Protocol of the Session on December 8, 2010

Ich bin kein allzu großer Fan - das will ich sehr deutlich sagen - von reinen Leistungstests a la PISA, da der soziale Hintergrund hier doch kaum beachtet wird. Aber die staatlichen Grundschulen in Thüringen stehen bei Leistungstests - also bei IGLU - an der Spitze der Welt. Hier ist völlig klar,

hier lernen weitestgehend - sicherlich mit einigen Abstrichen an dieser Stelle, wenn wir über Förderkinder reden, bei der die Selektion schon viel zu früh stattfindet - alle Kinder aller Schichten und Leistungsniveaus zusammen. Plötzlich im Alter von 15 ist Deutschland bei den PISA-Tests nur noch Mittelfeld. Man muss sich schon fragen, was da passiert ist? Ich sage, was passiert ist: Die Aufsplittung der Kinder nach der 4. Klasse in Regelschulen, Förderschulen und Gymnasium ist passiert. Damit entscheiden sich die Kinder nicht nur für eine bestimmte Schulart, sondern auch für einen bestimmten Schulabschluss und damit über ihren weiteren Werdegang. Denn die Durchlässigkeit des deutschen Bildungssystems ist eine Mär. Neunmal so viele Kinder - so sagt man zumindest im Volksmund steigen ab. In Thüringen beträgt die Quote der Fluktuation zwischen Gymnasium und Regelschule 2 Prozent, höher noch bei dem Gang vom Gymnasium zurück zur Regelschule. Ich gebe da den Vätern und Müttern von IGLU recht. Warum setzt man das positive Ergebnis der IGLU-Studie nicht nach oben fort, das ständig entwickelte staatliche System in der Bildung wird in einigen Jahren ausgedient haben, das ist meine zutiefste Hoffnung. Die Grundschule hat schon gelernt, mit Heterogenität umzugehen.

In Thüringen, meine Damen und Herren, gehen immer noch zu viele Kinder ohne Abschluss von der Schule, wenn man sich die Zahlen vom Schuljahr 2008 und 2009 in Gänze betrachtet, so waren 1.275 Kinder ohne Abschluss.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, mit der Ausweitung der Schulpflicht - Herr Emde hat das deutlich angesprochen - und der individuellen Abschlussphase werden wir diesem Problem entgegenwirken, ich hoffe, auch wirklich grundständig entgegenwirken.

Nach Anmerkung insbesondere der Jugendberufshilfe haben wir bei diesem Projekt noch mal nachgebessert. Flexible Schulausgangsphase zwar gestärkt, aber wir wollen auch nicht, darauf haben wir uns auch verständigt, dass schulmüde Kinder eine weitere Runde drehen müssen. Es muss systemisch klar sein, Schule ist der Hirte für die Schäfchen und nicht irgendeine andere Institution.

Die Gemeinschaftsschule bietet neue Chancen, aus der Bildung keine Lebenschancenlotterie zu machen, sondern eine Sicherheit von Chancen, weil man mit Chancen von Kindern und Jugendlichen nicht spielt. Gemeinschaftsschule ist die Antwort auf die Fragen von Familien, die sich fragen, wie kann mein Kind zum Abi kommen? Wie kann mein Kind besser individuell gefördert werden? Kann ich mir einen entsprechenden Bildungsweg für mein Kind überhaupt leisten? Die Wahl für eine bestimmte Schulart ist hier nicht mehr die Entscheidung für einen bestimmten Schulabschluss. Sozial

(Abg. Rothe-Beinlich)

