Protocol of the Session on September 10, 2010

Meine Damen und Herren, die FDP fordert in ihrem Antrag eine Senkung der Abgabenlast für die Bürger. Wieder so ein schöner Satz - wer würde sich das nicht wünschen? Aber in Wirklichkeit machen Sie genau das Gegenteil von dem. Schauen wir uns doch mal die Krankenversicherung an: Sie ist doch der Offenbarungseid. Die FDP schont die Leistungserbringer im Gesundheitswesen. Ihre Partei schont die Pharmabranche. Sie schonen die privaten Krankenkassen und die Zeche bezahlt der Bürger.

(Beifall SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Sie reden hier im Landtag von Sparen und von Haushaltskonsolidierung, tun aber in Berlin genau das Gegenteil, Sie machen Vorschläge, die den Staat und auch Thüringen arm machen. Sie schränken unsere Handlungsfähigkeit weiter ein. Was deshalb das Wichtigste ist: Wir müssen schauen, dass wir unsere Haushalte rund bekommen. Erst wenn die Haushalte konsolidiert sind, dann kann man über Steuerentlastungen reden, aber doch nicht umgekehrt.

Meine Damen und Herren, das deutsche Steuerrecht ist kompliziert und intransparent, da stimme ich vollkommen zu, auch allen meinen Vorrednern. Aber ich bin mir sicher, es wird keine Radikallösung geben und deshalb muss man wirklich schauen, wie schafft man Verbesserungsmöglichkeiten in einzelnen Schritten und, was ganz wichtig ist, aufkommensneutral.

Auf ihrer Jahreskonferenz in Dresden haben die Landesfinanzminister im Mai dieses Jahres einstimmig kurzfristig umsetzbare Maßnahmen zur Vereinfachung des Steuerrechts vorgeschlagen. Ich sage einfach mal, es ist wichtiger, hier kleine Schritte zu gehen als gar keine oder sinnlose, wie von der FDP vorgeschlagen. So gab es hier 13 Vorschläge zur Steuervereinfachung. Auch Thüringen hat sich dort eingebracht und ist in dieser Sache aktiv geworden und hat einen entsprechenden Antrag im Bundesrat eingebracht zur Überprüfung des Katalogs der Ermäßigungstatbestände im Umsatzsteuergesetz. Dieser Antrag wurde im Bundesrat auch angenommen und daran wird gearbeitet.

Meine Damen und Herren, CDU und SPD haben einen Alternativantrag eingebracht, mit dem der Landtag die Landesregierung in ihrem eingeschlagenen Weg unterstützen soll. Wir möchten, dass uns die Regierung regelmäßig in Sachen Steuerrechtsvereinfachung im Haushalts- und Finanzausschuss berichten soll. Ich bitte um Zustimmung zu

unserem Antrag. Und an die FDP der dezente Hinweis: Das Beste wäre, Sie würden ihr Papier einfach zurückziehen.

(Beifall SPD)

Für die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN hat sich der Abgeordnete Meyer zu Wort gemeldet.

Frau Präsidentin, meine sehr geehrten Damen und Herren, als ich den FDP-Antrag in die Finger bekommen habe, habe ich mir überlegt, ob ich auf mein vornehmstes Recht als Abgeordneter heute mal verzichten sollte in diesem Punkt, nämlich auf das Rede- und das Debattenrecht, weil einfach die Effizienz und unsere Lebenszeit möglicherweise dafür zu schade ist.

(Beifall SPD)

Aber, Sie merken, ich stehe hier vorn, ich habe mich dagegen entschieden, durch den Alternativantrag von CDU und SPD motiviert; deshalb werde ich auch einige Bemerkungen zum FDP-Antrag machen. Ich will nicht so tief eintauchen in eine Grundsatzdebatte zum Thema „Steuerrecht, Finanzsystem“ und wer hier für die Bürger das Bessere oder Schlechtere will. Ich will mich mal an dem Antrag der FDP-Fraktion am Beispiel an drei kleinen Sachen festhalten. Die Überschrift sagt: „Einfach, gerecht und transparent“. Meine sehr geehrten Damen und Herren, einfach und gerecht sind zwei Pole, die niemals zusammenkommen können. Sie können sich nur zwischen diesen beiden Polen bewegen. Die Menschen sind sehr unterschiedlich. Ich möchte nicht mit Ihnen allen - entschuldigen Sie bitte - in irgendeinen Topf geworfen werden, Sie mit mir wahrscheinlich auch nicht und ganz sicherlich nicht noch in einen einfachen Steuertopf. Mit Herrn Kemmerich und seinen Problemen als Friseurhandwerksmeister habe ich nur sehr temporäre Berührungspunkte,

