Vielen Dank, Frau Ministerin Taubert. Wünscht die Fraktion DIE LINKE das Wort zur Begründung ihres Entschließungsantrags? Nein. Dann eröffne ich jetzt die Aussprache. Das Wort hat die Kollegin Stange von der Fraktion DIE LINKE.
Frau Präsidentin, sehr geehrte Damen und Herren, werte Anwesende auf der Tribüne! Wir haben es heute - die Frau Ministerin hat es bereits lang erwähnt - mit dem Ersten Gesetz zur Änderung des Thüringer Gesetzes zur Gleichstellung und Verbesserung der Integration von Menschen mit Behinderungen zu tun. Wenn man dieses hört und liest, so denkt man - Außenstehende werden das sicher tun -, es geht wirklich um ein Erstes Gesetz zur inhaltlichen Novellierung dieses Thüringer Gleichstellungsgesetzes für Menschen mit Behinderungen, aber weit gefehlt, es geht nur um die Entfristung. Ja, Frau Ministerin, wir haben bereits an dieser Stelle vor gut einem Jahr darauf hingewiesen, dass das jetzige Thüringer Gleichstellungsgesetz Ende Januar 2011 ausläuft und dass wir nur noch wenig Zeit haben, um eine wirkliche Novellierung auch im Sinne der UN-Konvention und der Thüringer Verfassung vorzunehmen. Aber - und ich habe es mir fast gedacht - bis heute ist nichts geschehen. Der Verweis auf die Arbeitsgruppen, die tagen und die sicher auch sehr intensiv tagen, ist mir an der Stelle einfach zu wenig. Das, was Sie heute vorlegen, ist für mich ein - so will ich es einmal nennen - behindertenpolitisches Armutszeugnis. Ich habe mir die Mühe gemacht, Frau Ministerin, und mir bei allen neun Arbeitsgruppen, die von Ihnen einberufen worden sind, die auf den unterschiedlichsten Ebe
nen tagen, angeschaut, was sie beredet haben. Es gab nur eine Arbeitsgruppe, und zwar die, die von Dr. Brockhausen geführt wird, die sich inhaltlich wirklich mit einer Novelle des Thüringer Gleichstellungsgesetzes befasst hat. Alle anderen haben dieses Thema überhaupt nicht angefangen. So denke ich - mit Verlaub gesagt -, will man uns hier ein X als U vormachen. Die Arbeitsgruppen sollen eigentlich herhalten, weil es im Moment noch keine inhaltliche Novellierung gibt. Wie gesagt, es ist für mich ein behindertenpolitisches Armutszeugnis. Ich hätte mir schon gewünscht, dass man sich als Landesregierung auf den Weg macht, um wirkliche Inhalte an dem Gesetz zu novellieren. Wir haben bereits vor fünf Jahren, wo es auf den Weg gebracht worden ist, feststellen können - auch Ihre Fraktion, Frau Ministerin, hat das immer und immer wieder gesagt -, es ist ein schlechter Gesetzentwurf, der wenig regelt. Es sind viele Punkte, die eigentlich hätten entschieden besser geregelt werden können. Umso enttäuschter bin ich, dass wir heute hier nur eine Entfristung vorgelegt bekommen.
180.000 Thüringerinnen und Thüringer hätten es verdient, Inhalte zu sehen von einer Landesregierung, die - so geben sie immer zu und an - sich natürlich auch für Menschen mit Behinderungen einsetzen möge. Wir haben in unserem Entschließungsantrag darauf hingewiesen, welche Inhalte unbedingt in einem Gesetz neu geregelt werden müssen. Da sind wir bei den Nachteilsausgleichen. Heute Morgen haben hier vor dem Landtag über 100 gehörlose Menschen gestanden und genau darauf hingewiesen, dass es nicht nur reicht, Gebärdendolmetscher, die im freien, also im privaten Bereich jetzt zwar finanziert werden, zu finanzieren. Sie brauchen weitere Nachteilsausgleiche, um ihre Nachteile, die sie haben, in Form von Weckern, etc. auch finanzieren zu können. Wir brauchen ein Verbandsklagerecht für Menschen mit Behinderungen, damit sie endlich nicht als Einzelkämpfer diese Tippeltappelwege über die Institutionen gehen müssen, um ihre Rechte einzufordern.
