Protocol of the Session on June 1, 2012

In dem Bericht vom 23.06.1989 über das Treffen am 23.06.1989 geht es um die Personeneinschätzung eines Mitarbeiters des Rates der Stadt und einer weiteren Person, die negative Bewertungen enthält sowie um die Einschätzung der Kommunalpolitik in Großbreitenbach. In der Personeneinschätzung heißt es zum Mitarbeiter, dass diesem

(Präsidentin Diezel)

„die vernünftigen Voraussetzungen fehlen“, um seinen Aufgaben gerecht zu werden. Zu der weiteren Person wird berichtet: „Da sie sich oft daneben benahm (Sitzen auf Schreibtisch, schamloses Verhal- ten) wurde sie schon mehrfach aus dem Haus verwiesen.“ Es folgte die Einschätzung „dass die (Na- me geschwärzt) aufgrund ihrer Persönlichkeitseigenschaften möglicherweise gegenüber (Name ge- schwärzt) über dienstliche Belange spricht.“

Der Bericht des Führungsoffiziers vom 04.10.1989 über das Treffen am 02.10.1989 enthält Informationen zur Ortsparteileitung, zur Jugendarbeit, zu einer operativen Personenkontrolle „Anästhesist“, zum Bau eines Wohnblocks, zu Sympathisanten des Neuen Forums sowie zu einer Person, die den Pfarrer wegen ihrer Probleme aufsuchen wolle. Die zugeleiteten Unterlagen enthalten zwei handschriftliche IM-Berichte.

In einer weiteren undatierten Information berichtet Herr Kuschel zu Übersiedlungsersuchenden. Er berichtet insbesondere über die Situation einer übersiedlungswilligen Familie und gibt dabei die von dritter Seite erhaltene Behauptung weiter, der Mutter „sei der Abschluss der Klasse des Sohnes egal, bis zur Zeugnisübergabe sei sie nicht mehr in der DDR.“ Er berichtet zudem, dass die Familie keine Gartenarbeit mehr durchführe und ihr Haus verkaufen wolle. Dieser Sachverhalt wird im Bericht des Führungsoffiziers am 29.04.1988 wiedergegeben. In seinem handschriftlichen Bericht vom 29.04.1988 legte Herr Kuschel Probleme der Personalbewirtschaftung und Stellenbesetzung in seinem Arbeitsbereich als stellvertretender Bürgermeister des Inneren dar. Dabei wurden konkrete Personalangaben gemacht. Auch dieser Sachverhalt findet sich im Bericht des Führungsoffiziers vom 29.04.1988. Handschriftlich von Herrn Kuschel erfasst ist auch eine Liste der Bürger, die für den Wahlvorstand nicht mehr zur Verfügung stünden, mit Angabe von Name, Anschrift und Gründen. Diese Liste wurde beim Treff am 07.03.1989 an den Führungsoffizier übergeben.

Des Weiteren liegt das Protokoll einer Aussprache mit zwei Kollegen über eine Unterschriftenaktion zum Erhalt eines Baumes am 01.07.1988 vor, das von Herrn Kuschel mit Klarname und Amtsbezeichnung unterschrieben ist. Es liegt eine handschriftliche Erklärung zur Verletzung der Konspiration durch den IM vor. In der Beurteilung durch Führungsoffizier Heinze am 27.03.1989 geht dieser dann davon aus, dass Herr Kuschel in der Lage wäre, zielgerichtet Personen abzuschöpfen und diese zu Reaktionen zu veranlassen. Außerdem führt Herr Führungsoffizier Heinze aus: „Mit den durch den IM erarbeiteten Informationen konnten wesentliche Erkenntnisse für eine aktuelle Lageeinschätzung gewonnen werden und vorbeugende Maßnahmen zur Verhinderung negativer Maßnahmen durch Antragsteller realisiert werden.“

