Protocol of the Session on December 16, 2011

Die kosovarische Regierung ist sowohl auf zentraler als auch lokaler Ebene darum bemüht, die Reintegration von Rückkehrern zu verbessern. Daneben gibt es verschiedene Rückkehrprojekte, die sich auch an ethnische Minderheiten - Roma, Ashkali, Ägypter - wenden. So steht allen Rückkehrern aus Deutschland etwa eine soziale und psychologische Erstbetreuung zur Verfügung. Die medizinische Grundversorgung der Bevölkerung ist mittlerweile gewährleistet und die Schulpflicht für Kinder eingeführt. Der Zugang zur Bildung ist für alle Volksgruppen möglich und durch Aufklärungskampagnen versucht die kosovarische Regierung die Eltern zu motivieren, ihre Kinder zur Schule zu schicken. Nach einer Untersuchung der Kosovo Foundation for

(Minister Geibert)

Open Society aus dem Jahr 2009 besuchen 82,1 Prozent der Kinder der ethnischen Minderheiten regelmäßig eine Schule. Viele Aktivitäten der im Kosovo tätigen Regierungs- und Nichtregierungsorganisationen zielen darauf ab, Möglichkeiten für die Betroffenen für einen Einstieg in den Arbeitsmarkt zu schaffen, um so eine wirtschaftliche Unabhängigkeit zu erreichen. Zudem gibt es Nichtregierungsorganisationen, die die Rückkehrer in Rechtsangelegenheiten, unter anderem im sozialen Bereich, in Zivilsachen, aber auch bei Eigentumsrechten, unterstützen. Ebenso erachte ich es für vertretbar, aus dem Kosovo stammende Menschen nach Serbien zurückzuführen, sofern diese auch die serbische Staatsangehörigkeit besitzen. Sobald die Rückkehrer ihrer Meldepflicht bei den serbischen Behörden nachkommen, haben auch sie die Möglichkeit, staatliche Unterstützung zu erhalten.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, die Landesregierung sieht gegenwärtig keine Veranlassung, von der bisherigen Rückführungspraxis abzuweichen und einen grundsätzlichen Abschiebestopp in den Kosovo sowie nach Montenegro, Albanien und Serbien bis mindestens Ende April 2012 zu erlassen. Ich kann Ihnen jedoch ankündigen, dass es in diesem Jahr keine Abschiebungen in den Kosovo mehr geben wird. Ebenso wenig wird die Einsetzung einer landeseigenen Kommission, die im Kosovo die Lebensbedingungen von zurückgeführten Menschen untersucht, für notwendig erachtet. Für eine Einschätzung stehen ausreichend Informationen der Behörden des Bundes zur Verfügung.

Herr Minister Geibert, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Abgeordneten Kanis?

Aber gern.

Herr Minister, könnten Sie sich vorstellen, dass es auch keine Abschiebungen in den Kosovo geben kann, bis der Innenausschuss infolge unserer hoffentlich erfolgreichen Abstimmung berät?

Leider nein, weil ich nicht absehen kann, wann der Innenausschuss abschließend berät. Die Landesregierung hält es zudem für nicht geboten …

Herr Minister, gestatten Sie noch eine weitere Frage der Abgeordneten Kanis?

Aber immer doch.

Meine Frage bezog sich nicht auf eine abschließende Behandlung, sondern auf die Behandlung im Innenausschuss im Januar, denke ich.

Ich denke, da wird dem Anliegen der Antragsteller nicht Rechnung getragen. Die 1. Sitzung des Innenausschusses im Januar ist nach meiner Kenntnis für den 10. Januar terminiert und das Anliegen der Antragsteller geht doch deutlich darüber hinaus.

Die Landesregierung hält es zudem für nicht geboten, sich für einen auch im Hinblick auf den Personenkreis undifferenzierten generellen Abschiebestopp in den Kosovo und von aus dem Kosovo stammenden Menschen nach Serbien einzusetzen. Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall CDU)

Vielen Dank, Herr Minister Geibert. Es liegt jetzt eine weitere Wortmeldung aus den Reihen der Abgeordneten vor, Frau Sabine Berninger für die Fraktion DIE LINKE.