(Zwischenruf Abg. Kemmerich, FDP: Ich bin kein Friseurhandwerksmeister.)

nämlich dann, wenn ich zum Friseur gehe.

(Unruhe im Hause)

Ansonsten möchte ich seine Steuererklärung nicht sehen, ich möchte auch nicht so besteuert werden, wie er besteuert werden möchte und ich halte es auch nicht für gerecht.

Also noch einmal deutlich: Wenn man einfach will, kann man nicht gerecht wollen, wenn man gerecht will, kann man nicht einfach wollen. Man kann sich aber sehr wohl darüber streiten, wo man zwischen diesen beiden Polen stehen möchte. Darüber strei

(Abg. Dr. Pidde)

tet sich ja auch die FDP mit wachsender Begeisterung mit anderen Parteien.

Das Wort „transparent“, meine sehr geehrten Damen und Herren, auch wenn es Herr Pidde gerade auch benutzt hat, geht so natürlich auch nicht. Was Sie meinen, ist „unkompliziert“. Transparent ist das Steuersystem, das zu bestreiten, würde geradezu die Steuerverwaltung diskreditieren. Das Steuersystem in Deutschland ist sogar eines der transparentesten meiner Ansicht nach in der ganzen Welt, abgesehen davon, dass wir keine Korruption haben, was nebenbei eine zentrale Problematik der Intransparenz ist. Nein, es ist kompliziert. Um im Bild zu bleiben, es gibt beispielsweise Menschen unter uns, die leisten sich sehr teure Uhren, die Glasböden haben, damit sie das komplizierte Uhrwerk anschauen können. Sie haben eine hohe Transparenz, aber verstanden haben sie von dem Uhrwerk trotzdem nichts, weil es kompliziert ist, man schaut es sich nur gern an.

Das heißt, was wir meinen, ist ein unkomplizierteres Steuersystem. Da bin ich ganz bei Ihnen. Die Tatbestände, dass Freiberufler bestimmte Steuern gar nicht zahlen müssen, dass Besserverdienende ab einer bestimmten Kappungsgrenze keine Steuern mehr zahlen müssen, das sind so Probleme, die das Steuersystem unnötig kompliziert machen und auch bei der Transparenz Probleme machen.

Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Recknagel?

Immer.

Bitte.

Danke schön. Herr Meyer, würden Sie mir zustimmen in der Einschätzung, Sie haben eben das Wort „unkompliziert“ mehrfach benutzt, dass in dem Titel unseres Antrags das Wort „einfach“ vorkommt und dass das in etwa etwas Ähnliches bedeutet?

Nein. Unkompliziert heißt nur, dass man die Vielfältigkeit der Steuerbestände, die man hat, so einfach wie möglich darstellt. Es wird auf gar keinen Fall einfach sein im Sinne von, drei Stufen regeln alles. Beispielsweise dieses Problem um die Stufen herum für alle, die dort ihre Steuern zahlen müssen und dann auf einmal feststellen, dass sie 10 oder

20 Prozentpunkte höhergeschoben sind. Das ist aber schon von meinem Vorredner gesagt worden. Ich wollte mich mit Ihrem Antrag nicht so lange aufhalten.

Nur noch eine kleine Belehrung meinerseits an Sie zurück: Sozialversicherungen sind nicht Staat. Wenn Sie die Abgabenlast des Staates mit 50,4 Prozent betrachten, dann meinen Sie damit eben auch die Sozialversicherungen. Das ist ein soziales Sicherungssystem von uns allen, sofern wir drin sind, was bei der FDP nicht für alle gelten wird, vermute ich mal ganz stark.