Herr Abgeordneter Kuschel äußerte sich zu dem im Gremium eröffneten Sachverhalt in seiner Stellungnahme insofern, dass er auf seine Ausführungen in der Plenarsitzung am 13.07.2006 verwies. Da dem Gremium des 5. Thüringer Landtags die gleichen Unterlagen vorliegen wie dem Gremium des 4. Thüringer Landtags und da das Protokoll aus der 4. Wahlperiode öffentlich zugänglich sei, könne er zulässigerweise darauf verweisen. Im Weiteren beantwortete er Fragen der Mitglieder des erweiterten Gremiums. Seine Ausführungen wurden wörtlich protokolliert. Auf das entscheidungsrelevante Vorbringen wird im Rahmen der Bewertung unter III. eingegangen.

Das erweiterte Gremium hat in der Sitzung am 03.11.2011 eine vorläufige Wertung vorgenommen, ob der Abgeordnete Kuschel wissentlich als inoffizieller Mitarbeiter mit dem MfS/AfNS zusammengearbeitet hat und deshalb unwürdig ist, dem Landtag anzugehören. In der zweiten Sitzung des erweiterten Gremiums am 13.12.2011 wurde der Entwurf des vorläufigen Berichts zum Ergebnis der ersten Sitzung vorgelegt und unter den Gremiumsmitgliedern diskutiert. Im Vorfeld dieser zweiten Sitzung hatten die Mitglieder des erweiterten Gremiums aus der Fraktion DIE LINKE am 12.12.2011 schriftlich ihre Beteiligung an der weiteren Arbeit des erweiterten Gremiums für beendet erklärt. Nachdem die in der 5. Wahlperiode neu hinzugekommene Abgeordnete die Möglichkeit gehabt hätten, sich über den entsprechenden Sachverhalt zu informieren und dem betroffenen Abgeordneten Fragen zu stellen und somit eine Bewertung treffen könnten, bestünde keine weitere Grundlage für die Arbeit des Gremiums, insbesondere da sich aus den Unterlagen keine neuen Informationen ergeben.

Die Mitglieder des erweiterten Gremiums der anderen Fraktionen äußerten sich enttäuscht über das Ausscheiden der Fraktion DIE LINKE. Es sei eine Missachtung und Bagatellisierung der Arbeit des Gremiums, das aufgrund des Gesetzes eingesetzt worden war und dessen Entscheidungsfindung zu diesem Zeitpunkt noch nicht abgeschlossen sei. Auch der Abgeordnete Kuschel hat mit Schreiben vom 12.12.2011 angekündigt, nicht mehr an den Sitzungen des erweiterten Gremiums teilzunehmen. Er habe nicht den Eindruck, dass seine Ausführungen, Erläuterungen und Einschätzungen die Meinung einer Mehrheit des Gremiums verändern könnten. Der Abgeordnete Kuschel nahm auch an der dritten und vierten Sitzung des erweiterten Gremiums am 24.01.2012 bzw. am 01.03.2012 nicht teil. Da dies aufgrund der Mitteilung des Abgeordneten Kuschel vom 12.12.2011 vorhersehbar war, war ihm der vorläufige Bericht schriftlich zugestellt worden. In der vierten und letzten Sitzung des erweiterten Gremiums am 01.03.2012 wurde die abschließende Gesamtwürdigung vorgenommen und der Bericht entsprechend ergänzt.

(Präsidentin Diezel)

III. Bewertung: Zur Bewertung, ob der Abgeordnete Kuschel wissentlich als inoffizieller Mitarbeiter mit dem MfS/AfNS zusammengearbeitet hat und deshalb unwürdig ist, dem Landtag anzugehören, wurden im erweiterten Gremium die einzelnen Tatbestandsmerkmale diskutiert und eine Tendenzentscheidung abgefragt.