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Sehr geehrte Frau Holbe, Sie haben gesagt, die Sicherheitslage hätte sich normalisiert. Nun sehe ich sie gar nicht, die Frau Holbe. Vielleicht liest sie es dann nach. Da muss ich einfach reagieren. Ich habe vorhin einige der Studien erwähnt, in denen über die Situation im Kosovo geschrieben wird, und ich möchte den Abschnitt zum Thema Sicherheit aus dem Bericht des Zentralrats Deutscher Sinti und Roma zitieren, Frau Präsidentin: „Die Sicherheitslage stellte sich auch im Jahr 2010“, und daran hat sich bis heute nichts geändert, „als problematisch dar. Bei den Gesprächen mit abgeschobenen Familien wurde wiederholt über Fälle inter-ethnischer Gewalt berichtet. Diese Fälle seien nicht den lokalen Polizeistellen angezeigt worden aus Angst vor weiteren Vergeltungen. Grundsätzlich besteht ein Misstrauen gegenüber den kosovarischen Behörden, in denen oft Personen arbeiten, die an den Vertreibungen der Roma beteiligt waren. Außerhalb der ethnisch homogenen Siedlungen und Nachbarschaften fühlen sich Roma oft bedroht und grundsätzlich unsicher. Ältere Menschen wollen nicht in größere Städte fahren, um sich beispielsweise ärztlich behandeln zu lassen. Grundsätzlich“, schreibt der Zentralrat Deutscher Sinti und Roma, „muss bedacht werden, dass die Minderheit Roma nach wie

(Minister Geibert)

vor vonseiten der Kosovo-Albaner dem Generalverdacht der Kollaboration mit den Serben ausgesetzt ist und es daher immer wieder zu gewaltsamen Ausschreitungen kommen kann. Die Gefahr dieser Ausschreitungen wird umso größer, je mehr Roma nach Kosovo abgeschoben werden und wenn diese Gruppe im Vergleich zur einheimischen Bevölkerung durch Rückkehrprojekte scheinbar noch privilegiert werden, indem diese Projekte die im Land lebenden Menschen ausschließen.“

In den UNHCR-Richtlinien zur Feststellung des internationalen Schutzbedarfs von Personen aus dem Kosovo ist zu lesen, ich zitiere unter dem Titel „Interner Schutz“: „Kosovo-Roma können im gesamten Gebiet des Kosovo Androhungen physischer Gewalt und sonstigen Menschenrechtsverletzungen aufgrund ihrer äußeren Merkmale und Ethnie ausgesetzt sein. Viele von ihnen haben keine Identitätsdokumente. Sie sind den vorherrschenden gesellschaftlichen Diskriminierungen ausgesetzt. Auch nach der einseitigen Unabhängigkeitserklärung bleiben Gewaltausbrüche und Misshandlungen gegenüber Angehörigen von Minderheitengemeinschaften und ihrem Eigentum ein schwerwiegendes Problem“, schreibt der UNHCR.

Frau Kanis, auch auf einige Ihrer Ausführungen muss ich reagieren. Sie haben in Ihrer Rede denselben, ich will es einmal ein bisschen salopp nennen, Tanz aufgeführt wie im Juli 2006. Sie haben erst die schlechten Bedingungen aufgezählt und dann am Ende aber so getan als hätte Thüringen keine rechtliche Möglichkeit. Dass es eine Möglichkeit gibt, das hat sehr schön der Zwischenruf von Herrn Adams vorhin deutlich gemacht. Wir müssen hier nur anfangen.

(Beifall DIE LINKE, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN)

Ihnen liegt ein Antrag vor, der rechtlich in Ordnung ist. Sie können es entscheiden. Sie haben gesagt, Thüringen dürfe den vorgegebenen Rechtsrahmen nicht verlassen. Beantworten Sie mir doch bitte die Frage, hat Baden-Württemberg den vorliegenden Rechtsrahmen verlassen, hat die SPD-Fraktion in Nordrhein-Westfalen, die einen Wintererlass auf den Weg gebracht hat, den Rechtsrahmen verlassen? Für all diese Bundesländer gilt genau wie für Thüringen das Bundesausländerrecht und dort gibt es keine Probleme, schon gar nicht was den Rechtsrahmen angeht.

