Protocol of the Session on April 26, 2018

ne Rolle. Wann haben die Einrichtungen wie viele Bewohner mit welchen Pflegegraden und wie können sich die Bewohner noch aktiv einbringen? Oder: Wie entwickelt sich der Bedarf der Bewohner in der Pflege? Das sind nur einige wenige Fragestellungen, mit denen sich die Akteure im Bereich der Altenpflege täglich auseinandersetzen müssen. In der Altenpflege ist mit der zunehmenden Alterung und der allgemeinen demografischen Entwicklung der Gesellschaft unbestritten, dass es in Zukunft einen Mehrbedarf an Pflegekräften geben wird und wir uns diesem stellen müssen.

Aber ich wiederhole auch heute hier noch einmal, dass der Arbeitsmarkt in den letzten Jahren im Vergleich zu anderen Branchen bereits überproportional auf die wachsenden Bedürfnissen reagiert hat und sich die Zahl der Beschäftigten in den letzten Jahren mehr als verdoppelt hat. Dass die Pflegekräfte und Pflegefachkräfte in den Einrichtungen eine hervorragende Arbeit leisten, ist unumstritten. Dafür gilt ihnen auch von hier aus von mir und meiner Fraktion ein besonderer Dank.

Für das bundesweite Personalbemessungsverfahren, das bis zum 30.06.2020 entwickelt und erprobt werden soll, ist aus unserer Sicht der Zeitraum sehr lang. Dies habe ich auch in der Einbringungsrede bzw. in der Einbringung des Punkts kritisch bemerkt. Allerdings sprachen sich andererseits die Anzuhörenden teils sehr kritisch gegen die Einführung eines Personalschlüssels durch Thüringen im Alleingang aus.

Zusammenfassend lässt sich zu Ihrem Antrag sagen: Schauen wir, was im Juni dieses Jahres mit der Einigung der Spitzenverbände im Pflegebereich des Krankenhausbereichs passiert. In der Altenpflege sollten wir als Thüringer Initiative unsere Anstrengungen in die weitere Umsetzung des Pflegepakts setzen und auch das bundesweite Personalbemessungsverfahren bis 2020 kritisch begleiten.

Als dritten Punkt erwähne ich hier noch mal den Pflegeschlüssel 50/50, also 50 Prozent Pflegefachkräfte und 50 Prozent Pflegekräfte. Dieser ist auch in der Altenpflege nicht unumstritten. So hat sich in der Anhörung ergeben, dass dieser nicht immer der Situation vor Ort Rechnung trägt, da den Anforderungen der täglichen Arbeit wie beschrieben nicht mit starren Zahlen entgegengewirkt werden kann. Hier müssen aus unserer Sicht auch weitere Gespräche geführt werden.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, kommen wir nun zu unserem Alternativantrag „Gute und wertschätzende Rahmenbedingungen für Pflegepersonal in Thüringen als Voraussetzung eines verbindlichen Pflegeschlüssels schaffen“. Auch wenn wir nicht davon überzeugt sind, dass die sofortige Einführung eines fixen Personalschlüssels das Allheilmittel für den hohen Pflegepersonalbedarf in der Pflege oder für die Qualitätssteigerung der Pflege

(Abg. Pfefferlein)

ist, so sind wir uns doch bewusst, dass auf dem Gebiet der Gewinnung von Arbeitskräften für die Pflege dringender Handlungsbedarf besteht. In einem Aufsatz aus dem Statistischen Monatsheft Dezember 2017 des Thüringer Landesamts für Statistik wurde dargelegt, dass innerhalb der nächsten 20 Jahre in Thüringen 25.000 neue Pflegekräfte benötigt werden. Das bedeutet, dass bis 2035 eine Erhöhung um 34 Prozent nötig sein wird, um nach derzeitigen Maßstäben den Bedarf an Pflegepersonal zu decken. Diese Zahl beinhaltet sowohl die bis 2035 altersbedingt aus dem Berufsleben ausscheidenden Pflegekräfte als auch den Anstieg der Zahl, die durch die neu zu Pflegenden aufwüchsig ist.

