Protocol of the Session on June 1, 2012

2. Der Umgang mit den sogenannten Ausreisewilligen stand im Widerspruch zum eigenen sozialistischen Gesellschaftsanspruch, insbesondere die Kriminalisierung der Antragsteller war ein klarer Verstoß gegen internationale, selbst nationale anerkannte Regelungen. Ich hatte damals nicht den Mut, dagegen offen vorzugehen, sondern habe vielmehr die Versetzung in eine andere Stadt vorgezogen. Auch dies ist als persönlicher politischer Fehler zu bewerten.

3. Ich habe politische Fehler begangen und kann dabei nicht ausschließen, dass in der Folge dieser Zusammenarbeit mit dem MfS auch Menschen zusätzlicher Schaden entstanden ist. Dafür kann ich nur um Entschuldigung bitten und mein Bedauern erklären. Mehrfach habe ich bereits erklärt und tue es hier an dieser Stelle noch einmal, ein solcher möglicher Schaden für Dritte tut mir leid.

Insofern, also aufgrund der gesamten Vorgänge, ist es berechtigt und auch zulässig, mich mit diesem Teil meiner Biographie auch weiterhin zu konfrontieren, gegen einen Schlussstrich in jeglicher Art spreche ich mich ausdrücklich aus. Meine Zusammenarbeit mit dem MfS hatte ausschließlich berufliche Bezüge, dies hatte auch dieses Überprüfungsverfahren erneut bestätigt, was jedoch nichts an der Bewertung ändert, dass diese Zusammenarbeit Bestandteil eines Sicherheitskonzepts war, das mit den eigenen Ansprüchen an eine sozialistische Gesellschaft im Widerspruch stand. Ich war immer bereit, zu meiner Zusammenarbeit mit dem MfS Erklärungen und Erläuterungen abzugeben und dies weit über die eigentliche Aktenlage hinaus. Im Regelfall wurden mir diese Erklärungen und Erläuterungen aber als Rechtfertigungsversuch zugerechnet. Es bleibt aber mein Angebot, mich auch weiterhin dem Dialog mit den Opfern des MfS-Systems zu stellen. Meine Akte selbst liegt seit 1999 öffentlich aus und kann eingesehen werden.

Nach meiner Überzeugung konnte das jetzige Einzelfallüberprüfungsverfahren zu meiner Person keinen neuen Beitrag zur Aufarbeitung von DDR-Geschichte leisten. Das bedauere ich, dass erneut eine Chance in dieser Hinsicht verstrichen ist. Den

(Präsidentin Diezel)

noch seien mir zwei Anmerkungen zum Bericht der Präsidentin gestattet:

1. Es wird der Eindruck erweckt, als hätte der Bundesbeauftragte für die Stasiunterlagen gutachterlich das Vorliegen neuer Daten und Informationen festgestellt. Diesem Eindruck ist zu widersprechen, im Vergleich zu den Ergebnissen der Überprüfung im Jahr 2006 gab es keinerlei neue Informationen oder Erkenntnisse.

2. Im Abschlussbericht der Einzelfallprüfung wird ausgeführt, dass ich nach einer Anhörung im Überprüfungsgremium die weitere Zusammenarbeit mit diesem Gremium abgelehnt hatte oder habe. Diese Verweigerung ist für das Gremium eine wichtige Entscheidungsgrundlage für meine Einstufung als unwürdiger Abgeordneter. Hierzu ist klarzustellen, dass ich dem Überprüfungsgremium in einer Anhörung sehr umfassend Auskunft über meine Zusammenarbeit mit dem MfS gegeben habe. Auch diese Auskunft ging weit über die Aktenlage hinaus. Nachdem ich das Protokoll dieser Anhörung und der anschließenden Auswertung im Gremium zur Kenntnis nehmen musste, war durch mich festzustellen, dass eine Mehrheit in diesem Gremium meine Erläuterungen und Aussagen als unglaubwürdig und Schutzbehauptung eingestuft hat. Mit diesem Vorwurf der Unglaubwürdigkeit bzw. Schutzbehauptung wurde ich in der Anhörung jedoch zu keinem Zeitpunkt konfrontiert. Insofern musste ich zu der Einschätzung kommen, dass diese Anhörung sehr formal erfolgte und letztlich eine Mehrheit der Kommissionsmitglieder bereits eine Entscheidung zu meiner Person getroffen hatte. Eine weitere Mitarbeit im Überprüfungsgremium wäre deshalb für alle Beteiligten wenig ergebnisorientiert verlaufen. Zudem ist festzustellen, dass nicht nur ich, sondern alle Vertreter der Fraktion der Partei DIE LINKE die Mitarbeit in dem Gremium eingestellt haben.

