Protocol of the Session on July 6, 2011

(Unruhe im Hause)

Entschuldigung bitte, bevor jetzt alles unruhig wird, zitiere ich jetzt mal aus dem Kommentar aus der

Süddeutschen Zeitung und aus dem Spiegel, die deutlich machen, dass Herr Kirchhof …

Meine Damen und Herren, ich bitte um etwas Ruhe.

… offensichtlich zehn Jahre „Steuerschlupfloch stopfen“ nicht mehr richtig mitbekommen hat. Aber wie gesagt, ich zitiere da Leute, die hoffentlich mehr davon verstehen, als Sie mir zutrauen.

Ich bin in diesem Fall mal zur Abwechslung als Bündnisgrüner für eine Reform des Steuersystems und nicht für eine Revolution. Das wäre eine Revolution, was Herr Kirchhof da vorhat mit unabsehbaren Folgen. Das macht ja auch den gebremsten Schaum so deutlich, den Sie dort an den Tag legen. Ich will nur darauf hinweisen, dass die Wirkung von Steuererleichterungen mit den Wirkungen von Subventionen halbwegs kongruent gehen. Wenn man meint, man kann alle Steuererleichterungen streichen, dann muss man auch über das Thema Subvention sprechen. Keiner traut sich das zu, dieser Dschungel wird völlig unabgeholzt gelassen. Das ist aber dann genau der Dschungel, in dem sich wieder die tummeln, die die Macht haben, dafür zu sorgen, dass sie mit ihrem Geld doch wieder ein bisschen mehr anstellen können als die Leute, die schlicht und ergreifend acht Stunden am Tag arbeiten müssen. Das wissen Sie so gut wie ich und das macht die Sache eben nicht gerechter, wenn es dort einfacher wird. Steuern sparen ist nicht dasselbe wie Schuldenabbau. Ich verstehe immer nicht, warum man von Herrn Kirchhof sofort auf das Thema kommt, jetzt können wir auch, weil die Konjunktur gut läuft, Steuern sparen. Diese Debatte hat ja die CDU nun gerade mit ihrem kleinen Koalitionspartner. Wenn die FDP meint, dass sie mehr für das Portemonnaie des Bürgers sein müsste, dann ist es natürlich total irre, wenn man dieses Mehr des Portemonnaies des Bürgers mit Nettokreditaufnahme auf Pump erkauft.

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Konsum auf Pump ist eigentlich das, was die FDP mal gerade nicht will. Klar wäre, wenn wir heute die Nettokreditaufnahme absenken, z.B. um 10 Mrd. €, darüber ist ja zu reden im Herbst, dann würde es bedeuten, dass alle nachfolgenden Generationen 10 Mrd. € nicht Zinsen zahlen müssen. Viel mehr kann man für das Portemonnaie des Bürgers gar nicht tun, egal ob das Portemonnaie nun in der Hand des Staates ist oder in der Hand der Bürgerinnen und Bürger selbst.

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Dass wir in Boomphasen Schulden tilgen sollen, ist eine Binsenweisheit. Was würden Sie denn heute diskutieren, wenn seit 2000 die Schuldenbremse gelten würde? Wozu denn heute diese Debatte? Dann wäre völlig klar, wir stecken alles, was wir übrig haben, in die Schuldentilgung. (Das machen wir hoffentlich mit dem Geld von 2010 im Landeshaus- halt auch noch.) Das einmal ganz nebenbei bemerkt. Ich möchte daran erinnern, dass wir an dieser Stelle auch immer diskutieren, dass der Freistaat ganz offensichtlich Mehreinnahmen vom Bund erwarten muss, weil er ansonsten seinen Haushalt nicht strukturell geschlossen bekommt. Wo sollen denn diese Einnahmen herkommen, wenn wir über Steuererleichterungen und Steuersenkungen reden? Das müssen Sie uns auch noch erklären bei den nächsten Haushaltsdebatten. Wir als GRÜNE sind der Ansicht, dass wir bei einer Reform dieses Steuersystems mit Grundfreibeträgen, mit einheitlichen Werbungskosten und Betriebsausgabenpauschalen, mit einem höheren Spitzensteuersatz und einer eigenständigen und bedingungslosen Kindergrundsicherung das Thema reformerisch angehen können, auch vereinfachen und vor allen Dingen viel mehr Nutzen und mehr Gerechtigkeit in die Debatte bringen würden. Vielen Dank.

(Beifall SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Vielen Dank, Herr Abgeordneter. Für die Fraktion DIE LINKE spricht der Abgeordnete Mike Huster.

Frau Präsidentin, meine sehr verehrten Damen und Herren, es sind ja in diesen Tagen zur Finanzierung der öffentlichen Haushalte in Deutschland mehr oder weniger drei Vorschläge in der Debatte. Da ist zum einen der Vorschlag, der innerhalb der Bundesrepublik diskutiert wird, zur Steuersenkung. Da, finde ich, hat die Ministerpräsidentin aus Sicht des Freistaats Thüringen eine sehr vernünftige Position vertreten ebenso wie Herr Mohring, die ich Ihnen vor wenigen Monaten noch gar nicht zugetraut hätte, Herr Mohring.