Der Pflegepakt in Thüringen ist der Anknüpfungspunkt für unseren Alternativantrag. Wir möchten, dass wir weiterhin die vier Säulen des Pakts stärken und hervorheben. Die Mitarbeiter in den Gesundheits- und Pflegeberufen haben eine verantwortungs- und anspruchsvolle Aufgabe. Sie sind die Stütze der medizinischen und pflegerischen Versorgung. Weiterhin setzen wir auf eine Imagekampagne für Pflegeberufe, um mehr junge Leute – Frauen und Männer – für diesen wichtigen Beruf zu gewinnen. Deswegen ist es ein sehr guter Tag und Zeitpunkt, um über Pflege zu sprechen, wenn die Tribüne mit Jugendlichen gefüllt ist und ihnen diese Probleme nähergebracht werden. Aber

(Beifall CDU)

wir sollten uns bewusst sein, dass auch das positive Reden über das Berufsbild der Pflegekräfte wertvoller ist, als man denkt.

(Beifall CDU)

Dazu sind wir alle aufgerufen, sowohl die Politiker in den Podiumsdiskussionen als auch die Betroffenen in Ihrem Bekanntenkreis.

Ein wichtiger Punkt ist natürlich auch – und das, Frau Pelke, haben Sie gesagt –, Sie vermissen unsere Aufforderung zur tarifmäßigen Bezahlung. Nein, wir stehen zu der ordentlichen Bezahlung. In Punkt 1 unseres Antrags – sicherlich zu allgemein für Sie, um das zu kritisieren –, steht, darauf hinzuwirken, dass der Thüringer Pflegepakt stärker in den Fokus gerückt und umgesetzt wird. Eine dieser vier Säulen ist die flächendeckende und tarifliche Bezahlung. Also, wir haben das nicht aus den Augen verloren und es ist ein wichtiger Punkt. Hier gibt es inzwischen – und das ist deutlich – aber auch ein Umdenken und Bewegung, nicht zuletzt aufgrund der personellen Frage auf dem Arbeitsmarkt und dem Mangel an Arbeitskräften. So hat – und das wissen Sie genauso wie ich – der bpa einen Tarifvertrag für seine Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen eingebracht, den auch viele Mitglieder des bpa umsetzen und umsetzen wollen. Auch Herr Spahn hat sich erst letzte Woche in Erfurt – oder war es diese Woche? – beim Besuch des Helios

Klinikums für eine bundesweite Einführung von Tariflöhnen ausgesprochen. Aber auch hier gilt für uns weiter, dass sich dazu die Tarifpartner finden müssen, ihr Recht nach dem Grundgesetz wahrnehmen und Tarifverträge verhandeln und festschreiben. Eine weitere Voraussetzung für die Einführung von Pflegeschlüsseln ist die Sicherstellung, dass wir in Thüringen auch weiter Pflegeberufe ausbilden können, um den Bedarf zukünftig zu decken und auch weiterhin zu stärken.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, nicht nur im ambulanten und stationären Bereich wird Pflegepersonal dringend benötigt, sondern auch – und das ist auch unser Ansatz im Antrag – Lehrkräfte an den Thüringer Gesundheits- und Pflegeschulen. Denn, wie es in den Pflegeschulen und Pflegeausbildungen aussieht, kann man in der Antwort zur Kleinen Anfrage in Drucksache 6/3079 des Kollegen Bühl nachlesen. Da heißt es, es konnten zwar alle Stellen bisher weitestgehend besetzt werden, aber auch nur, weil es Quer- und Seiteneinsteiger gibt und man mit zeitlich begrenzten Honorarkräften arbeitet oder Fachkräfte aus dem medizinischen Bereich zeitlich bindet. Dazu zählt auch – und es ist uns wichtig, noch mal darauf hinzuweisen – die gleichwertige Anerkennung, dass die Absolventen der SRH Hochschule Gera für Gesundheit mit dem angebotenen Bachelorstudiengang und dem anschließenden Masterstudiengang in den ersten Staatsprüfungen für das Lehramt geprüft werden. Aus unserer Sicht muss der Freistaat Thüringen hier handeln, um die Voraussetzungen für die Bereitstellung eigener Lehrkräfte zu schaffen. Für die flächendeckende Ausbildung ist aus unserer Sicht weiterhin nötig, auch eine regionale Bedarfsanalyse für die Ausbildung durchzuführen, um die vorhandenen Ausbildungsorte zu sichern und die Ausbildungsstrukturen zu stärken. Wenn wir die Zahlen aus den statistischen Tabellen auswerten – und das ist ebenfalls aus dem Aufsatz zu erlesen –, brauchen wir mit den 25.000 Pflegekräften pro Jahr über 1.000 Abgänger in den Pflegeberufen.