Die Unwürdigkeitseinstufung nehme ich so wie die Öffentlichkeit zur Kenntnis. Ich werde weiterhin kritisch mit meiner eigenen Biographie umgehen und Politikangebote für Bürgerinnen und Bürger unterbreiten. Nur die Bürgerinnen und Bürger haben das tatsächliche Entscheidungsrecht, wer würdig oder unwürdig ist, dem Landtag anzugehören. Dank der heutigen demokratischen und rechtsstaatlichen Möglichkeiten werde ich wie in den zurückliegenden 20 Jahren an verschiedenen Stellen, ob in Parlamenten und Vereinen oder Bürgerinitiativen oder als Bürger, so wie viele andere auch, für meine politischen Angebote, Alternativen und Veränderungen streiten, und dies in Anbetracht meiner Vergangenheit und den damit beschriebenen Fehlern und Verwerfungen, für die ich mich nochmals entschuldigen möchte. Danke.

(Beifall Abg. Berninger, DIE LINKE)

Danke schön, Herr Abgeordneter Kuschel. Wir waren im Ältestenrat übereingekommen, zu diesem Tagesordnungspunkt keine Aussprache durchzuführen. Die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN hatte Redebedarf bereits signalisiert und ich bitte, das Wort zu ergreifen.

(Zuruf Abg. Rothe-Beinlich, BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN: Jetzt direkt?)

Ja.

Sehr geehrte Frau Präsidentin, meine sehr geehrten Damen und Herren, warum wollen BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN zu dieser wichtigen Frage die Aussprache, auch hier im Parlament? Vielleicht fragt sich das der eine oder die andere. Aber wir meinen, dass genau das ein ganz wichtiger Punkt und eine Errungenschaft der Demokratie ist, dass wir tatsächlich auch miteinander reden, dass wir uns austauschen, dass wir auch kritische Fragen ansprechen, auch und gerade wenn es um solch schwierige Dinge geht, wie wir sie heute hier auf der Tagesordnung haben. Denn es geht um nicht mehr und nicht weniger als um die Aufarbeitung der Vergangenheit, um Transparenz, aber auch um die Frage: Wer hat eigentlich das Recht, in welcher Form über wen wie zu urteilen? Ich möchte sehr deutlich sagen, dass mir in diesem Landtag, dem wir seit 2009 wieder angehören, weniges so schwer gefallen ist wie die Mitarbeit in diesem Gremium, weil sie tatsächlich an die Substanz geht. Ich glaube, das geht vielen so. Wir als BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN haben uns der Aufarbeitung verschrieben. Wir kommen aus der ehemaligen Bürger/-innen-Bewegung der DDR. Viele von uns sind selbst über Jahre/Jahrzehnte bespitzelt worden und uns ist es wichtig, sich tatsächlich mit dieser Problematik adäquat auseinanderzusetzen und sich dazu auch öffentlich zu positionieren.

Ich habe heute früh eine Thüringer Zeitung gelesen, da ging es um ein anderes Thema, aber trotzdem passt es hier sehr gut, dass in der Meinungsspalte, ich möchte sie sinngemäß zitieren, Gerlinde Sommer in der TLZ heute schreibt: „Abseits von Formeln zu sprechen, das trauen sich nicht viele Politiker, sei es, weil sie einen unerwünschten Widerhall fürchten, weil Redenschreiber nur Vorgestanztes aufschreiben oder weil das nötige Format oder eine Haltung fehlt.“ Ich finde, das passt auch ganz gut zu dieser Debatte und ich glaube, wir können uns nicht darum drücken, wenn es uns

(Zwischenruf Abg. Fiedler, CDU: Was inter- essiert uns, was Gerlinde Sommer auf- schreibt?)

