Protocol of the Session on February 24, 2012

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Auch stellt sich die Frage, inwiefern werden für von Behinderungen betroffene Flüchtlinge medizinische Fördermaßnahmen oder sonstige Leistungen, die natürlich auch auf die Zukunft gerichtet sind, geleistet, um beispielsweise künftige Schmerzen, Erkrankungen und Verschlechterungen zu verhindern, die gegebenenfalls dann auch wieder kostenintensiver werden. Ich könnte es auch ein bisschen zynisch so formulieren, Herr Geibert: Muss man also vier Jahre warten, bis man „richtig krank“ wird, weil dann der Anspruch wieder besteht bei den Asylbewerberinnen? Dass sich Krankheit so nicht planen lässt, auch nicht vorhersehen lässt, dass sich Schmerzen so nicht planen lassen, müsste eigentlich jede und jeder wissen. Es zeigt sich also schon an diesen wenigen Einzelbeispielen sehr deutlich, mit welchen Einschränkungen Flüchtlinge tagtäglich konfrontiert sind. So ist beispielsweise auch bei der Ausstattung mit sogenannten Gebrauchsgütern ein Problem festzustellen, weil sie z.B. auch ganz einfach keine Fieberthermometer oder ähnliche Ausstattungsgegenstände überhaupt erhalten.

Jetzt noch einmal zum Zahnersatz: Frau Holbe ist nicht da, aber ich hoffe, sie hört es irgendwo dennoch. Sie hatte ja ausgeführt, dass dankenswerterweise - ich möchte mich dem Dank anschließen Herr Dr. Hartung hier unhaltbare Zustände aufgedeckt hatte, dass allerdings sich alles geklärt hätte und unterm Strich gar nicht problematisch wäre. Wir sehen das dezidiert anders, ich weiß, dass das auch Dr. Hartung eigentlich anders sieht.

(Beifall DIE LINKE, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN)

Frau Holbe hat das so ausgeführt. Herr Hartung jedoch hat es auf den Punkt gebracht. Es handelt sich um Körperverletzung, wenn Zähne gezogen werden und nicht behandelt werden. Das als Bagatelle abzutun oder auf Einzelfälle zu reduzieren, finden wir hochproblematisch. Da kann ich mich Sabine Berninger nur anschließen. Hier würden wir uns nicht nur eine Klage, die sicher gut und richtig ist, Herr Dr. Hartung, von Ihnen persönlich wünschen, sondern auch ein parlamentarisches Vorgehen der Fraktion der SPD, um diese Zustände nicht länger so wirken zu lassen, denn diese sind menschenverachtend und diese schmerzen im wahrsten Sinne des Wortes.

(Beifall DIE LINKE, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN)

Wir meinen, es muss in allererster Linie immer um die Gesundheit und Gesundheitserhaltung aller Menschen, aller Patienten gehen und es muss selbstverständlich auch für Asylsuchende und auch für Menschen ohne festen Status gelten.

Jetzt zur psychosozialen Gesundheitsversorgung von Flüchtlingen: Hier ist ja vorhin von Frau Holbe und Minister Geibert die Situation so beschrieben