Zum Tatbestandsmerkmal inoffizieller Mitarbeiter diskutierten die Mitglieder über die Tätigkeit von Herrn Kuschel als stellvertretender Bürgermeister für Inneres der Stadt Ilmenau in Abgrenzung zur Tätigkeit als inoffizieller Mitarbeiter. Die Wortkombination inoffizieller Mitarbeiter steht nach § 6 Abs. 4 Nr. 2 Stasi-Unterlagengesetz für Personen, die sich wissentlich und willentlich zur Lieferung von Informationen an den Staatssicherheitsdienst bereit erklärt haben. Der Abgeordnete Kuschel hatte eine Tätigkeit als inoffizieller Mitarbeiter in seiner Einlassung bestätigt. Die stimmberechtigten Mitglieder des erweiterten Gremiums kamen einstimmig zu dem Schluss, dass eine Tätigkeit von Herrn Kuschel als inoffizieller Mitarbeiter gegeben war und dass dieses Tatbestandsmerkmal bejaht werden muss.

Zum Tatbestandsmerkmal der wissentlichen Zusammenarbeit mit dem MfS/AfNS hatte sich das erweiterte Gremium darauf verständigt, dass von einer wissentlichen Zusammenarbeit in der Regel auszugehen ist, wenn es sich um bewusstes und gewolltes Übermitteln von Informationen an Mitarbeiter des Staatssicherheitsdienstes handelt. Der Bericht über die durchgeführte Werbung durch den Führungsoffizier stellt ein Indiz für die wissentliche Mitarbeit als IM dar. Die wissentliche Zusammenarbeit mit dem MfS/AfNS wird durch die Verpflichtungserklärung von Herrn Kuschel belegt. Auch liegen zwei handschriftliche IM-Berichte vor, die Herr Kuschel mit seinem Decknamen unterschrieben hat, und eine handschriftliche Erklärung zur Verletzung der Konspiration, die die wissentliche Tätigkeit als IM dokumentiert. Außerdem erhielt Herr Kuschel am 18.01.1989 eine Prämie in Höhe von 200 Mark, die er mit seinem Decknamen quittierte. Auch bestreitet der Abgeordnete Kuschel selbst nicht seine wissentliche Zusammenarbeit als inoffizieller Mitarbeiter. Die stimmberechtigten Mitglieder des erweiterten Gremiums kamen daher einstimmig zu dem Ergebnis, dass der Tatbestand „wissentliche Zusammenarbeit mit dem MfS/AfNS“ vorliegt.

Im Hinblick auf das Tatbestandsmerkmal „Parlamentsunwürdigkeit“ hat das erweiterte Gremium eine Reihe von be- und entlastenden Umständen erörtert und berücksichtigt. Es wurden folgende vier Punkte einzeln diskutiert:

a) die Frage nach der Nachhaltigkeit der Tätigkeit für das MfS/AfNS und des Vorliegens eines Schadens für betroffene Bürger,

b) die Zeitumstände und der Zeitablauf,

c) die demokratische Bewährung und

d) die Wiederwahl als Volksvertreter.

Zu den einzelnen Punkten:

Zur Frage des Vorliegens des ersten Punktes „Nachhaltigkeit und Schaden“ hatte sich das Gremium auf folgende Definition verständigt: Bei der Parlamentsunwürdigkeit handelt es sich um einen unbestimmten, also ausfüllungsbedürftigen Rechtsbegriff. Die Parlamentsunwürdigkeit - ein gesetzlicher Begriff, der von einzelnen Mitgliedern des erweiterten Gremiums als problematisch empfunden wird ist in § 1 Abs. 1 Satz 3 des Thüringer Abgeordnetenüberprüfungsgesetzes in einem Regelbeispiel dahin gehend umschrieben, dass sie in der Regel, also nicht ausschließlich, anzunehmen ist, wenn der Abgeordnete nachhaltig und zum Schaden anderer Bürger für das MfS/AfNS tätig gewesen ist. Das Kriterium „Nachhaltigkeit“ bezieht sich auf die Tätigkeit für das MfS, wenn also der Abgeordnete nachhaltig für das MfS tätig gewesen ist, nicht auf das Vorliegen eines nachhaltigen Schadens. Vom Vorliegen eines Schadens ist u.a. dann auszugehen, wenn durch die konspirative Zusammenarbeit mit dem MfS Eingriffe in den Kernbereich der Persönlichkeitsrechte erfolgen. Der Kernbereich des Persönlichkeitsrechts umfasst in diesem Zusammenhang sowohl die Intimsphäre als auch die Privatsphäre. Ein Eingriff in diesen Kernbereich liegt vor, wenn Daten aus diesem Bereich unbefugt an Dritte weitergegeben werden.