(Beifall SPD)

Aber Sie haben dort das Ziel der Haushaltskonsolidierung in den Vordergrund gerückt und haben gesagt, deshalb sehen Sie Steuersenkungen auf Bundesebene, die auch in den Länderhaushalten durchschlagen werden, außerordentlich kritisch.

Der zweite Vorschlag, der diskutiert wird, ist die Schuldenbremse. Da muss ich unterstellen, Frau Ministerpräsidentin, dass Sie zwar möglicherweise nicht das sehr radikale Modell der FDP, aber dass Sie generell die Schuldenbremse in der Verfassung gutheißen.

(Zwischenruf Lieberknecht, Ministerpräsiden- tin: Ja.)

Der dritte Vorschlag ist das sogenannte Bundessteuergesetzbuch von Herrn Kirchhof, das sogenannte Kirchhof-Modell, das Sie nun ausdrücklich für gut befinden in diesen Tagen.

Meine Damen und Herren, Frau Ministerpräsidentin, diesen Widerspruch hat Herr Meyer ja in gewisser Weise deutlich gemacht, den verstehe ich in Ihrer Argumentation tatsächlich nicht. Also wenn man zu Recht Steuersenkungen auf Bundesebene in der jetzigen Situation für schlecht heißt aus Sicht des Landes Thüringen, wie kann man dann auf der anderen Seite für ein Modell, das eine völlige Umstellung bedeutet, das erheblich mehr Risiken bedeutet für die öffentlichen Haushalte, dann ungeprüft das Wort geben, meine Damen und Herren? Das kann ich nicht nachvollziehen, Frau Ministerpräsidentin.

(Beifall DIE LINKE, SPD)

Wir als LINKE bleiben dabei, wir halten das vorgelegte Kirchhof-Modell zwar für einfach, aber eben für ungerecht. Die Auswirkungen auf die öffentlichen Haushalte in Deutschland sind völlig unklar und wir müssen natürlich bei solch einem großen Schritt die Wettbewerbswirkung in Europa berücksichtigen auf Unternehmen und natürlich auf die Bürgerinnen und Bürger, letztlich die Frage, haben die am Ende mehr Geld in der Tasche, ja oder nein, und verlagern sich innerhalb Europas Unternehmensentscheidungen beispielsweise und verstärken sie Ungleichgewichte in Europa oder tragen sie eher zu Schwächen bei. Ich glaube, ein solches Modell, selbst wenn es realisiert werden würde in einem europäischen Nationalstaat, müsste zumindest danach geprüft werden, ob es die Staaten, die jetzt schon in der Schuldenfalle viel stärker als wir stecken, sogar noch weiter an den Rand drückt und damit insgesamt auch unsere Finanzierungsprobleme neben der Beschädigung der europäischen Idee noch weiter verschärft.

Meine Damen und Herren, wenn man schon über die Frage Entlastung von kleinen Einkommen redet - dafür sind wir ja als LINKE immer offen -, dann muss man im System gegenüberstellen, dass höhere Vermögen deutlich höher belastet werden müssen.

(Beifall DIE LINKE)

Anders wird das gar nicht seriös rezufinanzieren sein.

(Beifall SPD)

Sie haben in den letzten Tagen gelesen, dass die Zahl der Millionäre seit der Krise in Deutschland den Höchststand erreicht hat und, meine Damen und Herren, auf dieser Seite sind Sie völlig blind. Das, Frau Ministerpräsidentin, müssen Sie dann, glaube ich, wirklich erklären, Sie sind bei einem die

(Abg. Meyer)

ser Vorschläge - also noch mal Steuersenkungen strikt dagegen, aber bei zwei anderen, die ähnliche Auswirkungen haben können für die öffentlichen Haushalte, da plädieren Sie dafür, während Sie die entscheidende Frage, wie kommen wir in den öffentlichen Haushalten zu dauerhaften Überschüssen, um überhaupt mal die Chance zu haben, unsere alten Schulden zu tilgen, die Einnahmeseite letztlich, ist die einzige Chance, diese Überschüsse zu erzielen, die thematisieren Sie an keiner Stelle. Das haben Sie wiederum mit der Bundesregierung eigen. Wir glauben, meine Damen und Herren, wir brauchen diese Überschüsse in den öffentlichen Haushalten, das geht nur über die Stärkung der Einnahmeseite und die Bestandteile liegen Ihnen auch in einem Antrag unserer Fraktion vor. Wir brauchen eine Vermögensteuer, wir brauchen Veränderungen in der Erbschaftsteuer

(Beifall DIE LINKE)

und wir brauchen endlich auf europäischem Niveau eine Börsenumsatzsteuer. Herzlichen Dank.