worden, als ob wir paradiesische Zustände hätten und als ob diese überall gewährleistet wären. Das ist mitnichten der Fall. Zum einen - hier muss ich noch auf eine andere Regelung zu sprechen kommen - gilt auch in Thüringen nach wie vor die Residenzpflicht, auch wenn sie anderweitig begrenzt wurde. Es gibt einen Verein „Refugio e.V.“, der sich mit traumatisierten Flüchtlingen beschäftigt und hier tatsächlich fundierte fachliche Unterstützung und Beratung anbietet. Dort muss man aber erst einmal hinkommen. Wenn man sich anschaut, dass Schätzungen der Bundesarbeitsgemeinschaft psychosozialer Zentren für Flüchtlinge und Folgeropfer zufolge etwa 30 Prozent der Flüchtlinge, die zu uns kommen, an den Folgen von Traumatisierungen durch Folter, Gewalterfahrung etc. leiden, wissen wir, dass es einen sehr großen Bedarf an Beratung, an psychosozialer Betreuung gibt. Das zeigt auch, dass diese Menschen, die Folter und andere Formen schwerer psychischer und physischer Gewalt erlitten haben, Kinder, Behinderte, ältere Menschen, Schwangere, Alleinerziehende eines besonderen Schutzes bedürfen. Studien belegen zudem, dass viele Flüchtlinge, die in Deutschland Schutz suchen, aufgrund ihrer traumatischen Erlebnisse erkrankt sind. Das heißt, es sind Erkrankungen gefolgt aufgrund dessen, was sie durchgemacht haben auf dem Weg hierher. Sie leiden z.B. an chronischen Schmerzzuständen, an unkontrollierbaren Erinnerungen, an Schlafstörungen mit Albträumen, an psychosomatischen Beschwerden, an Konzentrations- und Gedächtnisstörungen und auch an schweren Depressionen. Damit sie mit den Folgen ihrer traumatisierenden Erlebnisse leben lernen, ist eine intensive und auch oft langfristige medizinische und psychotherapeutische Behandlung dringend notwendig.

Die Vereinigung der internationalen Ärzte für die Verhütung des Atomkrieges IPPNW eben wie die Bundesarbeitsgemeinschaft psychosozialer Zentren für Flüchtlinge und Folteropfer fordern, sicherzustellen, dass körperliche und seelische Erkrankungen von Flüchtlingen möglichst frühzeitig erkannt werden und traumatisierte Flüchtlinge gesicherten und barrierefreien Zugang zu qualifizierter Behandlung und eine interdisziplinäre Beratung und Begleitung erhalten müssen. Dieser Forderung können wir uns nur anschließen. Ich hoffe, dass wir das auch noch einmal umfänglicher im Ausschuss diskutieren können.

Unbestreitbar erschweren zusätzlich Sprachbarrieren den Zugang zu qualifizierter psychiatrischer oder psychotherapeutischer Behandlung. Ein Behandlungszentrum für traumatisierte Menschen gibt es leider in Thüringen nicht. Wir fordern daher, dass von Thüringen aus der Zugang zu derartigen Einrichtungen in anderen Bundesländern sichergestellt wird.

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Lassen Sie mich noch einen Punkt ansprechen, der mit dem Einstieg meiner Rede zu tun hat. Die Bundesarbeitsgemeinschaft Freie Wohlfahrtspflege, der sowohl die Caritas, die Diakonie und viele andere Wohlfahrtsverbände angehören, hat 2009 ein umfängliches Positionspapier veröffentlicht, mit dem sie den Anspruch für alle Menschen auf medizinische Grundversorgung fordern. Da schließen sie ausdrücklich Menschen, die in der Illegalität leben, mit ein. Wir meinen, von Thüringen aus sollte es ein Signal geben, dass selbstverständlich auch wir allen Menschen den Zugang zur medizinischen Versorgung gewährleisten, denn die Menschenwürde ist im wahrsten Sinne des Wortes unteilbar und sie muss für alle gelten, kein Mensch ist illegal. Wir hoffen, dass Sie unserer Ausschussüberweisung beider Anträge zustimmen und wir dann im besten Fall sogar zu einem gemeinsamen Antrag, wegen mir, aller Fraktionen kommen können und diesen dann im nächsten Plenum behandeln können. Vielen herzlichen Dank.

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Danke schön. Für die Fraktion der SPD hat das Wort Abgeordneter Dr. Thomas Hartung.

Frau Präsidentin, sehr geehrte Damen und Herren, ich gebe zu, es war jetzt eine Zeit lang für mich schwierig, ruhig zu bleiben, aber es geht jetzt wieder. Menschenwürdige Behandlung von Flüchtlingen sichern, ich glaube, das ist in diesem Hause jedem wichtig, auch vielleicht denen, die die Situation ein bisschen durch die rosarote Brille sehen wollen. Trotzdem denke ich, die nehmen das auch ernst.

(Beifall CDU)

Danke, dass Sie klatschen, ich meine Frau Holbe. Auch das sei vorausgeschickt, ich persönlich halte das Asylbewerberleistungsgesetz in seiner jetzigen Fassung für absolut untragbar.

(Beifall SPD)

Es ist weder zeitgemäß noch entspricht es einem humanen, weltoffenen oder christlichen Umgang mit unseren Mitmenschen. Ein Beispiel dafür ist die Verweigerung einer Krankenversicherung für alle Asylbewerber, die die Ärzte und Asylbewerber aus der Situation herausbringen würden, dass sie bei jedem einzelnen medizinischen Fall zum Bittsteller bei irgendwelchen Behörden würden und eventuell Willkür ausgesetzt wären.

Beim Lesen des Antrags der LINKEN muss ich allerdings sagen, zeigt sich eine eklatante Unkenntnis des geltenden Rechts und der Gesetze. Denn dort wird zitiert, dass die Asylbewerber eine Be

handlung nach dem heutigen Stand der medizinische Kunst und Technik nicht bekommen.

Meine sehr geehrten Damen und Herren von der LINKEN, das, was Sie da zitieren, ist ein Terminus technicus und jeder Jurastudent im zweiten Semester hätte Ihnen sofort gesagt, das ist eine Körperverletzung, was Sie da beschreiben. Das heißt, es ist strafbar. Meine Damen und Herren, das ist hier ist Deutschland, kein Nichtmediziner in irgendeiner Behörde kann einem Arzt vorschreiben, wie er seine Patienten zu behandeln hat. Das ist ausgeschlossen.

(Beifall SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Jeder medizinische Eingriff, jede Medikamentenbehandlung, jede Untersuchung ist eine vorsätzliche Körperverletzung, die nur dann nicht bestraft wird, wenn sie bestimmte Voraussetzungen erfüllt. Das heißt, erstens muss der Eingriff notwendig sein, zweitens muss eine aufgeklärte Einwilligung vorliegen, das heißt, in einer für den Menschen verständliche Sprache muss ihm erklärt werden, was wird jetzt gemacht, warum wird es gemacht, was sind die Alternativen, was passiert, wenn ich es nicht machen lassen. Das muss dann dokumentiert werden. Ob das in jedem Einzelfall gemacht worden ist, Herr Innenminister, wage ich ernstlich zu bezweifeln. Dann sind wir schon in der Grauzone. Das haben Sie ja vorhin auch gesagt. Da sind wir in einer deutlichen Grauzone. Das Dritte ist, jeder Eingriff muss nach den geltenden Regeln der medizinischen Kunst und Technik ausgeführt werden, Schluss, aus. Dafür ist der Arzt selber verantwortlich und er ist dafür haftbar. Deswegen kann ihm das auch kein Verwaltungsangestellter abnehmen. Das heißt, das Problem, Frau Berninger, ist eben nicht die Ausführungsbestimmung. Da kann drinstehen was will, der Arzt hat seinen Patienten so zu behandeln, wie es dem geltenden Recht und Gesetz entspricht.

(Beifall CDU, SPD)

Und, Frau Rothe-Beinlich, in dem Fall, den Sie geschildert haben, mit dem Knoten in der Brust, da gibt es kein Ermessen. Der Arzt ist gesetzlich verpflichtet,

(Beifall CDU, SPD)

das abzuklären und zu behandeln. Das ist nicht im Ermessen des Arztes, das ist nicht durch eine Ausführungsverordnung oder das Asylbewerberleistungsgesetz einzuschränken. Das ist nicht möglich. Das ist der Punkt.

Meine Damen und Herren, wir brauchen keine Rechtsverordnung, die da lautet: Liebe Zahnärzte, liebe Ärzte, haltet euch an geltendes Recht. Die brauchen wir nicht, denn das Gesetz gilt.

(Abg. Rothe-Beinlich)

Herr Abgeordneter Dr. Hartung, gestatten Sie eine Anfrage der Abgeordneten Rothe-Beinlich?

Sehr geehrter Herr Dr. Hartung, ich bin Ihnen ja sehr dankbar für diese Klarstellung über die Verantwortung des Arztes, aber ist es dann nicht geradezu kontraproduktiv, dass die Betroffenen, bevor sie zum Arzt gehen, erst einen Krankenschein von einem Amt benötigen, um dort hingehen zu können? Das heißt, sie kommen ja gar nicht bis dahin, wenn sie den Krankenschein vom Amt nicht bekommen, welches

(Beifall DIE LINKE, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN)

dem Betroffenen gegebenenfalls das nicht zugesteht. Müsste man nicht genau das abschaffen?

Frau Rothe-Beinlich, wenn Sie mir zugehört hätten, hätten Sie gehört, dass das Recht und Gesetz für alle Menschen in Deutschland gilt. Das heißt, wenn ich eine Erkrankung habe und suche einen Arzt auf, hat der mich zu behandeln. Punkt.

(Beifall CDU, SPD)

(Zwischenruf Abg. Bärwolff, DIE LINKE: Sie wenden das nicht auf die Ärzte an, das ist das Problem.)

Das liegt bei den Ärzten, dort liegt das Problem. Die Ärzte sind haftbar und verantwortlich dafür, was sie tun, und niemand anderes.

(Beifall CDU, SPD)

Ich möchte dabei den Bundesbeauftragten für Datenschutz mal kurz zitieren, der sagt: Vollzugsdefizite können nicht durch neue Gesetze behoben werden. Wir haben eine Rechtslage, die eindeutig festlegt, was zu passieren hat, wenn ein kranker Mensch zu einem Arzt kommt, und das ist unabhängig der Nationalität oder des rechtlichen Status. Der Arzt muss ihn nach bestem Wissen und Gewissen nach dem Stand der Technik behandeln und wir haben in unserem Land auch Regeln, die besagen, was passiert, wenn Menschen Rechnungen nicht bezahlen, zum Beispiel auch Behörden. Da gibt es ein Mahn- und Klageverfahren und wir reden hier ja nicht um Hunderte von Euro, wir wollen ja die Asylbewerber den Versicherten gleichstellen, das heißt, für den Hausarzt pro Quartal 25 €. Wollen Sie mir erzählen, dass 25 € eine Praxis zum Zu

sammenbrechen bringt, wenn sie im Quartal nicht gezahlt werden?

(Beifall CDU)

25 € und da kommt ein Arzt und sagt, da kann ich den Asylbewerber eben nicht behandeln, wenn ich die nicht bekomme. Hallo, wo leben wir denn?

(Beifall CDU, SPD)

Da ist doch nicht die Behörde schuld; die Verantwortung liegt doch beim Arzt.

(Zwischenruf Abg. Hauboldt, DIE LINKE: Selbst wegen 10 € Praxisgebühr haben sie es verweigert.)

Auch das ist nicht rechtens.

(Zwischenruf Abg. Hauboldt, DIE LINKE: Aber das gibt es.)

Das mag sein und da gibt es eben Recht und Gesetz. Das Parteibuch ist bei diesen Sachen, das ist ja verschiedentlich angesprochen worden, hier sitzen die Guten, da sitzen die Bösen, offensichtlich nicht entscheidend. Es ist tatsächlich so, dass in Weimar ein CDU-Dezernent eine ordentliche Behandlung für Asylbewerber durchgesetzt hat. Da bekommen die Kinder die Vorsorgeuntersuchung, da bekommen die Leute mit Zahnschmerzen eine ordentliche Behandlung