Natürlich weiß ich auch um die kontroversen Debatten. Ich habe gerade ein Zitat des Bundestagsabgeordneten Herrn Ströbele gelesen, auch wenn es sehr kontrovers zu diskutieren ist, dass wir nicht mehr Untergrund dadurch erzeugen. Aber ich denke, die Frage des Privilegs einer Partei muss hier tatsächlich der übergeordnete Gesichtspunkt sein.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, die Bluttaten der Mörder zeigen in aller Brutalität, dass rechtsextremistische Strukturen ihren aggressiven Kampf gegen die freiheitlich-demokratische Grundordnung und unseren Rechtsstaat auch mit terroristischen Mitteln führen. Vor diesem Hintergrund sind Bund und Länder gefordert, unter Ausschöpfung aller rechtsstaatlichen Mittel konsequent gegen rechtsextremistische Bestrebungen vorzugehen. Ich möchte aber auch an die Worte des norwegischen Ministerpräsidenten Jens Stoltenberg vom Sommer dieses Jahres in Anbetracht der Terroranschläge in seinem Land erinnern. Das hat mich damals tief beeindruckt. Er sagte, dass man auf die Terrorakte mit mehr Offenheit und Demokratie reagieren werde. Ich denke, genau das gilt auch für uns.
Die Bekämpfung des Rechtsextremismus ist vor allem eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe. Die Verharmlosung des Rechtsextremismus beginnt beispielsweise bereits dann, wenn man im privaten oder beruflichen Bereich extremistische, ausländerfeindliche, antisemitistische Äußerungen stehen lässt. Es ist die Aufgabe aller Demokraten, über alle Parteigrenzen hinweg sich der Herausforderung durch den Rechtsextremismus zu stellen und damit dem gewaltbereiten Spektrum den Nährboden zu entziehen. Wir brauchen eine Kultur des Hinsehens. Wir alle sind gefordert klarzustellen, dass Ex
tremisten in unserer Gesellschaft keinen Platz haben. Rechtsextremismus, meine sehr verehrten Damen und Herren, ist eine Schande für unser Land.
Wir müssen gemeinsam den Rechtsextremismus ächten. Für uns gilt: Die Würde des Menschen ist unantastbar. Vielen Dank.
Ich eröffne die Aussprache. Als Erster hat sich der Abgeordnete Bodo Ramelow von der Fraktion DIE LINKE zu Wort gemeldet.
Enver Simsek, Abdurrahim Özüdogru, Süleyman Tasköprü, Habil Kilic, Yunus Turgut, Ismail Yasar, Theodoros Boulgarides, Mehmet Kubasik, Halyd Yusgat, Michelle Kiesewetter, zehn Namen, zehn Menschen, die ermordet worden sind, zehn Menschen, bei denen wir trauernd Anteil nehmen und bei den Familien sind. Namen, die ausgesprochen werden müssen, Namen, die uns mahnen, daran zu denken, dass dieser Tod von Thüringen ausgegangen ist. Die uns aber auch mahnen, daran zu denken, dass dieser Tod nicht isoliert in Thüringen entstanden ist, aber dass die Zuständigen mit daran Schuld sind, dass die Büchse der Pandora geöffnet wurde, die letztendlich zum Tod von so vielen Menschen, von denen wir bisher wissen, geführt hat und wir können nicht ausschließen, ob es noch weitere sind. Diese braune Blutspur durch Deutschland hatte einen Ausgangspunkt in Thüringen.
Allerdings müssen wir auch dazusagen, dass das Klima, in dem diese Blutspur entstanden ist, in dem dieser Terror erst ermöglicht wurde, etwas damit zu tun hat, dass nach der Wende, als die Grenze sich öffnete, auch Namen und Menschen hierher gekommen sind, die ein bestimmtes Klima mit entwickelt haben. Michael Kühnen kam sofort mit der Grenzöffnung hierher nach Thüringen. Karl-Heinz Hoffmann, dessen Name mich in Westdeutschland schon immer in Grausen versetzt hat, geboren in Kahla, zurückgekehrt aus Westdeutschland, hier wieder in Thüringen ansässig. Thorsten Heise, der aus Niedersachsen über den Harz nach Fretterode gekommen ist. Die sind nicht alleinstehend, aber sie sind Synonym für eine Entwicklung, in der junge Menschen, die orientierungslos waren, auf einmal einbezogen wurden in eine geheime Welt, in eine verschwörungstheoretische Welt, in eine Welt, in der ihnen einfache, leichte Antworten gegeben worden sind und - in der das nicht passiert ist, Frau Ministerpräsidentin, was Sie eben zu Recht eingefor
dert haben - dass Nachbarn, dass Lehrer, dass vielleicht Menschen im Sportverein rechtzeitiger deutlich gemacht haben, dass bestimmte Denkprozesse am Schluss in einer mörderischen Logik enden könnten, nämlich Faschismus, Rassismus, Antisemitismus.