Herr Innenminister, dass eine landeseigene Kommission nötig ist, wie wir sie in Punkt II unseres Antrags fordern, beweist, dass Sie einfach den Studien, die wir Ihnen hier jedes Mal auf das Neue wieder vorlegen, nicht nur Sie allein auch die regierungstragenden, die CDU-Fraktion in dem Fall nur, dass Sie die einfach nicht ernst nehmen und denen nicht glauben.

(Beifall DIE LINKE)

Deswegen meinen wir, es wäre gut, wenn ein paar Thüringer, denen Sie ihr Vertrauen schenken, dorthin fahren und sich ansehen, wie die Bedingungen sind. Es ist nämlich nicht so, dass die medizinische Versorgung gesichert ist für alle, die dorthin zurückgeschoben werden. Um nämlich medizinische Versorgung erlangen zu können, braucht man Geld. Dort müssen die Zurückgeschobenen das nämlich bezahlen. Voraussetzung dafür, dass man aber beispielsweise Sozialleistungen oder Arbeitsplatzangebote bekommt, ist, dass man sich registrieren kann. Viele Behörden erkennen aber die Dokumente, die die Menschen von hier mitbringen, gar nicht an und eine Registrierung ist gar nicht möglich. Dass eine Schulpflicht eingeführt wurde, mag ja schön und gut sein, sie nützt aber solange nichts, solange die kosovarischen Schulen auf Rückkehrkinder nicht vorbereitet sind, die hier in Deutschland aufgewachsen sind, die deutsche Sprache sprechen und sich dort neben der Angst vor Diskriminierung, die sie auch in der Schule verspüren, einfach aufgrund von Sprachbarrieren nicht integrieren können.

Ich kann einfach nur an Sie alle noch einmal appellieren und da habe ich heute Post bekommen von Ihnen, Herr Innenminister, Sie haben mir nämlich eine besinnliche Weihnachtszeit gewünscht. Da will ich Ihnen einmal vorlesen, mit welchem Spruch von Charles Dickens - ich weiß nicht, ob Sie den selbst ausgesucht haben oder nicht, Sie mir die Weihnachtszeit versüßen wollen -, ich zitiere: „Ich werde Weihnachten in meinem Herzen ehren und versuchen, es das ganze Jahr hindurch aufzuheben.“ Wir wollen es nur bis April, heben Sie Weihnachten in Ihrem Herzen bis April auf.

(Beifall DIE LINKE, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN)

Gewähren Sie den Flüchtlingen einen Winterabschiebeschutz und dann können wir ja noch einmal darüber reden.

(Beifall DIE LINKE)

Vielen herzlichen Dank, Frau Abgeordnete Berninger. Es hat sich jetzt noch einmal zu Wort gemeldet der Herr Innenminister Geibert.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Frau Berninger, ich hoffe trotzdem, dass wir gemeinsam das ganze Jahr über Weihnachten im Herzen tragen.

(Zwischenruf Abg. Berninger, DIE LINKE: Das hoffe ich auch.)

(Abg. Berninger)