Die Nachhaltigkeit der Tätigkeit für das MfS/AfNS ergibt sich bereits aus der Dauer der Zusammenarbeit. Auch die Tatsachen, dass die Tätigkeit selbst nach einem Orts- und Funktionswechsel fortgeführt wurde und erst durch Wegfall des MfS beendet wurde, sprechen für die Nachhaltigkeit.

Zur Beurteilung der Frage, ob eine Tätigkeit für das MfS/AfNS zum Schaden anderer Bürger zu bejahen ist, hat das erweiterte Gremium bewusst nicht sämtliche Unterlagen seiner Entscheidungsfindung zugrunde gelegt. Bei den vorliegenden Akten zu Herrn Kuschel hat das erweiterte Gremium differenziert, inwieweit es sich um Aufzeichnungen, Berichte, Protokolle von Herrn Kuschel und inwieweit es sich um Berichte und Protokolle des jeweiligen Führungsoffiziers handelt. Das erweiterte Gremium ist sich darin einig, dass nicht mit gesicherter Überzeugung festgestellt werden kann, dass die Aufzeichnungen der Führungsoffiziere die tatsächlichen Gespräche richtig wiedergeben. Es ist nicht mehr nachvollziehbar, ob vielleicht Teile der Inhalte von Führungsoffizieren fehlerhaft wiedergegeben, bewertet, verändert oder gar frei erfunden sind. Mit Blick darauf, dass das erweiterte Gremium in einem rechtsstaatlichen Verfahren aber zu einer gesicherten Überzeugung kommen muss, ob der Abgeordnete parlamentsunwürdig ist oder nicht, müssen Zweifel bezüglich der Authentizität der Berichte des

(Präsidentin Diezel)

Führungsoffiziers zugunsten des Abgeordneten gewertet werden. Das erweiterte Gremium hat sich daher bei der Beurteilung allein auf die Erklärung gestützt, die Herr Kuschel selbst verfasst hat.

Herr Kuschel hat seine Verpflichtungserklärung handschriftlich verfasst. In ihr sind keine Aussagen über Dritte. Aus der Verpflichtungserklärung selbst lässt sich kein Eingriff in den Kernbereich der Persönlichkeitsrechte Dritter erschließen. Es liegt ein handschriftlicher Bericht von Herrn Kuschel vor, in dem er über Übersiedlungsersuchende berichtet. Darin beschreibt er die Situation einer übersiedlungswilligen Familie und gibt dabei die von dritter Seite erhaltene Behauptung weiter, der Mutter „sei der Abschluss der Klasse des Sohnes egal, bis zur Zeugnisübergabe sei sie nicht mehr in der DDR“. Er berichtet zudem, dass die Familie keine Gartenarbeit mehr durchführe oder ihr Haus verkaufen wolle. Dieser handschriftliche Bericht über eine übersiedlungswillige Familie enthält damit Informationen aus dem Bereich des privaten Lebens der Familie, die deutlich in den Kernbereich der Persönlichkeitsrechte eingreifen. Die Erziehung eines Kindes, die Meinung der Eltern zu den Schulnoten ihres Kindes sowie die Ausführung von Gartenarbeit sind Bereiche, in denen die Privatsphäre der Menschen berührt wird. Der Abgeordnete Kuschel hat in seiner Einlassung darauf hingewiesen, dass es ihm darum gegangen sei, die Ausreise der Familie zu verzögern, damit der Sohn an der Klassenfahrt teilnehmen und seinen Abschluss machen könne und die Familie im Anschluss daran gemeinsam übersiedeln könne.