(Abg. Kuschel)

um Aufklärung und Auseinandersetzung geht, uns hier im Plenum dieser Debatte zu stellen.

(Zwischenruf Abg. Schubert, BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN: Warten Sie es doch mal ab.)

Wir haben uns in diesem Gremium beteiligt und wir haben es uns in der Tat nicht leicht gemacht. Ich sage aber auch, für uns waren die Akten neu, die vorgelegt wurden, weil wir vorher noch nicht in einem solchen Gremium mitgearbeitet haben. Wir haben aber ebenfalls zur Kenntnis genommen, dass sie über die Aktenlage, die bereits in der letzten Legislatur vorlagen, nicht hinausgingen. Unbestreitbar hat es in diesem Fall eine Zusammenarbeit mit dem MfS gegeben und das hat der Betroffene auch eingeräumt. Ich habe hier auch seine Entschuldigung vernommen und das weiß ich sehr zu schätzen. Trotzdem will ich sagen, und das hat Frau Diezel ja auch im Bericht ausgeführt, dass der Begriff der Parlamentsunwürdigkeit mir nicht nur schwer im Magen liegt, sondern ein unbestimmter Rechtsbegriff ist, dessen Zweckbestimmung sein sollte, ich zitiere, „die Selbstreinigung des Parlaments“, der aber keine Folgen mit sich bringt, außer dass heute einem Abgeordneten, der das auch schon wusste, wieder gesagt wird, er sei parlamentsunwürdig. Ich sage ganz offen, ich frage mich, wer gibt mir und uns eigentlich das Recht, über einen Kollegen, der genauso wie ich in den Thüringer Landtag gewählt wurde, so zu urteilen, indem ich ihn für parlamentsunwürdig erkläre?

Ich will Joachim Linck zitieren, Verfassungsrechtler und früherer Landtagsdirektor, der dem MDR am 22. Januar 2012 sagte, es sei Zeit, diese Überprüfungspraxis zu beenden. Viele der überprüften Abgeordneten hätten längst bewiesen, dass sie im freiheitlich demokratischen Rechtsstaat angekommen seien und wenn die Wähler sagten, Fehler der Vergangenheit seien heute nicht mehr ausschlaggebend, müsse man das respektieren.

(Zwischenruf Abg. Fiedler, CDU: Das muss uns ein Wessi erzählen, der hierherkommt.)

Ich glaube, wir müssen uns auch das anhören, ja, weil jede und jeder das Recht hat zu sagen, was er oder sie denkt, natürlich auch Herr Linck genauso wie Sie, Herr Fiedler. Wir wissen auch, dass es ganz wichtig ist, sich DDR-Biographien ganz differenziert anzuschauen, weil es Differenzierung braucht, um Menschen tatsächlich gerecht zu werden.

Gestatten Sie mir noch ein Zitat, nämlich von Roland Jahn. Er sagte im Juli 2011: „Es ist wichtig, genauer hinzuschauen, warum sich Menschen wie verhalten haben. Ich verurteile niemanden, der sich angepasst hat. Anpassung hat aber seinen Preis, den oft andere bezahlt haben, manche mit Gefängnis.“ Das war am 11. Juli 2011.

Wir stehen für Aufarbeitung und uns geht es mitnichten um eine Schlussstrichmentalität. Aufarbeitung tut not und auch eine offensive Debatte tut not. Aber wir handeln hier auf Grundlage eines Gesetzes, das aus unserer Sicht in dieser Form nicht mehr zeitgemäß ist. Zum einen bestreiten wir, dass es richtig ist, dass ein Gremium oder ein Parlament darüber entscheidet, ob ein Abgeordneter, eine Abgeordnete parlamentsunwürdig ist, insbesondere wenn sich die Wählerinnen und Wähler in dem Wissen, das der- oder diejenige für die Staatssicherheit gearbeitet hat, hier ordentlich gewählt in diesem Parlament wiederfindet.

(Zwischenruf Abg. Fiedler, CDU: Der Mann ist nicht gewählt worden, die Liste ist gewählt worden.)

