Wir laden deshalb alle Fraktionen aus dem Parlament ein, sich mit uns über die Ausgestaltung eines Schuldenverbots in der Landesverfassung intensiv zu beraten und zu diskutieren. Wir hoffen, dass alle das Verantwortungsbewusstsein und die Ehrlichkeit aufbringen, offen zu sagen, dass wir den Weg des Verschuldungsstaats nicht weiter gehen können.
Wir wollen das Schuldenverbot auch deshalb direkt im Parlament beraten und beschließen, da wir zu unserer Verantwortung als gewählte Volksvertreter stehen und nicht den Kopf aus Angst vor der Aufgabe der Haushaltskonsolidierung in den Sand stecken.
Die FDP-Fraktion hat das bei den letzten beiden Haushaltsberatungen, in denen wir Ihnen deutliche Einsparvorschläge vorgelegt haben, schon gezeigt. Jetzt haben auch die anderen Fraktionen die Möglichkeit, Ihren Kopf aus dem Sand zu ziehen. Eine Volksabstimmung anzustrengen, wäre nur ein Eingeständnis der eigenen Unfähigkeit, zumal es verfassungsrechtliche Bedenken gibt und der ganze Prozess auch sehr lange dauern würde. Es würde völlig ausreichen, wenn wir es hier im Thüringer Landtag mit einer Zweidrittelmehrheit beschließen würden.
Der von uns vorgelegte Entwurf sieht ein generelles Neuverschuldungsverbot vor und nur in Fällen von außergewöhnlichen Notsituationen, also Krieg oder Naturkatastrophen, kann diese ausgesetzt werden. Damit das auch parteiübergreifend verankert wird, muss die Inanspruchnahme der Ausnahmeregel von einer Zweidrittelmehrheit des Landtags beschlossen werden. Die so aufgenommenen Schulden müssten dann zudem innerhalb eines festen Zeitraums verbindlich zurückgezahlt werden. Auch das ist äußerst wichtig.
Für konjunkturelle Notlagen ist nach unserer Auffassung keine Ausnahme nötig. Da befinden wir uns offensichtlich im Unterschied zu meinen Vorrednern, da diese Ausnahmen nämlich ständig politisch missbraucht werden. Jüngstes Beispiel ist die geradezu groteske Verschuldung der rot-grünen Minderheitsregierung in NRW.
Sie ist deswegen mindestens grotesk, weil ja sogar das nordrhein-westfälische Verfassungsgericht festgestellt hat, dass sie verfassungswidrig ist. Außerdem könnten wir für den Fall von konjunkturellen Notlagen auch Rücklagen gebildet haben,
und zwar könnte man das tun, ganz unabhängig davon, dass Konjunkturprogramme meist sowieso nicht wirken, da das Geld in der Regel zu spät ausgegeben wird und dann auch noch in den falschen Bereichen. Das zeigt das Beispiel aus der jüngsten Vergangenheit, nämlich die Abwrackprämie. Dass Regierungen in guten Zeiten Rücklagen für schlechtere Zeiten bilden können, ist im Übrigen nicht nur graue Theorie. Das hat dankenswerterweise die letzte Landesregierung eindrucksvoll demonstriert. Schließlich wurde in den guten Jahren 2007 und 2008 Geld angespart, so dass in 2009 und vor allem 2010 davon gezehrt werden konnte. Es geht also, man muss nur in guten Jahren Rücklagen bilden und vernünftig handeln. Das wäre dann auch mal endlich ein Beispiel für echte keynesianische Wirtschaftspolitik. Auch wenn Sie das von mir nicht erwarten, Sie haben mich richtig verstanden, Keynes ging es immer nur um eine kurzfristige Ausgabensteigerung in schlechten Zeiten, um negative Erwartungen zu durchbrechen. In guten Zeiten sollte der Staat seine Ausgaben zurückfahren und sparen, auch um eine Überhitzung der Wirtschaft zu vermeiden. Der eine Teil wird immer gern genommen, der andere eigentlich nie.
Da die Politik das offensichtlich nie hinbekommt, sondern in schlechten und in guten Zeiten immer nur die Ausgaben steigert, gibt es nur eine Lösung:
Das ist die Grundvoraussetzung für echte keynesianische Konjunkturpolitik. Mal ganz abgesehen davon, ob Konjunkturpolitik funktioniert. Im Übrigen, Karl Schillers Globalsteuerung hat schließlich auch nicht funktioniert. Der explodierende Schuldenstand und die explodierende Arbeitslosenzahl waren in den Jahren nach ’69 die Folgen. Lassen Sie uns deshalb gemeinsam Verantwortung zeigen und das Ziel des Neuverschuldungsverbots in die Verfassung aufnehmen. Über dieses Ziel sollten wir uns doch eigentlich einig sein. Selbst die Fraktionen der LINKEN und GRÜNEN haben bei den letzten Haushaltsverhandlungen zumindest verbal den Ausstieg aus der Neuverschuldung gefordert, wenn auch mit weniger Vehemenz.