(Beifall DIE LINKE, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Das ist eben gerade nicht Staat, das ist eine Selbstverwaltung.

Herr Meyer, es gibt einen weiteren Fragewunsch.

Er hat den Generaldispens bei mir, bitte.

Oh, dann bitte.

Danke schön. Das gilt dann wechselseitig. „Sozialversicherung ist nicht Staat“, das verwundert mich nun ein wenig. Wer legt denn die Beitragssätze beispielsweise für Rentenversicherung, für die Krankenversicherung, für die Pflegeversicherung, für die Arbeitslosenversicherung fest? Wer gestaltet die rechtlichen Rahmenbedingungen, wenn das nicht der Staat ist?

Der Staat gestaltet auch die rechtlichen Rahmenbedingungen für die Friseurgeschäfte von Herrn Kemmerich, trotzdem ist es noch lange kein Staat. Die Sozialversicherung ist eine Selbstverwaltungskörperschaft, davon beißt die Maus keinen Faden ab. Dass der Staat dann eingreift, habe ich nicht infrage gestellt, das tut er bei mir und bei Ihnen genauso.

Letzte Bemerkung zum FDP-Antrag: Ich habe etwas gelernt, Herr Kemmerich, nämlich dass ich nicht verstanden habe, was Sie unter Mittelschicht verstanden haben. Aber jetzt habe ich es begriffen, nämlich Sie haben gesagt, dass auch die Mitarbeiterinnen - vor allem Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die bei Ihnen beschäftigt sind - zur Mittelschicht zählen, das heißt, Hartz-IV-Aufstocker sind auch

Mittelschicht. Mit diesem breiten Begriff habe ich weniger Schwierigkeiten als bislang, wenn ich Ihren Debatten zuhören musste. Danke für diese Klarstellung. Also wenn Hartz-IV-Aufstocker schon Mittelschicht sind - und bei Ihnen müssen viele Leute Hartz IV aufstocken aus vielen Begründungen heraus - okay.

Zurück zu dem ernsthaften Änderungsantrag von CDU und SPD. Sie haben in Ihrem Antrag unter I.1 gesagt, dass dem Antrag der Länderfinanzminister zugestimmt werden soll. Ja, aber nicht umsonst, glaube ich, kann die FDP dort auch nicht zustimmen. Was da drinsteht ist nun wirklich noch nicht mal der kleine Wurf. Es ist der mühsame Versuch von über 100 Vorschlägen wenigstens 13 zu finden, wo nicht alle gleich Nein gesagt haben.

Die Einführung eines jährlichen Wahlrechts zwischen den tatsächlichen Kosten für öffentliche Verkehrsmittel ohne Höchstbetragsbegrenzung und der Entfernungspauschale, wenn die Höchstbetragsbegrenzung bei 4.500 € liegen soll, das wird den öffentlichen Nahverkehr nicht nach vorn bringen. Das wissen alle, die es unterschrieben haben. Auch die Erhöhung des Pauschalbetrages bei gleichzeitiger Abschaffung des Einzelnachweises zusätzlicher außergewöhnlicher Belastungen - sie merken schon die Wortwahl, die notwendig ist, um sogenannte einfache Tatbestände zu beschreiben wird es auch nicht bringen. Das heißt, das ist natürlich viel zu gering, zu sagen, wir als Landesregierung finden das toll, machen Sie es ruhig, aber das hat bei Weitem nicht ausgereicht.

Der zweite Punkt ist richtig. Ich finde es auch gut, dass die Landesregierung jetzt aufgefordert wird durch das Parlament in Mehrheit sicherlich, regelmäßig darüber zu berichten, wie Steuervereinfachungen auf Landesebene funktionieren - nur zu! Frau Walsmann, ich freue mich auf Ihre Berichte alle Vierteljahre dazu, das kann Ihnen nur helfen in der Debatte. Aber in Punkt II Nummer 2 hat natürlich dann die Koalitionsdisziplin wieder voll zugeschlagen. Es ist Ihnen auch aufgefallen? Da haben die CDU und die SPD in ihren Debatten versucht, gerade hier schön darüber hinwegzutäuschen, nämlich über das Problem der Aufkommensneutralität der Steuervereinfachung.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, ich weiß nicht, ob Sie mit Frau Walsmann bei dem Thema gesprochen haben, als Sie Ihren Antrag formuliert haben. Falls doch, hat sie doch bestimmt an dem Punkt wenigstens leise gezuckt, denn ohne Einkommenserhöhung für den Freistaat Thüringen wird es wohl kaum gelingen, die ambitionierten Ziele, was das Thema Schuldenfreiheit dieses Landes angeht, auch nur annähernd zu erreichen.