kompetenzen sind hier genauso wertvoll wie Wissen.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, auch noch mal eine kleine Bemerkung bezüglich der Anhörung: Gemeinschaftsschule unterscheidet nicht nach lernwilligen und lernunwilligen Kindern. Das ist Nonsens, eine solche Kategorie in der Bildungspolitik überhaupt anzusprechen. Der Wechsel zu einer anderen abschlussbezogenen Gruppe wird hier nicht mehr als Abstieg wahrgenommen und, und, und.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, Frau Astrid Rothe-Beinlich hat das angesprochen und ich will hier noch mal sagen, wie beim letzten Mal, ich bin der Initiative der GRÜNEN, dem Diskurs zur Überwindung von Notengebung und Sitzenbleiben, sehr dankbar. Ich denke, dass wir in der Bildungspolitik diesen Diskurs in den nächsten Jahren auch intensiver benötigen. Das Schulgesetz hat hier erst einmal erste Grundlagen zur Öffnung gelegt. Das halte ich für sehr richtig.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, das ist deshalb richtig, weil sich aus der Veränderung der Schulstruktur auch Konsequenzen für den Unterricht und die Schulkultur ergeben müssen. Einstein hat einmal gesagt, ich zitierte: „Es ist ein schwerer Irrtum, anzunehmen, dass die Freude an der Erkenntnis und am Forschen durch Zwang und Pflichtgefühl gefördert wird.“ Ich danke, wie gesagt, an dieser Stelle den GRÜNEN, aber auch unserer Initiative. Wir haben den Weg zur Abschaffung und zur Überwindung eines Zwangs tatsächlich hergestellt.

Ich will an dieser Stelle, weil Schule auch Zeit bedarf, weil Schule Luft zum Atmen bedarf, noch etwas zu den Positionen der Linksfraktion, insbesondere bezüglich eines Volksentscheids sagen. Ich will nicht, meine sehr geehrten Damen und Herren, dass die Kampagnenfähigkeit von einigen die weniger Kampagnenfähigen dominieren. Lassen Sie uns das Modell von Gemeinschaftsschule von unten entwickeln. Hören Sie auf, dieses Projekt mit Bemerkungen á la, die SPD hätte sich hier wieder verraten, zu torpedieren. Das Gemeinschaftsschulkonzept, so wie es jetzt im Schulgesetz steht, war und ist das Konzept der SPD-Landtagsfraktion, von Hans-Jürgen Döring mit entwickelt, von Christoph Matschie mit entwickelt, das ist das Konzept, das im Regierungsprogramm der SPD steht - von unten freiwillig wachsen lassen. Meine sehr geehrten Damen und Herren, überzeugen Sie - und ich bin mir ganz sicher und zweifelsfrei, dass Sie gute bildungspolitische Kompetenzen haben - bitte auch die Letzten, die ein reines Staatsverständnis und vielleicht auch manchmal sogar noch ZK-Verständnis in ihrer Partei haben.

Schule wird nicht nur von oben gestaltet,

(Beifall SPD)

sondern Schule wächst von unten, meine sehr geehrten Damen und Herren.

(Zwischenruf Abg. Sojka, DIE LINKE: Abge- rechnet wird am Ende.)

Es gibt einen berühmten Spruch, der darf mir gestattet sein, der heißt: „Kommt die Revolution nicht von oben, dann kommt sie von unten.“ - nämlich mit dem Interesse der Eltern, mit dem Interesse der Schülerinnen und Schüler, mit dem Interesse der Kinder in den Schulen, mit dem Interesse der Lehrerinnen und Lehrer. Genau deshalb ist uns eine Sache noch einmal besonders wichtig: Die FDP hat in den Debatten - und wird es sicherlich auch jetzt wieder tun - aus meiner Sicht das Interesse des Schulträgers und das vermeintliche Interesse der Schulnetzplanung über das Interesse von Eltern gestellt. Ich frage mich an dieser Stelle ganz ehrlich, wie weit es mit Ihrer liberalen Haltung ist. Das Interesse von Eltern, das Interesse von Lehrerinnen und Lehrern, die seit Jahren warten, eine solche Option einer Gemeinschaftsschule vor Ort umzusetzen, ist uns jedenfalls als Sozialdemokratie so viel wert, dass wir sagen, es ist richtig, dass es ein übergeordnetes Interesse gibt und es ist richtig, dass nach einem Moderationsprozess auch das Land im Konfliktfall entscheidet. Das ist für uns völlig klar. Eltern, Lehrerinnen und Lehrer, die sich für diesen Weg entschieden haben, werden von uns unterstützt. Ich hoffe inständig, auch wenn es nicht aus Ihrer eigenen Feder entspringt, Frau Sojka, dass Sie das Projekt der Gemeinschaftsschule vor Ort mit uns gemeinschaftlich unterstützen und nicht torpedieren, weil es eben nicht aus Ihrer Feder stammt, und nicht aus Wahlkampftaktik vor Ort Verhinderungspolitik machen.