Als Sie eben zu Recht Ihre Ausführungen gemacht haben, dass wir zivilgesellschaftliches Engagement stärken müssen, habe ich mich an die Rede von Heike Taubert erinnert, als wir das Landesprogramm hier beraten haben. Allein bei der Frage „Nennen wir es ‚Landesprogramm gegen Rechts’?“ gab es einen trefflichen Streit, hat es treffliche Debatten darüber gegeben, ob dann damit die linke Gefahr relativiert würde. Und wenn man darauf hingewiesen hat, dass wir Realitäten zum Ausgangspunkt von demokratischem Engagement und widerständiger Entwicklung, dass wir Menschen Mut machen, widerständig zu sein, dass wir Mut machen, eben solchen braunen Rattenfängern nicht die Kinder einfach zu überlassen, aus denen dann Jugendliche wurden und aus denen dann Schlägertrupps wurden.
Ich sage das deswegen, meine sehr verehrten Damen und Herren Kolleginnen und Kollegen, weil es mehrere Ebenen, mehrere Facetten gibt, wenn es den braunen Terror, von dem wir jetzt wissen, zu betrachten gilt. Es gibt den aufzuarbeitenden, da gibt es bei mir mehr Fragezeichen als Antworten. Da kann ich sagen, ich glaube, es ist mit der Sonderermittlungsinstitution ein richtiger Mensch gefunden worden - mit Herrn Schäfer - und der Form hoffe ich, dass es gelingt, tatsächlich in die Tiefe der aufzuklärenden Widersprüche zu kommen. Da ist für mich so die Frage, um es an dem Fall der drei Verschwundenen festzumachen, da habe ich damals schon öffentlich lautstark und auch hier im Parlament gesagt, wie kann man eigentlich die Verjährung zulassen? Warum sind keine staatsanwaltschaftlichen Mittel ergriffen worden, um die Verjährung zu hemmen? Das ist eine Frage, bei der ich das Gefühl habe, dass das Zusammenwirken der unterschiedlichen Organisationsstrukturen und der unterschiedlichen Zuständigkeiten nicht funktioniert hat. Aber die Verjährung ist eingetreten, man hat sie eintreten lassen. Das ist eine Fragestellung, der werden wir nachgehen müssen.
Eine weitere Fragestellung ist: Was ist mit den Zielfahndern? Herr Roewer erzählt jetzt außerhalb des Parlaments und außerhalb seiner Zuständigkeit vor vielen Kameras, dass er eine Zielverhandlungsoperation unternommen hat, die aber nicht zielführend war. Das kann ich nicht prüfen, aber ich lese, dass Zielfahnder des LKA ein Jahr später sie avisiert hatten, also ausgemacht hatten, aber es hätte keinen Zugriff gegeben. Eine Geschichte, die ich nicht nachvollziehen kann. Für mich gibt es deswegen innerhalb dieser Dinge tiefergehende Aufklärungsbedarfe, welche zuständigen Stellen hier eklatant ver
sagt haben. Dass wir es mit einem eklatanten Versagen zu tun haben, davon gehe ich aus. Daran kann man nichts beschönigen,
da haben zuständige Stellen miteinander nicht gearbeitet, nicht kooperiert. Es geht mir jetzt auch nicht darum, einfach einen schnellen Schuldigen zu haben, sondern es geht darum, das Versagen zu untersuchen.
Ich will aber über eine zweite Facette reden. Ich kann mich erinnern, dass wir im Zusammenhang Rechtsextremismus - deswegen habe ich eben das Thema „Landesprogramm für Toleranz und Weltoffenheit“ genannt, das ursprünglich als Arbeitsthema „Landesprogramm gegen Rechtsextremismus“ hieß, das ist mehr als nur ein Wortgeklingel, dahinter steckt auch ein Denkansatz, der zur Verharmlosung führt, indem man Unvergleichliches miteinander vergleicht.
Ich habe in vielen Reden hier deutlich für meine Fraktion und für meine Partei gesagt, dass es selbstlegitimierte Gewalt nicht geben darf, dass es keine Steine gibt, die irgendetwas rechtfertigen, egal, von wem sie geworfen werden. Das habe ich hier immer wieder wiederholt.
