Protocol of the Session on November 17, 2011

(Beifall DIE LINKE)

und nicht unter ernst zu nehmender Argumentation.

(Zwischenruf Abg. Keller, DIE LINKE: Spä- ter.)

Werte Kollegen, es ist sicher unstrittig unter uns allen, dass wir ständig in dem Spannungsfeld leben, dass wir politisch aktiv sind, weil wir bestimmte Wertvorstellungen haben, die bei dem einen oder anderen in ein mehr oder weniger geschlossenes ideologisches Weltbild führen. Aber unsere eigentliche Herausforderung als Politikerinnen und Politiker besteht, glaube ich, darin, unsere Werte und Zielvorstellungen immer mit den Realitäten in ein vernünftiges Verhältnis zu bringen, und zwar so, dass der Ertrag, der Nutzen für die Menschen, für die wir ja das alles tun, groß ist. Wenn man nicht ganz ideologisch an die Dinge herangeht, erkennt man, dass zu Beginn des 21. Jahrhunderts sehr vieles im Argen liegt, insbesondere vieles von dem, was nach dem Zweiten Weltkrieg im wirtschaftlichen und gesellschaftlichen System als Lehre aus dem Weltkrieg institutionell entworfen wurde, was über mehrere Jahrzehnte funktioniert hat und was bei den Konservativen unter diesem Leitbild der sozialen Marktwirtschaft als Idealbild von Wirtschaft und Gesellschaft proklamiert wurde.

Wer nicht völlig blind durch das Land läuft, erkennt, dass zentrale Fragen, die ihre Antwort in den 60er-, den 70er- und in den 80er-Jahren noch gefunden wurden, heute einer neuen Antwort bedürfen.

(Beifall DIE LINKE)

Vieles von dem, was damals galt, ist aus den Fugen geraten und mit dem Anspruch, den Sie, Frau Lehmann, formuliert haben unter dem Begriff sozialer Marktwirtschaft nichts mehr zu tun haben.

(Beifall DIE LINKE)

Frau Lehmann, wir reden deshalb nicht über Steuersätze am Anfang der Debatte, sondern wir reden über diese Grundfragen. Nehmen Sie mir es nicht übel, ich glaube, die Tiefe der Legitimationskrise in der wir uns befinden, nach Ausbruch der Finanzund Wirtschaftskrise, die haben Sie noch nicht begriffen.

(Beifall DIE LINKE)

Ich nehme zur Kenntnis, dass sich die CDU schwer damit tut und dass Sie Bundesparteitage veranstalten nach dem Motto, wir können in einzelnen Feldern nicht ständig den Realitäten hinterherlaufen,

(Abg. Dr. Pidde)

wir müssen auch einmal gewisse Anpassungen in unserer Politik machen, aber ich nehme auch zur Kenntnis, dass Sie hier mit Ihrer Rede noch weit hinter den Erfordernissen zurückbleiben, weil Sie keine Antwort darauf versucht haben überhaupt zu finden, wie ein Leitbild sozialer Marktwirtschaft im 21. Jahrhundert unter den Bedingungen globaler Finanzmärkte überhaupt aussehen kann, so dass es den Menschen maximalen Ertrag, maximalen Nutzen bieten kann und auch Sicherheiten.

Meine Damen und Herren, um so ein Leitbild zu formulieren und zu fragen, was kann man tun, gibt es sicherlich viele Stellschrauben in Wirtschaft, in Gesellschaft und in Politik. Wir haben mit unserem Antrag an einer wichtigen Stelle einen Ansatz formuliert und er stellt eben die wirklich wichtige Frage, wie all das, was wir uns vorstellen, über den Staat auf all seinen staatlichen Ebenen, nämlich Bund, Ländern und Kommunen, dauerhaft und solide finanziert werden kann. Also dauerhaft und solide im Regelfall und darüber hinaus finanziert werden kann, um die Fehlentwicklungen aus Jahrzehnten von Deregulierung, staatlicher Überschuldung und Steuerungerechtigkeit zusätzlich zu refinanzieren, nämlich die alten Schulden, die wir angehäuft haben.

