Protocol of the Session on April 29, 2015

(Beifall AfD)

Für die Fraktion der SPD hat sich Abgeordnete Pelke zu Wort gemeldet.

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Kollegin König, vielen Dank für diese Initiative hinsichtlich des 70. Mals, dass sich am 8. Mai der Tag der Befreiung Deutschlands vom nationalsozialistischen

(Abg. Brandner)

Regime jährt. Herzlichen Dank für die Initiative, die wir gern begleiten und mitgestalten wollen, diesen Tag zu einem Gedenktag zu machen, auf den wir tatsächlich auch mit Dankbarkeit zurückblicken können.

Ich glaube, das ist ein ganz wesentlicher Aspekt, den wir uns heute noch mal vor Augen halten müssen. Ich sage auch, in Erinnerung, wenn man vom 8. Mai redet, verbindet sich dieser 8. Mai – für mich jedenfalls – immer mit der Rede des ehemaligen Bundespräsidenten Richard von Weizsäcker. Und ich finde auch heute noch, es ist eine hervorragende Rede und eine ganz wichtige Rede nicht nur für mich, sondern für alle Deutschen gewesen.

(Beifall DIE LINKE, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Lassen Sie mich deshalb einige Sätze aus seiner Rede zitieren, die das auch noch einmal umfasst, worauf Frau König schon hingewiesen hat. „Der 8. Mai war ein Tag der Befreiung. Er hat uns alle befreit von dem menschenverachtenden System der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft. Niemand wird um dieser Befreiung willen vergessen, welche schweren Leiden für viele Menschen mit dem 8. Mai erst begannen und danach folgten. Aber wir dürfen nicht im Ende des Krieges die Ursache für Flucht, Vertreibung und Unfreiheit sehen. Sie liegt vielmehr in seinem Anfang und im Beginn jener Gewaltherrschaft, die zum Krieg führte.

(Beifall DIE LINKE)

Wir dürfen den 8. Mai 1945 nicht vom 30. Januar 1933 trennen. Wir haben wahrlich keinen Grund, uns am heutigen Tag an Siegesfesten zu beteiligen. Aber wir haben allen Grund, den 8. Mai 1945 als das Ende eines Irrweges deutscher Geschichte zu erkennen, das den Keim der Hoffnung auf eine bessere Zukunft barg. Der 8. Mai ist ein Tag der Erinnerung. Erinnern heißt, eines Geschehens so ehrlich und rein zu gedenken, dass es zu einem Teil des eigenen Innern wird. Das stellt große Anforderungen an unsere Wahrhaftigkeit. Wir gedenken heute in Trauer aller Toten des Krieges und der Gewaltherrschaft.“ Das sagt sehr viel. Das sagt auch, dass nicht ein Gedenktag allein dazu beitragen kann, jeden Tag erneut für Demokratie zu kämpfen, jeden Tag zu erinnern und sich einzusetzen gegen Rassismus, gegen Neonazis, gegen Antisemitismus, alles, was dazugehört. Jeden Tag sollten wir dieses Gedenken verinnerlichen.

(Beifall DIE LINKE, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN)

Aber letztendlich – und da gebe ich meiner Vorrednerin, Frau König, recht – ist es wichtig, diesem Tag auch eine Bedeutung zu geben. Ich gehe auch davon aus, dass das Gedenken an diesem Tag, wie hier beispielsweise in Erfurt am kommenden 8. Mai auf dem Hauptfriedhof, viele dazu führt, dort

zu sein, zu gedenken, sich zu erinnern und das auch als eigenen Auftrag zu verstehen, dafür Sorge zu tragen, dass ein solcher Irrweg hier in Europa und überall auf der Welt nie mehr beschritten wird.

(Beifall DIE LINKE, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

So viel zu diesem Thema. Insofern herzlichen Dank dafür. Wir werden dieses Anliegen inständig begleiten.

Abschließend wollte ich nur noch einmal an Sie, Herr Brandner, sagen: Sie müssen uns nichts über die Geschichte der Sozialdemokratie und die Väter der Sozialdemokratie erzählen. Gerade Sie nicht. Danke.

(Beifall DIE LINKE, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Für die Fraktion der CDU hat Abgeordneter Primas das Wort.

Sehr geehrte Frau Präsidentin, meine sehr verehrten Damen und Herren, „70. Jahrestag der Befreiung – Erinnerung, Gedenken, Verantwortung“: Der 8. Mai war ein Tag der Befreiung, so hat es der damalige Bundespräsident Richard Freiherr von Weizsäcker am 8. Mai 1985 im Bundestag gesagt – 40 Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs. Auch 70 Jahre danach gibt es daran keinen Zweifel.

(Beifall CDU, DIE LINKE, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Ja, der 8. Mai war ein Tag der Befreiung, der Befreiung vom Nationalsozialismus. In Thüringen vergegenwärtigen wir uns dies alljährlich anlässlich des Gedenkens an die Befreiung des Konzentrationslagers Buchenwald am 11. April 1945. Dabei könnte man es bewenden lassen. Das politische Deutschland und die Welt werden es auch aushalten, wenn sich nicht alle Menschen in diesem Begriff wiederfinden. Erinnerung, Geschichte und Gedenken meinen bekanntermaßen nicht immer dasselbe.