(Beifall DIE LINKE )

Das stelle ich jetzt mal als steile These in den Raum. Wenn Sie es anders schaffen, meinen herzlichen Glückwunsch schon im Vorhinein, aber das glauben Sie selbst nicht. Wir brauchen einnahmenverbessernde Möglichkeiten vom Bund her durch bestimmte Steuerarten oder Steuern, die man anders einfordern muss. In das Thema will ich mich gar nicht reinbewegen, so viel Zeit will ich Ihnen nicht klauen - Vermögensteuer, Erbschaftsteuer, Grundsteuerreform oder auch das Thema Einkommensteuer für Besserverdienende - nur mal so als Stichworte in den Raum gestellt. Die Staats- und Steuerquote in Deutschland ist nicht zu hoch.

(Beifall DIE LINKE)

Das habe ich mir nicht nur selber nicht ausgedacht, sondern ich erlaube mir, dazu zu zitieren aus einem Artikel der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ von vorgestern mit der Überschrift „Wozu noch Landtage?“, der sich mit der Frage beschäftigt, ob es uns einfach noch braucht. Da heißt es: „Doch mehr als alles andere dürften die Handlungsfähigkeit der Länder und die Kompetenzen ihrer Parlamente durch die sogenannte Schuldenbremse gefährdet werden. Die Verschuldungskrise der öffentlichen Haushalte beruht zum einen auf einer expansiven Haushaltspolitik“ - jetzt muss die FDP wieder zuhören - „infolge einer Ausweitung der Aufgaben, die durch entsprechende Finanztransfers nicht gedeckt war. Die zweite Ursache ist die beständige Senkung der Steuerquote, nicht der Sozialabgabenquote. Mit etwa 23 Prozent gehört sie in Deutschland zu den niedrigsten in den OECD-Ländern.“ Das ist eine schlichte Tatsachenfeststellung gewesen. Die Bemerkungen vorher muss man auch ernst nehmen. Natürlich kann man als FDP sich hinstellen und sagen, wir sparen, wir sparen, wir sparen, aber Sie möchten nicht die Subvention für den Mittelstand sparen.

(Zwischenruf Abg. Recknagel, FDP: Doch, möchten wir.)

Doch, möchten Sie? Okay, dann warten wir auf die entsprechenden Anträge für den Haushalt. Dann wird es ziemlich bitter für den Mittelstand werden, wenn Sie nur durch Sparen den Haushalt sanieren wollen, das kann ich Ihnen jetzt schon sagen. Da reichen alle Sparbemühungen bei den schlechter Verdienenden und den Leuten in Hartz IV oder Regelbezug nicht aus.

Was der Freistaat Thüringen benötigt für seine Aufgabenwahrnehmung sind mehr und sicherere Steuereinnahmen, auch mehr, vor allem aber sicherere. Dazu, meine sehr geehrten Damen und Herren, gehört meiner Ansicht nach eine Verbreiterung und Verstetigung der Steuereinnahmen. Das allerdings stellt, wie gesagt, der SPD- und CDU-Antrag in Abrede, der redet nur davon, wir halten den Status quo bei den Steuereinnahmen, wir können den Bund nicht zwingen, uns mehr zu geben, „das

trauen wir uns nicht“. Ich kann mir schon vorstellen warum. Das ist leider der Grund, warum wir Ihrem Antrag nicht zustimmen können, meine sehr geehrten Damen und Herren von der SPD und CDU. Über den Antrag der FDP verliere ich kein weiteres Wort. Vielen Dank.

(Beifall DIE LINKE)

Für die FDP-Fraktion hat sich der Abgeordnete Recknagel zu Wort gemeldet.