Die Mitglieder des erweiterten Gremiums haben erörtert, ob und inwieweit ein Schaden vorliegt bzw. ob dieser geheilt werden kann, wenn zwar deutlich der Eingriff in den Kernbereich der Persönlichkeitsrechte vorliegt - dieser wurde von keinem der Mitglieder des Gremiums angezweifelt -, dieser aber zustande kam, um - nach Aussage des Abgeordneten Kuschels - die Interessen eines Familienmitglieds, nämlich des Sohnes, zu wahren.

Es gibt einen handschriftlichen Bericht von Herrn Kuschel vom 29.04.1988, in dem er zu den Problemen der Personalbewirtschaftung und Stellenbesetzung im Arbeitsbereich von Herrn Kuschel als stellvertretender Bürgermeister für Inneres berichtet. Dort wurden konkrete Personalangaben sowie Angaben aus Gründen der Stellenbesetzung und -nichtbesetzung gemacht. Herr Kuschel gab damit Personalangaben an das MfS weiter, die er als stellvertretender Bürgermeister erlangt hatte. Dabei handelt es sich nach rechtsstaatlicher Sichtweise um besonders schützenswerte Personaldaten.

Die Mitglieder des erweiterten Gremiums erörterten in diesem Zusammenhang den Unrechtsgehalt der Weitergabe von sensiblen Daten, die sich das MfS

eventuell auf anderem Wege gleichermaßen verschaffen konnte, da sich - laut Einlassung eines Mitglieds des erweiterten Gremiums - Mitarbeiter des Bereichs einem Prüfungsverfahren des MfS unterwerfen mussten. Nach Auffassung der Mehrheit des Gremiums spricht der konspirative Charakter der IM-Berichte jedoch dafür, dass es sich um weitere und nicht schon amtsbekannte Informationen handelt und es dem MfS gerade daran gelegen war, Informationen aus mehreren Quellen zusammenzutragen.

Wiederum handschriftlich verfasst ist auch eine Liste der Bürger, die für den Wahlvorstand nicht mehr zur Verfügung standen, mit Angabe von Namen, Anschrift und Gründen. Diese Liste wurde beim Treffen am 07.03.1989 an den Führungsoffizier übergeben. Diese Erklärung stammt aus der Zeit der Tätigkeit von Herrn Kuschel in Großbreitenbach, also nach seinem Orts- und Funktionswechsel. Diese Liste berührt nur relativ schwach geschützte Bereiche der Sozialsphäre. Ein Eingriff in die Privatsphäre könnte eventuell bei der Angabe der Gründe vorliegen, die zu jeder Person angegeben sind. Da die Gründe in den erweiterten Gremien vorliegen, die Unterlagen jedoch geschwärzt sind, ist nicht mehr zu erkennen, ob es sich bei den Gründen um Fakten aus der Privatsphäre der Bürger handelt. Ein Eingriff in den Kernbereich der Persönlichkeitsrechte kann daher nicht mit gesicherter Überzeugung angenommen werden.

Bei dem Protokoll einer Aussprache mit zwei Kollegen über eine Unterschriftenaktion zum Erhalt eines Baumes vom 01.07.1988 handelt es sich um einen Bericht, den Herr Kuschel im Rahmen seiner Tätigkeit als stellvertretender Bürgermeister verfasst hat. Das Protokoll ist mit dem Kopfzeichen des Rates der Stadt versehen und mit Klarnamen und Amtszeichen unterzeichnet. Auch hier wird die Anwesenheit eines weiteren Mitglieds, und zwar eines Abteilungsleiters, protokolliert. Das spricht im Zweifel dagegen, dass es sich hier um einen konspirativen Bericht als IM handelt. Zwar wird hier die Sozialsphäre der beiden Gesprächspartner berührt. Da es sich aber inhaltlich um Informationen zum „Freundeskreis Ökologie“ und dessen Unterschriftenaktion zum Erhalt eines Baumes handelt, liegt kein Eingriff in das Persönlichkeitsrecht im Sinne des Überprüfungsverfahrens vor.