(Beifall DIE LINKE, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN)

Vielen Dank, Herr Abgeordneter. Als Nächster spricht für die FDP-Fraktion der Abgeordnete Barth.

Frau Präsidentin, liebe Kolleginnen und Kollegen, das Gesetzbuch von Herrn Prof. Kirchhof läuft auf Steuervereinfachung und Steuersenkung hinaus, wenn man es genau liest und komplett liest.

(Beifall FDP)

Beides brauchen wir und ich will auch aus Sicht unserer Fraktion kurz begründen, warum. Deutschland stellt weniger als 2 Prozent der Steuerzahler weltweit, aber 70 Prozent der Steuerliteratur werden in Deutsch veröffentlicht. 33.000 Paragraphen umfasst unser Steuerrecht. Das geht von der lokalen Ebene los, die Hundesteuer, die Bettensteuer bis hin zur Mehrwertsteuer, die übrigens SchwarzRot im Jahr 2005 gleich mal erhöht hat, über die Mineralölsteuer bis hin zur Ökosteuer. Es gibt keine Lebenssituation, in der der Staat nicht in irgendeiner Form die Hand aufhält. Deswegen ist auch diese Ausführung, die Herr Minister Machnig in der letzten Woche gemacht hat, mit der er zitiert worden ist, dass 40 Prozent aller Menschen keine Steuern bezahlen würden, ich weiß nicht, was für einen Umgang Herr Machnig hat, ich kenne niemanden, der keine Steuern bezahlt. Jeder zahlt irgendwo Steuern

(Beifall DIE FDP)

und sei es, wie gesagt, bei der Mehrwertsteuer. 135 Mrd. €, das ist die nächste Zahl, die interessant ist, das sind die Mehreinnahmen, die Bund, Länder und Gemeinden nach der aktuellen Steuerschätzung zu erwarten haben. Allein auf das Land Thüringen entfallen bis 2012 davon 350 Mio. €. Diese Zahlen zeigen meiner Meinung nach in der Summe, dass Steuervereinfachung und Steuersenkungen insbesondere für kleine und mittlere Einkommen richtig und auch unumgänglich sind. Gerade die Frage der Vereinfachung, wenn wir die zuerst nehmen. Es ist eben nicht so, wie Herr Meyer sagt, dass ein System, je einfacher es ist, umso ungerechter ist, sondern es ist genau umgekehrt. Je komplizierter so ein System ist, umso ungerechter ist es, meine sehr verehrten Damen und Herren.

(Beifall FDP)

Wenn nämlich irgendwann nur noch derjenige, der viel Geld für den Steuerzahler ausgeben kann, von den ganzen Ausnahmen profitiert, dann verfestigt sich bei den anderen zwangsläufig der Eindruck, der Ehrliche ist der Dumme.

(Zwischenruf Abg. Adams, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Das ist eine starke Behauptung.)

(Beifall FDP)

Und wenn dieser Eindruck entsteht, dann, meine sehr verehrten Damen und Herren, ist auch in Wahrheit das Ansehen des Staates in Gefahr; das untergräbt die Autorität des Staates bei den Steuerbürgern.

(Beifall FDP)

Wer sich so behandelt fühlt, der wird mindestens mal versuchen, jedes legale Steuerschlupfloch, jede Ausnahme zu nutzen, und er wird möglicherweise auch kreativ sein, wenn es um weitere Vermeidungsstrategien geht. Ich glaube, dass es untragbar ist, wenn derjenige, der versucht, seine Steuererklärung selbst auszufüllen, permanent mit einem Bein im Gefängnis steht. Das kann nicht richtig sein, das ist das Ergebnis dieses komplizierten Systems und das ist ganz bestimmt alles andere als gerecht.

(Beifall FDP)

Aber, meine Damen und Herren, die Vereinfachung reicht eben allein nicht aus, sondern wir müssen, wenn wir Steuergerechtigkeit herstellen wollen, auch eine gezielte Entlastung von kleinen und mittleren Einkommen vornehmen.

(Beifall FDP)

Es geht an der Stelle nicht um Steuerentlastung für Reiche. Darum hat sich Rot-Grün gekümmert. 1989 war der Spitzensteuersatz bei 53 Prozent. 2005, zum Ende des Interregnums, lag er bei 42 Prozent. Das, meine Damen und Herren, ist also erledigt. Nein, die arbeitende Bevölkerung, die, die jeden

(Abg. Huster)

Tag arbeiten gehen, die müssen auch etwas davon haben. Wenn Herr Kollege Huster und auch Herr Meyer eben davon geredet haben, dass kein Geld für Steuersenkungen da ist, dann will ich mal sagen, wir machen Schulden, weil das Geld, was wir den Bürgern an Steuern abnehmen, nicht ausreicht für unsere Wünsche. Jetzt sollen die Bürger dafür im Nachhinein belastet werden und diese Schulden auch noch zurückzahlen. Das, meine sehr verehrten Damen und Herren, ist alles andere als gerecht.

(Beifall FDP)