(Beifall DIE LINKE)

Und wir als LINKE sind überzeugt, werte Kollegen, dass diese Konsolidierung oder das wird ja unter dem Stichwort „Konsolidierung der öffentlichen Haushalte“ zusammengefasst, dass diese Konsolidierung nur gelingen kann, wenn wir mehr auf der Einnahmeseite tun. Ich will Ihnen auch erklären warum, Frau Lehmann. Wenn trotz gut laufender Konjunktur und trotz Rekordsteuereinnahmen, wie Herr Barth das beschrieben hat, der Entwurf des Bundeshaushalts für das Jahr 2012 immer noch 26 Mrd. € Neuverschuldung ausweist, dann muss man doch fragen, was wollen Sie denn noch für eine Konjunktur haben, um nicht 26 Mrd. € neue Schulden zu machen, sondern um dauerhafte Überschüsse in den öffentlichen Haushalten zu produzieren. Was wollen Sie denn noch veranstalten an Sozialabbau, um diese Überschüsse zu erwirtschaften, wenn Sie trotz Rekordsteuereinnahmen und großem Wirtschaftswachstum 26 Mrd. € neue Schulden machen müssen. Und dann landen Sie doch, wenn Sie sich diese Frage stellen, bei der Einnahmeseite und dann schließt sich doch die zweite Seite schon logisch an, nämlich wenn Sie nicht wollen, gerade weil die FDP immer die Debatte des Bürgers führt, wenn Sie nicht wollen, dass der Bürger die Einnahmen finanziert, wo 50 Prozent der Leute heute keine Steuern zahlen, dann landen Sie natürlich bei der Verteilungsdebatte. Sie müssen bei der Verteilungsdebatte landen und damit bei der Frage, müssen dann nicht stärkere Schultern mehr leisten, als die, die wenig haben oder so wenig haben, dass sie heute schon gar nichts zur

Finanzierung des Gemeinwesens über Steuern beitragen können. Deshalb sind Sie zentral in der Einnahmedebatte, weil das natürlich völlig richtig ist auch was Frau Keller in der Einbringung gesagt hat. Wenn Sie dann noch glauben, Sie können über die Ausgabeseite konsultieren, sind Sie neben den politischen Transaktionskosten der Frage der Umsetzbarkeit unmittelbar bei der ökonomischen Frage, ob das die Binnennachfrage verträgt oder nicht. Wer das deutsche Exportmodell sich ansieht weiß, dass Nachhaltigkeit untrennbar mit der Frage der Binnenkaufkraft verbunden ist und damit von Masseneinkommen, von Arbeitsplätzen und von Steuereinnahmen. Das heißt, auch wenn Sie so denken, landen Sie bei der Einnahmenfrage. Wir haben Ihnen, Frau Lehmann, Herr Dr. Pidde, drei Angebote mit unserem Antrag gemacht, übrigens schon seit Juni bevor das SPD-Steuerkonzept vorlag, war dieser Antrag hier im Haus vorliegend. Wir haben Ihnen drei Angebote gemacht, zum einen über die Finanztransaktionssteuer. Hier brauchen wir sie - und Herr Dr. Pidde, Ihre Begründung war ausgezeichnet -, um stärkere Anreize für Investitionen in die Realwirtschaft zu setzen, wir müssen weg von der Spekulation. Wir haben sehr wohl wahrgenommen, dass es Initiativen für eine europäische Transaktionssteuer gibt, wir haben auch die Widerstände wahrgenommen. Wir haben im Ergebnis dieser Debatte auch den Finanzminister, Herrn Schäuble, und die Bundeskanzlerin vernommen, die gesagt haben, „wenn es europäisch nicht geht, machen wir es in Deutschland allein“. Dem können wir uns nur anschließen. Wir wollen eine europäische Lösung, aber wir finden es auch vernünftig, wenn Deutschland als größte Volkswirtschaft der EU nach vorn geht und sagt, „wenn es mit den anderen nicht geht, machen wir es allein“.

Und allein die Einnahmen, Frau Lehmann, die Sie aus der Steuer beziffert haben - ich glaube, 23 bis 36 Mrd. haben Sie gesagt.

(Zwischenruf Abg. Lehmann, CDU: Ich nicht, ich habe zitiert.)

Ja, Sie haben die Prognose zitiert, aber allein diese Einnahmen im Bundeshaushalt, wenn sie denn so über den Bundeshaushalt funktionieren würde, würde dazu führen, dass Sie im Jahr 2012 im Bund keine neuen Schulden machen müssten, sondern Überschüsse hätten.

(Beifall DIE LINKE)

Schon deshalb: Was kann man gegen das Argument sagen, das auch ein Landesparlament hier zum Ausdruck bringt? Wir wollen so eine Lösung haben.

Zweitens, brauchen wir die stärkere Besteuerung von Vermögen und Erbschaften aus verschiedenen Gründen. Sie können diese Themen von vielen Standpunkten aus betrachten. Sie können feststel

len, dass die Vermögen sogar in der Krise gestiegen sind, dass wir in Deutschland fast 1 Mio. Millionäre haben, dass wir in den kommenden Jahren aufgrund der demographischen Situation fast 200 Mrd. € pro Jahr vererben

(Zwischenruf Abg. Emde, CDU: Gesetzge- bungskompetenz des Bundes.)

genau - und dass wir im Ergebnis dieser Debatten bei Besteuerung von Vermögen und Erbschaften als Deutsche am untersten Level im europäischen Vergleich liegen. Wir befördern nicht nur massive Umverteilung und Konzentration, sondern wir verzichten schlichtweg auf Einnahmen, die dem Modell der sozialen Marktwirtschaft in den 70er-/80er-Jahren noch inhärent war. Damals gehörte das noch ganz legitim dazu.