Müssen wir nicht den Mut haben, Herr Fiedler, anzuerkennen, dass sich die Wählerinnen und Wähler offensichtlich bewusst so entschieden haben?

(Zwischenruf Abg. Dr. Voigt, CDU: … nicht für die Person entschieden haben.)

Sind wir Abgeordnete nicht ein Abbild auch genau in diesem Landtag, wie es sich in der Gesellschaft wiederfindet?

(Unruhe CDU)

Müssen wir das nicht akzeptieren? Das Entscheidende ist doch, Herr Fiedler, dass wir um die Vergangenheit von uns wissen und dass wir uns ehrlich damit auseinandersetzen und dass wir dazu stehen. Das unterscheidet im Übrigen auch hier von beispielsweise der Debatte, die im Moment im Brandenburg geführt wird, wo sich jemand nicht offen bekannt hat.

(Zwischenruf Abg. Fiedler, CDU: Das ist Ver- gangenheit.)

Da ist aber ein ganz gravierender Unterschied. Wenn ich von Menschen weiß, dass sie zu ihrer Biographie und zu ihrem Tun stehen, dann kann ich ihnen auch in die Augen schauen und dann kann ich auch sehen, wie ich gegebenenfalls mit ihnen zusammenarbeite. Wenn ich das nicht weiß - und das ist das Entscheidende -, dann kann ich das nicht. Deswegen halten wir es für richtig, dass es Aufarbeitung gibt, dass es auch eine Überprüfung gibt. Aber wenn die Fakten seit Jahren unverändert allesamt bekannt sind, dann muss man sich fragen, Herr Fiedler, wo fängt Schuld an? Und...

(Zwischenruf Abg. Fiedler, CDU: Hören Sie doch auf, das ist schämenswert, was Sie hier erzählen. Das kann man doch nicht mehr er- tragen.)

(Unruhe CDU)

Herr Fiedler, nein, ich höre jetzt nicht auf.

Meine sehr geehrten Damen und Herren Abgeordneten, ich bitte um Mäßigung. Bitte lassen Sie die Rednerin aussprechen.

(Unruhe CDU, FDP)

Herr Barth, wo hat denn Anpassung angefangen? Damit, dass man sich drei Jahre für die NVA verpflichtet hat,

(Unruhe CDU)

Herr Fiedler.

um einen bestimmten Studienplatz zu bekommen? Damit, dass man beim Rat des Kreises gearbeitet hat? Ich verdeutliche es mal für mich persönlich. Ich habe nie für die Stasi oder Ähnliches gearbeitet, sondern ich bin auch über Jahre bespitzelt worden. Aber auch ich habe mich in bestimmten Situationen angepasst und damit muss ich umgehen. Es ist vielleicht ein kleines Beispiel, aber es zeigt - lassen Sie mich das doch mal ausführen -,

(Unruhe CDU)

wie schnell man in einer Diktatur selbst zum ganz, ganz kleinen Rädchen werden kann. Vielleicht wundern Sie sich jetzt über das, was ich sagen werde. Ich habe immer gern gesungen und ich war im Mädchen-Kammer-Chor in Erfurt. Der MädchenKammer-Chor hatte einmal die zweifelhafte Ehre, zu einer der Staatsjagden von Erich Honecker Jagd- und Wanderlieder vorzutragen.

(Unruhe CDU)

Ich habe mitgesungen. In einer lächerlichen grauen Uniform habe ich mitgesungen im Erfurter Hof und habe mich geschämt, und zwar bis heute ein Stück weit, dass ich damals nicht den Mut hatte, wie eine andere, zu sagen, ich mache diesen Auftritt nicht mit, sondern ich habe mitgemacht. Das ist gewiss nicht vergleichbar mit einer wissentlichen Zusammenarbeit mit der Staatssicherheit,

(Unruhe CDU, SPD, FDP)

aber ich will damit deutlich machen,

(Zwischenruf Abg. Höhn, SPD: Es wäre bes- ser, Sie hätte geschwiegen.)

niemand ist hier frei von Schuld oder - ich bin Pfarrerstochter -, wer frei von Schuld ist, der werfe den ersten Stein.

(Unruhe CDU, FDP)