Ein weiterer wichtiger Punkt, um dem eklatanten Fachkräftemangel entgegen zu wirken, ist, dass gut ausgebildete Pflegekräfte auch in ihrem Beruf bleiben und – das hat Frau Kollegin Pfefferlein auch schon betont – nicht nach wenigen Jahren gehen. Die Statistik sagt hierzu, jede Pflegefachkraft bleibt im Schnitt achteinhalb Jahre im Beruf tätig. Dazu gehört für uns eine ständige Fort- und Weiterbildung und damit verbundene Aufstiegschancen im Beruf sowie attraktive Rückkehrangebote nach einer beruflichen Auszeit oder Beschäftigung jenseits der Pflege. Aber auch die Unterstützung durch externe Coachings und Supervisionen sowie die Unterstützung der Akteure beim Aufbau einer altersgerechten Arbeitsorganisation wären denkbar.

Eine Auswertung von Prof. Dr. Michael Isfort vom Deutschen Institut für angewandte Pflegeforschung

e. V. Köln auf dem Deutschen Pflegetag 2018 hat gezeigt – um noch mal auf die Arbeitsbedingungen zu kommen –, dass von 2016 bis 2017 sowohl die Krankheitsdauer als auch die -tage der Beschäftigten um über 40 Prozent gestiegen sind. Eine Lösung dieses Problems sehen wir hier zum Beispiel in der Etablierung einer betrieblichen Gesundheitsprävention und Förderung für das Pflegepersonal. Gerade vor dem Hintergrund der älter werdenden Belegschaft müssen effiziente Maßnahmen gesucht werden, die den physischen und psychischen Belastungen der Gesundheitsberufe „Pflege“ begegnen und die Arbeitsfähigkeit der Mitarbeiter erhalten, um den Beruf erfolgreich ein Leben lang ausüben zu können.

Wichtig ist auch Prävention, welche sich für alle pflegend Tätigen durchzieht. Das ist die Prävention für pflegende Angehörige genauso wie die Prävention für die beruflich Pflegenden und die Gesundheitsförderung in den unterschiedlichen Settings durch Pflegende. Es ist uns ein Anliegen, meine Damen und Herren, in der Pflege eine weitere Entbürokratisierung voranzubringen. Das darf aber nicht zugunsten einer Einsparung von Zeit im System mit der Folge von Streichungen erfolgen, sondern mit dem Ziel, die Pflege am Menschen zu verbessern,

(Beifall CDU)

um einfach auch wieder einmal Zeit für ein Gespräch zu haben. Es sollte von einer Arbeit im Akkord zu einem ruhigen, gleichmäßigem Ablauf und damit zu einer höheren Arbeitsqualität am Menschen führen.

(Beifall CDU)

Auch das war immer ein angesprochener Punkt. Es ist nichts wichtiger oder zumindest ein wichtiger Aspekt ist das Wohlfühlen in der Umgebung der Einrichtung. Wie werde ich als Bewohner und Patient angesprochen? Unter Hast und Eile oder mit der nötigen Zeit und Bereitschaft, ein Gespräch auch einmal anzunehmen? Hier können beide Seiten an Qualität im gegenseitigen Umgang gewinnen.

Ein weiterer Punkt ist die Gewinnung – und das ist schon angesprochen worden – ausländischer Fachkräfte. Wir begrüßen es, dass die regierungstragende Koalition hier in Erwägung gezogen hat, auf diesen Punkt einzugehen. Hierbei ist es unstrittig, dass diese Kräfte eine gute Ergänzung für den Fachkräftebedarf bedeuten. An dieser Stelle müssen wir aber auch die Voraussetzungen für eine zügige Bearbeitung im Verfahren der Anerkennung schaffen.