Ich traue selbst der Fraktion der LINKEN zu, sich zum Ziel des Neuverschuldungsverzichts zu bekennen, nach Ablauf der Beratung heute allerdings immer weniger.
Eigentlich wissen Sie doch auch selbst, liebe Frau Keller, lieber Herr Huster, dass es so nicht weitergehen kann. Über den Weg können wir uns ja immer noch streiten, da sind die Konfliktlinien schließlich eindeutig. Die brauchen wir auch nicht zu vertuschen. Mit uns wird eine Konsolidierung über Steuererhöhungen allein nicht zu machen sein. Das funktioniert in der Praxis auch nicht. Das haben empirische Studien längst belegt.
Der Staat hat unserer Meinung nach genug Einnahmen, er muss sie nur klüger verteilen, klüger ausgeben und das Geld nicht zum Fenster herauswerfen.
Ich verkenne auch nicht, dass es in diesem Hause andere Meinungen gibt. Das ist uns durchaus bewusst. Das haben wir beim Tagesordnungspunkt 4 gesehen, in dem die ganze Große Koalition der Erhöhung der Grunderwerbsteuer zugestimmt hat. Bei CDU, LINKEN, SPD und GRÜNEN besteht in diesem Hause anscheinend ein Konsens darüber, dass die Steuern erhöht werden sollen. Das ist offensichtlich geworden. Darüber haben wir uns gestritten und darüber werden wir uns auch in Zukunft
zu streiten haben, das verspreche ich Ihnen sogar. Aber genau darüber reden wir nicht. Wir reden nicht darüber, ob Steuererhöhungen oder Einsparungen bei den Ausgaben notwendig sind. Wir reden nur um das Ziel des Verzichts auf Verschuldung. Wie man das nachher erreichen kann und wie man das erreichen soll, das bleibt offen. Darüber dürfen wir diskutieren. Deswegen werbe ich um Zustimmung zu unseren Gesetzentwürfen und freue mich geradezu auf die Diskussion im Haushaltsausschuss. Danke schön.
Vielen Dank, Herr Abgeordneter Recknagel. Es hat sich jetzt zu Wort gemeldet der Abgeordnete Huster für die Fraktion DIE LINKE.
Frau Präsidentin, meine Damen und Herren, als schönster Abgeordneter des Hauses komme ich nicht mehr infrage, als beliebtester sicher auch nicht, wenn man hier kurz nach halb acht noch mal eine Rede beginnt, allerdings habe ich mir ein Politikfeld seit einigen Jahren im Haus ausgesucht, bei dem man mit diesem Negativruhm umgehen kann und eher mit Lob völlig aus der Bahn geworfen wird. Insofern gestatten Sie mir noch ein paar Anmerkungen, die uns vielleicht bei der weiteren Diskussion - wir diskutieren in der Tat ein ernstes Thema - weiterhelfen.
Für mich ist rational an der Diskussion, dass, wenn über 80 Prozent der Bevölkerung sich Sorgen machen um die hohe Verschuldung der öffentlichen Haushalte und sich der gesunde Menschenverstand die Frage stellt, wie soll das jemals zurückgezahlt werden, es da natürlich naheliegend ist, dass ein vermeintlicher Lösungsstrang ist, dass wir die Ausgaben kürzen müssen. Genauso rational ist es wahrscheinlich, wenn meine Partei den Lösungsansatz herleitet und sagt, es müssen die Einnahmen drastisch erhöht werden. Ich frage uns mal alle, ob die bisherigen Ansätze, die wir vielleicht sogar auf derselben westeuropäischen wachstumsideologischen Grundlage nach 1945 hatten, wie öffentliche Haushalte so gestellt sind, ob die nicht vielleicht sogar infrage zu stellen und zu diskutieren sind, um überhaupt mal einen Ansatz dafür zu haben, wie öffentliche Haushalte in Zukunft gestaltet werden können.