(Zwischenruf Abg. Sojka, DIE LINKE: Selbst- verständlich.)

Das neue Schulgesetz, meine sehr geehrten Damen und Herren, bietet die Chance für einen Wandel in der Thüringer Bildungslandschaft. Das Land reicht allen die Hand und bietet Hilfe und Unterstützung bei der Umsetzung vor Ort. Das im Übrigen war bei den drei Schulen, die Sie benannt haben, nicht immer so, die haben viel gekämpft, viel geackert. Das Land bietet jetzt die Möglichkeit, diese Schulen als gleichberechtigte Schulart zu installieren. PISA zeigt, es ist der richtige Weg, politisch aktiv bei dem unteren Leistungsniveau zu bleiben. Es geht nicht um Detailfragen bei der Gemeinschaftsschule, sondern welches Bildungssystem wollen wir, welche Schule wollen wir. Das macht nicht Politik allein, das machen Eltern, Lehrerinnen und Lehrer, Schülerinnen und Schüler ganz genauso.

Gestatten Sie mir zum Schluss noch eine Bemerkung: Der Ort für die Herstellung von Chancengleichheit, meine sehr geehrten Damen und Her

ren, ist nicht die ARGE von Frau von der Leyen, sondern die Schule. Vielen Dank.

(Beifall SPD)

Für die FDP-Fraktion hat sich Frau Abgeordnete Hitzing zu Wort gemeldet.

Sehr geehrte Frau Präsidentin, sehr geehrte Damen und Herren, ich bin gespannt, woher Sie das schon wissen, Herr Kollege Metz, und ich bin auch auf die Debatte morgen gespannt, wenn Sie heute sagen, alle Eltern warten schon auf die Thüringer Gemeinschaftsschule. Da bin ich gespannt, wie das morgen ausgeht mit dem Elternwillen. Das wird wirklich interessant.

(Beifall FDP)

Sehr geehrte Damen und Herren, die Novellierung von Gesetzen ist immer wichtig und gut, weil es einfach darum geht, dass man hinterfragt. Gerade in der Bildung ist das ganz wichtig und ein sich ständig veränderndes Medium muss hinterfragt werden und neue Erkenntnisse müssen selbstverständlich in einen Prozess, der sich ständig weiterentwickelt, eingearbeitet werden. Neue Erkenntnisse müssen evaluiert werden und das im Sinne unserer Schülerinnen und Schüler hier in Thüringen. Aber, ich glaube, genauso wichtig ist - und davon bin ich überzeugt -, dass man auch Fehler erkennen muss, auch Fehler analysieren muss und diese eventuell bereits schon gemachten Fehler nicht wiederholen sollte.

(Beifall FDP)

Bei allen Debatten, die wir in der letzten Zeit zum Thüringer Schulgesetz gehört haben, sehr geehrte Damen und Herren, ist mir gerade aus den Reihen der LINKEN und den Reihen der SPD immer wieder der Beigeschmack deutlich geworden, dass das Schulsystem in Thüringen per se schlecht ist, und das kann man so auf keinen Fall stehen lassen.

(Beifall FDP)

An dieser Stelle möchte ich noch einmal ausdrücklich sagen, dass bis zum heutigen Tage Thüringen sich immer sehen lassen konnte mit den Ergebnissen, die unser Freistaat unter anderem auch bei den PISA-Studien vorlegen konnte. Jetzt möchte ich ganz einfach auch einmal eine Lanze brechen für meinen Berufsstand.

(Beifall FDP)

Die Lehrerinnen und Lehrer in Thüringen haben in den letzten Jahren vorrangig in den Regelschulen gute Arbeit geleistet, nämlich dem Herzstück unserer Schullandschaft.

(Beifall FDP)

Sie haben sich selbst evaluiert, sie haben Fehler erkannt, sie haben daran gearbeitet, die Qualität in der Schule und in der Lehre zu verbessern, und das sollte man auf keinen Fall vergessen, sehr geehrte Damen und Herren.

(Beifall FDP)

Kommen wir ganz kurz zur PISA-Studie, es gibt ja nun seit gestern die Veröffentlichung dazu. Auch wenn es keinen direkten Bundesländervergleich gibt, möchte ich noch auf zwei, drei Zahlen eingehen: Lesekompetenz 2009 - es ist die Lesekompetenz getestet worden in allen teilnehmenden Ländern. Trotz dieses direkten Bundesländervergleiches, der jetzt nicht da ist, gibt es aber eben die Möglichkeit, die Bundesländer zu vergleichen und da ist zu sehen, dass Thüringen an fünfter Stelle ist im Bundesländervergleich. Auch über diese Tests, die im Rahmen der PISA-Studie gemacht worden sind, hat sich Thüringen im Bereich der Mathematik und der Naturwissenschaften außerordentlich gut geschlagen. Das kommt nicht von ungefähr.

(Beifall FDP)

Im Vergleich aller teilnehmenden Länder ist es in der PISA-Studie nun so, dass - das haben wir ja nun gestern gehört - Deutschland so in der Mitte rumdümpelt. Aber ich möchte auch ergänzen, Deutschland hat sich auch verbessert, nämlich um 13 Punkte. Das ist natürlich nicht das, was wir in der Bundesrepublik Deutschland zum Schluss wollen, aber ich möchte doch ausdrücklich darauf hinweisen, dass es eine Verbesserung gibt, will per se heißen, es ist etwas getan worden. Es ist für mich natürlich wichtig, einmal zu schauen, wo sind denn eigentlich die erfolgreichen Bundesländer, die zu diesem Durchschnittswert beigetragen haben.

(Beifall CDU)

Das ist Bayern, das ist Sachsen, das ist auch Thüringen. Schleswig-Holstein z.B., die sind dabei, ihre installierte Gemeinschaftsschule zu reformieren, die sind auf Platz 12. Jetzt fangen sie an und reformieren ihre Gemeinschaftsschule. Das scheint doch einen Grund zu haben.

(Beifall FDP)

Ich komme auf den Ausgangspunkt zurück. Es ist natürlich gut, bei aller Föderalismusdebatte und allem Föderalismus, den wir auch wollen, trotzdem mal über den Tellerrand zu schauen und Fehler, die man schon einmal gemacht hat, zumindest zu evaluieren und zu schauen, hoffentlich können wir es besser machen. Nordrhein-Westfalen ist auch gefallen. Nordrhein-Westfalen macht in etwa das Gleiche, was hier in Thüringen jetzt installiert werden soll. Platz 10, Platz 14, Platz 14 - Lesekompetenz, Naturwissenschaften, Mathematik. Das ist auch nicht wirklich der Sprung.

(Abg. Metz)

(Beifall FDP)

Die Gemeinschaftsschule wird also in SchleswigHolstein demnächst reformiert oder hinterfragt und in dem neu zu beschließenden Schulgesetz hier in Thüringen kommt mir ein Punkt natürlich immer ganz besonders in den Fokus und steht auch im absoluten Vordergrund, das ist die Thüringer Gemeinschaftsschule, die soll eine Bereicherung der Schullandschaft sein - Punkt 1. Sie soll weiter zur Förderung der integrativen Beschulung aller Schüler maßgeblich beitragen - Punkt 2. Und sie soll von allen Beteiligten freiwillig gewollt sein.

Jetzt komme ich auf genau den Punkt, Herr Metz, den Sie eben angesprochen haben: Freiwilligkeit bedeutet, Freiwilligkeit aller Beteiligten, auch derer, die Schulträger sind, und das sind nun mal die Landkreise.

(Beifall FDP)

Wir haben mit unserem Änderungsantrag, der heute auch noch mal hier zur Debatte stehen wird, für den ich im Übrigen auch namentliche Abstimmung beantrage, noch einmal dargestellt, dass nicht die Ermächtigung des Ministeriums zum Schluss sagen soll, so wird es gemacht, basta und nicht anders. Das kann nicht unser Wunsch sein,

(Beifall FDP)

das kann auch nicht unser Ziel sein. Vor 20 Jahren sind die Leute auf die Straße gegangen wegen Freiheit und Selbstbestimmung und jetzt fangen wir an und machen wieder Dinge von oben.