Das war eine Forderung von Ihnen als SPD, auch eine Verbandsklage einzureichen. Wir brauchen verbesserte Rechte des Landesbehindertenbeauftragten. Das war auch eine Forderung von der SPD-Fraktion. Wir brauchen auch eine verbesserte Ausstattung der kommunalen Behindertenbeauftragten. Das steht alles noch im Raum. Ich denke, das sind Punkte, die hätten Sie als Landesregierung uns auch jetzt schon vorlegen können in einer wirklichen, echten Novelle eines Behindertengesetzes und nicht nur in einer Entfristung.
Lassen Sie mich darum noch einmal auf unseren Entschließungsantrag eingehen. Wir haben gesagt, es braucht wirklich die inhaltliche Diskussion. Wir
fordern Sie mit unserem Entschließungsantrag auf, bis zum 30.06. dem Landtag etwas vorzulegen, damit der Landtag als Souverän noch im Jahr 2011 eine echte Novelle eines Thüringer Gleichstellungsgesetzes auf den Weg bringen kann, die weiß Gott vonnöten ist.
Frau Ministerin und die anwesenden Minister und Staatssekretäre, ich kann nur sagen, ich denke, auch die Landesregierung in Gänze und ihre Mitarbeiter und Angestellten brauchen auf dem Gebiet der Behindertenpolitik Nachhilfe. In den letzten Monaten sind Beschlüsse und Empfehlungen durch Sie getroffen worden, die - so sage ich ganz eindeutig - nichts mit Barrierefreiheit zu tun haben. Ich will nur erinnern an das Thema barrierefreier Internetauftritt, der ist bis heute noch nicht realisiert. Ich will daran erinnern, wie die Ministerpräsidentin sich zu dem Rundfunkstaatsvertrag und dessen Änderungen bekannt hat, wo Nachteilsausgleiche für Gehörlose und Blinde einfach gestrichen werden, wo die bisherigen freien Zugänge zum öffentlichrechtlichen Rundfunk einfach reduziert werden. Ich will nur daran erinnern, dass Barrierefreiheit selbst vor dem Landtagsgebäude, vor der Landtagsverwaltung anfängt - die Rampe ist einfach nicht mehr da, Menschen mit Behinderungen kommen dort nicht hinein. Sie müssen ihr Wägelchen oder ihren Rolli die Treppen hochtragen. Schauen Sie es sich an. Ich habe es mir heute früh genau angeschaut. Es gibt einfach noch viele Punkte, die zu tun sind. Ich fordere Sie im Namen meiner Fraktion auf, dem Entschließungsantrag zuzustimmen, damit wir im Jahr 2011 ein wirkliches Gleichstellungsgesetz für Menschen mit Behinderungen in Thüringen haben, das dessen Namen auch gerecht wird. Danke schön.
Frau Präsidentin, liebe Kolleginnen und Kollegen Herr Kuschel, da müssen Sie den Herrn Kemmerich schon selber fragen; ich könnte es Ihnen verraten, aber ich weiß nicht, ob Sie es verstehen würden, Herr Kuschel.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir sind heute dazu aufgerufen, über die Entfristung des Behindertengleichstellungsgesetzes zu entscheiden. Ich glaube, es dürfte hier im Hohen Hause keinerlei Dissens darüber bestehen, dass Menschen mit Behinderung einen wichtigen Teil der Gesellschaft darstellen, diese aber immer noch oft oder noch oft
genug um entsprechende Anerkennung ringen müssen. Dem Ansinnen der Stärkung von Menschen mit Behinderungen muss auch vonseiten der politischen Entscheidungsebene Rechnung getragen werden - das ist klar - und es müssen somit auch entsprechende unterstützende Maßnahmen eingeleitet werden. Dies war im Übrigen eine Forderung, die durch uns auch in der Zeit der außerparlamentarischen Opposition immer wieder an die Landesregierung gerichtet wurde.
