Eine Bemerkung zum Kollegen Gumprecht - er ist jetzt nicht da -: Ich warne davor, die vollen Kassen der Krankenkassen jetzt für solche Spielchen zu benutzen, was machen wir mit dem Geld, zahlen wir es an die Patienten zurück oder dergleichen mehr. Erstens könnten andere Situationen wieder eintreten und zweitens könnten diese Rücklagen, die die Krankenkassen haben, auch dafür verwendet werden, dass den Menschen, die im Gesundheitswesen tätig sind - und da meine ich nicht nur die Ärzte -, vernünftige Vergütungen gezahlt werden, dass diejenigen, die im Gesundheitswesen arbeiten, auch für ihre Arbeit entsprechend entlohnt werden.
(Zwischenruf Abg. Blechschmidt, DIE LINKE: Wie man auf falschen Wegen zu richtigen Er- kenntnissen kommen kann, verstehe ich auch nicht.)
Frau Präsidentin, sehr geehrte Damen und Herren, kaum etwas im Gesundheitswesen ist so unbeliebt wie die Praxisgebühr. Die Patienten wollen sie nicht, die Ärzte wollen sie augenscheinlich auch nicht, die Kassen brauchen sie derzeit nicht, schaffen wir sie also ab. Um das gleich am Anfang zu sagen, ich lehne diese Praxisgebühr auch ab, sie muss weg. Aber ganz so einfach, wie hier im FDPAntrag gemacht, sollten wir uns das doch nicht machen, wir sollten hier und da noch mal den Antrag beleuchten. Ich möchte ganz kurz auf einige dieser Legenden, die hier gestreut werden, eingehen.
Erste Legende: Die Praxisgebühr hätte in der Lenkungsfunktion versagt. Das stimmt so nicht. Nach Auskunft der AOK, die immerhin die Hälfte der gesetzlich Krankenversicherten in Thüringen vertritt, ist es so, dass 75 Prozent der Praxisgebühren mittlerweile beim Hausarzt bezahlt werden. Nur etwa ein Viertel der Praxisgebühr fällt bei Notfällen,
Zahnärzten, Fachärzten usw. an. Das heißt, der Lenkungseffekt ist sehr wohl da. Der Hausarzt weiß jetzt seit Einführung der Praxisgebühr, seit es diese Überweisungsregelung gibt, wer behandelt wann seinen Patienten, welche Medikamente bekommt er und welche Medikamente nimmt der Patient wie lange ein. Etwa ein Jahr nach Einführung der Praxisgebühr gingen durch die Medien Berichte darüber, wie viele Medikamente Patienten in Deutschland einnehmen, wie oft sich Medikamente gegenseitig verstärken, gegenseitig in der Wirkung hemmen usw. usf. Das war eine mittelbare Konsequenz aus der Praxisgebühr. Dieses Ziel - das sage ich hier ganz klar - hätte man auch auf einem anderen Weg erreichen können. Dafür hätte man die Praxisgebühr nicht gebraucht, aber Lenkungsfunktion gab es sehr wohl.
Die Lenkung, die die FDP meint, die auch seinerzeit der Grund für die Einführung der Praxisgebühr war, war die Senkung der Arztkontakte. Aber diese Funktion konnte doch nie erreicht werden. Wenn ich unabhängig davon, wie oft ich zum Arzt gehe, einmal im Quartal mit 10 € quasi eine Flatrate buche, wo soll da eine Lenkung zustande kommen? Das war von Anfang ein tot geborenes Kind. Diese Art Lenkung war nicht möglich.
Außerdem ist es natürlich so, dass dieser Ansatz, Menschen durch eine Zwangsgebühr oder durch eine Strafgebühr vom Arztbesuch abzuhalten, ebenfalls sehr bedenklich ist, denn die allermeisten Menschen gehen nicht deswegen zum Arzt, weil sie Langeweile haben oder weil man sich dort gut unterhalten kann, sie gehen zum Arzt, weil sie meinen, es wäre notwendig. Das heißt, wir brauchen sehr wohl Lenkungsmechanismen.
Diese Alternativen zur Praxisgebühr sehe ich in Ihrem Antrag aber überhaupt nicht. Da gibt es keinerlei Alternativen, keine Lösungsmöglichkeiten, nichts. Warum fordern Sie denn nicht zum Beispiel, die Stellung des Hausarztes so aufzuwerten, dass er den Patienten nur dann zum Facharzt überweisen muss, wenn bestimmte Kontrollfristen abgelaufen sind, wenn zum Beispiel akut ein Bedürfnis besteht? Warum fordern Sie nicht, die rechtlichen Rahmenbedingungen zu schaffen, dass der Hausarzt Physiotherapie, Medikamente etc. pp. selber verordnen kann, die irgendwann mal ein Facharzt angesetzt hat? Warum fordern Sie nicht Alternativen zu dieser Lenkungsfunktion? Das kommt alles nicht, da kommt nur der blanke Populismus.
Ich möchte auf eine zweite Legende eingehen. Das ist die - das hat auch Kollege Kubitzki gesagt -, ich
achte das, was Sie sagen, dass die Abschaffung der Praxisgebühr die Entlastung vieler Patienten bedeutet. Aber gerade eine ganz große Gruppe wird auf diese Art und Weise nicht entlastet. Das sind die chronisch Kranken und das sind die Leute mit niedrigem Einkommen, denn die zahlen ihre 1 bzw. 2 Prozent Zuzahlung nicht nur durch die Praxisgebühr, die zahlen sie durch Medikamente, die zahlen sie durch Krankentransport, durch Krankenhausbehandlung, durch Physiotherapie usw. usf. Die werden von der Abschaffung der Praxisgebühr überhaupt nicht profitieren. Wer es ehrlich meint, und sagt, die Patienten sollen entlastet werden, der muss das gesamte System der Zuzahlungen auf den Prüfstand stellen und nicht nur einfach eine populistische Forderung herausgreifen.
Dritte Legende: Die Ärzte wollen die Praxisgebühr nicht. Das stimmt so nicht. Sie wollen sie nur nicht einnehmen, sie wollen sie nicht kassieren. Den Ärzten ist es ziemlich egal, wenn die Krankenkassen diese Gebühr kassieren würden per Zwangseinzug vom Konto des Versicherten, dann hätten die Ärzte kein Problem. Sie wollen sie nur nicht kassieren, sie wollen den bürokratischen Aufwand nicht, sie wollen sich nicht zum Eintreiber der Zuzahlung machen usw.
Wenn Sie sich mit Ärzten mal nicht als Politiker unterhalten, sondern als Kollege, dann hören Sie ganz andere Meinungen. Als die Unterschriftensammlung hier in Thüringen gestartet hat, haben mir Verantwortliche gesagt, ja, eigentlich denkt man das ja überhaupt nicht. Aber das, was wir denken, können wir nicht laut sagen. Was Sie hier machen, ist nicht, den Willen der Ärzte zu vollziehen, Sie wollen die Ärzte von Bürokratie befreien. Das ist als Lobbypolitik ja durchaus legitim. Das will ich ja gar nicht anzweifeln, aber bleiben Sie doch ehrlich und holen Sie nicht Patienten noch scheinheilig ins Boot. Wenn wir beim Thema Ehrlichkeit sind, dann sind wir bei dem merkwürdigen Vorgang, wie dieser Antrag ins Parlament gekommen ist. Das muss man sich mal auf der Zunge zergehen lassen. Die Partei, die den Bundesgesundheitsminister stellt, der also die Möglichkeit hätte, da zu handeln, fordert eine Landesregierung, an der sie nicht beteiligt ist, auf, im Bundesrat initiativ zu werden, um ihren Parteifreund zum Handeln aufzufordern.
Meine sehr geehrten Damen und Herren von der FDP, das hätten Sie doch einfacher haben können. Herr Westerwelle war doch letztes Wochenende da, hätten Sie Ihren Antrag genommen, hätten ihn mitgegeben, mit der Bitte, ihn Herrn Bahr auszu
händigen. Das wäre doch alles viel leichter gewesen. Aber im Ernst, was Sie machen ist Populismus pur.
Wir lehnen Ihren Antrag aus fachlichen Gründen, das hatte ich eben erzählt, aber auch wegen diesem Populismus ab. Vielen Dank.
So viel Einigkeit hier in diesem Haus. Frau Präsidentin, meine sehr geehrten Damen und Herren! Herr Dr. Hartung, dass ich das noch mal sagen würde, ich gebe Ihnen zu 100 Prozent recht. Das Gleiche gilt für Herrn Kubitzki. Eigentlich müsste der Antrag heißen: Vorsprechen beim Bundesgesundheitsminister!
Das wäre der richtige Titel für diesen Antrag gewesen, weil, dann hätten wir darüber diskutieren können, ob es wirklich zweckmäßig ist, dass wir hier im Landtag eine Sache besprechen, die - das ist nun mal leider so - eigentlich in den Bundestag gehört. Im Bundestagsplenum muss darüber diskutiert werden, nicht hier im Thüringer Landtag. Sie sind diejenigen, die an der Quelle sitzen, am Hebel sitzen, die das Bundesgesundheitsministerium an dieser Stelle mit seiner Lenkungswirkung ansprechen können und vorsprechen beim Bundesgesundheitsminister ist das, was Sie tun sollten.
Inhaltlich stimmen wir Ihnen ja sogar zu. Die Praxisgebühr belastet insbesondere Menschen mit geringen Einkommen. Das wurde von vielen meiner Vorredner bereits deutlich gemacht. Der Verband der niedergelassenen Ärzte Deutschlands hat ausgerechnet, dass über 10 Prozent - um genau zu sein 12 Prozent - der Menschen in der Bundesrepublik nicht oder zu spät zum Arzt gehen, weil sie sich diese Praxisgebühr nicht leisten können und wollen. Über die Lenkungswirkung wurde gesprochen. Nach wie vor gehen wir in der Bundesrepublik 17-mal im Jahr durchschnittlich zum Arzt, das ist im Vergleich zu anderen europäischen Ländern nach wie vor überdurchschnittlich. Diese Praxisgebühr hat diese Lenkungswirkung nicht. Sie führt drittens, und das ist der entscheidende Punkt, zu unnötigem bürokratischen Aufwand in den Arztpraxen und sie hat tatsächlich als Steuerungsinstrument, was sich durchsetzt, völlig versagt. Das muss man an dieser Stelle ganz klar sagen.
Aber beim populistischen Nein dazu möchte ich auch nicht bleiben, weil es neben der Abschaffung der Praxisgebühr noch viele andere Dinge geben muss, damit eine gute Gesundheitsversorgung in der Bundesrepublik möglich ist. Das ist zum einen natürlich die Abschaffung der Praxisgebühr, zum anderen aber eben auch der von der Großen Koalition - und das gehört zur Wahrheit auch dazu - und von Schwarz-Gelb noch mal verstärkten und verschärften Zusatzbeiträge. Übrigens alles unter Beteiligung von CDU-Regierungen an dieser Stelle, die, was Gesundheitspolitik angeht, offenbar beratungsresistent sind, jedenfalls wenn es um gute Gesundheitspolitik für die Menschen in der Bundesrepublik geht. Darüber hinaus wollen wir - auch das ist bekannt - eine solidarische Bürgerversicherung, nämlich eine für alle, und dann können wir unser Gesundheitssystem auf seriöse und solide Füße stellen. Das ist das Ziel, das wollen BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN. Aber noch mal, wenn es darum geht, diese Bundesregelung zu kippen, hilft vor allen Dingen eins, liebe FDP-Fraktion, sprechen Sie mit Ihrer Bundesregierung, solange Sie dafür noch Gelegenheit haben.
Vielen Dank, Frau Präsidentin, manchmal ist es gut, wenn man als Letzter reden darf, denn so viel politische Amnesie an der einen oder anderen Stelle habe ich lange nicht gehört.
Wenn ich mal daran erinnern darf, wer waren denn diejenigen, die 2004 im Deutschen Bundestag nach einem Bundesratsbeschluss, der dann gefolgt ist, die Praxisgebühr eingeführt haben? Das war eine rot-grüne Bundesregierung mit Unterstützung der CDU- und CSU-Fraktionen. Rot, Grün und Schwarz führten 2004 die Praxisgebühr ein.
Alle die - da nehme ich die Union aus - heute am lautesten rufen und die Praxisgebühr abschaffen wollen, haben dies wahrscheinlich vergessen.
Zumindest kann ich Ihnen attestieren, dass Sie mal darüber nachgedacht und vielleicht auch gespürt haben, dass dieses Instrument nicht dazu geführt hat, was es leisten sollte und zumindest Ihre Meinung geändert haben.