. So werden immer noch die Alkoholproblematik in der Gesellschaft verharmlost und die vielfältigen Schäden und Belastungen dieser Kinder zu wenig ernst genommen. In Kindergärten, Schulen und im Gesundheitswesen fehlt es an Wissen über diese Kinder. Die Mitarbeiterinnen in diesen Bereichen sind im Umgang mit Kindern suchtkranker Eltern oft überfordert und alleingelassen. Hinzu kommt, dass die vorhandenen Hilfesysteme zu wenig miteinander kooperieren, sodass Kinder aus suchtbelasteten Familien allzu oft durch die Maschen der Hilfenetze hindurchrutschen. Eigentlich ist Deutschland bekannt für seine Bürokratie. Alles ist gesetzlich geregelt, Zuständigkeiten und Verfahrenswege sind klar und eindeutig beschrieben. Dies trifft natürlich auch auf die sozialen Leistungen zu. Lässt man jetzt die Frage nach der Feinmaschigkeit des sozialen Netzes und der Sinnhaftigkeit mancher gesetzlicher Regelung einmal außen vor, so verfügt Deutschland mit seinen zwölf Teilen des Sozialgesetzbuchs über ein gut strukturiertes Regelungssystem sozialer Dienstleistungen.
Betrachten wir doch einmal die verschiedenen Hilfen, die bei einer suchtkranken Familie zum Tragen kommen. Nehmen wir als Beispiel eine alkoholkranke Mutter, ich nenne sie jetzt der Einfachheit halber mal Frau Schmidt, mit ihrem fünfjährigen Sohn Jonathan. Zuerst macht Frau Schmidt eine Entgiftung, also einen körperlichen Entzug in einem psychiatrischen Fachkrankenhaus. Diese medizinische Heilbehandlung ist eine Hilfe nach dem SGB V. Die Kosten- und Leistungsträger dafür sind in der Regel die Krankenkassen. Danach macht Frau Schmidt eine medizinische Rehabilitation, also die eigentliche Entwöhnung in einer Fachklinik für Suchterkrankungen. Dies ist eine Hilfe nach dem SGB VI, wofür wiederum Rentenversicherungsanstalten die Kosten- und Leistungsträger sind. Wir dürfen aber auch Frau Schmidts Sohn Jonathan nicht vergessen. Nehmen wir an, dass er während der Entgiftung der Mutter stationär in einer Kinder- und Jugendeinrichtung betreut wurde und dass Mutter und Sohn Hilfen zur Erziehung erhalten. Dann sind das wiederum Maßnahmen nach dem Kinder- und Jugendhilfegesetz, also dem SGB VIII. Dazu kommt noch die Bestimmung des sogenannten Klammergesetzes, des SGB IX, wonach Maßnahmen nach den verschiedenen Teilen der Sozialgesetzbücher so von den Sozialleistungsträgern miteinander zu
koppeln sind, dass sie für die Betroffenen als Maßnahmen wie aus einer Hand wirken. Wir haben es also allein in unserem Beispiel von Frau Schmidt und Jonathan mit vier verschiedenen Sozialgesetzbüchern zu tun. Klare Regelungen und Zuständigkeiten haben aber eben auch unerwünschte Nebenwirkungen. Sie können zu einer Versäulung von Hilfesystemen führen. Dann verlaufen zwischen den zuständigen Behörden und Kostenträgern unüberwindbare Gräben, die zu Situationen führen, die für Betroffene und Außenstehende nur schwer nachvollziehbar sind.
Meine beiden Kolleginnen hatten es ja auch schon angesprochen. In unserem Beispiel übertritt Frau Schmidt bei der Entlassung aus der akutklinischen in die rehabilitative Versorgung – also von der Entgiftung in die Entwöhnung – eine Grenze, nämlich von stationär zu ambulant. Die Kosten des stationären Entzugs werden grundsätzlich von der Krankenversicherung übernommen, die Entwöhnung und Rehabilitation jedoch in vielen Fällen von der Rentenversicherung. Im besten Fall soll dieser Übertritt nahtlos gelingen. Verschiedene Krankenkassen, Krankenhäuser und die Rentenversicherungsanstalten haben sich im Juli letzten Jahres auf ein sogenanntes Nahtlosverfahren verständigt, welches den Zugang zur Suchtrehabilitation verbessern soll. Herzstück dieses Verfahrens ist die begleitete Anreise der Patienten vom Krankenhaus in die Entwöhnungseinrichtung. Aber die Realität sieht leider ganz anders aus. In der Anhörung wurde uns oft berichtet, dass die Bearbeitung und Bewilligung der Reha-Anträge zu lange dauert oder das Nahtlosverfahren aufgrund von Platzmangel in den Folgeeinrichtungen nicht möglich ist. Für unsere Frau Schmidt bedeutet das, dass sie nach der Entgiftung in der psychiatrischen Fachklinik zurück nach Hause in ihr altes, gewohntes Umfeld entlassen wird. Sie hat bisher nur den körperlichen Entzug hinter sich. Sie hat noch nicht gelernt, ihren Alltag neu zu organisieren. Sie hat noch nicht gelernt, überhaupt mit dem Suchtdruck irgendwie umzugehen. Ich glaube, wir alle sind uns einig, dass ein solches Vorgehen absurd und unverantwortbar ist.
Kommen wir zu einem weiteren Problem: Im weiteren Verlauf hat Frau Schmidt nun einen Platz in einer Rehabilitationseinrichtung und Jonathan darf als Begleitkind auch bei ihr sein. Aber nur selten und nur verbunden mit einem sehr hohen organisatorischen Aufwand, wie es zum Beispiel – Frau Meißner hat es ja bereits angesprochen – dem Suchthilfezentrum WENDEPUNKT in Wolfersdorf gelingt, können Einrichtungen die notwendigen sozialpädagogischen Unterstützungsbedarfe für Begleitkinder durch die Kinder- und Jugendhilfe erhalten. Denn oftmals scheitert die Realisierung für diese Hilfen an viel zu vielen bürokratischen Hürden.