Weil Sie jetzt, Herr Emde, rufen, was das mit Thüringen zu tun hat: Wir haben in Thüringen eine Anhörung zur Schuldenbremse gehabt. Wir haben dort auch Stellungnahmen gehabt, die gesagt haben, die Ausgabedrosselung ist zu einseitig gedacht. Guckt auf die Einnahmenseite. Gäbe es im Bund eine Vermögenssteuer, sagt beispielsweise der Thüringer Beamtenbund, dann hätte das natürlich - weil es eine Landessteuer ist - Auswirkungen auch auf den Thüringer Landeshaushalt. Oder ver.di sagt: Gäbe es eine Vermögenssteuer im Bund, geschätztes Aufkommen 20 Mrd. € als Ländersteuer, würde das in den Landeshaushalt fließen, 500 Mio. €. Ich möchte einmal wissen, Frau Lehmann, welche Debatten wir uns in diesem Herbst in Thüringen hätten ersparen können, wenn wir eine Vermögenssteuer hätten, die auch im Landeshaushalt wirksam wird. Die Frage kann man für 2011 noch beiseite legen und sagen, na gut, wir kriegen das schon irgendwie hin. Aber mit Blick auf das, was wir bis zum Jahr 2020 zu leisten haben, muss man die Frage politisch anders herum stellen: Können wir es uns überhaupt leisten, auf Forderungen aus Thüringen heraus nach Wiedereinführung der Vermögenssteuer zu verzichten? Denn wir wollen ja unsere Haushalte konsolidieren, auch den Landeshaushalt.

(Beifall DIE LINKE)

Die Antwort lautet eindeutig Nein. Wenn man bedenkt - ich glaube, der Finanzminister wird das gar nicht wesentlich anders sehen - welche Risiken wir im Euroraum und in der Weltwirtschaft haben und welche damit verbundenen Risiken für die Konsolidierung des Landeshaushalts in den nächsten Jahren bestehen, glaube ich, können wir doch gar nicht nur so defensiv sein, wie der Koalitionsvertrag es ist, der richtigerweise einmal eine Haltelinie eingeschoben hat und gesagt hat: Wir stimmen keiner Steuersenkung zu, die zu Mindereinnahmen in Thüringen führt. Aber angesichts der Probleme, die wir haben und angesichts der Risiken im Euroraum und anderswo ist doch die Frage: Ist das noch zeit

gemäß oder muss nicht auch die Koalition sagen, wir setzen uns im Bundesrat viel aktiver als bisher dafür ein, dass es nach oben geht, dass wir auf der Einnahmenseite Stabilität haben. Der Finanzminister hätte alle guten Argumente. Er kann nämlich sagen, liebe Leute im Bund, liebe reiche Bundesländer, wir wollen konsolidieren. Aber wenn die Rahmenbedingungen nicht stimmen, schaffen wir es nicht, weil jeder Sack Reis, der uns irgendwo umfällt, im wirtschaftlichen Raum zu Hunderten Mio. Mindereinnahmen im Thüringer Landeshaushalt führt und damit die Konsolidierung scheitert.

(Beifall DIE LINKE)

Auch das wäre ein Argument des Finanzministers zu sagen, er setzt sich für eine gerechtere Besteuerung in diesem Bereich ein.

Und um das alles zusammenzufassen - die Binnennachfrage hatte ich erwähnt. Die Frage der Gerechtigkeit und der politischen Legitimation, denken Sie bitte mit, seien Sie so gut. Aber ich fasse das einmal zusammen: Wir brauchen am Ende in einer modernen Volkswirtschaft im 21. Jahrhundert einen aktiven Staat, der umverteilt politisch kann diskutiert werden, Frau Lehmann, wie stark, wie schwach diese Umverteilung organisiert werden soll. Ich glaube, die Zeichen stehen ganz eindeutig darauf, dass wir stärker wieder eingreifen müssen, um die Handlungsfähigkeit des Staates insgesamt zu sichern.

Meine Damen und Herren, lassen Sie es mich einmal so sagen: Korrekturen bei GRÜNEN und SPD sind erkennbar, die sind auch hier schon vorgetragen worden. Herr Dr. Pidde, ich nehme Ihre inhaltliche Bewertung durchaus auf. Man kann natürlich fragen, wie ernst Sie das meinen. Angesichts der Chancen, die Sie hatten, zumindest eine Vermögenssteuer wieder einzuführen, die Sie nicht genutzt haben, aber wie gesagt, man kann das aufnehmen.