Nun begehren die Koalitionsfraktionen freilich, den 8. Mai als Gedenktag in das Thüringer Feiertagsgesetz zu schreiben. Dieses Vorhaben wird die CDUFraktion nicht unterstützen.

(Zwischenruf Abg. Dr. Scheringer-Wright, DIE LINKE: Warum nicht?)

Denn es ist leicht zu sagen, wovon man befreit worden ist. Deutlich unterschiedlicher dürften die Meinungen ausfallen, wenn wir die Frage stellen, wozu wir befreit worden sind. Tatsache ist: Der 8. Mai

(Abg. Pelke)

war ein Tag der Befreiung vom Nationalsozialismus.

(Beifall CDU)

Tatsache ist aber auch: Er war nicht in ganz Europa und Deutschland zugleich auch ein Sieg der Freiheit und der Demokratie.

(Beifall CDU, AfD)

Bundespräsident von Weizsäcker war seinerzeit der Erste, der den Aspekt der Befreiung vom Nationalsozialismus prominent in den Mittelpunkt rückte und damit aussprach, was viele beim Blick auf die Kriegsfolgen für das eigene Volk nicht sehen wollten oder konnten. Das war und bleibt richtig. Weizsäcker zeichnete jedoch ein Panorama, in dem das Leid genauso vorkam und eingeordnet wurde wie die Errichtung kommunistischer Diktaturen östlich der Werra und der Elbe. Diese Komplexität sollten wir nicht auf einen Begriff im Feiertagsgesetz reduzieren. Vorbehalte gegen einen solchen Schritt haben wir auch, weil der 8. Mai in der Tradition der DDR untrennbar mit dem deformierten und missbrauchten Antifaschismus des DDR-SED-Regimes verbunden ist. Ein Antifaschismus, der immer auch der Stabilisierung und Legitimierung der SEDDiktatur diente. Der Tag steht wie kein anderer für die kommunistische Lesart des Antifaschismus, in dem die eigene Diktatur als logische Konsequenz aus den furchtbaren Erfahrungen mit dem Nationalsozialismus gepriesen wurde. Alles, was nicht zu dieser sehr speziellen und keineswegs demokratiefördernden Interpretation des Antifaschismus passte, wurde ausgeblendet. Wir möchten den Eindruck vermeiden, dass Thüringen ausgerechnet an diese Tradition anknüpft. Dies gilt umso mehr, als dieses Land und dieses Parlament eine wohlbegründete Tradition hat: unsere Veranstaltungen am 27. Januar, dem Tag des Gedenkens an die Opfer des Nationalsozialismus. Ich bin davon überzeugt, hinter diesem Datum kann sich dieses Parlament ohne Vorbehalt und ungeteilt versammeln. Dabei sollten wir es belassen. Die Einladung des Präsidenten zu einer Gedenkveranstaltung anlässlich des 70. Jahrestags des Kriegsendes reiht sich in die Reihe von Gedenkveranstaltungen ein und ich bedanke mich dafür, dass er mich eingeladen hat. Schönen Dank, Herr Präsident. Ich danke, dass Sie mir zugehört haben.

(Beifall CDU, AfD)

Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat sich Abgeordnete Rothe-Beinlich zu Wort gemeldet.

Sehr geehrte Frau Präsidentin, meine sehr geehrten Damen und Herren, Die Linke hat ihre Aktuelle Stunde mit vier Begriffen überschrieben: Befreiung, Erinnerung, Gedenken und Verantwortung. Ja, ohne Wenn und Aber, der 8. Mai ist der Tag der Befreiung. Und ich bin dankbar, Herr Primas, dass Sie das auch so klar zu Beginn Ihrer Rede benannt haben. Der 8. Mai ist der Tag der Befreiung vom Nationalsozialismus. Meine Kollegin Katharina König hat noch sehr viel genauer ausgeführt, was das bedeutet. Millionen Menschen mussten sterben, weil die Ideologie der Nazis genau die war, Menschen zu vernichten, maschinell, organisiert zu vernichten. Der Singularität des Holocaust darf man auch niemals mit schrägen oder falschen Vergleichen beikommen, meine sehr geehrten Damen und Herren.

(Beifall DIE LINKE, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN)

Befreiung ist ein großer Begriff. Natürlich ist immer die Frage: Was folgt daraus? Daraus soll auch Erinnerung folgen. Ich habe überlegt, was es für Möglichkeiten der Erinnerung gibt, weil wir selbst schon wissen, wie schwer es ist, das Unbegreifliche zu begreifen. Wir haben hier erst am 27. Januar eine sehr eindrucksvolle Rede in diesem Saal gehört, wo Pavel Kohn seine Lebensgeschichte erzählt hat. Und: Es gibt besondere Erinnerungsorte in Thüringen und ich möchte diese gern benennen. Es sind nämlich exemplarisch die 36 Orte, die Stolpersteine gesetzt haben. 36 Orte in Thüringen mittlerweile, die mit den Stolpersteinen an ganz konkrete Einzelschicksale erinnern, an Familien, an Mitbürgerinnen und Mitbürger, die verfolgt, diskriminiert und schließlich ermordet wurden, die hier unter uns gelebt haben.