Das hier vorliegende Gesetz wird von uns daher, im Gegensatz zu Ihnen, inhaltlich vollumfänglich mitgetragen. Dieser gesamtgesellschaftlichen Aufgabe, die sich aus dem Grundgesetz, unserer Landesverfassung und der durch die Bundesrepublik ratifizierten UN-Konvention über die Rechte der Menschen mit Behinderungen ergibt, müssen wir Parlamentarier die entsprechende Aufmerksamkeit widmen und uns intensiv mit der Verbesserung der sozialen Integration von benachteiligten Bürgern auseinandersetzen. Dies gilt explizit nicht nur für Menschen mit Behinderungen, sondern meint unter anderem auch den Komplex der sozialen Explosion von Migranten oder auch der Armutsproblematik. Generell scheint nach der sozialen Frage des 19. Jahrhunderts, der Frage der Auseinandersetzung von Gesellschaftssystemen im 20. Jahrhundert nunmehr im 21. Jahrhundert die Bekämpfung von sozialer Explosion, beispielsweise durch Armut, Behinderung, Herkunft oder Alter, entscheidend für das Fortschreiben der Erfolgsgeschichte der westlichen Demokratie und des Wirtschaftsmodells zu sein. Wir als Liberale werden und wollen unseren Teil dazu beitragen, dass Menschen in dieser Gesellschaft eine Chance haben, ihr Leben möglichst frei zu gestalten,
und, egal aus welchem Umfeld oder sozialen Schicht sie stammen, sich als gleichwertigen Teil dieser Gesellschaft zu verstehen. Daher sei auch an dieser Stelle allen gedankt, die sich immer wieder für die Rechte Benachteiligter eingesetzt haben und einsetzen.
Wichtig aus unserer Sicht bleibt dabei nur, dass man den Fehler vermeidet, in guter Absicht den einen zu fördern und den anderen zu überfordern. Wir brauchen stets den politischen Maßstab der
Verhältnismäßigkeit, sind wir doch in der Bundesrepublik Deutschland in der glücklichen Lage - auch das muss mal gesagt werden -, durchaus in vielen Fragen ein Vorbild für andere Staaten und Gesellschaften zu sein.
Dies ändert natürlich daran nichts, dass auch bei uns in Thüringen alle gesellschaftlichen Akteure das habe ich bereits schon betont - aufgerufen sind, sich selbst wie auch ihr Handeln und Tun zu hinterfragen und mitzuhelfen, Vorurteile und Barrieren abzubauen. Allein mit Gesetzen und politischem Willen ist es dabei jedoch nicht getan. Da wundert es mich schon sehr, dass das vorliegende Gesetz mit der Begründung entfristet werden soll, dass der Landesbeauftragte für Menschen mit Behinderungen, der heute unser Gast im Plenum ist, in der Mitte und am Ende der Legislatur einen schriftlichen Bericht anfertigen soll. Dies allein kann doch noch keine Rechtfertigung für eine Entfristung sein.
Meines Erachtens ist unter Evaluation eines Gesetzes vor allem die konkrete Überprüfung dessen Wirksamkeit zu verstehen. Es geht also nicht darum, dass wir jetzt eine Institution haben, die sich um diese Fragen kümmert, sondern wie wir als Gesetzgeber das Gesetz in Abständen der Überprüfung zuführen, um es gegebenenfalls an die bestehende Realität anpassen zu können. Dies zu diskutieren und um die Wirksamkeit des Gesetzes in Abständen überprüfen zu können und zu müssen, ist für uns eine weitere Befristung genau das richtige Instrument. Dass wir uns darin einig sind, dass Behinderte die gleichen Rechte haben sollen, steht hier außer Frage und ist, wie erwähnt, bereits Bestandteil des Grundgesetzes und unserer Landesverfassung. Der Inhalt des Gesetzes richtet sich somit nicht an dem Ob, sondern an dem Wie aus. Die Frage lautet also, wie können wir den Verfassungsauftrag umsetzen? Darüber sich in Abständen zu unterhalten und regelmäßig Anpassungen vorzunehmen, ist zwingende Voraussetzung für die Ausgestaltung des Verfassungstextes im alltäglichen Leben.
Wir halten daher die weitere Befristung des Gesetzes für mehr als geboten und stimmen einer Entfristung des Gesetzes so nicht zu. Eine weitere Befristung um 5 Jahre ist meiner Meinung nach genau im Kontext der zu überprüfenden Umsetzung der UN-Konvention mehr als geboten.
Ich kündige heute schon für den morgen in zweiter Lesung zu behandelnden Gesetzentwurf einen entsprechenden Änderungsantrag an. Vielen Dank.
Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Frau Stange, Sie haben der Ministerin ein behindertenpolitisches Armutszeugnis ausgestellt. Sie wissen, dass ich vor der Wende bei behinderten und mehrfach behinderten Kindern gearbeitet habe und dass ich weiß, wie zu DDR-Zeiten mit Behinderten umgegangen worden ist. Gerade Ihre Fraktion, die jetzt DIE LINKE heißt, einige waren bei Ihnen damals auch in der Verantwortung, es war menschenunwürdig, was man damals mit behinderten Menschen getan hat und besonders mit Kindern.
Ich bin sehr froh, dass wir nach der Wende vieles erreicht haben. Man kann das gar nicht mehr vergleichen. Ich bin der Meinung, es ist auch noch viel zu tun. Aber dass gerade Sie hier der SPD vorwerfen, mit Behinderten so umzugehen, das finde ich schon eine Farce.
Mit dem vorliegenden Gesetzentwurf, wollen wir das bisher geltende Behindertengleichstellungsgesetz entfristen. Herr Koppe, wenn wir das nicht entfristen und nicht bis zum Januar ein neues Gesetz vorlegen, haben wir gar kein Gesetz und auch selbst dieses Gesetz ist erst einmal wichtig für die Übergangszeit.
Darum ist die Lösung, die ich mir gewünscht hätte, dass wir jetzt schon ein Gesetz hätten, ein Wunsch gewesen. Aber dieses ist zurzeit der am besten gangbare Weg. Die Entfristung ist notwendig, um die Arbeit der neun Arbeitsgruppen, die die Ministerin noch einmal erklärt hat, die im Anschluss an die Ratifikation der UN-Behindertenrechtskonvention durch Deutschland gebildet wurden, sachgerecht auswerten zu können. Diese Auswertung wird noch bis zum Anfang des nächsten Jahres andauern. Da das Gesetz mit Ablauf des 31. Januar nächsten Jahres seine Gültigkeit verlieren würde, müssen wir zunächst diese Entfristung hier vornehmen, denn das Weiterbestehen dieses Gesetzes ist zunächst besser als das Wegfallen des Gesetzes. Da geben Sie mir sicherlich recht. Ich betone ausdrücklich das Wort „zunächst“. Denn die Ergebnisse der Arbeitsgruppengespräche werden Eingang in die Überlegungen zu einer zeitnahen Anpassung des Behindertengleichstellungsgesetzes in Thüringen
finden. Die AG’s haben sich mit allen Aspekten der Situation von Menschen mit Behinderungen in Thüringen beschäftigt, von Kommunikation über Barrierefreiheit bis hin zur Arbeitsmarktsituation. Wenn wir der Intention dieser Arbeitsgruppen gerecht werden wollen und sie nicht nur eine Pro-formaEinrichtung sein sollen, was hier sicherlich niemand will, müssen wir die Ergebnisse in der dafür notwendigen Zeit evaluieren. Ich hätte mich gefreut, wenn es möglich gewesen wäre, das Behindertengleichstellungsgesetz bereits jetzt entsprechend der UN-Konvention zu novellieren, falls dazu Notwendigkeit bestehen sollte. Da es jedoch bereits im Januar ausläuft, müssen wir uns für die zweitbeste Lösungsvariante einer Entfristung für den Moment entscheiden.
Wir werden nicht fünf Jahre warten, bis das neue Behindertengleichstellungsgesetz da ist, sondern wir warten jetzt, bis die Arbeitsgruppen uns ihr Resultat vorstellen, und mit diesem gemeinsam wollen wir dann das Gesetz novellieren.
Ich möchte es noch mal klipp und klar sagen, ich habe auch den Entschließungsantrag von den LINKEN gelesen, wenn wir dem jetzt zustimmen würden, würden wir den Arbeitsgruppen vorgreifen. Dann würden die Parlamentarier, die nicht behindert sind, denn wir sind nicht die Betroffenen, wieder ohne die Betroffenen etwas in einen Gesetzentwurf reingeben und schon festlegen, was in diesen Gesetzentwurf kommt. Ich bitte Sie ganz herzlich, warten wir ab, bis die Arbeitsgruppen ihre Arbeit getan haben.