Für die CDU haben wir wahrgenommen, dass Herr Mohring sich hier für eine Transaktionssteuer eingesetzt hat. Das nehmen wir Ihnen auch ab, Herr Mohring. Das ist aber der einzige konstruktive Beitrag, den Sie zu dieser Debatte geleistet haben. Um ein modernes Leitbild einer sozialen Marktwirtschaft

(Zwischenruf Abg. Mohring, CDU: Das kann man von euch nicht sagen.)

für das 21. Jahrhundert zu untersetzen, müssen Sie mehr leisten. Ich finde, Sie müssen da mehr leisten in diesem Haus, um die Frage zu beantworten, wie die Haushalte in den nächsten Jahren konsolidiert werden. Da ist die Transaktionssteuer eindeutig zu wenig.

(Beifall DIE LINKE)

Um Ihnen einmal etwas auf die Sprünge zu helfen: Norbert Blüm hat, wie ich finde, einen wirklich interessanten Artikel geschrieben.

(Zwischenruf Abg. Mohring, CDU: Robert Blüm?)

Norbert Blüm habe ich gesagt. Da waren auch nicht nur Sachen drin, die der LINKEN gefallen können, da waren auch kritische Sachen in unserer Richtung drin, aber da war zumindest eine Idee formuliert, wie es gehen könnte, eine andere Idee als der Berater der Kanzlerin, Herr Ackermann, formuliert. Der sagt verkürzt: Wir sind im globalen Markt, wir sind im globalen Wettbewerb, wenn wir nicht andere fressen, dann fressen uns andere. Also mit anderen Worten, wir müssen uns dieser Marktlogik völlig unterwerfen. Unsere These ist, dass dieses Denken bis hinunter in die kleinste Kommune am Ende dazu führt, dass die Demokratie letztlich infrage gestellt wird,

(Beifall DIE LINKE, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN)

weil nur noch die Marktlogik entscheidet. Mit Norbert Blüm hätten Sie zumindest einmal einen Gegenpol, der sagt: Leute, es kann eine private Wirtschaft sein, es kann Kapitalismus heißen, aber es braucht Rahmenbedingungen, es braucht Bedingungen,

(Zwischenruf Abg. Mohring, CDU: Der Rah- men ist die soziale Marktwirtschaft. Da dür- fen Sie nicht nur Lenin lesen.)

die das Wort „sozial“ rechtfertigen, Herr Mohring; ja, genau, die das Wort „sozial“ rechtfertigen. Unsere Überzeugung ist, dass neben dieser Frage Finanztransaktionssteuer das Thema Erbschaften und das Thema Vermögen etwas aussagen über den Konflikt Arm und Reich in der Gesellschaft, dass das in jedem Fall mit als Stabilitätspfeiler in diese Debatte hineingehört. Ohne sie werden Sie es nicht kriegen und deshalb auch Ihre, wie ich finde, sehr einfache Polemik gegen unsere Anträge, Frau Lehmann. Sie werden damit nicht durchkommen.

Lassen Sie mich noch eine These sagen: Ich glaube, seit 2008 ist vieles klarer geworden an diesen Konfliktlinien. Es ist schade, dass de facto noch nichts auf dieser Ebene wirklich passiert ist, was man nachhaltig als Schritt in die richtige Richtung bezeichnen könnte.

Ich will Ihnen etwas sagen: Ich glaube, Ihnen läuft die Zeit weg. Ich glaube, uns allen läuft die Zeit weg. Ich will die Verbindung zu gestern nicht herstellen, aber mit Sorge sehe ich, was in Europa passiert, wie schnell Regierungen hinweggefegt werden, weil Akteure an Finanzmärkten Entscheidungen fordern. Ich glaube also, Sie müssen Antworten zeitnah finden, wie Sie diese Einnahmeseite hinbekommen. Auch Ihre Polemik wird dann nicht

darüber hinwegtäuschen, dass Sie da im Moment noch keine vernünftige Antwort haben.

Ich fasse zusammen, um mich nicht noch länger mit dem Zeug auseinanderzusetzen, was die FDP hier vorgetragen hat. Ich glaube, diesem Landtag würde es sehr gut zu Gesicht stehen,

(Heiterkeit DIE LINKE)

wenn er sich in diese Debatte, die ja beginnt, einmischt, wenn er sich aktiv einmischt, Herr Finanzminister. Wir würden Sie immer unterstützen, wenn Sie an dieser Front aktiv werden. Ich kann nur die Koalition auffordern, sich dieser Thematik Einnahmeseite zu stellen und mit uns eine Diskussion zu beginnen, welche Bausteine das sein können, und im Bundesrat auch entsprechend aktiv zu werden. Vielen Dank.