Ihre Aussage zu der Frage, trauen einer Kommission, die den Kosovo besucht, veranlassen mich einfach dazu, noch zwei Worte dazu zu verlieren. Ich hätte das, was ich vorgetragen habe, nicht mit dieser Überzeugung vorgetragen, wenn ich mich nicht selbst im Kosovo vor Ort von den Zuständen hätte überzeugen können. Ich bin in diesem Sommer auf Einladung der Bundesregierung im Kosovo gewesen. Ich hatte Gelegenheit, mehrere Tage mit dem zu diesem Zeitpunkt kommandierenden NATO-General Bühler im Land unterwegs zu sein, alle schwierigen Gebiete dieses Landes mir anzuschauen zu können. Ich hatte die Gelegenheit mit dem Ministerpräsidenten ein Sechs-Augen-Gespräch zu führen. Ich habe mit zwei weiteren Regierungsmitgliedern sprechen können und mit einem Parteiführer einer in der Regierung nicht vertretenen Partei. All diesen Gesprächen ist, denke ich, die zuverlässige Überzeugung durchaus begründet, dass der Kosovo sich in den Maßen, in denen sich ein Staat bemühen kann - die Verhältnisse gibt es dort an vielen Stellen, nicht nur da, wo Rückgekehrte hinkehren -, die Menschen, die dort ankommen, in einem Zustand aufzunehmen, der durchaus dieses Bemühen zum Ausdruck bringt und als menschenrechtsachtend bezeichnet werden kann.

Herr Innenminister, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Kuschel?

Aber gern.

Danke, Frau Präsidentin. Herr Innenminister, danke für die Information. Sie haben jetzt dargestellt, dass Sie mit staatlichen Institutionen im Kosovo gesprochen haben. Haben Sie auch mit nichtstaatlichen Organisationen, Menschenrechtsorganisationen und Flüchtlingsorganisationen vor Ort Gespräche zur Situation im Kosovo geführt?

Ich habe mit allen möglichen Menschen vor Ort Gespräche geführt, die sich dort engagieren, bis hin zu Studenten. Ich habe mit den dort eingesetzten Eulex-Beamten gesprochen, im Übrigen 80 Deutsche und mehrere Hundert aus Europa, die für die Sicherheit Sorge tragen. Ich denke, mir damit ein halbwegs abgeschlossenes Bild, wie man das in so einer kurzen Zeit machen kann, gemacht zu haben. Ich glaube nicht, dass die Information, die man mit einer Kommission dort erreichen würde, besser wäre als die Informationen, die der Bund über seine Möglichkeiten, aber auch die Möglichkeiten interna

tionaler Organisationen, die in den Auskunftsbericht des Auswärtigen Amtes einfließen, haben kann.

Herr Innenminister, gestatten Sie nun noch eine Zwischenfrage des Abgeordneten Weber?

Gern.

Herr Innenminister, ich möchte an die Frage von Frau Kollegin Kanis anschließen und fragen, ob Sie davon ausgehen, dass zwischen dem 31.12. dieses Jahres und der Ausschussbefassung am 20. Januar, also in diesem Zeitraum Abschiebungen stattfinden werden?

Das entzieht sich meiner Kenntnis, weil ich das auch nicht abgefragt habe.

Vielen Dank, Herr Innenminister. Es gibt keine weiteren Wortmeldungen aus den Reihen der Abgeordneten. Es wurde aber Ausschussüberweisung aus den Reihen von CDU und SPD beantragt. Ich nehme an, an den Innenausschuss? Dann stimmen wir jetzt zunächst über die beantragte Überweisung an den Innenausschuss ab. Wer der Überweisung der Drucksache 5/3611 an den Innenausschuss zustimmen möchte, den bitte ich jetzt um das Handzeichen. Das sind die Stimmen von FDP, CDU und SPD. Wer stimmt dagegen? Das sind die Stimmen der Fraktionen DIE LINKE und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN. Gibt es Enthaltungen? Es gibt 1 Enthaltung. Damit ist die Ausschussüberweisung so beschlossen und ich schließe diesen Tagesordnungspunkt.

Es gibt einen Geschäftsordnungsantrag, nein, eine persönliche Erklärung der Abgeordneten Sabine Berninger.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, ich möchte eine persönliche Erklärung abgeben. Meine Fraktion und die GRÜNEN, glaube ich auch, haben gegen die Ausschussüberweisung gestimmt und ich möchte erklären, weswegen.

(Zwischenrufe aus der CDU-Fraktion: Per- sönlich!)

Wer nämlich meint, mit dieser Ausschussüberweisung sein Gewissen beruhigen zu können, der irrt,

(Minister Geibert)

meine Damen und Herren, insbesondere in der SPD-Fraktion.

(Beifall DIE LINKE, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN)