Bestandteil unserer Gesellschaft. Die Union wird verhindern, dass sich in Thüringen ein Schulsystem entwickelt, wo die Kinder erst ihren Namen tanzen, bevor sie ihn schreiben können.“
Meine Damen und Herren, die Schule muss auf das Leben vorbereiten. Dazu gehört eben auch, Probleme zu lösen und damit fertig zu werden. Das Zurückstellen ist eine Möglichkeit für Schüler, das nicht Gelernte nachzuholen. Sitzenbleiben sollte dabei nicht als Bestrafung angesehen werden. Nach einer Umfrage des Forsa-Instituts aus dem Jahr 2002 sind 79 Prozent der deutschen Bevölkerung für das Sitzenbleiben als sinnvolle, pädagogische Maßnahme. Eine im Jahr 2006 durchgeführte repräsentative Befragung des Instituts für Schulentwicklungsforschung an der Universität Dortmund zeigt, dass deutsche Lehrer und Lehrerinnen mehrheitlich für die Beibehaltung der Klassenwiederholung sind. Nach einer Forsa-Umfrage aus dem gleichen Jahr schätzen laut Bertelsmann 66 Prozent der Deutschen das Sitzenbleiben als sinnvoll ein und wollen es als pädagogische Maßnahme beibehalten.
Meine Damen und Herren, Sitzenbleiben ist für viele Eltern und Lehrer ein fester Bestandteil des deutschen Schulsystems. Dazu gehört auch ein klares Bekenntnis zu Zensuren. Wenn die GRÜNEN hier von „Auslese und Notenwahn“ reden, bitte ich an dieser Stelle einfach um mehr Sachlichkeit.
Ihre Vorstellungen führen in diesen Punkten vollkommen am Leben vorbei. Nehmen Sie doch dabei ganz einfach die Meinung der Eltern und Lehrer ernst und schauen Sie sich auch bitte in der Praxis um. Dieses ständige Herumexperimentieren an unserem Schulsystem verunsichert auch die Eltern und Lehrer. Am Ende treiben wir die Schüler in Privatschulen, in denen Fördern und Fordern auf der Agenda steht, und das kann nun wirklich nicht unser Ziel sein. Wir wollen doch, dass Bildungsgerechtigkeit zu- und nicht abnimmt.
Erst gestern konnten wir in der Zeitung lesen, dass Thüringen mit Stand 2007 das meiste Geld für Schüler ausgibt: im Sekundarbereich 8.100 € pro Schüler - mehr als jedes andere Bundesland - und im Primarbereich 5.800 € pro Schüler. Damit belegt unser Freistaat den 2. Platz. Auf die Abschaffung der Ehrenrunde als Sparmaßnahme gehe ich an dieser Stelle gar nicht weiter ein. Ich denke, so wie
Sie hier Bildungsleistungen gegeneinander ausspielen wollen, spricht das für sich selbst. Wir müssen in Thüringen weiter auf Früherkennung und Förderung schwacher Schüler setzen.
Wenn Sie in der Antragsbegründung individuelle Förderung angeben, kann ich das durchaus nur begrüßen. An dieser Stelle möchte ich aber auch betonen, dass bereits in Thüringen viel getan wird für eben diese individuelle Förderung unserer Kinder. Deshalb danke ich auch ganz besonders den Thüringer Lehrerinnen und Lehrern für ihr hohes Engagement.
Die Kollegin und Regelschullehrerin Franka Hitzing hat bereits in der Presse dargestellt, dass der Vorschlag der GRÜNEN an der Praxis vorbeigeht und Wiederholungen keine Bestrafung sind. Frau Hitzing sagte, auch Kinder wollen Gerechtigkeit und gerechte Bewertung. Diese Aussage kann ich voll und ganz unterstützen.
Meine Damen und Herren, gern werden wir uns im zuständigen Ausschuss der Diskussion und weiteren Beleuchtung des Themas stellen. Die CDUFraktion beantragt daher die Überweisung an den Ausschuss für Bildung, Wissenschaft und Kultur.
Herr Präsident, meine Damen und Herren Abgeordneten, ich bin den GRÜNEN wirklich dankbar, dass sie das Thema zum Thema gemacht haben, weil man merkt, dass man auch hier drin mal wieder darüber reden muss. Ich gebe zu, am Anfang war ich schon fast ein bisschen eingeschlafen und dachte, wir sind uns alle einig und das ist ja wohl klar, aber nachdem ich Herrn Kowalleck jetzt gehört habe, muss ich mich echt zügeln, dass das jetzt nicht überspringt. Genau mit diesen Sachen wollte ich eigentlich anfangen. Das Sitzenbleiben ist in den Köpfen vieler deutscher Lehrer nach wie vor fester Bestandteil und das ist doch das Problem, Herr Kowalleck, Sie sind das Problem.
Die Lehrer, die so denken, sind das Problem. Deswegen kann sich das deutsche Schulsystem nicht so weiterentwickeln, wie wir uns das wünschen. Es besteht aus Druck, aus Angst und sozusagen das Sitzenbleiben als die letzte Maßnahme. So kann es nicht sein. Das ist nicht das, was wir unter guter Schule verstehen. Ich sage es wieder von diesem
Pult aus, wir haben ein alternatives Schulgesetz aufgeschrieben und haben genau zu diesen strittigen Fragen vorher Fachkonferenzen durchgeführt. Ich erinnere an die Fachkonferenz vom 27.11.2007 - da gibt es noch einen Reader, den werde ich Ihrer Fraktion zu Verfügung stellen -, wir hatten Bildungswissenschaftler eingeladen und haben auch versucht, mit denen zu diskutieren, um die Argumente zu finden, um genau andere Formen der Bewertungen zu hinterfragen, die eine gelingende Schullaufbahn ermöglichen. Das ist nicht nur eine Frage des Sitzenbleibens, das ist überhaupt die Frage der Bewertung und wie das deutsche Schulsystem derzeit aufgebaut ist.
Ich gebe zu, dass die Diskussion im Nachhinein in unserer eigenen Parteimitgliedschaft nicht so einfach war, denn auch da, wenn man nachfragt, sind natürlich genauso viele Leute, die sagen, das war schon immer so und das braucht es so und daran müssen wir auch gar nichts ändern. Aber wir müssen etwas daran ändern, und zwar genau aus dem Grund, weil uns viele Schulen, die es schon gibt, vormachen, dass andere Formen der Bewertung dem Kind viel gerechter werden. Da muss man nur mal den Lebenslauf eines Kindes genauer betrachten. Die Kinder werden geboren und sind neugierig. Sie lernen jeden Tag ganz viel dazu, ohne dass irgendjemand eine Note dafür gibt oder Bienchen verteilt. Kinder sind neugierig und haben eine Motivation an Wissenserwerb und diese Fenster müssen auch geöffnet werden, Anregungen müssen gegeben werden. Deswegen wird jetzt viel mehr Wert auf frühkindliche Bildung gelegt. Irgendwann stehen dann alle am ersten Schultag ganz stolz mit ihrer Zuckertüte vor der Tür und gucken mit großen Augen die Lehrerin oder den Lehrer an und erwarten, dass es jetzt in der Schule auch so weitergeht. Es dauert aber oft nicht lange, bei manchen länger, bei manchen weniger lange, manchmal auch Jahre, je nachdem, wie gut die Schule ist, und den Kindern wird es abgewöhnt, nur von sich aus neugierig zu sein und von sich aus eine Lernmotivation zu entwickeln und einfach am eigenen Wissenserwerb Freude zu empfinden, weil diese Motivation, die jedes Kind eigentlich in sich hat, zerstört wird,
zerstört wird eigentlich durch das erste Bienchen, durch die Note, durch irgendeinen Euro, den man bekommt für eine gute Note usw. Stellen Sie sich doch die Kinder vor, die einen, die in der ersten Klasse anfangen, die können schon ihren Namen schreiben, und andere, die können noch nicht mal einen Stift halten. Irgendwann, ich sage mal, nicht bei der ersten Note, sondern schon beim ersten Bienchen bekommen die einen mit, dass die einen immer die Bienchen bekommen und die anderen sich Mühe geben können, wie sie wollen, und sie bekommen dieses Bienchen aber nicht. Irgendwann muss ich als Lehrer dann „gerecht“ bewerten
und dann ist die Motivation futsch, dann sortieren wir die am Ende der 4. Klasse noch ein in die Schlauen und in die nicht so Schlauen und dann wundern wir uns, dass das deutsche Schulsystem nicht so eine gelingende Atmosphäre hinbekommt wie beispielsweise das finnische Schulsystem.
In Skandinavien ist Sitzenbleiben ein Fremdwort. Dort sagt man: Kein Kind darf zurückbleiben! Bei den ersten Anfängen, wenn irgendein Kind irgendetwas nicht versteht oder Schwierigkeiten bei dem oder jenem hat, wird ihm geholfen durch individuelle Förderung, und zwar die Spiegelung immer an sich selbst, an seinen eigenen Leistungen und nicht an dem Durchschnitt von irgendwas. Deswegen sind auch Durchschnittsnoten so sinnlos. Ich kann mich auch noch an Dienstberatungen erinnern, ich habe in der 6. Klasse oft genug Mathe erteilen müssen, wir wurden schon im Halbjahr in der Dienstberatung darauf hingewiesen, dass der Notenschlüssel am Jahresende eindeutig sein muss und die Mathenote war immer das scharfe Schwert, ob am Ende in eine Hauptschulklasse oder Realschulklasse einsortiert wurde; Gott sei Dank ist das nicht mehr so. Aber das fiel uns schwer und wir mussten den Notenspiegel entsprechend natürlich so machen, dass Eltern dann nicht auf die Idee kommen, dass da irgendwie vielleicht was nicht ganz koscher ist. Jetzt haben wir im Spiegel-Online hoffentlich alle gelesen, dass Lehrer sogar noch Recht bekommen, sogar von Gerichten, dass diese subjektive Notengebung über Schulwege entscheidet. Aber das ist doch nicht gelingende Schulentwicklung, das ist doch nicht gelingendes Lernen. Das braucht man nicht dazu, diese Angst vor dem Sitzenbleiben. Ich kann Ihnen auch Beispiele erzählen, wo ich einen Schüler dreimal in der 6. Klasse hatte und dann hatte dieser seine neun Schuljahre rum und hat das Schulsystem ohne Abschluss verlassen. Er hat dreimal Bruchrechnungen lernen sollen. Im ersten Jahr hatte er, glaube ich, zwei Fünfen und in jedem nächsten folgenden Jahr mehr Fünfen. Man nimmt den Kindern, wenn sie dann auch noch ihre Klasse verlassen müssen, auch jeden sozialen Bezug, ihre Freunde. Das ist beschämend.
Schule darf nicht beschämend sein. Das ist der springende Punkt. Dass man am Ende sogar dabei noch sparen würde, das ist nur für die, die es anders nicht verstehen, denn Marianne Demmer (GEW) hat herausbekommen, dass je Wiederholungsschüler Personalkosten von 4.000 € pro Jahr ausgegeben würden und das Geld könnte sinnvoller eingesetzt werden.
Wenn Sie noch ein paar Autoritätsbeweise brauchen, also dann: Selbst Salzburger Bildungsforscher sehen das als politischen Irrweg und als Re
likt aus der pädagogischen Mottenkiste des 19. und 20. Jahrhunderts. Und selbst der Pädagoge und Leiter der Internatsschule Schloss Salem, Bernhard Bueb, den ja auch viele kennen mit dem Buch „Lob der Disziplin“ ist der Meinung: „Das Problem der Kinder, warum sie nicht lernen können, löst sich nicht durch das Sitzenbleiben. Eine Klasse zu wiederholen, werde nicht selten als Schande empfunden und oft als traumatisches Erlebnis erinnert, als eine richtige Demütigung.“ Das System der staatlichen Schulen brauche noch immer die „Angst vor Versagen als Motivation“.
Sehr viele von uns sind diese Schule durchlaufen, durchaus erfolgreich. Ich musste keine Angst vor dem Sitzenbleiben haben; Herr Voigt, Herr Kowalleck, Sie sicherlich auch alle nicht. Aber es gibt Kinder, die nicht so sind wie wir, und denen muss man auch Erfolgserlebnisse verschaffen, damit sie an sich selber wachsen können.
Ich kann mir nicht vorstellen, dass Sie sich nur nach vorn gekämpft haben und Sieger sein wollten beim Wissen darum, dass es dann Verlierer geben muss. Ich denke, ein Schulsystem braucht weder Sieger noch Verlierer, sondern es braucht einfach Motivation und die muss man erhalten.
Es gibt eine pädagogische Bildungsforschung und die muss man sich einfach zu Gemüte führen. Im Übrigen, ich erinnere noch mal daran, in den reformpädagogisch orientierten Schulen, meistens sind es ja die freien Schulen, wird das auch gezeigt, dass das geht. Ich hoffe, dass diese in den Evaluierungsmaßnahmen des Ministeriums auch mit bewertet werden, dass man endlich sehen kann, welche Formen auch wirklich sinnvoll sind und wie man zu guten Ergebnissen kommen kann. Das hat nichts damit zu tun, dass man seinen Namen tanzen können sollte; das ist so etwas von diffamierend. Sie schmücken sich so oft mit der Reformpädagogik in Thüringen als Wiege, aber wenn es wirklich darum geht, reformpädagogische Ideen in die Tat umzusetzen, die überhaupt nicht mehr neu sind und auch wissenschaftlich gut begründet und untersucht sind, dann ist es vorbei mit dem Loblied auf die Reformpädagogik, da wird auf Stammtischniveau gesagt, das war schon immer so und die Erde ist eine Scheibe und das ändern wir nicht.
Das können wir nicht so gelten lassen. Ich sage es noch mal, ich habe bestimmt eine ganze Menge vergessen, was ich noch so sagen wollte. Eins wollte ich noch zumindest auch mit anmerken. Es gibt eine Ausnahme und das ist die Ausnahme, wenn Kinder und Eltern aus irgendwelchen Gründen das
möglicherweise tatsächlich wollen, dann ist das sozusagen im Gespräch als eigene Maßnahme akzeptiert und das sollte natürlich möglich sein. Anders ist auch eine veränderte Schuleingangsphase hier nicht zu verstehen und auch die Idee mit so einer veränderten Schulausgangsphase zu hantieren, ist sicherlich sinnvoll. Das gestehen wir gern zu, aber nicht als Strafmaßnahme und nicht rausreißen aus dem Sozialbezug. Veränderte Schuleingangsphase heißt ja, man bleibt in dem sozialen Bezug drin.
Sie verwiesen auch auf die hohen Kosten, die Thüringen in seinem Schulsystem ausgibt. Das ist wohl richtig, aber es hat ja auch was mit dieser Teilzeitverbeamtung, die dann aufgehoben worden ist vom Gericht, zu tun. Leider hat der Minister jetzt dieses Kontaktstundenunwesen von seinem glücklosen Vorgänger übernommen. Es ist eben leider so, dass an den Schulen tatsächlich eine ganze Menge Lehrerstunden zur Verfügung stehen, aber am Schüler gar nicht gearbeitet werden darf. Das würde man ja bemerken, weil dann die Glückswolke in zwei Jahren vorbei ist. Wenn man diese Möglichkeiten der individuellen Förderung wirklich nutzen würde, dann könnte man möglicherweise zuerst unter den Lehrern auch ein neues Bewusstsein entwickeln. Ich denke, eine andere Atmosphäre an Schulen heißt auch eine ordentliche Personalausstattung und genügend personelle und sächliche Ressourcen. Die Chance hat man vertan und leider haben Sie die auch wieder vertan und noch nicht aufgegriffen. Ich hoffe, dass sich da einfach etwas ändert, denn anders können wir die Ziele des gemeinsamen Unterrichts und das für uns tatsächlich am Horizont stehende Ziel einer inklusiven Schule ohne Trennung der Schülerinnen und Schüler mit einer anderen Form der Bewertung nicht angehen. Letzten Endes wird sich das dann auch widerspiegeln - und da haben Sie völlig recht, Herr Kowalleck - bei der Anmeldung bei freien Schulen, weil die das eben leisten und weil Eltern erkennen, dass das gute Schulen sind. Ich möchte aber, dass alle Schulen in Thüringen gute Schulen sind.
Herr Präsident, meine sehr geehrten Damen und Herren, lassen Sie mich eine kurze Vorbemerkung machen. Herr Kowalleck, Starrheit hat noch niemandem weitergeholfen. Ich bin z.B. sehr froh, dass Granathandweitwurf als integraler Bestandteil des Schulsystems durch Schlagballweitwurf abgelöst wurde
Ich danke den GRÜNEN sehr herzlich, dass sie das Thema hier im Landtag auf die Tagesordnung gebracht haben, weil es ganz sicherlich kein so populäres Thema ist. Ich glaube, wenn man da eine Umfrage machen würde in der Thüringer Bevölkerung und auch in der Bevölkerung generell draußen, dann sähe das Bild ein wenig anders aus tatsächlich in der Mehrheit. Deswegen ist es auch super wichtig, da gilt tatsächlich mein Dank hin, dass wir ein solch unpopuläres Thema zugunsten der Kinder und der Schülerinnen und Schüler hier auch offen und im Ausschuss dann auch offen diskutieren können.
Eine Viertelmillion Sitzenbleiber gibt es jedes Jahr in Deutschland und zusätzlich haben wir einen sehr großen Wechsel beispielsweise vom Gymnasium auf die Regelschule, größer als andersherum. Ich weiß nicht, ob das fiskalische Argument hier zentral ist, das einige Bundesländer dazu bewegt hat, das Sitzenbleiben zu lockern.