Ich will das konkretisieren: Alle Modelle - auch der Vorschlag, den die CDU im letzten Jahr vorgelegt hat oder 2009 zur Einführung einer Schuldenbremse in die Verfassung, dort war die Ausnahme in konjunkturell schwankenden Zeiten vorgesehen, beim FDP-Modell findet das gar nicht mehr statt, da ist von Naturkatastrophen die Rede - gehen davon
aus, dass wir in den nächsten Jahren ein historisch vergleichbares, konstantes Wachstum meinetwegen über eine Periode von 10, 15, 20 Jahren haben können, ein Wachstum, das zumindest so groß ist, dass wir in Zukunftsinvestitionen gehen können, dass wir theoretisch mindestens ausgeglichene Haushalte erreichen können, die Zinsen noch bedient werden können aus den alten Schulden und vielleicht sogar noch mit der Hoffnung verbunden sind, wenn das Wachstum immer weiter sprudelt, wir uns sogar noch Steuerentlastung leisten können. Das produziert so viele Überschüsse, dass wir dann irgendwann auch Schulden tilgen können. Ich glaube, wenn wir ehrlich miteinander sind, ist genau dieses Denkmodell inzwischen infrage zu stellen oder jemand kommt hier vor und beweist mir das Gegenteil. Aber ich glaube, dass es mehrere Faktoren gibt, dass alle diese Denkmodelle, die die Krise als Ausnahmefall unserer künftigen Entwicklung beschreiben, zu kurz greifen.
Ich gehe eher davon aus, dass die Entwicklungen in den nächsten Jahren sowohl auf dem ökonomischen, auf dem ökologischen, auf dem sozialen, nationalen und internationalen Gebiet eher zur Sorge Anlass geben, dass wir viel unstetere Entwicklungen in all diesen Bereichen haben werden. Und wann immer wir unstete Entwicklungen haben werden, werden wir das in allen öffentlichen Haushalten bis hinunter zur kleinsten Gemeinde merken. Insofern ist für mich die Diskussion um die Schuldenbremse viel zu kurz gegriffen. Ich glaube, wir müssen dort rein, wo über alternative Wachstumsbegriffe nachgedacht wird. Wir müssen in die Diskussion rein, wo über alternative Begriffe eines nachhaltigen Bruttoinlandsproduktes nachgedacht und diskutiert wird und wenn ich Ihnen nur zwei oder drei Risiken nenne, mit denen wir nur in den europäischen Gesellschaften zu tun haben, dann hoffe ich, Ihnen meine Sorge verdeutlichen zu können gegen die Hoffnung, man könnte hier in einem Bundesland wie Thüringen mit unseren noch zugespitzteren Voraussetzungen über eine Schuldenbremse unserer Haushalte nachhaltig lösen.
Ich nenne die Risiken: Das Erste, da geht es um die Rettungspakete für die EU-Staaten. An dieser Front wird in den nächsten Jahren noch einiges passieren. Es wird einiges wackeln und vieles von dem, was dort passieren wird, hat wenig mit Stabilität von öffentlichen Haushalten in deutschen Haushalten zu tun. Die zweite Frage, Herr Recknagel, Sie haben es angesprochen, die Risiken der Inflation. Wir haben nach wie vor, ich finde, ein klinisch totes Finanzsystem im internationalen Bereich.
Seit dem 11. September 2001 werden die internationalen Finanzmärkte mit Geld geflutet. Mit dem Ausbruch der Finanzkrise hat sich das noch einmal
verschärft. Die Zentralbanken schenken den Banken Geld, damit der Laden weiterläuft. Es wird diskutiert, einige Länder gehen in die Zinswende bereits rein, dass das Risiken hat sowohl an der Front der Inflation als auch an der Front der Zinsen. Das muss doch jedem auch im Hause hier klar sein. Da hilft die Schuldenbremse gar nichts, wenn an diesen Entwicklungen, also Eurostabilitätspakt und Auswirkungen, wenn einzelne Länder in die Pleite gehen oder wenn denen nachhaltig geholfen werden muss, Inflation als Zweites und wenn die Zinswende auf uns zukommt, dann kommen alle öffentlichen Haushalte in Deutschland so unter Druck, da nützt Ihnen eine Schuldenbremse, die Havarieeinsätze als Ausnahme im Katastrophenfall definiert, überhaupt nichts. Da werden Sie die nächsten 10, 20 Jahre damit zu tun haben,
Meine Damen und Herren, gestatten Sie mir noch einen Gedanken, um den Bogen zur Debatte von heute Morgen zu schlagen. Ich habe, bezogen auf die Japandebatte, nach der Katastrophe eine Nachricht nach drei, vier Tagen wahrgenommen, die mich schon überrascht hat, dann wiederum nicht. Aber beim ersten Hören hat es mich überrascht. Die japanische Regierung hat drei, vier Tage nach der Katastrophe erklärt, sie wird zur Bekämpfung der Folgen der Katastrophe auf Steuererhöhungen verzichten. Da habe ich mich gefragt, also wenn das nicht ein Anlass ist, darüber nachzudenken, dass die starken Schultern in der Gesellschaft mehr tragen müssen und nicht bloß über ein paar Monate, vielleicht sogar über Jahre, was soll dann noch passieren? Nach allen Kriegszuständen in Deutschland war es immer üblich, dass Leute, die in irgendeiner Form Vermögen hatten, es war gar kein anderer da, wo man hätte etwas holen können zur Refinanzierung des Staates. Ich frage mich, wie bei diesen Katastrophen, die wir erleben, eine Regierung sagen kann: Aber diesen Weg schließen wir per se aus. Wenn Japan jetzt eine Schuldenbremse hätte, es würden ihnen null helfen. Wenn Griechenland eine Schuldenbremse hat, es wird ihnen null helfen. Im Gegenteil, trotz Sparpaket steigt die Verschuldung in Prozent des Bruttoinlandsprodukts sogar weiter. Und auch deshalb glaube ich,
ist die Schuldenbremsendiskussion ein völlig falscher Pfad, der uns überhaupt nicht hilft, zu erkennen, wo der Ausstieg sein kann. Ich sage ja nicht, dass ich es weiß, dass ich es hätte, aber ich glaube, genügend Argumente gebracht zu haben, dass man sehr skeptisch sein muss, ob Ihr Weg überhaupt richtig sein kann.