Schließlich liegt eine handschriftliche Erklärung zur Verletzung der Konspiration von Herrn Kuschel vor. Dies betrifft nur Herrn Kuschel selbst und stellt daher nach Ansicht des Gremiums keinen Eingriff in die Persönlichkeitsrechte dar.

Im Ergebnis haben die stimmberechtigten Mitglieder des erweiterten Gremiums mit einer Mehrheit von zwei Dritteln sowohl eine nachhaltige Tätigkeit für das MfS/AfNS als auch einen Schaden für die Bürger als gegeben angesehen.

(Präsidentin Diezel)

Das erweiterte Gremium hat in seiner Bewertung des Verhaltens von Herrn Kuschel auch die Zeitumstände während seiner Zusammenarbeit mit dem MfS/AfNS berücksichtigt. So spielen die Sozialisation in der DDR und die besondere innerdeutsche politische Situation Mitte der 80er-Jahre eine wichtige Rolle für Einstellung, Prägung und Verhaltensweisen, insbesondere für die Entwicklung von Rechts- und Unrechtsbewusstsein. Diesen Umständen waren aber grundsätzlich alle Bürger, die in der ehemaligen DDR gelebt haben und gearbeitet haben, in gleicher Weise ausgesetzt. Dennoch hat nach Auskunft des Bundesbeauftragten für Staatssicherheit, siehe Plenarprotokoll aus der 4. Wahlperiode am 13.07.2006, nur ca. 1 Prozent der DDRBevölkerung als inoffizielle Mitarbeiter mit dem Ministerium für Staatssicherheit zusammengearbeitet. Es galt nach den Vorschriften für die Gewinnung und Führung von inoffiziellen Mitarbeitern in der Regel die strikte Freiwilligkeit. Im Fall des Herrn Kuschel war es die eigene persönliche Entscheidung, mit dem MfS/AfNS zusammenzuarbeiten.

Als gegebenenfalls entlastender Umstand könnte der seitherige Zeitablauf berücksichtigt werden. Der letzte Treff fand am 02.10.1989 statt. Die Zusammenarbeit wurde durch die Auflösung des MfS/ AfNS beendet. Sie war damit unter Berücksichtigung der Zeit nach der Wende etwa 15 Jahre vor der erstmaligen Wahl des Abgeordneten in den Thüringer Landtag am 13.06.2004 und knapp 20 Jahre vor seiner Wiederwahl in den Thüringer Landtag am 30.08.2009 beendet.

Da das Verfahren zur Überprüfung von Abgeordneten kein Strafverfahren ist, spielen die zum erheblichen Teil kürzeren strafrechtlichen Verjährungsfristen keine Rolle. Es geht nicht darum, strafrechtlich relevantes Verhalten festzustellen und zu ahnden. Es geht vielmehr um die Aufarbeitung von Geschehnissen, die Bedeutung für das in einer parlamentarischen Demokratie unverzichtbare Vertrauensverhältnis zwischen den Bürgerinnen und Bürgern und ihren Abgeordneten haben.

Von den stimmberechtigten Mitgliedern des erweiterten Gremiums haben sich nach Abwägung der Aspekte des Kriteriums Zeitablauf zwei Mitglieder eindeutig dafür ausgesprochen, dass dieser Umstand als entlastend in der Bewertung der Parlamentsunwürdigkeit Eingang findet. Zwei Mitglieder haben kein Votum abgegeben, vier Mitglieder votierten gegen diese Entlastung. Gründe für eine fehlende bzw. nicht eindeutige Entlastung trotz des Zeitablaufs von 21 Jahren waren die Intensität der IM-Tätigkeit des Herrn Kuschel, für die er sogar eine Prämie erhalten hatte, sowie die Tatsache, dass Herr Kuschel seine IM-Tätigkeit erst mit der Auflösung des MfS beendete.