Es gibt weitere Erinnerungsorte, auch ambivalente Erinnerungsorte. Ich will aus aktuellem Grund die Viehauktionshalle in Weimar benennen. Wir alle haben letzte Woche die schreckliche Nachricht vernommen, dass diese abgebrannt ist, weil Jugendliche dort offenkundig Feuer gelegt haben. Die Viehauktionshalle, in der Tausende Jüdinnen und Juden zusammengepfercht und von dort in die Konzentrationslager zur Vernichtung gebracht wurden – ein wichtiger Erinnerungsort für die Stadt Weimar, wo auch mit der IBA ein Raum für Ausstellungen entstehen sollte und wo wir, glaube ich, gemeinsam in der Verantwortung sind und gut daran tun, solche Orte der Erinnerung auch zu erhalten.

Wir haben in Erfurt einen Ort, wie es ihn nur an wenigen Orten in der Bundesrepublik gibt, auf dem Petersberg nämlich: das Denkmal für den unbekannten Wehrmachtsdeserteur. Katharina König hat vorhin gesagt, wem sie danken möchte. Ich möchte auch – und gerade angesichts des 8. Mai – all denen danken, die Wehrmachtsdeserteure ge

(Abg. Primas)

wesen sind und die sich der scheinbaren Logik entzogen haben, für eine Ideologie und das Morden und einen Größenwahn von Deutschen zu kämpfen. Die Anerkennung ist den Deserteuren bis heute nicht in der Form zuteilgeworden, wie es aus meiner oder aus unserer Sicht wichtig wäre.

(Beifall DIE LINKE, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN)

Gedenken – das wissen wir aber auch und auch ich bin in der DDR in die Schule gegangen – lässt sich nicht einfach verordnen. Gedenken muss mit Leben gefüllt sein. Gedenken muss authentisch sein, braucht aber auch Professionalität, Aufarbeitung, Orte der Erinnerung, die Zeitzeuginnen und Zeitzeugen, die immer weniger werden, und braucht vor allem auch Respekt. Ich habe hier eine Rede gehört, die davon weit entfernt gewesen ist, meine sehr geehrten Damen und Herren.

Erinnerung, Erinnerungskultur haben wir uns selbst – zumindest die demokratischen Fraktionen – immer wieder zu eigen gemacht, weil es an uns liegt, das zu verhindern, was vielen Menschen unmöglich schien oder scheint, was aber passiert ist, nämlich dass Menschen generalstabsmäßig ermordet wurden, nur weil sie anders geglaubt, anders gelebt haben, vielleicht anders aussahen oder sich einer bestimmten Ideologie verweigert haben.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, ich habe, ehrlich gesagt, gerade nicht so richtig verstanden, warum es in der CDU Befindlichkeiten gibt, den 8. Mai als Tag der Befreiung auch zum Gedenktag zu machen. Ich glaube, das wäre ein gutes und wichtiges Zeichen. Ich gebe aber zu: Noch weniger verstanden habe ich eine Einladung des Präsidenten zum Vorabend des 8. Mai zum Gedenken an ein Ende eines Krieges, der leider am 8. Mai – wenn man es global betrachtet – noch nicht zu Ende war. Vielen Dank.

(Beifall DIE LINKE, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Für die Landesregierung hat sich Prof. Dr. Hoff, Minister für Kultur, Bundes- und Europaangelegenheiten, zu Wort gemeldet.

Frau Präsidentin, sehr geehrte Damen und Herren! Ich möchte Ihnen, Herr Primas, recht herzlich danken für die nachdenklichen Worte, die Sie hier gefunden haben, selbst wenn ich Ihnen – was Sie nicht überraschen wird – nicht in allen Punkten zustimmen kann. Aber an Herrn Primas sehen Sie,

Herr Brandner, den Unterschied zu einer tatsächlich bürgerlichen Argumentation.

(Zwischenruf Abg. Möller, AfD: Da sind Sie ja ein Experte!)

In der Tat. Im Berliner Abgeordnetenhaus hat der damalige Fraktionsvorsitzende der Sozialdemokraten und spätere Schulsenator Böger einmal gesagt, die Weimarer Republik ist nicht am Konflikt zwischen Kommunisten und Nazis gescheitert, sondern am Verrat der Deutschnationalen an der Republik und ihren Werten. Kurt Schumacher hat im KZ gesessen wegen des Verrats der Deutschnationalen – genauso wie kirchliche Widerständler, Sozialisten, Sozialdemokraten, Liberale, Kommunistinnen und Kommunisten, viele andere.

Das, was Sie hier heute sagten, war – aus meiner Sicht – in Teilen deutschnational, Herr Brandner.

(Beifall DIE LINKE, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN)