Protocol of the Session on June 1, 2012

(Unruhe CDU, FDP)

Ich würde niemals einen Stein werfen, weil ich damit sagen will, dass jede und jeder von uns Verantwortung trägt, dass man zu dieser Verantwortung stehen muss, dass es dazu der offensiven Auseinandersetzung bedarf und dass man dann auch den Mut haben muss, Gesetze zu hinterfragen in der Form, wie sie vorliegen. Unsere Fraktion wird diese auch ganz konkret tun. Wir werden in den nächsten Monaten eine Neuformulierung des Gesetzes vorschlagen, um Aufarbeitung weiterhin zu ermöglichen, aber um uns von solchen Praktiken, wie einen Kollegen, eine Kollegin oder auch mehrere für parlamentsunwürdig in einem solchen Gremium zu erklären, endlich zu verabschieden. Vielen herzlichen Dank.

(Beifall DIE LINKE, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN)

Danke schön. Ich sehe zwei weitere Wortmeldungen. Abgeordneter Barth und Abgeordneter Mohring.

(Zwischenruf Abg. Fiedler, CDU: Jetzt melde ich mich auch noch.)

Frau Präsidentin, liebe Kolleginnen und Kollegen, da die Vereinbarung im Ältestenrat offenbar keinen Bestand mehr hat, ist es zum einen normal, zu reden, zum Zweiten ist es, glaube ich, nach dem eben Gehörten auch dringend notwendig.

(Beifall CDU, FDP)

Meine Damen und Herren: „Die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie zu achten und zu schützen ist die Verpflichtung aller staatlichen Gewalt.“ Unser Grundgesetz bekennt sich an einer sehr prominenten Stelle, nämlich in den ersten beiden Sätzen des ersten Artikels zu diesen Grundsätzen der Menschenwürde. Die Würde des Menschen zu achten und zu respektieren, jedem seine persönlichen Eigenheiten zu belassen, sie zu tolerieren, gehört zu den Grundüberzeugungen und zu den Grundwerten, die unsere demokratische Gesellschaft zusammenhalten. Unsere Gesellschaft ist demokratisch. Jeder kann sich, wenn er will, Gehör verschaffen, sein Anliegen vortragen, und das, ohne dass er mit Repressalien rechnen muss. Das ist eins der wesentlichen Grundmerkmale unseres demokratischen Zusammenlebens.

Meine Damen und Herren, bis vor 22 Jahren existierte auf deutschem Boden ein Staat, in dem die Menschenwürde auch eine Rolle spielte. Für die DDR-Führung stand die Würde eines jeden Bürgers so im Mittelpunkt ihrer Aufmerksamkeit, dass sie für

ihre Überwachung sogar einen eigenen Apparat schaffte.

(Beifall CDU, FDP)

Aber das Ministerium für Staatssicherheit war nicht etwa dazu aufgefordert, die Würde der Menschen in der DDR zu schützen oder zu achten, nein, als Schild und Schwert der Arbeiterpartei war die Stasi willfähriges und kreatives Organ, wenn es darum ging, die Würde der Menschen in der DDR zu verletzen und sie ihnen zu rauben. Das, meine Damen und Herren, war fester Bestandteil des Vorgehens der Staatssicherheit.

(Beifall CDU)

Die Methoden waren dabei mal subtil, mal brutal, je nachdem, aber sie waren immer darauf gerichtet, das eigene Volk, die Menschen in der DDR zu verfolgen, einzuschüchtern, sie zu manipulieren und bei Bedarf zu brechen. Und so war die Stasi in Wahrheit im Laufe der Zeit nicht nur der wesentliche machterhaltende Faktor für die SED geworden, sie war für viele DDR-Bürger das Schreckens- und Feindbild schlechthin. Sie war es, wovor die Demonstranten im Herbst 1989 in Wahrheit Angst hatten und trotzdem auf die Straße gingen, meine sehr verehrten Damen und Herren. Die Stasi war es, die Oppositionelle und Bürgerrechtler bespitzelte, verfolgte, verhaftete, entwürdigte und auch folterte, und deswegen ist es umso unverständlicher,

(Beifall CDU, FDP)

dass die, die sich heute als legitime Nachfolger dieser Bürgerrechtler selbst bezeichnen und verstehen, hier so einen Auftritt hinlegen, wie wir das eben erleben mussten, meine sehr verehrten Damen und Herren.

(Beifall CDU, SPD, FDP)

Der Sieg der friedlichen Revolution über das kommunistische System in der DDR ist ganz wesentlich auch ein Sieg über das System Staatssicherheit. Und dieser Sieg ermöglichte in Wahrheit überhaupt erst die Aufarbeitung und auch unsere heutigen Kenntnisse über das System und über die Täter.

Deshalb, meine sehr verehrten Damen und Herren, wissen wir auch erst, dass es im Thüringer Landtag einen Abgeordneten gibt, der Teil dieses Systems, der Teil dieser menschenverachtenden Apparatur war, der also so gesehen in besonderer Weise ein Mittäter war und eben nicht nur über die Frage sich schuldig gemacht hat, in einer grauen Uniform an einem vielleicht unglücklichen Ort zu singen oder sich für drei Jahre zur NVA zu verpflichten. Das sind andere Kategorien. Hierzwischen gibt es einen deutlichen Trennstrich, meine sehr verehrten Damen und Herren.

(Beifall CDU, SPD, FDP)

(Zwischenruf Abg. Rothe-Beinlich, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Trotzdem muss man dazu stehen.)

Der Kollege Kuschel hat als IM Kaiser, als inoffizieller Mitarbeiter für das Ministerium für Staatssicherheit in den 80er-Jahren gespitzelt und Menschen bei der Stasi auch angezeigt. Er sitzt heute als Abgeordneter in den Reihen der Fraktion DIE LINKE. Er ist nach demokratischem Verfahren gewählt, das ist wahr. Aber ebenso wahr ist auch, dass nicht jeder demokratisch Gewählte automatisch auch ein Demokrat ist, meine sehr verehrten Damen und Herren.

(Beifall CDU, FDP)

Er ist heute Mitglied einer Partei, in der die DDR nicht bloß als unsere Vergangenheit, sondern auch als unsere Zukunft gesehen wird, so zumindest heißt es in Unterlagen, in offiziellen Dokumenten der Kommunistischen Plattform, die ja wohl Bestandteil Ihrer Partei ist.

(Unruhe DIE LINKE)

Deshalb, meine sehr verehrten Damen und Herren, sind die Fortsetzung der Aufarbeitung und auch die Verbesserung der Aufklärung über dieses System heute genauso wichtig, vielleicht sogar wichtiger denn je, weil nämlich mit wachsendem zeitlichen Abstand die Gefahr der Verklärung, des Vergessens und auch der Verharmlosung immer weiter wächst. Aber harmlos waren weder die DDR noch die Stasi.

(Beifall FDP)

Für den Machterhalt ging man über Leichen an der Grenze, in den Gefängnissen. Die DDR war kein Rechtsstaat und sie war erst recht keine Demokratie. Und immanenter Bestandteil der Aufarbeitung muss deshalb auch die Suche nach Opfern und Tätern und die Benennung zumindest mal auch der Täter sein.

(Zwischenruf Abg. Ramelow, DIE LINKE: Was heißt angezeigt?)

Das hat in aller Regel wenig oder keine strafrechtliche Relevanz. Das ist völlig richtig. Genauso wenig, wie die Einstufung des Kollegen Kuschel als parlamentsunwürdig irgendeine rechtliche Relevanz hat. Es hat aber Relevanz für die Opfer und auch dafür, wie wir uns als Parlament in einer echten Demokratie selbst und wie wir unsere Rolle auch für die Gestaltung des Gemeinwesens verstehen, des Gemeinwesens, welches wir mit unseren Entscheidungen nämlich gestalten.

Deshalb, werte Frau Kollegin Rothe-Beinlich, geht es auch nicht darum, die Frage zu beantworten, wer uns das Recht gibt, solche Überprüfungen und Einstufungen vorzunehmen.

(Zwischenruf Abg. Rothe-Beinlich, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Das hat auch niemand ge- sagt.)

Wir haben die Pflicht, das zu tun.

(Beifall FDP)

Gerade, weil wir unser Gemeinwesen aus dieser Geschichte heraus nämlich gestalten wollen.

(Zwischenruf Abg. Schubert, BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN: Das ist doch völliger Quatsch.)

(Zwischenruf Abg. Rothe-Beinlich, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Welches ist das?)

Deshalb ist Aufarbeitung auch weiter nötig, auch und gerade in Form der Aufklärung und der Einstufung von Abgeordneten. Vielen Dank.

(Beifall CDU, SPD, FDP)

Vielen Dank. Es hat sich weiter zu Wort gemeldet der Abgeordnete Mohring.

Frau Präsidentin, meine sehr verehrten Damen und Herren, liebe Schülerinnen, liebe Schüler, manchmal hadern wir Bürger mit unserer Demokratie, weil unsere Demokratie schwerfällig ist, weil sie manchmal Entscheidungsprozesse nicht einfach nachvollziehen lässt, weil Extremisten demonstrieren können, weil Extremisten Versammlungen durchführen können und weil parlamentsunwürdige Abgeordnete in einem demokratisch gewählten Parlament sitzen können. Aber dass das alles geht, liegt an unserer Freiheit und im Ausfluss unseres Demokratieprinzips. Und dass wir das alles in Freiheit tun können, das ist das Ergebnis der friedlichen Revolution des Herbstes 1989, weil wir, weil die Bürger aus der ehemaligen DDR mit der Kerze in der Hand auf die Straße gegangen sind und gesagt haben, dieses System, in dem wir leben, in dem wollen wir nicht weiterleben, weil dieses System uns die Freiheit nimmt, weil dieses System uns keine Demokratie ermöglicht, weil dieses System uns keine freien und gleichen und geheimen Wahlen ermöglicht, weil es viele Familienbiographien gebrochen hat, weil es Leben genommen hat und weil es auch die Bürger auf Dauer für immer eingeschränkt hat. Dass wir das jetzt in Freiheit tun können und dass wir als frei gewähltes Parlament, als Thüringer Landtag, jetzt in dieser Erfahrung auch darüber werten können, wie wir das bewerten, was vor uns gewesen ist, das ergibt sich schon aus unserer eigenen Verfassung, aus der Thüringer Landesverfassung, aus der Präambel, in der wir sagen, dass das Bewusstsein des kulturellen Reichtums und der Schönheit des Landes, seiner wechselvollen Ge

schichte, der leidvollen Erfahrung mit überstandenen Diktaturen und des Erfolgs der friedlichen Veränderung im Herbst 1989 genau um dessentwillen wir darauf achten und uns diese Verfassung gegeben haben.

Deshalb haben wir uns als Thüringer Landtag, wir jetzt in dieser Wahlperiode, aber auch davor, dazu entschieden, auch zu überprüfen, wie haben es die Abgeordneten, die hier in diesem Haus gewählt worden sind, mit dem alten System und mit den Verquickungen der Staatssicherheit gehandhabt? Für uns mit dieser Erfahrung aus diesem Herbst 1989 steht eines fest, und so hat es auch gestern der Abgeordnete Heiko Gentzel gesagt: Wir können uns Geheimdienste nur denken mit parlamentarischer Kontrolle. Und diese Geheimdienste, die wir kennen, Staatssicherheit aus der alten DDR, die kannten genau diese parlamentarische Kontrolle nicht. Wir können uns parlamentsunwürdige Abgeordnete in einem demokratisch gewählten Parlament denken, aber ein Bürger der DDR, der unwürdig dem Sozialismus gewesen sei, den konnten wir uns in einer Volkskammer eben nicht vorstellen. Das ist der Wert unserer Demokratie und das ist der Wert unserer Freiheit und darüber auch zu bewerten und darüber nachzudenken, das ist das, was wir uns vorgenommen haben.

Deshalb, sehr geehrte Frau Kollegin Astrid RotheBeinlich, die Sie ja auch sozusagen in der Fortsetzung als Vertreterin der Bürgerrechtsbewegung des Herbstes 1989 hier vermeintlich sitzen, ich meine, mit der Wortmeldung heute haben Sie sich das Recht abgesprochen, für die Bürgerrechtsbewegung hier das Wort zu ergreifen.

(Zwischenruf Abg. Rothe-Beinlich, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Vermeintlich?)

(Beifall CDU, SPD, FDP)

(Unruhe BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Auch wir haben die Entschuldigung des Abgeordneten Kuschel zur Kenntnis genommen. Ich will ausdrücklich sagen, wir finden das richtig, dass Sie sich entschuldigt haben. Wir wissen auch, das mag auch nach so langer Zeit, nach zwei Jahrzehnten, vielleicht fällt es leichter, vielleicht fällt es schwerer, aber man hat gemerkt, Sie haben von Ehrlichkeit geprägt diese Entschuldigung hier vorgetragen.

Aber ich will zur Relativierung von Frau Rothe-Beinlich schon noch etwas sagen: Dass wir meinen, dass ein parlamentsunwürdiger Abgeordneter natürlich sein Mandat behält, das ergibt sich aus unserer Verfassung, aber es bleibt die Verpflichtung der Partei, die ihn aufstellt, bestehen, darüber nachzudenken, wenn jemand für parlamentsunwürdig erklärt wurde, ihn auch wieder aufzustellen.

(Zwischenruf Abg. Ramelow, DIE LINKE: Ja, und das haben wir gemacht.)

(Abg. Barth)