Trotzdem, Frau Ministerpräsidentin, ist es jemand wie Eckhard Jesse, der als Wissenschaftler davon spricht, dass der weiche Extremismus der Linken gefährlicher sei als der Rechtsextremismus. Das hat er mehrfach wissenschaftlich ausgeführt und es ist Ihr Generalsekretär Dr. Mario Voigt, der genau in dieser Bandbreite immer wieder operiert und sagt, die Gefährlichkeit meiner Partei muss thematisiert werden. Da sage ich, damit relativieren wir
als wenn wir Menschen ermordet hätten, als wenn wir für linksextremistische Gewalt stehen würden, sondern die Einordnung, es gibt gute Demokraten und es gibt schlechte Demokraten und dann schauen wir gemeinsam weg, was rechts passiert. Ich sage das deswegen mit großer Leidenschaft - hier hat Frau Dr. Kaschuba...
Das sind die Antworten, SED, Stasi, 1.000 Mauertote und dann nickt ihr noch. Entschuldigung, dass ihr euch nicht was schämt angesichts der Toten, von denen ich gerade gesprochen habe.
weil ihr von zum Beispiel Reyk Seela ablenken wollt, der früher zwischen euch gesessen hat, der den Verharmlosungsfilm für den Verfassungsschutz gedreht hat, der dann in die Schulen gekommen ist, wo die Punks gleichgestellt worden sind mit den rechtsextremistischen Gewalttätern, wo Thorsten Heise und Co abgebildet sind, wo Kapke und Co sich vor der Kamera des späteren Landtagsabgeordneten Reyk Seela äußern konnten, bezahlt von Herrn Roewer.
(Zwischenruf Abg. Barth, FDP: Dieses The- ma herzunehmen und zu sagen, wir sind die Besseren, das ist die Absicht in Wahrheit.)
Man sollte wenigstens den Anstand haben, einem Gedankengang einmal zuzuhören, aber ihr seid ja schon reflexartig, weil ihr den Schaum schon vor dem Mund habt, um einzuordnen, wer die Gutmenschen und wer die Bösen sind. Deswegen wollte ich zumindest diese Deutlichkeit in die Debatte hineinbringen, weil die drei Täter keine isolierten Täter sind, sie sind nicht einfach die, auf die man hinterher dann die Steine werfen und sagen kann, das waren sie. Es gab die Mittäter, es gab die Hintermänner und es gab die Gesinnungstäter, die das alles zugelassen haben, dass diese Büchse der Pandora aufgemacht worden ist.
An diesem Pult hat Frau Dr. Karin Kaschuba vor einigen Jahren gestanden und gesagt, bei mir in Jena werde ich jeden Abend vom Thüringer Heimatschutz begrüßt. Begrüßt heißt, man hat sie fotografiert. Man hat in ihrem Hauseingang gestanden. Kapke hat dort gestanden mit dem Hund. Ich habe in Jena bei einer Veranstaltung erlebt, dass in der Veranstaltung 20 Leute vom Heimatschutz saßen einfach nur saßen -, die Polizei kam und ging wieder. Ich habe erlebt, wie in Apolda bei einer Wahlveranstaltung 40 Schwarzuniformierte saßen - einfach saßen. Die Polizei kam, schaute sich das an und ging wieder. Ich sage das mit Frau Dr. Kaschuba deswegen, als sie es hier gesagt hat und dass ihr Kind auf dem Sportplatz attackiert worden ist mit
„Rote Sau, hau ab!“ von den gleichen Leuten, da ist hier gelacht worden, als sie das erzählt hat. Gudrun Lukin aus Jena, die unmittelbar auch mit diesen Menschen zu tun hatte, wurde fotografiert bei einer Veranstaltung mit den Worten: „Wir machen die Bilder, damit, wenn das KZ fertig ist, wir die Bilder von euch haben.“ Darüber wollte ich reden. Ich wollte reden über etwas, das seit den 90er-Jahren immer wieder hier auch thematisiert wurde und das man nicht weglassen kann. Es ist eben nicht erst der Versuch des Bombenanschlags auf Katharina König im vergangenen Jahr, es ist eben nicht einfach nur 47 Geschäftsstellen und Wahlkreisbüros meiner Partei in den letzten sechs Jahren hier in Thüringen - 120 zerstörte Wahlkreisbüros der LINKEN bundesweit im letzten abgelaufenen Jahr. Darin eingebettet vollzieht sich etwas, dass an mehreren Orten stattfindet. Deswegen wehre ich mich auch dagegen, einfach das auf Thüringen zu reduzieren und zu sagen, also es war der Roewer, es war der Richard Dewes, es war einfach nur die später wegschauende Institution Christian Köckert, der seine eigenen Spielchen mit dem Verfassungsschutz getrieben hat; das wäre viel zu einfach. Das Thema ist eigentlich das Thema Angst.