(Beifall CDU)

Nach Aussagen einiger Akteure gibt es hier einen erheblichen Zeitaufwand in der Genehmigungsbehörde, sprich dem Landesverwaltungsamt.

(Beifall CDU)

Es gibt auch Betreiber von Einrichtungen – Kollege Zippel sagte es schon –, die die Verfahren über andere Bundesländer abwickeln, da es dort ein wesentlich zügigeres, schnelleres und erfolgreicheres Verfahren gibt.

Ebenfalls sollte geprüft werden – Kollegin Pelke hat schon gesagt, dass es natürlich zu hinterfragen ist –, ob das geforderte Sprachniveau auf B1 herabgesetzt werden kann und dann die Möglichkeit besteht – das ist unser Punkt –, das B2-Niveau durch Förderung zu erreichen. So ist es in Hessen und in Bayern eingeführt worden und es scheint dort ohne Probleme zu funktionieren.

Sehr geehrte Damen und Herren, das Pflegestärkungsgesetz II und III sehen die häusliche Pflege und die dazugehörige Beratung mit dem Ziel des möglichst langen Verbleibs der Menschen im eigenen häuslichen Umfeld als wichtigen Aspekt. Da kommt für uns die Forderung nach entsprechendem Ausbau der Kurzzeitpflege und Verhinderungspflege als Mittel zur Entlastung von pflegenden Familienangehörigen und somit des Pflegemarkts indirekt.

Dass hier Bedarf besteht, zeigt eine weitere Auswertung durch Prof. Dr. Michael Isfort auf dem Deutschen Pflegetag von 2018. In den vergangenen drei Monaten vor dem Pflegetag wurden 84 Prozent von Anfragen auf Kurzzeitpflege abgelehnt. Dazu gehört aber auch, dass der oder die Angehörigen, die pflegen, die Möglichkeit zur Entlastung erhalten, ob nun ausgelöst durch kurzfristige Reaktion auf Situationen im eigenen Umfeld – sprich Beruf oder Familie – oder auch nur, um eine Auszeit zu nehmen – sprich Urlaub zu machen. Dafür braucht es ein ausgebautes Angebot von Kurzzeit- und Verhinderungspflege. Denn nur ein gesunder und gestärkter Angehöriger ist in der Lage, über einen längeren Zeitraum Familienmitglieder zu pflegen. Diese Entlastung der Pflegenden im häuslichen Umfeld ist auch im Sinne der zu Pflegenden.

Zusammenfassend fordern wir Sie auf: Unterstützen Sie auch auf Bundesebene die Umsetzung der im Koalitionsvertrag vereinbarten Ziele, die Personaluntergrenze für alle bettenführenden Einrichtungen zügig umzusetzen. Weiterhin empfehlen wir, das bundesweite Personalbemessungsverfahren abzuwarten und mit Thüringen keinen Alleingang zu starten.

(Beifall CDU)

Damit wird auch vermieden, die Ressourcen im Ministerium vielleicht zweimal mit Zeit und Kosten zu belasten.

Wir fordern, den Pflegepakt weiter voranzubringen und die vier Säulen zu stärken, die nötige Ausbildungskapazität für Thüringen zu erhalten und zu

schaffen. Der Verbleib in den Pflegeberufen und hier ganz speziell auch in der Altenpflege muss durch Verbesserung der Rahmenbedingungen attraktiver gemacht und weiter ausgebaut werden. Es gilt, die Gewinnung von ausländischen Arbeitskräften zu erleichtern und schneller voranzubringen und schlussendlich die Fördermöglichkeiten zum Ausbau und zur Entwicklung der Kurzzeit- und Verhinderungspflege zu prüfen und zu unterstützen.

Sehr geehrte Damen und Herren, abschließend lässt sich festhalten, dass die demografischen Prognosen der Altersgesellschaft die Lebenswelt der Thüringer Bürgerinnen und Bürger immer schneller erreichen. Es wird in Zukunft weit mehr Pflegebedürftige geben als heute und zugleich steigt die Lebenserwartung der Bevölkerung, sodass die Menschen immer älter werden. Die Herausforderung bleibt weiterhin, den steigenden Bedarf an Pflegekräften zukünftig decken zu können. Das geschieht für uns in erster Linie durch Steigerung der Attraktivität der Pflegetätigkeit. Allein ein festgelegter Personalschlüssel wird die auf uns zukommenden, vor allem personellen Probleme im Bereich der Pflege nicht lösen. Vielmehr sehen wir es als notwendig und unabdingbar an, zuerst einmal sicherzustellen, dass das dafür benötigte Personal in den Einrichtungen überhaupt erst einmal zur Verfügung steht. Danke.

(Beifall CDU)

Als nächster Redner hat Abgeordneter Kubitzki, Fraktion Die Linke, das Wort.

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren, ich versuche jetzt, die Politik mit der Praxis ein bisschen in Verbindung zu bringen, denn vieles, was hier gesagt wurde, ist zwar schön, aber die Praxis sieht doch etwas anders aus. Das muss ich an der Stelle sagen.

(Beifall DIE LINKE)

Ich leite eine Einrichtung und vertrete hier auch – das sage ich ganz bewusst – über 50 Pflegekräfte, die im ambulanten Bereich tätig sind, und das seit 1991. Ich habe die ganze Entwicklung seit dieser Zeit mitgemacht und bin jetzt verhältnismäßig illusionslos, das sage ich an dieser Stelle. Ich möchte aber auch das noch mal sagen, was schon Frau Pelke gesagt hat, was Herr Thamm gesagt hat: Jawohl, die Menschen – vor allem Frauen sind es –, die täglich in der Pflege arbeiten, leisten eine hervorragende Arbeit und es gebührt Ihnen unser Dank. Wir können diesen Menschen nicht oft genug danken.

(Beifall DIE LINKE, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Deshalb erregt es mich dann immer wieder, wenn ich Pressemeldungen höre oder lese oder Berichte im Fernsehen sehe, und da gibt es diesen Pflegeguru, ich sage nur Fussek; also wenn ich den Namen höre und dann dieser Pflegeberuf an wenigen Einzelbeispielen kaputtgemacht wird – ich wollte ein anderes Wort sagen – oder in Misskredit gebracht wird, wenn ich teilweise lese und höre, Pflegedienste sind Betrüger und dergleichen mehr, das sind dann Sachen, die auch medial den Pflegekräften und im Prinzip dem ganzen System schaden. Das muss auch mal an dieser Stelle erlaubt sein zu sagen.

Die Misere des Ganzen, dass die Entwicklung heute so ist, wie sie ist, meine Damen und Herren, begann 1994. Hochgejubelt wurde im Juni 1994 die Einführung des SGB XI, nämlich der Pflegeversicherung. Endlich ist die Pflege in den sozialen Sicherungssystemen abgesichert, wurde damals gesagt. 1994 eingeführt, haben wir ein halbes Jahr Beiträge bezahlt, ab 01.01.1995 wirkte die dann in der Praxis. Was die wenigsten nicht gehört haben, ist, dass damals schon gesagt wurde: Diese Pflegeversicherung ist nur eine – und dieser Begriff schon – Teilkaskoversicherung, eine Teilkaskoversicherung, die den gesamten Pflegeprozess gar nicht absichern kann, sondern die Pflege muss immer vorrangig auf die Hilfe der Angehörigen, der Nachbarn usw. ausgerichtet sein. Also es wird von der Pflegeversicherung nur ein Teil geleistet, das war das Ding. Das Zweite, was mit dieser Pflegeversicherung 1994 kam: Die Pflege wurde dem freien Markt ausgeliefert. Das wird heute auch vergessen. Die Pflege wurde dem freien Markt ausgesetzt, Pflegedienste schossen aus dem Boden und vor allem die Preisregulierung – was es kostet, wurde den Akteuren überlassen, nämlich den Kostenträgern, sprich Pflegekassen, und den Leistungserbringern. Da ging das schon los: freier Markt und Dumpingpreise. Das kann ich mal sagen, da sind Pflegedienste entstanden, die haben Preise verlangt, da hast du alt ausgesehen, wenn du bis dahin im Prinzip gut bezahlt hast. Dann ging das ganze Dilemma los. Ich bin in Mühlhausen und Umgebung tätig, 30 Kilometer entfernt ist die hessische Landesgrenze, wir haben sie hier ausgebildet und damals sind natürlich viele Pflegekräfte hier von Thüringen rüber über die hessische Landesgrenze, haben dort 300 Euro, 400 Euro mehr verdient. Da ging es doch schon los, das ist doch nicht erst heute gekommen.