Ich will ein letztes Argument nennen: Wir reden mindestens in westeuropäischen Gesellschaften viel von Demographie, und das zu Recht. Wir wissen heute, dass viele Schwellenländer, ich sage nur G 20, auf dem Sprung sind und das wird für viele Menschen hervorragende Verbesserungen bedeuten und vielleicht sogar in den Haushalten dieser Länder gute Chancen. Wir reden im gleichen Atemzug davon, dass es die alternden Gesellschaften in Zukunft viel schwerer haben werden, Wachstum im klassischen Sinne zu produzieren, weil es auch einfach damit zusammenhängt, das wissen wir aus den Konsumstudien, dass Menschen über 50 tendenziell weniger zu Neuanschaffungen neigen und zu großen Investitionen. Sie haben im Prinzip schon alles, vieles ist befriedigt. Das heißt, auch dieses Problem wird tendenziell dazu führen, dass wir in den klassischen Wachstumsdimensionen und damit auch in den klassischen Dimensionen, wie man Schulden zurückzahlt, glaube ich, nicht mehr weiterkommen. Ich glaube auch, die demographische Wende ist natürlich eine Chance, aber sie wird uns zunächst einmal bei dem klassischen Wachstum an der einen oder anderen Stelle zumindest den Weg nicht unbedingt erleichtern. Deshalb, liebe Kollegen, nicht nur, weil wir sagen, wir haben eine ideologische Diskussion, nehmt es den Reichen und alles ist gut, aber deshalb kommen wir als LINKE aus dieser Analyse heraus zu der Auffassung, dass wir mindestens auch die Einnahmen betrachten müssen, aber dann mindestens so intensiv, wie wir über Ausgaben nachdenken. Dass wir in diesem Thüringer Landtag mit Anträgen versuchen, diesen Spagat im Haushaltsbereich zu untersetzen, glaube ich zumindest, den Versuch nehmen Sie uns ab. Aber dieses Spannungsverhältnis ist in der deutschen Gesellschaft, ich glaube, auch in der europäischen Gesellschaft überhaupt noch nicht angekommen, solange Parteien auf Steuersenkungen setzen, um Wachstum zu generieren, solange es nach wie vor für gutgeheißen wird, dass es Steuerdumping gibt, dass es Steuerschlupflöcher gibt, wo die Reichen ihre Kohle hinbringen
und damit Staaten erpressen. Ich bin überzeugt, dass die Anhäufung von Kapital eine Ursache ist, dass Regierungen wie Japan in der jetzigen Katastrophe sich nicht trauen, das Thema Steuererhöhung in den Mund zu nehmen, weil die Sorge, dass die morgen per Knopfdruck alle an anderen Plätzen sind und ihr Geld investieren, viel zu groß ist. Ich glaube, das sind die Zusammenhänge. Wir würden hier eine Insellösung für Thüringen schaffen - so ist meine Überzeugung -, wir würden den Leuten etwas vorgaukeln, was wir nie und nimmer halten können. Deshalb sollten wir uns, da es um eine Verfassungsänderung geht - die Verfassung soll ja nicht nur Normative sein, sie sollte ja vor allen Din
gen, wie ich finde, einen Regelfall konstruieren. Ich bezweifele, dass wir in den nächsten Jahren bei den Voraussetzungen, die wir haben, diesen Regelfall erleben werden, zumindest nicht den, der notwendig macht, eine Verfassungsänderung zu untersetzen, die über die geltenden Regelungen der Thüringer Verfassung hinausgehen und über die geltenden Regeln der Landeshaushaltsordnung. Es wäre schon sehr viel geholfen, wenn wir stabile konjunkturelle Bedingungen hätten, dass wenigstens die Bedingungen der Landeshaushaltsordnung in den nächsten Jahren eingehalten werden könnten. Herzlichen Dank und es tut mir leid, dass ich Ihre Geduld so strapaziert habe.