Ich habe hier vorn mal gestanden und davon gesprochen, dass meine japanische Schwägerin aus London sich immer wieder geweigert hat, nach Thüringen zum Familienfest zu kommen, und immer wieder gesagt hat, wir treffen uns in Heidelberg. Da kann man nur lachen, ja, da können Sie „ach“ sagen. Wenn man das nicht einmal zur Kenntnis nimmt, dass Menschen sagen, wir haben Angst vor dem Klima, wenn man es nicht spürt, weil man nicht Schwarzer ist, weil man es nicht spürt, weil man nicht Japaner ist, wenn man nicht spürt, wie der US-amerikanische Bobweltmeister, der in Oberhof zusammengeschlagen worden ist, einfach nur, weil er eine schwarze Hautfarbe hatte, und wenn wir dann sagen, dass sind alles Einzeltaten, das sind alles nur ein paar Verwirrte, dann nehmen wir nicht zur Kenntnis, dass es seit 1990 189 rassistische Morde in Deutschland gegeben hat. Die Zahl ist gerade durch diese Täterserie enorm gesteigert worden.
Ich bin gern bereit, über Stasi und Mauertote zu reden. In der historischen Betrachtung müssen wir das auch tun, man darf sie auch nicht verharmlosen, man darf sie aber nicht aufwiegen gegen etwas, wo in der Nachbarschaft, wie in Fretterode, Heise das Rittergut kauft und anschließend in Fretterode geschwiegen wird, weil die Zivilgesellschaft nicht mehr weiß, wie sie damit umgeht, weil von dort aus das Signal kommt: „Bitte lasst uns in Frieden, wir wollen unsere bürgerliche Ruhe haben!“ Ich kann die Bürger dort gut verstehen, weil die - allein gelassen - in Fretterode, gegen das Rittergut und das Gedankengut, was dort ausgeübt wird, nicht angehen können. Oder in Mosbach, wenn
Horst Mahler dort regelmäßig seine nationalsozialistischen hohen Messen zelebriert. Im Dorf existiert Ratlosigkeit, wie man damit umgehen kann, weil es sich ja hinter verschlossenen Türen in Privaträumen abspielt, in Kneipen, in Häusern, die gekauft worden sind.
Damit sind wir beim Schützenhaus in Pößneck. Da war ich Ihnen, Frau Ministerpräsidentin, eben dankbar, dass wir gemeinsam dort gestanden haben, alle zusammen, und gesagt haben, Gesicht zeigen gegen braunen Ungeist. Das beginnt auf dieser Ebene, wo die durch einen Ort gehen und sagen: „Wir zeigen euch, was national befreite Zone ist.“ Über das Thema national befreite Zone ist hier immer hinweggehuscht worden, als gäbe es das nicht in Thüringen, als wäre das irgendwo anders auf einem fernen Planeten; aber es war eingebettet in den Thüringer Heimatschutz, es war eingebettet in die Organisation Blood & Honour und es war eingebettet in die NPD in Thüringen, weil sie switchten mal von Blood & Honour zum Thüringer Heimatschutz, vom Thüringer Heimatschutz wiederum zur NPD und wieder zurück.
Meine Damen und Herren, darüber haben wir zu reden. Blood & Honour, als der Bundesinnenminister Blood & Honour verboten hat, was eine richtige Entscheidung war, gab es einen Thüringer Beamten, der den Geraer Kassierer von Blood & Honour gewarnt hat, und als die polizeiliche Durchsuchung war, war die Wohnung clean und alle haben gesagt, so etwas hätten sie noch nicht erlebt. Tage später kam raus, er war gewarnt worden. Es war dann einfach nur eine Reise, die dann verharmlost wurde, er hätte ja gar nicht über die Polizei mit ihm gesprochen. Aber was ein Thüringer Beamter eines Sicherheitsdienstes bei dem Kassierer von Blood & Honour wenige Tage vor der Hausdurchsuchung und polizeilichen Maßnahme zu suchen hat, bleibt das Geheimnis der Zuständigen und derjenigen, die dafür Verantwortung tragen. Deswegen wollte ich diese Dinge nebeneinander stellen, dass man nicht nur einfach sagt, wir wissen jetzt um diese Terrorzelle, sondern wir müssen schauen, in welchem Klima ist sie entstanden, damit sie diese Mordtaten begehen konnte.
Da sind wieder ganz andere Fragen: Wo haben sie diese Waffe her? Für mich ein seltsamer Vorgang, dass aus einer tschechischen Spezialwaffe, die man nicht im Nachbarschaftsladen kaufen kann und die man auch nicht bei normalen Waffendealern kaufen kann, nach dem, was mir jedenfalls Fachleute sagen, da frage ich mich, wo kommt die her? Das ist ein Thema, das aufzuklären ist. Die Frage, wenn es nur 24 von diesen Waffen gibt, die insgesamt gefertigt worden sind, und acht davon verschwunden sind, dann frage ich mich, wo die anderen sieben sind, und müssen wir uns weiter Gedanken machen? Für mich ist das Thema nicht abgearbeitet. Ich erinnere mich, als die Wehr