2007 war das, glaube ich, Prof. Behr hat damals noch an der Universität in Jena eine Fachkräftestudie im Pflegebereich erarbeitet. Da war ich als junggebackener Landtagsabgeordneter auch mit dort, da haute der Dinge raus, wie das mal kommen wird. Eins hat er mir gesagt, das vergesse ich nie – heute ist er ja im Sozialministerium tätig –, er erin

(Abg. Thamm)

nert mich manchmal daran. Er hat zu mir gesagt: Herr Kubitzki, die Zeit wird kommen, da werden Sie als Geschäftsführer nicht mehr bestimmen, was in Ihrem Betrieb los ist, da werden Ihre Arbeitnehmer Ihnen sagen, wo der Hase langläuft. Da habe ich ihn ein bisschen angegrinst. Das war die Zeit, wo ich noch sagen konnte: „Was, Sie wollen nicht? Draußen warten noch welche, die würden sofort.“ Heute, wenn ich ihn sehe, sage ich: „Herr Prof. Behr, recht gehabt.“ Aber die Ursache dafür, dass die Situation so kommen musste, wie sie jetzt ist, ist die Pflegeversicherung, so wie sie eingeführt wurde – freier Markt, Dumpingpreise, Niedriglöhne. Ich weiß, ich werde manches sagen, was manchem vielleicht nicht gefällt. Wir hatten ja einen Wettlauf der niedrigen Löhne in der Pflege, das war so, und dann haben wir plötzlich festgestellt, das wird irgendwie langsam dünn. Dann kam die demografische Entwicklung noch dazu, und so sind wir jetzt da, wo wir sind.

Zum Zweiten müssen wir sagen, und da bin ich auch wieder beim System: Wenn ich heute ausbilden will, meine Damen und Herren, bestrafe ich meine Pflegebedürftigen. Wenn ich nämlich heute ausbilde, muss ich die Ausbildungsvergütung, die ich dann den Lehrlingen zahle, auf die zu Pflegenden umlegen. Das heißt, das Altenheim oder der Pflegedienst, der ausbildet, hat höhere Preise für seine Pflegebedürftigen. Und das war damals eine CDU-Landesregierung, die erst einmal gesagt hat, weil Investitionen in Pflegeeinrichtungen Ländersache sind: Wir schaffen den Landespflegeplan ab und verabschieden uns von allem, was mit Investitionskosten zu tun hat, die Landkreise zahlen das nach Haushaltslage. Das heißt jetzt also, dass ich auch Anschaffungen von Materialien, Autos usw. – das lässt das Bundesgesetz offen – ebenfalls auf die Pflegebedürftigen umlegen muss. Das heißt, es muss mehr Geld in das System der Pflegekasse, um generell das Problem „Pflegekräfte“ zu klären; darüber müssen wir nachdenken.

Jetzt wurde von vielen gesagt: höhere Löhne. Das ist richtig und wir brauchen Tariflöhne und hohe Löhne in der Pflege. Da gibt es jetzt schon Fortschritte in Thüringen, das kann ich und muss ich eindeutig sagen. Ich habe im letzten Jahr Vergütungsverhandlungen geführt, eine zweistellige Prozentzahl bei den Pflegekassen rausgehandelt, was die zukünftig bezahlen. Ich sage es jetzt aus kaufmännischen Gründen nicht. Es war ein Erfolg. Ich konnte den Lohn der Pflegkräfte spürbar erhöhen. Aber ich muss auch sagen, das gehört zum System dazu. Da bin ich wieder bei dem System: Diese Erhöhung des Gehalts, darüber müssen wir uns alle hier im Klaren sein, bezahlen ebenfalls die Pflegebedürftigen, so, wie das funktioniert: Je mehr ich meinen Pflegekräften zahle, umso mehr enteigne ich die Pflegebedürftigen. Hier in diesem Land findet durch dieses System eine Enteignung der Pfle