Des Weiteren wurde die mögliche demokratische Bewährung von Herrn Kuschel betrachtet. Aus sei

ner Biographie wurden insbesondere seine Lebensdaten nach 1990 berücksichtigt. Er hat sich seit vielen Jahren auf kommunaler und auf Landesebene in unserer demokratischen Gesellschaft engagiert. Herr Kuschel war ehrenamtlich von 1990 bis 1994 Mitglied der Stadtverordnetenversammlung von Großbreitenbach. Seit 1994 ist er Mitglied des Kreistages Ilmkreis, seit 2004 Stadtrat in Arnstadt und dort Vorsitzender seiner Fraktion. Er ist seit 2004 Mitglied des Thüringer Landtags. Er hat sich im Rahmen seines Engagements den demokratischen Regeln der Rechtsordnung und des Staatswesens der Bundesrepublik Deutschlands und unseres Freistaats unterworfen. Die Wähler haben sich zwei Mal entschieden, Herrn Kuschel in den Landtag als oberstes Organ der demokratischen Willensbildung zu wählen. Herr Abgeordneter Kuschel distanzierte sich zwischenzeitlich auch in seiner Einlassung in der Sitzung am 03.11.2011 ausdrücklich von seinen Einstellungen und Handlungsweisen. Allerdings verweigerte Herr Abgeordneter Kuschel nach dem 12.12.2011 seine weitere Beteiligung an der Aufarbeitung seiner Tätigkeit als IM durch das erweiterte Gremium. Nach Ansicht der im Gremium verbliebenen Mitglieder wird dadurch ein zweifelhafter Umgang mit dem Gesetz und dem darin beinhalteten Überprüfungsauftrag zutage gelegt. Die Mehrheit der stimmberechtigten Mitglieder des erweiterten Gremiums hat sich dafür ausgesprochen, die demokratische Bewährung als entlastend bei der Beurteilung der Parlamentsunwürdigkeit zu berücksichtigen.

Die Wiederwahl des Abgeordneten Kuschel in den Thüringer Landtag ist von besonderem Gewicht. Es ist davon auszugehen, dass die Wählerinnen und Wähler den Abgeordneten Kuschel in Kenntnis seiner früheren IM-Tätigkeit und der vom Parlamentsüberprüfungsgremium des 4. Thüringer Landtags festgestellten Parlamentsunwürdigkeit über die Landesliste der Partei DIE LINKE erneut in den Thüringer Landtag gewählt haben.

Sowohl das Bundesverfassungsgericht als auch das Thüringer Verfassungsgericht haben wiederholt ein parlamentarisches Verfahren zur Überprüfung von Abgeordneten auf die Stasibelastung als verfassungsrechtlich zulässig angesehen. So auch in dem jüngsten Urteil des Thüringer Verfassungsgerichtshofs zu diesem Thema am 1. Juli 2009. Entgegen der deutlichen Mehrheitsmeinung des Verfassungsgerichtshofs wurde mittels Sondervotum in Zweifel gezogen, dass das Parlament die Befugnisse zur Entscheidung darüber habe, ob ein Abgeordneter es „verdiene, das Volk zu vertreten“. Hierüber habe allein der Wähler zu befinden. Die Mehrheitsmeinung des Verfassungsgerichtshofs hat allerdings der Tatsache Rechnung getragen, dass das Überprüfungsverfahren nach dem Gesetz zur Überprüfung von Abgeordneten gerade nicht den Bestand des Mandats und damit die Wählerentschei

(Präsidentin Diezel)

dung infrage stellt. Es dient der Aufarbeitung von Geschehnissen durch das Parlament im Interesse seiner Repräsentationsfähigkeit. Die Mehrheit der stimmberechtigten Mitglieder des erweiterten Gremiums hat sich dafür ausgesprochen, dass die Wiederwahl zum Volksvertreter entlastenden Charakter bei der Beurteilung der Parlamentsunwürdigkeit hat.

In der anschließenden Gesamtwürdigung aller Gesichtspunkte sind zwei Drittel der stimmberechtigten Mitglieder des erweiterten Gremiums in der ersten Sitzung zu folgendem vorläufigen Ergebnis gekommen: Nach jetzigem Kenntnisstand und vorbehaltlich der weiteren Beratung und Anhörung bejaht eine Mehrheit von zwei Dritteln des erweiterten Gremiums nach § 4 Thüringer Abgeordnetenüberprüfungsgesetz, dass der Abgeordnete Kuschel wissentlich als inoffizieller Mitarbeiter mit dem AfNS/MfS zusammengearbeitet hat und deshalb unwürdig ist, dem Landtag anzugehören. Auch in der zweiten, dritten und vierten Sitzung des erweiterten Gremiums kamen jeweils zwei Drittel des erweiterten Gremiums zu dem Ergebnis, dass der Abgeordnete Kuschel wissentlich als inoffizieller Mitarbeiter mit dem MfS und AfNS zusammengearbeitet hat und deshalb unwürdig ist, dem Parlament anzugehören. Soweit der Bericht.

Vielen Dank. Es folgt nun nach § 7 Abs. 1 Satz 2 des Thüringer Gesetzes zur Überprüfung von Abgeordneten die Erklärung des Abgeordneten Kuschel. Bitte, Herr Abgeordneter Kuschel.

Frau Präsidentin, meine sehr geehrten Damen und Herren, liebe Gäste, Bürgerinnen und Bürger, nach 2006 hat mich die Überprüfungskommission zum zweiten Mal in einem sogenannten Einzelüberprüfungsverfahren als parlamentsunwürdig eingestuft. Dieses Überprüfungsverfahren hat von allen Beteiligten unbestritten eine politische Dimension, juristische Fragen sind im Verfahren eher vernachlässigungswürdig. In der Diskussion um die Zusammenarbeit und das Verhältnis zum Ministerium für Staatssicherheit gilt es zwischen der politischen und persönlichen Verantwortung zu differenzieren. Zur politischen Verantwortung hat sich meine Partei seit 1990 mehrfach geäußert und sich zu den Verfehlungen und Verwerfungen in der DDR bekannt. Dieser Verantwortung schließe ich mich an. Zu meiner persönlichen Verantwortung habe ich mich seit 1990 ebenfalls vielfach in der Öffentlichkeit geäußert. Beispielhaft verweise ich auch auf meine persönliche Erklärung im Thüringer Landtag im Zusammenhang mit dem ersten Überprüfungsverfahren am 13.07.2006. Da es im Vergleich zu 2006 keine neuen Erkenntnisse zu meiner Zusammenar

beit mit dem MfS gibt, ist meine persönliche Erklärung vom Juli 2006 hier im Thüringer Landtag weiterhin aktuell.

Da jedoch diesem 5. Landtag neue Abgeordnete angehören, die 2006 noch nicht Mitglied des Landtags waren, möchte ich an dieser Stelle noch einmal kurz die Grundaussagen meiner persönlichen Erklärung vom 13. Juli 2006 zitieren.

1. Die Zusammenarbeit mit dem MfS war ein persönlicher politischer Fehler, resultierend aus meinem unkritischen Vertrauen in das Sicherheitskonzept der SED und der DDR.

2. Der Umgang mit den sogenannten Ausreisewilligen stand im Widerspruch zum eigenen sozialistischen Gesellschaftsanspruch, insbesondere die Kriminalisierung der Antragsteller war ein klarer Verstoß gegen internationale, selbst nationale anerkannte Regelungen. Ich hatte damals nicht den Mut, dagegen offen vorzugehen, sondern habe vielmehr die Versetzung in eine andere Stadt vorgezogen. Auch dies ist als persönlicher politischer Fehler zu bewerten.